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Sichtbarkeit der Idole und Sichtbarkeit der Dinge

Im Dokument Grammatologie der Schrift des Fremden (Seite 71-75)

Kapitel II: Chinesische Schriftzeichen als Hieroglyphen. Athanasius Kircher

II.3. Sichtbarkeit der Idole und Sichtbarkeit der Dinge

Im vierten Kapitel, China curiosis naturae & Artis miraculis illustrata, „Merkwürdige Natur und wunderliche Kunst Chinas“, in dem Kircher die damals in Europa umlaufenden Gerüchte über „Kuriositäten und Wunderdinge in China“ kritisch nachprüft, findet sich ein seltsamer Bericht von einer riesigen Idol-Figur an einem chinesischen Berg, die zuvor Martino Martini in seinem Atlas erwähnt hatte. [Abbild 13] Er zitiert ihn: „The most admirable thing in this province is a mountain on the bank of the Fue River, where an idol is formed by the mountain. The idol is not so much monstrous as mountainous. They call it Fe. It sits cross-legged with hands joined across its breast. Its magnitude can be judged in that its eyes, ears, nose, and face are more than two thousands paces in length.“207

Kircher versieht diesen Bericht mit einer düsteren Illustration. Karge und hässliche Pflanzen lassen den Berg wie eine Wüste aussehen, eine von unten her zu dem Idol hinaufkriechende Schlange und ein rätselhaftes Gesicht an der anderen Seite des Berges, über dem gerade eine schwarze Wolke am Himmel steht, verleihen dem Idol einen magischen, dämonischen Eindruck. Bei dieser Idolfigur, die sich mit seiner Krone eine falsche Herrschaft über die Welt anmaßt und mit ihren über der Brust verschränkten Armen an ein umgekehrtes Kreuz, das Symbol des Satans erinnert, handelt es sich um „Fe“, den Kircher an anderer Stelle des Buches als Iovem Sinicum, „Chinesischen Zeus“ identifiziert. Er werde von den Chinesen als Erlöser (Salvatorem), gleichzeitig als Herr des Himmels (Coeli Dimonum) verehrt208, so Kircher.

Wie ist diese gigantische Figur an dem chinesischen Berg zu verstehen? Eine Erscheinung des chinesischen Hauptgottes am Berg, wie sie der europäische Gott damals in Europa auch häufig vorführte? Kircher erklärt nun die Idol-Figur als Co-Produkt des natürlichen Arrangements und menschlicher Phantasie: „I judge that this mountain was not created by man, but that the rock and the crags are naturally arranged to seem to an onlooker to be an idol’s face. ( ... ) Also in many provinces of Europe there are mountains which form similar figures … Our imagination is so free that it can be easily form an image where there is none. (… est enim phantasia nostra adeo lubrica, ut facile sibi rem fingat formetque, quae tamen non est.) … Likewise, the Chinese mountain is not really a human work of art, but a trick of the imagination.“209

207 Kircher 1667, S. 170.

208 Kircher 1667, S. 126.

209 Kircher 1667, S. 168. Lateinische Ausgabe, S. 173.

Kircher zufolge ist die Sichtbarkeit der Idol-Figur auf zwei Faktoren angewiesen.

Einmal auf das natürliche Arrangement, das die Felsen und Bäume am Berge so angeordnet hat, dass sie für uns wie eine anthropomorphische Figur aussehen. Es ist aber letztendlich der menschlichen Phantasie zuzuschreiben, dass man sich anhand bloßen natürlichen Arrangements am Berge eine Idol-Figur eingebildet hat. Worauf Kircher hiermit abzielt, ist offensichtlich: Er will das chinesische Idol am Berg, das von Chinesen als Gott des Himmels verehrt wird, als Folge einer optischen Täuschung erklären, deren Ursache in jener Phantasia liegt, die zu seiner Zeit als Quelle des Irrtums und der Trugbilder angesehen worden ist. Die Idol-Figur am Berge ist somit ein bloßes Phantasma, ein willkürliches Bild, ein Trugbild von Nichtseiendem, um es mit Augustinus zu sagen.210

So geht es im selben Kapitel über die merkwürdige Natur und wunderliche Kunst Chinas weiter. Durch Kirchers kritische Nachprüfung entpuppen sich die sogenannten

„Wunderdinge in China“ als nichts anderes denn ‚übliche Naturphänomene‘, die sowohl in Europa als auch in anderen Teilen der Welt zu beobachten sind.211 Dass die Chinesen glaubten, ein Fels ändere seine Größe gemäß der Mondphase, leitet Kircher aus den Sinnestäuschungen einfacher Leute her: „Actually, it just reflects the shape of the moon in each phase, like a mirror, but simple people have been deluded into thinking that the rock itself is growing or shrinking. The rock is only a mirror, and only shows a reflection. It remains the same size, and doesn’t change.“212 Dass man eine Art von Asbest für ein unbrennbares wunderliches Gras gehalten hat, schreibt er dem Irrtum (abusum) und der Unerfahrenheit des Menschen (imperiatiam humanum 213) zu. Ebenso schuld sei die Sinnestäuschung daran, dass man einen Typ von Meer-Spinne als ein sechs Fuß großes

‚Seemonster‘ mit vier Augen angesehen habe. Der Grund dafür, dass die Chinesen solche natürlichen Phänomene für Wunder halten, liegt in Sinnestäuschung, Irrtum und Unerfahrenheit des Menschen. Unde quae sinis mira videntur …, vulgaria sunt.214 Was den Chinesen als Wunder erscheint, ist nur Alltägliches, sagt Kircher. „The Chinese do not know the cause of this and so they are very much astonished at it.“215 Dass die Chinesen sich einem solchen Trugbild hingeben und es gar zum Gegenstand der Verehrung machen, zeigt ihren tiefen Aberglauben, der direkt mit der Idolatrie verbunden ist. Denn zeitgenössischer Auffassung nach sind die Menschen abergläubisch und somit dem Einfluss von

210 Augustinus: De trin. VI, 11, 32. Vgl. Art. „Phantasie“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie.

211 Kircher 1667, Lateinische Ausg., S. 164.

212 Kircher 1667, S. 198.

213 Kircher 1667, Lateinische Ausg., S. 206.

214 Kircher 1667, Lateinische Ausg. S. 202.

215 Kircher 1667, S.200.

Götzendienern ausgesetzt, wenn sie Ereignisse, die durchaus auf natürliche Weise zu erklären wären, vorschnell für Wunder halten216 und demnach sich leicht zum falschen Glauben an Wunderdinge oder Idole verführen lassen, an Dinge also, die nichts anderes als

„irrtümlicherweise für wahr gehaltenes Unwahres“ sind.

Wir beschäftigen uns aber nicht weiter mit der chinesischen Idolatrie, von der bei Kircher reichlich die Rede war. Stattdessen wenden wir uns hier dem Blick zu, der, Kircher zufolge, aufgrund betrügerischer Phantasie eine Idol-Figur am chinesischen Berg sieht, die es in Wirklichkeit nicht gibt. Die Idol-Figur ist insofern ein dargestelltes inneres Bild, das nur im Blick eines Betrachters vorhanden ist. Entscheidende Frage ist nun: Wem gehört dieses Bild?

Um wessen Blick handelt es sich, dessen inneres Bild hier sichtbar dargestellt ist? Um denjenigen der abergläubischen Chinesen oder denjenigen der um die chinesische Idolatrie besorgten europäischen Missionare? Diese Figur am chinesischen Berg, die sich nur aufgrund europäischer Symbolik und Vorstellung von Idolen (Schlange, Krone, umgekehrtes Kreuz usw.) als Idol identifizieren lässt, existiert nur im Blick dessen, der es fand und sich von ihm schockieren ließ.217 In diesen Blick, der von Kircher als der Blick abergläubischer Chinesen präsentiert wird, ist sowohl ein abendländisches Verständnis des Figurativen und anthropomorphischer Repräsentation218 als auch ein gewisser Ikonoklasmus eingeschrieben, der aus jedem suspekten fremden Bild einen bedenklichen Götzendienst herausliest. Insofern ist die Idol-Figur nur für einen Blick sichtbar, der jene natürliche Anordnung des Berges unter einem bestimmten kulturellen Code betrachtet, den Kircher zeitgemäß „Phantasie“ nennt.

Wir erinnern uns hier noch an einen anderen Blick, den Blick von Kircher nämlich, der in der verworrenen Anordnung der Striche und Punkte der chinesischen Schrift Dingfiguren gesehen hatte. Sollte es sich bei seinen sogenannten antiken chinesischen Zeichen, die aus irregulären Haufen von Strichen und Punkten heraus verschiedene Dingfiguren sichtbar machten, etwa nicht um innere Bilder desjenigen handeln, der davon überzeugt ist, dass die chinesische Schrift eine Art von Hieroglyphen sei und sein sollte?

Gerade dieser Blick war es wiederum, der in dem so ersonnenen Bild in der chinesischen Schrift nur ein sinnliches, materielles Nachbild ohne geistige Bezüge sah, während er am sichtbaren Bild der Hieroglyphen einen unsichtbaren „archetypus in intelligibili mundo“

erblickte. Was diesen Blick charakterisiert, ist eben der abendländische Dualismus, der das Abbild vom Urbild, das Sinnliche vom Übersinnlichen, schließlich im selben Zuge das Idol von der Ikone unterscheidet.

216 Vgl. Art. „Superstition“ in Historisches Wörterbuch der Philosophie.

217 Vgl. Gruzinski 2001, S. 43ff.

218 Gruzinski 2001, S. 43.

So konvergieren die beiden Blicke, derjenige, der am chinesischen Berg eine Idol-Figur sieht, und derjenige, der an der chinesischen Schrift Dingfiguren sieht, in einem Punkt, von dem aus jene fremde Schrift aus dem Fernen Osten sowie die mit ihr verbundene Kultur gesichtet, gedacht und schließlich in vertrautem Schema ent-fremdet wurde. Dieser Blick von Kircher wird aber bald zum allgemeinen Blick Europas, dessen Spur wir weiter folgen werden.

Im Dokument Grammatologie der Schrift des Fremden (Seite 71-75)