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Diskurs- und gesprächslinguistische Ergebnisse im Gebiet Sprache und RechtSprache und Recht

Im Dokument Das anwaltliche (Seite 45-49)

B Theoretischer Überblick

2.2 Literaturüberblick: Sprache und Recht mit Schwerpunkt MandantengesprächeSchwerpunkt Mandantengespräche

2.2.2 Diskurs- und gesprächslinguistische Ergebnisse im Gebiet Sprache und RechtSprache und Recht

Das im Themengebiet Sprache und Recht mit authentischen Gesprächsdaten wohl meistuntersuchte Feld ist das sprachliche Handeln vor Gericht, häufig das Strafverfahren.

Entsprechend weit sind die untersuchten Fragen und die methodischen und theoretischen Grundlagen der Untersuchungen. Untersucht wurde hier zum einen der Ablauf von Verfahren (Hoffmann 1983a, 1980), der ebenfalls formal in Verfahrensordnungen festgelegt ist (zur Konfrontation der Vorschriften mit Protokollen und Transkripten vgl. Seidel 1984; Luttermann 1996). Dieser vorge-gebene Ablauf wird häufig bereits bei der Zeugenbelehrung verlassen und durch individuelle Formen der einzelnen vorsitzenden Richter ersetzt (Wolff/Müller 1997: 68ff., 1995; Breunung/Roethe 1989).

Im Gerichtsverfahren werden Fälle konstituiert (Hoffmann 2014, 2007), indem durch die Anwendung bestimmter Filterprozesse lebensweltliche Sach-verhalte in rechtlich bearbeitbare transformiert und auf dieser Basis in ein Urteil überführt werden. Im Gegensatz zu der Situation im Mandantengespräch ist der Sachverhalt allerdings vor der Gerichtsverhandlung bereits einerseits vom Mündlichen ins Schriftliche (vgl. Seibert 1981) als auch andererseits in der Regel bereits durch Anwälte als Institutionsvertreter transformiert worden (vgl.

Seibert 1981: 75ff.; Jeand’Heur 1998: 1292; zur Wissensgenerierung bei Gericht vgl. Hoffmann 2010, 1997). Bei Gericht wird auf der Basis von Akten agiert,

in der Verhandlung wird aber der Fall erneut mündlich aufgerollt, denn es besteht das Prinzip der Mündlichkeit (zur kritischen Auseinandersetzung damit vgl. auch Seibert 1989). Richter fragen allerdings, anders als meist Anwälte im Mandantengespräch, nicht mehr unvoreingenommen, da sie die die Aktenlage und damit auch die Sichtweisen beider Seiten ja bereits kennen.

Zur Ermittlung des Sachverhalts durch verschiedene Frageformen, Reformulierungen oder direkte und indirekte Rede sowie deren Funktionen im rechtlichen Rahmen vgl. Holt/Johnson (2010: 25); zur Funktion von Fragen bei der Zeugenbefragung vgl. auch Hutchby/Wooffitt (2008: 142ff.). Auch Anwälte bevorzugen sowohl im Kreuzverhör als auch bei eigenen Zeugen geschlossene Frageformen (sog. CSQs, confirmations seeking questions) (Maley/Fahey 1991: 6f.), Wiederholungen und Reformulierungen (Maley/Fahey 1991: 8ff.) und setzen verschiedene Modalitäten strategisch ein (Maley/Fahey 1991: 13ff.). So behalten sie die Themensteuerung und sind in der Lage ‚ihre‘ Geschichte zu konstruieren (Maley/Fahey 1991: 6f., vgl. auch Scheffer 2003). Generell kommt den Instituti-onsvertretern maßgeblich die Steuerung und Kontrolle der Situation zu (Koerfer 1994b: 238).

Ist der Sachverhalt erarbeitet, ist der Weg der Entscheidungsfindung bis zum Urteil der nächste Schritt (Hoffmann 2010; Lautmann 2011/1972). Hier bestätigt sich in verschiedenen Studien gerade nicht das Bild des Richters als Subsumtionsautomat, sondern entscheidend sind hier vor allem mögliche Ergebnisse (Lerch 2010; Schumann 1979: 23), die Aktenlage aus dem staats-anwaltlichen Vorverfahren (Ludwig-Mayerhofer 1997), der Eindruck des Angeklagten (Leodolter 1975: 177, vgl. auch 241) sowie die Rekonstruktion des Sachverhaltes auf der Basis von Normalitätsfolien (vgl. Hoffmann 2002;

Wolff/Müller 1997; Schröer 1992a: 233 in Bezug zum Mandantengespräch Sarat/Felstiner 1995: 43).

Nicht genau herauszufinden, was gewesen ist, sondern sich darauf zu verständigen, wie es nach menschlichem Ermessen gewesen sein könnte ist also die Perspektive von Entscheidungsprozessen vor Gericht. In diesem Sinne ist eine Aussage vor Gericht immer auch eine konstruktive Leistung, genauer, eine interaktive Konstruktion von hier und jetzt annehmbaren Wirklichkeiten (Wolff/Müller 1997: 117, Herv.i.O.).

Auf diesen Eindruck der Richter wirken Angeklagte, aber auch zum Teil Zeugen ein, indem sie Strategien zur Vermittlung von Glaubwürdigkeit verwenden und ihre Sachverhaltsdarstellungen entsprechend aufbauen. Hier sind einerseits das dem Angeklagten zur Verfügung stehende sprachliche Repertoire (Leodolter 1975: 234f.; Wodak 1985), aber auch die Formen der Sachverhaltsdarstellung von Angeklagten und Zeugen in ihrer institutionellen Einbettung entscheidend

(Hoffmann 1983a; vgl. dazu auch Hoffmann 2007; 1991). Als Formen der Sachverhaltsdarstellung arbeitet Hoffmann für die Angeklagten prototypisch die erzählende Darstellung heraus, für Zeugen eine berichtende Darstellung (zum Überblick über Merkmale der Darstellungsformen vgl. Hoffmann 2001:

1549, 1983a: 284). Vor allem die erzählende Darstellung dient maßgeblich der Etablierung einer bestimmten Bewertung des Dargestellten. Die Aussagen von Zeugen untersucht Wolff (2010) unter dem Kriterium der Herstellung von Glaubwürdigkeit und beschreibt Zeugenbefragungen als eine „soziale Test-situation“ (Wolff 2010: 80), in der mit zunehmender Befragung nicht nur die Aussage, sondern die Person des Zeugen selbst in den Mittelpunkt rückt (Wolff 2010: 80). Zum Ablauf der Zeugenvernehmung im Rahmen der Verhandlung beim Jugendgericht vgl. Seidel (1984: 34ff.) und Reichertz (1984), in Straf- und Bußgeldverhandlungen vgl. Hoffmann (1983a: 238ff.).

Typische Kommunikationsprobleme im Gericht reichen von gesprächs-strukturellen Schwierigkeiten durch die Gesprächssteuerung des Richters (Fragmentierung der Sachverhaltsdarstellung etc.) über Schwierigkeiten der Experte-Laie-Kommunikation bei der Sachverhaltsdarstellung und deren Umsetzung in justitiable Fälle bis hin zu professionellen Strategien, wie dem Verbergen juristischer Relevanzen oder systematischen Irritationen, die der Verhandlung dann einen „zwangskommunikativen Charakter“ (Kallmeyer 1983: 149) verleiht, vgl. zu Kommunikationsproblemen vor Gericht auch Hoffmann/Nothdurft (1989); Hoffmann (1989b); Schröer (1984: 119ff., 146);

Seibert (1983); zu Verbesserungsvorschlägen vgl. Hoffmann (1983a: 379ff.).

Neuere Arbeiten zum sprachlichen Handeln vor Gericht im angelsächsischen Raum sowie ein guter Überblick zu Japan, China, den Niederlanden finden sich in Tiersma/Solan (2012); Wagner/Cheng (2011). Zur niederländischen Strafver-handlung vgl. Sauer (1989); Maat/Sauer (1989). Für einen Überblick auch über ältere Arbeiten vgl. Hoffmann (2001, 1983b).

Als Alternative oder vorgeschaltet zum gerichtlichen Verfahren stehen als Möglichkeit der Streitbeilegung auch Schlichtungsverfahren als außergerichtli-che Konfliktlösungsinstanzen zur Verfügung. Auch hierzu liegen Ergebnisse auf der Basis authentischer Daten vor. Relativ frühe Arbeiten dazu sind Nothdurft (1995b; 1997). Wohl nicht zuletzt aufgrund der Vielfalt des Materials gelingt es den Forschern nicht abschließend, Schlichtungsinteraktion zu beschreiben (zu methodischen Problemen bei der Untersuchung vgl. Nothdurft/Spranz-Fogasy 1991; zum Material vgl. Schröder 1997; Nothdurft 1995a: 12). Schlichten wird einerseits beschrieben als Handlungsschema mit den Komponenten „Herstel-lung der Schlichtungssituation“, „Rekonstruktion des Konflikts“, „Rege„Herstel-lung des Konflikts“ und „Auflösung der Schlichtungssituation“ (Nothdurft 1995a: 14; vgl.

dazu auch Schröder 1997; Klein/Nothdurft 1987: 549f.; ein etwas davon abwei-chendes Handlungsschema für Schlichtungsgespräche findet sich in Nothdurft/

Spranz-Fogasy 1991: 225). Diese Komponenten beinhalten zum Teil weitere Teilaufgaben. Eine weitere Dimension von Schlichtungsverfahren wird in fünf Interaktionsqualitäten beschrieben (Nothdurft 1995a: 18ff.), mit denen jeweils das „Ganze“ (Nothdurft 1995a: 18) neben und in Verbindung mit dem Hand-lungsschema beschrieben werden kann. Die fünf Interaktionsqualitäten sind:

„der verbale Charakter“, „der persuasive Charakter“, der fragile Charakter“,

„der formale Charakter“ und „der inszenierte Charakter“ (ebd.). Als paradoxe Anforderungen der Situation werden das Ausmaß der Konfliktbesprechung, die Vermittlung zwischen institutionellem Hintergrund und alltagsweltlicher Gesprächssituation und dem Rollenkonflikt des Schiedsmannes zwischen Neutralität und Verantwortung gegenüber dem Geschädigten beschrieben (Nothdurft 1989; Klein/Nothdurft 1987: 548; zu Strategien des Schiedsmanns zur Regelung des Konflikts vgl. Klein 1987).

Als Formen der Sachverhaltsdarstellung werden Anschuldigungen rekonst-ruiert (Nothdurft 1997: 16ff.) und ergänzt durch ‚acht Stücke‘ (Nothdurft 1997:

31ff.; dazu auch Nothdurft 1984), „durch die die einzelnen Aspekte von Anschul-digungen beleuchtet werden“ (Nothdurft 1997: 31). Hier liegt, wohl aufgrund der verschiedenen Zwecke und Konstellationen der Gespräche, eine andere Form der Sachverhaltsdarstellung als im Mandantengespräch vor (vgl. Kapitel 7), ebenfalls unterscheidet sich, wer Anschuldigungen bzw. Probleme vorbringt (im Schlich-tungsverfahren in der Regel der Schlichter (Nothdurft 1997: 16ff.), im Mandan-tengespräch in der Regel der Mandant, vgl. die Kapitel 6 und 7).

Den Ablauf (Makrostruktur) interkultureller Vernehmungen sowie Miss-verständnisse, die aber in den Gesprächen durch verständigungssicherndes Handeln bereits weitgehend behoben werden können, die argumentative Leistung der Beteiligten sowie die Herstellung sozialer Nähe beschreibt in einer neueren Arbeit zur polizeilichen Vernehmung Hee (2012). Die Arbeit basiert auf Videoaufzeichnungen verschiedener Vernehmungssituationen, von denen sechseinhalb Stunden untersucht wurden (Hee 2012: 49). Hee kommt zu dem Schluss, dass Zeugen- oder Beschuldigtenvernehmungen gleich kooperativ oder unkooperativ verlaufen können, was sie darauf zurückführt, dass „weniger der Gesprächstyp das Konfliktpotenzial darstellt, sondern vielmehr Gesprächsstra-tegien, Imagearbeit und andere Verfahren der Gesprächs- und Beziehungs-gestaltung“ für das Gelingen ausschlaggebend sind (Hee 2012: 319). Andere Arbeiten fokussieren vielfach auf die Machtverhältnisse der Beteiligten mit dem Ergebnis, dass es die Verdächtigten sind, die trotz der institutionellen Macht der Polizisten (zur Beeinflussung von Vermerken und Protokollen durch Polizisten

vgl. Kurt 1996) in der tendenziell mächtigeren Position sind. Beamte entwickeln daher eine bestimmte, wie Schröer es nennt, Haltung oder „personale Haltung“

(Schröer 2003a: 72; vgl. zu weiteren Haltungen Schröer 1996), die den Verdäch-tigten zu Aussagen bewegen soll. Er kontrastiert Vernehmungen mit Deutschen und türkischen Migranten (vgl. auch Schröer 2003b, 2002) und zeigt, dass Verhöre der Migranten für die Polizeibeamten wesentlich weniger erfolgreich verlaufen. Schröer erklärt dies damit, dass die Migranten aufgrund von schlech-ten gesellschaftlichen Integrationsprozessen keine Loyalität und damit auch keine Kooperationsverpflichtung gegenüber den deutschen Beamten haben.

Allerdings sind diese Machtverhältnisse nicht absolut, sondern dynamisch zu verstehen, da auch in polizeilichen Vernehmungen mit sprachlichen Mitteln bis hin zur Anpassung der Prosodie oder des Stils Interaktion und gemeinsa-mes Handeln hergestellt wird (Schwitalla 1996). Insgesamt ergeben sich aber dadurch widersprüchliche Anforderungen für die Polizisten (Schröer 1992b), die zwischen ihrer Sorgfaltspflicht auf der einen Seite und der strukturell benachteiligten Lage auf der anderen Seite stehen, die sie durch Strategien der Untergrabung der Entscheidungsmacht des Beschuldigten aufzulösen versuchen können (vgl. auch Schröer 1992a).

Ältere Arbeiten zur Polizeiarbeit und polizeilichen Vernehmung sind (Schmitz 1983; 1979; Banscherus 1977), basierend auf simulierten Vernehmungen mit echten Beamten und teilnehmender Beobachtung authentischer Verhöre, oder (Reichertz 1991), basierend auf teilnehmender Beobachtung einer Fahndungsab-teilung der Polizei. Ein Sammelband ist Reichertz/Schröer (1992) mit Beiträgen auf der Basis erster authentischer Daten aus dem Feld. Neuere Arbeiten aus dem angelsächsichen Raum finden sich in Coulthard/Johnson (2010). Britische Polizeiverhöre untersuchen Stokoe/Edwards (2010) konversationsanalytisch, hier wird vor allem die Rolle der Anwälte beleuchtet, die die Lage des Verdächtigten durch verschiedene Aktivitäten unterstützen können.

Im Dokument Das anwaltliche (Seite 45-49)