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Zeichenanalyse im Dienst der Mission

Im Dokument Grammatologie der Schrift des Fremden (Seite 92-96)

Kapitel III: Die Entdeckung des Evangeliums in den chinesischen Schriftzeichen

III.3. Joachim Bovets christologische Auslegung der chinesischen Schrift

III.3.3. Zeichenanalyse im Dienst der Mission

Durch die Anwendung der Analyse werden die chinesischen Zeichen ungeachtet ihrer eigenen Struktur in ihre Bestandteile zerstückelt, um anschließend aus der Logik ihrer Zusammensetzung einen ‚ursprünglichen, immanenten‘ Sinn spekulativ abzuleiten. Dass die Chinesen an einen Himmelsgott geglaubt hätten und demnach Monotheisten gewesen seien, zeigt das chinesische Zeichen <Himmel> 天, das Bouvet im selben Brief an Leibniz analysiert.315 Er zerlegt es in zwei Bestandteile; 一 unus und 大magnus, und leitet den inneren Sinn des Zeichens aus deren Zusammensetzung wieder ab; „unum magnum est Coelum“.

Obwohl das Zeichen auch zum Bezeichnen des physischen Himmels gebräuchlich sei, bedeute es aber „eher den Archetypus Himmel (le Ciel Archetype)“. Um die Idee des Himmels, des Einen und gleichzeitig des Großen, mit einem Wort (par un seul mot) zu prägen, so Bouvet, „verbanden die Chinesen die beiden Zeichen Unus 一und 大 Magnus, machten daraus das Zeichen Tien <Coelum>“, „was auf natürlichere Weise auf den Herrn (Seigneuer) des Himmels zu beziehen ist als auf den Himmel selbst.“ Auch die Aussprache

313 Foucault 1966, S. 97.

314 Foucault 1966, S. 96.

315 „De là vient que pour marquer par un seul mot cete même Idée, ils ont joint le caractère de l’unité au caractère 大 Ta magnus, et en ont fait le caractère 天 Tien Coelum, qui signifie plus tost le Ciel Archétype, que le ciel matériel, pour le quel il est employé également. Ajoutez encore à cela le grand rapport que le mot de Tien tant pour I’ Idée que pour le son, au mot grec Theos, l’un et l’autre estant également aspiré dans la prononciation. Ce mot qu’ils ont souvent dans la bouche G 一 大 爲 天 Ye ta guei Tien, c’est à dire le caractère Ye, unus et le caractère ta magnus, forment le caractère Tien Coelum; ou dans le sens de proverbe unum magnum est Coelum, ce qui s’entend plus naturellement du Seigneuer du ciel que du ciel même.“ Bouvet an Leibniz, 4. November 1701, in: Widmaier 1990, S. 161 und Widmaier 2006, S. 371.

des Zeichens wird in die Zeichenanalyse einbezogen.316 Da also das Zeichen zudem t’ien

„ausgesprochen“ werde, sei es fast gleichlautend mit dem griechischen theos. „Nehmen Sie noch die enge Beziehung hinzu, in der das Wort T’ien vom Begriff wie vom Lautlichen her zum griechischen Wort Theos steht; sind doch beide in der Aussprache aspiriert.“317 So ergibt sich, dass das Zeichen ‚Himmel‘ im Chinesischen nichts anderes als den christlichen Gott repräsentiert.

Die chinesische Schrift zeigt aber nicht nur die divinatorische Botschaft antiker Theologie, sie repräsentiert auch die Ideen oder Vorstellungen des Chinesen. Eine Auslegung der chinesischen Zeichen würde nicht nur eine christliche Weisheit enthüllen, die sich durch die Natur hindurch in den chinesischen Schriftzeichen angesiedelt hat. Sie würde auch erkennen lassen, dass die Chinesen im Grunde Christen waren, weil die Vorstellungen und Ideen, die in ihren Schriftzeichen repräsentiert sind, selbst auf die christlichen Spuren hinweisen. Daher ist eine solche Zeichenanalyse wohl nützlich zu dem missionarischen Zweck, die Chinesen zum Christentum zu bekehren, wenn dies auch auf den ersten Blick nicht so aussieht. Und zwar ist sie insofern dienlich, als sie aktiv aufdeckt, welche ursprünglichen Vorstellungen der Chinesen im Inneren ihrer Zeichen liegen. Dass das Zeichen ‚Himmel‘ in sich eine Idee des monotheistischen Gottes enthält, wie Bouvets Analyse zeigt, deutet darauf hin, dass die Chinesen, die zum Bezeichnen des Himmels dieses Zeichen gewählt hatten, in ihrem Denken jene monotheistische Vorstellung gehabt hatten, selbst wenn dies den damaligen Chinesen, den Zeitgenossen der Missionare, nicht bewusst wäre. Die Aufgabe der Zeichenanalyse liegt nun also darin, die Chinesen an ihre eigenen ursprünglichen Vorstellungen zu erinnern, die sie im Laufe der Zeit entweder vergessen oder verdrängt haben. Die Bemühung von Figuristen, zu beweisen, dass die heiligen Bücher Chinas dieselben Prophezeiungen wie das Alte Testament enthielten und im Neuen Testament ihre Verwirklichung wiederzufinden sei, lässt sich insofern mit einer Art psychoanalytischer Behandlung vergleichen, bei der den Chinesen ihre vergessene, verdrängte Urszene bewusstgemacht werden sollte, damit sie zu ihren eigenen Wurzeln, also zum Christentum zurückkehrten. Die Chinesen seien aber allein nicht in der Lage, einen inneren religiösen Sinn in ihren eigenen Schriften zu entziffern, so die Ansicht der Figuristen, weil ihnen ein Schlüssel dazu fehle, nämlich das Wissen um die Heilige Schrift des Christentums.318 Nur ein

316 Aufgrund der ähnlichen Aussprache eine etymologische Beziehung herbeizuspekulieren, war allerdings in der damaligen kabbalistischen Tradition ein allgemein akzeptiertes Verfahren, das nicht nur von Bouvet angewandt wurde. Vgl. Lundbaek 1986, S. 138.

317 Bouvet an Leibniz, 4. November 1701, in: Widmaier 2006, S. 371.

318 Pinot 1932, f. 348, in: Collani 1981, S. 22.

gläubiger Christ mit umfangreichem religiösem Wissen könne in einem großartigen heidnischen Universum den Kern des Urchristentums erkennen.319

Bouvets Analyse des Zeichens <Herr, Dominus> zeigt, wie sehr eine Schriftanalyse tatsächlich auf ein umfangreiches jüdisch-christliches Wissen angewiesen ist. Er zerstückelt das Zeichen in zwei Teile: „nämlich 王der König und der Punkt • der Herr (Seigneur). Dieser Analyse zufolge bedeutet 主 eigentlich der Herr-König.“320 Dass er dem geheimnisvollen Punkt die Bedeutung „Herr (Seigneur)“ zuwies, rührte aus seiner kabbalistischen Zeichenauslegung her, mit der Bouvet vollkommen vertraut war. Er bringt den Punkt • mit dem hebräischen Buchstabe י (yodh) in Verbindung, dem ersten Zeichen des Tetragrammaton הוהי (YHWH), des aus vier Buchstaben – י (yodh) ה (heh) ו (vav) ה (heh) – bestehenden Gottesnamens. Wie beim hebräischen Tetragrammaton komme dieser Punkt bereits in chinesischen Hexagrammen als ein Zeichen vor, „das einfachste Zeichen, das zur Darstellung der Einheit denkbar ist, das charakteristische Zeichen des 1. Prinzips und des transzendenten Seins und diente zur Darstellung des einfachsten, vollkommensten und fruchtbarsten aller Wesen.“321 „(D)er Punkt (•) bei den Chinesen ist wie das Jod bei den Hebräern das erste Prinzip und das universelle Element von allem anderen, ebenso wie alle Zahlen nur dieselbe Einheit sind, die auf unzählige Wiesen wiederholt und vervielfältigt worden sind“322. Das prinzipiell unaussprechbare Tetragrammaton wird beim Beten oder bei der Rezitation jüdischer Rituale durch ein anderes Wort ersetzt: Adonai (ָנ ֹד ֲא), das „mein Herr“ oder „Herr“

bedeutet. Bouvet verweist zwar nicht ausdrücklich darauf, aber seine Deutung dürfte wohl diese Tatsache berücksichtigt haben. So bekommt der Punkt eine Signifikation von göttlichem Herrn. „So war der einfache Punkt bei den antiken Chinesen das Zeichen, das das Prinzip und

319 Dieser Gedanke stellt die anfängliche Form des Eurozentrismus dar, die im Exotismus des 20. Jahrhunderts in einer umgekehrten Form wieder auftritt. Vgl. Böhme 1988, S. 41: „Dass die Wahrheit der Wilden nur im Diskurs der Zivilisierten formulierbar sein soll, war eine Strategie des Kolonialismus. Wilde sind nicht wahrheitsfähig, weil sie ‚Natur‘ sind.‘“

320 „Le jeroglyphe chu主 dominus est composé de deux autres, savoir 王 vam (Rex) et du point (.) Seigneur.

Ainsi selon cette analyse chu signifie proprement Seigneur Roy.“ Bouvet an Leibniz, 4. November 1701, in:

Widmaier 1990, S. 162-163; Widmaier 2006, S. 373.

321 „1. que le point (.) qui est le signe le plus simple qu’on puisse imaginer pour représenter l’unité, soit le signe caractéristique du 1. Principe et de l’Etre transcendant et serve à représenter le plus simple, le plus parfait, et le plus fécond de tous les êtres.“ Bouvet an Leibniz, 4. November 1701, in: Widmaier 1990, S. 151; Widmaier 2006, S. 341.

322 „Car le point (.) chez les Chinois, comme le Jod chez les Hebreux, est censé le premier principe et comme l’élément universel de tout les autres, de même que tous les nombres ne sont que l’unité même répliquée et multipliée en une infinité de manières. C’est pour quoy (.) le point simple chez les anciens Chinois estoit le jeroglyphe dont on se servoit pour exprimer le principe et souverain Seigneur de toutes choses, comme le jod chez les Hebreux.“ Brief Bouvets an Bignon, 15. September 1704, in: Collani 1989, S. 62.

den souveränen Herrn von Allem (toutes choses) ausdrückt wie das Jod bei den Hebräern.“

Nicht nur auf der Sinnebene stimmt das chinesische Zeichen mit dem jüdischen Tetragrammaton überein. Auch die Form des Zeichens zeigt eine überraschende Korrespondenz: „Das sieht man offensichtlich im Zeichen jhu 主, das einen Punkt, der schlechthin den souveränen Herrn bedeutet, und die drei miteinander vereinten Linien enthält.

Der einfache Punkt erhebt sich über die Linien wie ein Jod im Tetragrammaton הוהיüber die anderen Buchstaben, aus denen das Tetragrammaton sich zusammensetzt.“323

Bouvets Zeichenanalyse beschränkt sich aber nicht auf einzelne Zeichen; sie wendet sich auch den Eigennamen zu. Das Zeichen für den Namen des chinesischen Kaisers Yao 堯 wird ebenso in seine Analyse hineingezogen und demnach in Teile zergliedert; zunächst in drei Kreuze324 oben, die Bouvet zufolge für die Trinität stehen, ferner das Zeichen yüan元 (Ursprung), das wiederum in zwei Teile weiter zerstückelt wird: in „zwei“ 二und „Mensch“

人, was Bouvet als „die zweite göttliche Person als Mensch“325 deutet. Auch seine These, Fohi, Enoch und Hermes-Trismegistus seien ein und dieselbe Person, wird durch eine Zeichenanalyse326 des Eigennamens bewiesen. Bouvet zerlegt zunächst das erste Zeichen des

323„Cela se voit manifestement dans le caractère Chu 主 qui comme le point (.) simple signifie souverain Seigneur, et qui contient trois lignes unies ensemble, et surmontées d’un point simple (.) de mesme que le tetragrammation a un jod á la teste des lettres, dont il es composé.„ Brief Bouvets an Bignon, 15. September 1704, in: Collani 1989, S. 62.

324 Hier unterläuft ihm ein Fehler beim Lesen. Es handelt sich bei diesen drei Zeichen nicht um Zehn, sondern Erde, 土.

325 Friedrich 2003, S. 111.

326 Zwei andere Stelle, an denen Bouvet die Zeichen analysiert, werden hier aufeinander bezogen: der Brief an Bignon vom 15. September 1704 und der an Leibniz vom 4. November 1701:

„on trouve 1i que les deux premières et la dernière, qui est la même, que la seconde, signifient une victime immolée et preste à estre offerte en sacrifice ; et qu’elle ont esté attribuées à ce grand homme, parce qu’il est regardé aussi bien qu’ Enoch, ou Mercure, comme le premier instituteur des sacrifices, ou plus tost, comme celui, qui en réglant toute l’ordonnance des sacrifices, des cérémonies, des fêtes et solennités de la Religion, acheva de donner dans le premier age du monde une forme très parfaite au culte divin et à la loi naturelle tant pour l’extérieur que pour l’intérieur. 2 que le troisième et quartrieme caractère signifient trios fois grand et tres grand, et répondent également à l’idée de Trismegiste, titre que les Occidentaux ont donné par excellence à leur Mercure, et pour les mesme raisons pour les quelles Fo-Hi est appellé tai – Hao dans les anciens livres. 3 la lettre qui est la principale, et la caractéristique du nom de Fo-Hi, estant composée de ces deux autres et , dont la premier KIUEN signifie un chien, et approche même pour la prononciation du des Grecs; et la seconde GIN, signifie un homme : est justement un jeroglyphe avec lequel les anciens Egyptiens representoient le plus communément leur Hermes ou Mercure, soit pour exprimer la sagacité merveilleuse de ce grand génie.“ Brief Bouvets an Bignon u.a., 15. September 1704, in: Collani 1989, S. 43-44.

„Car le 1te. Jeroglyphe Fo est composé de deux autres caractères savoir gin (homo) et Kiuen (canis), comme qui dirot homo-canis, sive canina sagacitate in venandis et perquirendis rerum omnium causis et principiis, aussi bien que Mercure Trismegiste, que les auteurs des jeroglyphe emblématique ont représenté avec une teste de chien sur un corps humain. Le 2ne. Caractère hi signifie victimes, terme qui donne à connoistre que Fo-hi a esté Sacrificateur, ou grand prestre et que c’est lui qui a réglé l’ordre des sacrifices et du Culte Religieux. Outre le

Namens 伏Fo in zwei Bestandteile人 <Mensch> und犬 <Hund> ; „Fu ist aus zwei anderen Zeichen zusammengesetzt: ren (Mensch) und quan (Hund), was so viel bedeutet wie

„Mensch-Hund“ oder „von der scharfen Witterung eines Hundes beim Jagen auf und Erkunden von den Gründen und Prinzipien aller Dinge.“327 Nun setzt er das Zeichen Fo mit einer angeblichen Hieroglyphe gleich, die ihm zufolge zur Bezeichnung von Hermes Trismegistos verwendet worden ist: „Ebenso verhält es sich mit Hermes Trismegistos, den die Urheber der emblematischen Hieroglyphen mit einem Hundekopf auf einem menschlichen Körper dargestellt haben.“ 328 Bouvet zufolge verwendeten die alten Ägypter diese Hieroglyphe, „um den wunderbaren Scharfsinn dieses großen Genies auszudrücken.“ Das zweite Zeichen329 des Namens 犧 hi, das <Opfer> bedeutet, bezieht Bouvet auf den Dienst des Kaisers als Opferpriester, der „die Opferrituale und den religiösen Kultus geordnet hat.“

Genauso war auch Enoch oder Hermes der „erste Lehrer der Opfer, oder vielmehr derjenige, der die ganze Anordnung der Opfer, der Zeremonien, der Feste und der Festlichkeit der Religion regulierte und der im ersten Weltalter eine sehr vollkommene Form des divinatorischen Kultes hergestellt hat, und zwar vom natürlichen Gesetz ausgehend.“

Zur Sicherung seiner Identifizierung Fohis mit Hermes Trismegistus fügt Bouvet eine geniale doppelte Namensanalyse hinzu. Den Beinamen von Fohi, Tai-Hao 太 昊 , der wörtlich ‚sehr groß‘ bedeutet, bringt er mit einer Namensauslegung von Trismegistus zusammen. „Abgesehen von seinem gewöhnlichen Namen wird ihm in den Büchern noch der Titel Tai-hao beigelegt, was ‚sehr groß‘ und ‚dreimal groß‘ oder ‚Tris-meg(a)-istus‘ heißt.“

Daraus folgert er, dass Tai-Hao (also Fohi) lediglich eine andere Bezeichnung für Hermes Trismegistus sei.

Im Dokument Grammatologie der Schrift des Fremden (Seite 92-96)