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Hieroglyphen als Abkürzung der Bilder

Im Dokument Grammatologie der Schrift des Fremden (Seite 145-148)

Kapitel V: Der chinesische Weg zum Alphabet

V.2. William Warburtons Universalgeschichte der Schrift

V.2.2. Hieroglyphen als Abkürzung der Bilder

Und für Warburton ist die Hieroglyphenschrift die erste Errungenschaft des Menschen bei der Abkürzung der ursprünglichen Bilderschrift. Wie bereits erwähnt galten in der europäischen Geistesgeschichte die Hieroglyphen, bis zu Champollions Entzifferung im Jahre 1822, als

„eine Bezeichnung der Gegenstände, die keine Beziehung auf ihr ertönendes Zeichen hat.“505 In wechselseitiger Zusammenwirkung abendländischer Traditionen wie der christlich-platonischen Topik vom „Buch der Natur“ und der seit der Renaissance wiederbelebten Hermetik sowie der damit untrennbar verbundenen Idee einer Prisca Theologia war der Hieroglyphenschrift „der Rang eines die Urgeheimnisse der Menschheit vermittelnden Schriftsystems zugewachsen.“506 So wurden sie häufig als geheime, sakrale Priesterschrift aufgefasst, deren Zweck es sei, das geheime Wissen vor dem einfachen Volk zu schützen, wie es bei Athanasius Kircher der Fall war.

Doch spricht sich Warburton ganz klar dafür aus, die Hieroglyphen weder als göttliche Gabe noch als Zeichen einer Geheimschrift, sondern als künstliches Mittel für die Mitteilung der Gedanken aufzufassen. Parallel und gleichursprünglich mit dem Denken und dem Mitteilungsbedürfnis seien sie entstanden zur Mitteilung der Ideen und Begriffe, nicht zur Bewahrung göttlicher Weisheit. Für ihn sind die Hieroglyphen eine Schrift, die einer Stufe der allgemeinen Schriftentwicklung zuzuschreiben ist, auf der das ökonomische Prinzip der praktisch-funktionalen Verbesserung den Entwicklungsprozess bestimmt. So bekräftigt Warburton, der verbreitete Gedanke, „dass die Hieroglyphen von den Egyptischen Priestern deswegen erfunden worden, um ihre Weisheit vor dem gemeinen Volke verborgen und geheim zu halten“507, sei ein Irrtum, der „diese Art von alter Gelehrsamkeit in eine undurchdringliche Finsterniß eingewickelt hat.“508 Der Adressat dieser Kritik ist niemand anderes als Athanasius Kircher. Von Anfang seines Essays an spricht sich Warburton klar gegen Kirchers Ansicht aus, die Hieroglyphen seien eine Schrift der Priester zum Zweck des Bewahrens der höchsten Wahrheit vor den Uneingeweihten. Warburton ordnet die Hieroglyphenschrift in die Entwicklungslinie der Schrift ein, als „die zweite Art der

504 Warburton 1738-1741, S. 8.

505 Friedrich 2003, S. 98.

506 Assmann/Assmann 2003, S. 14

507 Warburton 1738-1741, S. 2.

508 Warburton 1738-1741, S. 3.

Erfindung, die Handlungen und Begriffe der Menschen aufzuschreiben; nicht, wie man bisher gelehrt hat, als wenn man dieselbe wegen der verborgenen Lehren erfunden und erwehlet hätte, sondern aus Notwendigkeit und zum allgemeinen Gebrauch.“509

Die erste Abkürzung der gemalten Bilderschrift, deren Folge die Hieroglyphen sind, erfolgte ihrerseits auf drei verschiedene Weisen, die „nach gewissen Stufen, und in einem dreifachen, auf einander gefolgten Zeitraum, gemacht“510 worden sind. In seiner Erläuterung der drei Arten der Abkürzung stützt Warburton sich auf die Hieroglyphenerklärungen aus Des Niloten Horapollon Hieroglyphika511 als authentische Quelle. Das war zu seiner Zeit fast selbstverständlich, denn das 1419 auf einer griechischen Insel entdeckte Buch war bis zu Champollions Entzifferung die Grundlage der europäischen Auffassung der Hieroglyphen.512 Der erste Typ hieroglyphischer Abkürzung besteht darin, einen Teil das Ganze vertreten zu lassen. „Der vornehmste Umstand bey einer Sache wurde statt der ganzen Sache gesetzt.

Wenn sie also eine Schlacht, oder zwei Kriegsherr in Schlachtordnung stehend beschreiben wollten; so mahlten sie … zwei Hände, davon die eine einen Schild, die andere aber einen Bogen hielte.513 Wollen sie einen Aufruhr vorstellen; so mahlten sie einen gewafneten Mann, der Pfeile abschoß.514 Wenn sie eine Belagerung abbilden wollten; so mahlten sie eine Sturm-Leiter.515516 Diesem metonymischen Verfahren folgt der zweite Abkürzungsmodus, eine metaphorische Methode, die darin besteht, „dass man das Werkzeug eines Dinges, es mochte nun etwas wirkliches, oder etwas metaphorisches sein, statt des Dinges selbst gesetzet.“517 Als Beispiel dafür nennt Warburton „ein Auge an einem hohen Orte“ als bildliche Abkürzung für

„die Allwissenheit Gottes“, „ein Auge und ein Scepter“ für einen Monachen, und „ein Schwert und ein Schiff und Steuermann“ als Vertreter für „den Regierer der ganzen Welt.“ 518

509 Warburton 1738-1741, S. 16.

510 Warburton 1738-1741, S. 8.

511 Das Manuskript wurde im Jahre 1419 von dem italienischen Kaufmann Cristoforo Buondelmonti auf der griechischen Insel Andros gefunden. Er brachte das griechisch geschriebene Manuskript 1422 in seine Heimatstadt Florenz, wo es 1505 im Originaltext – zusammen mit den Fabeln Aesops – veröffentlicht wurde.

Eine lateinische Übersetzung erfolgte 1512 durch Willibald Pirkheimer mit Illustrationen Albrecht Dürers, ihr folgten zahlreiche Editionen und Übersetzungen. Eine italienische Übersetzung von Jean Mercier von 1548 und die deutsche Übersetzung von Johann Herold 1554 in Basel waren nur zwei wichtige von rund 30 Editionen, Übersetzungen und Nachdrucken, die in den folgenden knapp hundert Jahren veröffentlicht wurden. Vgl. Heinz Josef Thissen, Einleitung zu Horapollo 1505. Im Folgenden wird die Zeichenerklärung jeweils mit der in dieser Ausgabe verwendeten Notation (Nummer des Buches und Nummer des erklärten Zeichens) versehen.

512 Strasser 2000, S. 42.

513 „Den Rachen des Krieges stellen gemalte Menschenhände dar: die eine hält den Schild, die andere den Bogen“, Hieroglyphika, Buch 2, 5.

514 „Ein Mensch in Waffen und mit Bogen stellt Menge dar“, Hieroglyphika, Buch 2, 12.

515 „Eine Leiter (ist das Zeichen für) Belagerung, wegen der Unebenheit“, Hieroglyphika, Buch 2, 28.

516 Warburton 1738-1741, S. 8.

517 Warburton 1738-1741, S. 9.

518 Warburton 1738-1741, S. 9.

Beim dritten Abkürzungsmodus handelt es sich um Symbol oder Allegorie. Diese Art Zeichen „bezeichnet etwas anderes, als es abbildet, aber nicht auf der Basis einer vertrauten und unvermeidlichen Metaphorik, sondern im Sinne einer spielerischen Verfremdung“519, wie Jan Assmann formuliert. Warburton schreibt darüber: „Man setzte eine Sache statt einer anderen, oder ließ eine Sache durch die andere vorstellen, wenn man in der vorstellenden Sache eine artige Gleichheit, oder Ähnlichkeit aus der Betrachtung ihrer Natur oder aus einem überlieferten Aberglauben schlüßen konnte … So wurde die ganze Welt abgebildet durch eine Schlange, welche in einem Kreise lag, deren bunte und gesprengelte Flecken die Sterne bedeuteten; den Aufgang der Sonne durch die zwei Augen der Krokodile, weil sie aus dem Kopfe derselben hervor zu treten scheinen520; eine Witwe, welche nicht zum zweiten malen heiratet, durch eine schwarze Taube; ein Mensch, der an einem hiesigen Fieber gestorben, welches von einer unmäßigen Sonnenhitze entstanden, durch einen blinden Käfer; ein Client, welcher zu seinem Gönner um Schutz fliehet und keinen findet, durch einen Sperling und eine Eule; ein unerbittlicher König, der keine Liebe für sein Volk hat, durch einen Adler; ein Mann, welcher aus Armuth seine Kinder wegsetzet, durch einen Zabicht; ein Weib, welches ihren Mann schlägt, oder Kinder, welche ihrer Mutter unrecht thun, durch eine Otter … so wurde derjenige, welche sein Unglück mit Herzhaftigkeit ertragen, und dasselbe endlich überwunden hatte, durch die Haut des Thieres Hiäna abgebildet, weil man glaubte, dass dieselbe, wenn man sie zur Vertheidigung in einer Schlacht braucht, denjenigen, welcher sie bei sich trägt, unerschrocken und unverwunderlich machte.“521

Es stellt sich heraus, dass in dieser Systematik der Hieroglyphenzeichen, ein Maximum an Wissen erforderlich ist, um aus dem im Zeichen abgebildeten Ding auf das Bezeichnete (den Begriff) schließen zu können. Jan Assmann erläutert dies wie folgt: „Nach Horapollon schrieben die Ägypter den Begriff ‚Sohn‘ mit dem Bild einer Gans, weil dieses Tier einen außerordentlichen Familiensinn besitzt. Sie schreiben den Begriff ‚öffnen‘ mit dem Bild eines Hasen, weil dieser selbst im Schlaf die Augen offen hält. Wer dieses Weltwissen nicht besitzt, kann die Schrift nicht lesen.“522 In jedem Hieroglyphenzeichen, wie Horapollo und nach ihm die abendländischen Gelehrten sie verstanden, ist ein bestimmtes Wissen niedergelegt, auf das man sich zu beziehen hat, um das Zeichen zu lesen.

Mit dem Hinweis auf dieses Hintergrundwissen, das zum Lesen der Hieroglyphenschrift erforderlich ist, weist Warburton die oft behauptete These vom

519 Assmann 1997, S. 152.

520 „Wenn sie von Aufgang sprechen, malen sie zwei Krokodilsaugen, weil vom ganzen Körper des Tieres die Augen aus der Tiefe auftauchen.“ Hieroglyphika, Buch 1, 68.

521 William Warburton 1738-1741, S. 10-12.

522 Assmann 2000, S. 716.

mystischen, geheimen Charakter der hieroglyphischen Schrift zurück. Die scheinbare Unverständlichkeit der Schrift Altägyptens, so Warburton, liege nicht in ihrem geheimen Wesen selbst, sondern darin, dass gerade dieses Hintergrundwissen, das der Äquivalenz des Signifikats und des Signifikanten zugrunde lag, im Laufe der Zeit verlorengegangen sei.

Zwischen dem Inhalt und dem Ausdruck der Hieroglyphen gibt es daher kein geheimes, nur den Priestern zugängliches mystisches Wissen, wie früher behauptet worden ist. Dass die Hieroglyphen uns unerschließbar erscheinen, liegt nur daran, dass die Art und Weise, wie diese Schrift die Begriffe mitteilt, im Laufe der Zeit verlorengegangen ist.

Mit Blick auf die europäische Hieroglyphik impliziert diese Schlussfolgerung eine ganz neue Richtung. Warburton nimmt der Hieroglyphenschrift ihren mystischen, geheimen Charakterzug, der ihr bis dahin durch das aus der mystischen Tradition stammende allegorische Deutungsverfahren523 ihr zugeschrieben worden war, und entfernt somit die angebliche göttliche Wahrheit aus den Hieroglyphen. Es führt insofern zur Entzauberung des Ägyptischen in der europäischen Kultur, als es den Hieroglyphen den ihnen verliehenen Status des Mysteriums entzieht und sie als bloßes Kommunikationsmittel erklärt, das demselben Entwicklungsgesetz unterliegt wie alle anderen Schriftsysteme. Die Hieroglyphen verlieren somit ihre bisherige Position als ein Vehikel ursprünglicher Weisheit in der abendländischen Tradition.

Im Dokument Grammatologie der Schrift des Fremden (Seite 145-148)