• Keine Ergebnisse gefunden

Gesprächsablauf und Sicht der Praxis

Im Dokument Das anwaltliche (Seite 161-165)

Phasen, Ablauf, Typen

5 Ablauf und Typen anwaltlicher ErstgesprächeErstgespräche

5.6 Gesprächsablauf und Sicht der Praxis

Gesprächsphasen sind eine Dimension zur Beschreibung von Gesprächen, die auch außerhalb der Linguistik Anwendung gefunden zu haben scheinen, denn in den meisten Praxisratgebern für anwaltliche Mandantengespräche wird Bezug zu einer Phasierung dieser Gespräche genommen. Darüber hinaus ist es auch in Gesprächen mit teilnehmenden AnwältInnen leicht gefallen, eine Phasenbestimmung ihrer Gespräche zu elizitieren. Daher soll hier die Sicht der Praxis dargestellt und mit den hier erarbeiteten Ergebnissen verglichen werden.

Eine teilnehmende Anwältin beschreibt die Phasierung ihrer Gespräche wie folgt:

Ich hol die [Mandanten, I.P.] immer aus dem Wartezimmer, mach kurz n bisschen Hallo-Geplänkel. Dann setz ich die hin, dann sag ich meistens irgend so n Satz wie

‚Grob weiß ich ja schon worums geht, weil ich schon ne Telefonnotiz gelesen habe‘. Und dann kommt immer diese Erzählen-Sie-mal-Phase. Dann reden die ne Zeit lang und dann fang ich irgendwann an mit Fragen einzuhaken. Und dann kommt diese Phase des Dialogs, wo ich anfange, das Problem rauszufiltern – es sei denn, die sagen schon gleich

‚Ich möchte gegen die dienstliche Beurteilung vorgehen‘. Das ist der größte Teil des Gesprächs. Dann kommt zum Schluss die Phase, wo ich die Rechnung zücke und Unterschriften und Vollmachten und sowas mache. Und dann kommt so n bisschen wieder Geplänkel zum Abschied (Interview mit einer teilnehmenden Anwältin, November 2011).

Auffällig ist, dass sie zweimal auf das Geplänkel zu Beginn und am Ende hinweist, aber weder das Aufklären über die Rechtslage noch das Besprechen von Handlungsmöglichkeiten erwähnt, die gemeinsam den wichtigsten Kern des anwaltlichen Erstgesprächs bilden. Offenbar trennt diese Anwältin zwischen kommunikativen (Erzählen-Sie-mal-Phase, Phase des Dialogs) und juristischen Tätigkeiten (die sie im Rahmen der Gesprächsphasen nicht benennt), was auch ihren Fokus auf das Geplänkel bei der Beschreibung der Gesprächsphasen erklären würde.

Aber auch in der Praxisliteratur finden sich einige Phasenmodelle anwalt-licher Erstgespräche. Kilian (2008: 27, vgl. auch Sherr 1986) nennt vier Phasen des Mandantengesprächs: „Zuhören, Fragen, Antworten, Organisieren“. König/

Weth (2004b: 8ff.) nennen ebenfalls vier Phasen des Mandantengesprächs:

Orientierungsphase, Klärungsphase, Lösungsphase und Abschlussphase. Das

Juraforum (2013) bestimmt hingegen fünf Kernphasen sowie Begrüßungs- und Schlussphase, die sowohl in ihrer Reihenfolge als auch bezogen auf die praktischen Tipps jenen von Klinge/Klinge (1998: 21ff.) sehr stark ähneln: „Begrüßungsphase, Informationsphase/Orientierungsphase, juristische Klärungsphase, Interessenerkundung, Konfliktlösungsphase, Vergütungsinfor-mation, Schlussphase“.

Vergleicht man die Phasierung von Kilian (2008), König/Weth (2004b) und dem Juraforum (2013), stellt sich heraus, dass alle innerhalb der Kernphasen eine Phase bestimmen, die mit der hier analysierten Themeneinführung korre-spondiert. Das „Erzählen“ des Mandanten scheint also in allen Ratgebern der empfohlene Einstieg in das Mandantengespräch. Dies ist auch empirisch zu beobachten.

Erstaunlicherweise nennen nicht alle Autoren eine Nachfragephase durch den Anwalt, diese würde mit der hier ermittelten Themenexploration und -zuspitzung korrespondieren. Bei Kilian ist das anwaltliche Fragen sehr präsent als eigene Phase „Fragen“ markiert, König/Weth nennen zwar das Nachfragen des Anwalts an einer Stelle (König/Weth 2004b: 26), bei ihnen steht allerdings die Darstellung des Mandanten im Vordergrund. In der Darstellung des Juraforums fällt eine Nachfragephase des Anwalts ganz weg, hier wird nach der Darstellung des Sachverhalts durch den Mandanten sofort zur rechtlichen Klärung übergegangen (ebenso bei Klinge/Klinge 1998). Dieser Befund ist erstaunlich, da die Phase Themenexploration und -zuspitzung ausnahmslos in jedem Mandantengespräch des vorliegenden Korpus zu beobachten ist und darüber hinaus die wichtige Funktion der Zuspitzung und Fokussierung des Sachverhaltes für die institutionelle Bearbeitung enthält. Daher scheinen mir die Darstellungen, die diese Phase verkürzen oder gar weglassen, weder sinnvoll als Ratschlag, bedenkt man die Funktion der Phase im Bezug zum Zweck des Gesprächs, noch entsprechen sie der Realität eines anwaltlichen Erstgesprächs.

Eine rechtliche Klärungsphase hingegen ist bei allen Autoren vorgesehen.

Dies ist einerseits mit ihrer Relevanz für das Mandantengespräch zu begründen, andererseits mit dem Fokus der Autoren der anwaltlichen Ratgeber, die selbst Juristen und zumeist Anwälte sind und entsprechend die Relevanz dieser Phase berücksichtigen. Wie hier gezeigt werden konnte, wird allerdings das Ergebnis der rechtlichen Begutachtung häufig nicht explizit und nicht ausführlich mitge-teilt (vgl. auch Kapitel 8). Die Ratgeber suggerieren bei ihren Beschreibungen dieser Phase aber eine Ausführlichkeit und Explizitheit im Handeln des Anwalts, die sich empirisch so nicht feststellen lassen. Ausführlichkeit und Explizitheit sind als Empfehlungen sicherlich zu unterstreichen, decken sich aber in vielen Fällen (noch) nicht mit der Gesprächsrealität. Darüber hinaus wird in keinem

Ratgeber auf die Spezifika der verschiedenen Typen hingewiesen, die in dieser Phase eine wichtige Rolle spielen.

Unterschiede bestehen auch in Bezug auf die Zielklärung, die hier empirisch nicht als eigene Gesprächsphase ermittelt werden konnte. König/Weth unter-scheiden zwischen dem Handlungsziel und dem Beratungsziel und stellen die Zielklärung an den Beginn des Mandantengesprächs (König/Weth 2004b: 15).

Damit geben sie der Zielklärung eine sehr exponierte Position, später nehmen sie diese aber wieder etwas zurück, indem sie eine Klärung zu Beginn des Gesprächs hauptsächlich für das Beratungsziel empfehlen und das Klären des Handlungsziels erst der Lösungsphase zuordnen (König/Weth 2004b: 29f.). Das Juraforum (2013: 2) und Klinge/Klinge (1998: 26f.) empfehlen ebenfalls, das Ziel nach der rechtlichen Klärung zu besprechen. Diese Empfehlung erweist sich empirisch als unsinnig, da bereits die rechtliche Begutachtung maßgeblich auf dem Ziel des Mandanten aufbaut (vgl. Kapitel 8). Nur Kilian weist auf die Problematik hin, dass Mandanten gar nicht in der Lage sein werden, Ziele genau zu bestimmen, da sie nicht wissen, welche Ziele erreichbar sind (Kilian 2008: 32f.). Dies deckt sich mit den empirischen Befunden, dass Mandanten ihr Ziel meist vage oder implizit formulieren.

Die Phase Besprechen von (juristischen) Handlungsmöglichkeiten wird ebenfalls in allen Ratgebern genannt. Deutlich wird vor allem bei Kilian, dass die Phase der Lösungsentwicklung offenbar allein dem Anwalt obliegt (erkennbar an der Überschrift „Antworten“, an anderer Stelle ist die Rede davon, dass der Anwalt dem Mandanten „Vorschläge unterbreiten“ muss (Kilian 2008: 36). Hier unterscheiden sich die anderen Ratgeber, die explizit gemeinsam mit dem Mandanten Lösungen entwickeln. Wie sich empirisch gezeigt hat, lässt sich in der Praxis beides nur teilweise bestätigen. Grundsätzlich sind es die Beteiligten gemeinsam, die Lösungen besprechen, dennoch kommt dem Anwalt die maßgebliche Rolle zu, Handlungsmöglichkeiten einzubringen und vor allem auch, diese rechtlich zu bewerten. Auch hier ergeben sich Spezifika für die verschiedenen Typen, die in den Ratgebern nicht berücksichtigt werden.

Erstaunlich ist, dass das Besprechen der Kosten nur von Juraforum und Klinge/Klinge als eigene Phase gesehen wird, obwohl sich diese empirisch klar abgrenzen lässt. Kilian nennt das Besprechen der Kosten, ordnet es aber der Phase „Antworten“ unter, bei König/Weth spielt das Thema keine Rolle. Hier zeigt sich also eine große Spanne im Vergleich der Ratgeber, die die Ambiguität widerspiegelt, mit der das Thema häufig bearbeitet wird.

Die Phase Formalitäten abwickeln findet sich ebenfalls in den Ratgebern wenig. Kilian weist zwar auf die Notwendigkeit einer Vollmacht hin (Kilian 2008: 39), eine eigene Gesprächsphase sieht er dafür nicht vor. König/Weth

nennen lediglich das Absichern der Ergebnisse durch Kontrakte (König/Weth 2004b: 38), gehen aber darauf nicht weiter ein. In den anderen Ratgebern werden die Formalitäten nicht erwähnt. Möglicherweise ist dies für Anwälte bereits keine Tätigkeit mehr, die sie als zum Erstgespräch gehörend zählen, worauf auch ihr geringes kommunikatives Engagement, das in dieser Phase empirisch zu beobachten ist, hindeutet.

Es findet sich in allen Ratgebern eine Schlussphase, die interessanterweise im Gegensatz zur Eröffnungsphase immer genannt wird und teils sehr expandiert wird. So empfiehlt das Juraforum ebenso wie Klinge/Klinge in der Schlussphase die Zusammenfassung der Ergebnisse zu diktieren (JuraForum 2013: 2), weiter werden hier in allen Ratgebern nächste Schritt besprochen und Aufgaben verteilt. Es wird also in allen Ratgebern davon ausgegangen, dass ein Problem bearbeitbar ist und es zu einer Beauftragung des Anwalts kommt. Auch hier werden verschiedene Typen nicht unterschieden.

Insgesamt sticht neben den genannten Punkten ein weiterer besonders hervor: Es fehlt sowohl in den Praxisratgebern als auch in der hier empirisch erarbeiteten Phasierung eine Phase der Akquise, also eine Phase, in der der Anwalt als Dienstleister sein weiteres Tätigwerden anbietet und er dafür vom Mandanten beauftragt wird bzw. werden will. Dies erstaunt, da doch das Resultat eines Erstgespräches häufig die anwaltliche Beauftragung ist. Dieses Fehlen als Phase soll allerdings nicht suggerieren, dass eine Akquisetätigkeit im Mandantengespräch nicht zu beobachten wäre – das Gegenteil ist der Fall.

Dennoch lässt sie sich empirisch als Phase nicht herausarbeiten, was zum einen mit dem theoretischen Konzept der Phase in Verbindung steht, mit dem auf der sprachlichen Oberfläche voneinander abgrenzbare Einheiten als Phase bestimmt werden können. Zum anderen liegt hier aber auch eine Spezifik des Mandantengesprächs vor, die es aufgrund der verschiedenen Rollen des Anwalts, die er gleichzeitig ausfüllt, nicht notwendig macht, eine Akquisephase gesondert zu markieren (vgl. ausführlich dazu Kapitel 11).

Im Dokument Das anwaltliche (Seite 161-165)