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Wissens(v)ermittlung

Im Dokument Das anwaltliche (Seite 196-199)

C2 Gesprächsanalytische Beschreibung:

6 Das Handlungsschema anwaltlicher ErstgesprächeErstgespräche

6.3 Kommunikative Aufgaben im anwaltlichen Erstgespräch

6.3.5 Wissens(v)ermittlung

Die Wissens(v)ermittlung ist eine gesprächsübergreifende kommunikative Aufgabe, besonders in einer Experte-Laie-Kommunikation, in der der Experte eben wegen seines professionellen Wissensvorsprunges aufgesucht wird. Vor allem die Vermittlung von Fachwissen (A) ist nicht immer eindeutig von der Begutachtung der Lage des Mandanten zu trennen, denn die Begutachtung basiert ebenfalls auf professionellem Wissen, das hier bezogen auf den Sachverhalt vermittelt wird. Darin aber genau besteht analytisch der Unterschied zur Wissensvermittlung: Die Sachverhaltsbegutachtung bezieht sich auf den konkreten Fall und vermittelt das spezifisch zu erwartende Ergebnis. Die Wissensvermittlung hingegen ist allgemein und gibt rechtliches Wissen wieder, das zwar thematisch mit dem Sachverhalt des Mandanten in Beziehung steht, nicht aber direkt darauf angewendet wird.

Da die Wissensvermittlung (ohne Anwendung auf den konkreten Sachverhalt) im Mandantengespräch sehr häufig zu beobachten ist und vor allem gegenüber der Sachverhaltsbegutachtung abzugrenzen ist, die ebenfalls wissensvermit-telnde Bestandteile aufweist, rechtfertigt dies die Schemakomponente Wissens(v) ermittlung. Ihre Funktion ist es, dem Mandanten weitere Einblicke in seine Lage zu geben und ihn so bei seiner Verortung in der Rechtswelt und der Übernahme der anwaltlichen Einschätzung zu unterstützen, darüber hinaus kann so gezielt Sachverhaltswissen des Mandanten angefordert werden. Die Wissens(v) ermittlung beinhaltet folgende kommunikativen Aufgaben der Beteiligten:

Wissens(v)ermittlung (A + M)

Juristischen Wissensstand des Mandanten (v)ermitteln (A+M) Fachwissen vermitteln und informieren (A)

Im Rahmen der Wissens(v)ermittlung ist es nicht nur Aufgabe des Anwalts, Fachwissen zu vermitteln und zu informieren, sondern auch, zunächst den juris-tischen Wissensstand des Mandanten zu ermitteln, um daran anknüpfen zu können. Denn „[d]ie Wissensvermittlung an Laien hat also deren vorhandenes Wissen und Verständnisniveau zu beachten. Nur wenn die Verständlichkeit des Gesagten damit korrespondiert, werden Verstehen und Verständigung erreicht“

(Brünner 2009b: 174, vgl. auch Palm 2001: 353ff.). Das Vermitteln seines juris-tischen Wissensstandes ist wiederum Aufgabe des Mandanten, wenngleich man weniger davon ausgehen kann, dass der Mandant seinen Wissensstand umfassend und zusammengefasst darstellen wird, sondern seinen Wissensstand an verschiedenen Stellen zum Ausdruck bringen wird. Vermittelt der Mandant sein Wissen, werden häufig laienhafte Annahmen des Mandanten verbalisiert,

die gerade ein Nichtwissen juristischer Zusammenhänge offenbaren (vgl. dazu vor allem auch Kapitel 7.3.3). Auch damit vermittelt der Mandant seinen juristi-schen Wissensstand und der Anwalt kann gezielt daran anknüpfen. Dieses Anknüpfen besteht darin, dem Mandanten Fachwissen zu vermitteln und ihn zu informieren. Diese kommunikative Aufgabe zielt wie oben beschrieben auf die Vermittlung sachverhaltsbezogenen, aber noch nicht darauf angewandten Wissens. Dies betrifft unter anderem Wissen über juristische Begriffe oder Verfahren, historische Entwicklungen bestimmter Normen, Wissen über den Anwaltsberuf und berufsrechtliche Beschränkungen etc.

Ein Beispiel für die (V)Ermittlung des juristischen Wissensstandes des Mandanten und die anschließende Vermittlung von Fachwissen ist das Folgende.

[11]A (w) ((ea)) Okay. Ja, Scheidungsantrag gestellt, ja.

M (m) Beim Gericht ääh… Ich hab dann bekam ich das vom Gericht, [12]

A (w) • Jǎ

M (m) • dann... ((ea)) Da habe ich dann gelesen, es besteht ein Anwalts zwang [13]

A (w) Des, Des ((ea)) is teilweise richtig,

M (m) wenn man zum Scheidungs termin erscheint.

[14]A (w) ich erklärs Ihnen gleich. Ahâ

M (m) Hmhm̌ • • Äähm • • ja und äh warum ich da bin, ich […]

[417]

A (w) nämlich. • • Sie meinen, da steht jetzt Anwaltszwang?

M (m) gut. Já • • Äähm…

[418]

A (w) Das ist richtig, es ist im Prinzip Anwaltszwang und zwar M (m) Ich dachte das wäre dann so. Äh pf…

[419]

A (w) dann, wenn Sie irgendwelche Anträge stellen wollen. ((ea)) Also wenn

M (m) Hm̀

[420]

A (w) Sie sagen, ich will jetzt zum Beispiel gegen die Scheidung vorgehen, LO_MB_1: Juristischen Wissensstand des Mandanten (v)ermitteln

In diesem Beispiel wird das Ineinandergreifen des Ver- und Ermittelns des juristischen Wissensstandes des Mandanten deutlich. Hier hatte der Mandant bereits zu Beginn des

Gesprächs sein Wissen vermittelt, das er dem Scheidungsantrag entnommen hatte (Fl. 12f.).

Die Anwältin konnte dieses damit ihrerseits (mental) ermitteln und es aufgreifen, vertagt aber zunächst die Vermittlung von Fachwissen an den Mandanten (Fl. 14). In Fl. 417 kommt sie dann wieder darauf zurück, indem sie den von ihr vermuteten Wissensstand des Mandanten noch einmal expliziert („• • Sie meinen, da steht jetzt Anwaltszwang?“). Nach Bestätigung des Mandanten (Fl. 418) beginnt sie die Bearbeitung der kommunikativen Aufgabe Fachwissen vermitteln und informieren, indem sie den Mandanten über den Anwaltszwang bei einem Scheidungsverfahren aufklärt.

Ein weiteres Beispiel zur Bearbeitung der kommunikativen Aufgabe Fachwissen vermitteln und informieren ist das folgende. Das Beispiel zeigt, dass es sich dabei um nicht auf den Sachverhalt angewendetes Wissen handelt, sondern die Lage des Mandanten allgemein in der Rechtswelt verortet. Dies kann nicht nur dazu führen, dass der Mandant seine Lage besser einschätzen und verstehen kann, sondern ebenso dazu, dass er fehlendes Sachverhaltswissen erkennt und einbringt. Dies zeigt das folgende Beispiel.

[165]

A (m) †KPLP9HUZDOWXQJVUHFKWJLEWHVQLFKWHLQHQDEVROXWHQV6FKXW]GHU M (m)

[166]

A (m) 5HFKWVNUDIWVRQGHUQGDVVWHKWLPPHUXQWHUGHP9RUEHKDOWGDVVGLH'LQJH M (m)

[167]

A (m) VLFKQLFKWZHVHQWOLFK¦QGHUQ$OVRZHQQ6LHMHW]WHLQHZHVHQWOLFKH M (m)

[168]

A (m) 1HXHUXQJHLQJHWUHWHQZ¦UH]XP%HLVSLHO6LHKDKDEHQHLQVFKZHUHV5¾FNHQOHLGHQ M (m)

[169]

A (m) RGHUHLQHವವವ¦KPವವವHLQH3KRELHHQWZLFNHOWJHJHQ$XWRIDKUHQRGHU M (m)

[170]

A (m) ¦KQOLFKHVMDವವವ¦¦K… -D

M (m) 'DUILFKPDOHLQKDNHQ"ವವವ6SLHOWGDQH.UDQNKHLWQH [171]

A (m) -D

M (m) 5ROOH"$OVRLFKELQMHW]WVHLWIDVWI¾QI:RFKHQNUDQNJHVFKULHEHQವವವXQG PC_MK_1: Fachwissen vermitteln und informieren

In diesem Beispiel vermittelt der Anwalt zunächst Fachwissen und informiert den Mandanten im Zusammenhang mit der Begutachtung seiner Lage. Dabei stellt er einen Bezug zum Sachverhalt her (es geht hier um einen nachträglichen Antrag auf Aufhebung eines Bescheides), vermittelt aber noch nicht angewandt auf den Sachverhalt die Voraussetzungen, die dazu gegeben sein müssten (Fl. 165ff. „Im Verwaltungsrecht gibt es“…). Damit befähigt er den Mandanten, seine Lage in der Rechtswelt besser verorten zu können, was dazu führt, dass dieser nun noch fehlendes Sachverhaltswissen einbringen kann, das er erst mit Vermittlung des Fachwissens durch den Anwalt als relevant erkennt (Fl. 170f. „Darf ich mal einhaken? • • • Spielt da ne Krankheit ne Rolle?“). In der Folge kann damit die Begutachtung in Gang gesetzt werden, die abstraktes anwaltliches Fachwissen auf den Sachverhalt des Mandanten bezieht.

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