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Willkürlichkeit des Zeichens und Idealität des Tons

Im Dokument Grammatologie der Schrift des Fremden (Seite 187-190)

Kapitel V: Der chinesische Weg zum Alphabet

V. 2. 6 . Alphabet und Monotheismus

VI.4. Hegels Theorie über die chinesische Schrift

VI.4.3. Willkürlichkeit des Zeichens und Idealität des Tons

Doch es besteht noch ein Unterschied zwischen Zeichen und Symbol, die beide von der Einbildungskraft hergestellt sind. Sie differenzieren sich dadurch, wie sich das Subjektive (der Intelligenz) zum Objektiven (des Bildes) verhält. Bei Symbolen, so Hegel, „respektiert“

die Intelligenz noch „den gegebenen Inhalt der Bilder“ und „richtet sich bei der Verbildlichung ihrer allgemeinen Vorstellungen nach ihm“. Die Intelligenz „wählt zum Ausdruck ihrer allgemeinen Vorstellungen keinen anderen sinnlichen Stoff als denjenigen, dessen selbständige Bedeutung dem bestimmten Inhalt des zu verbildlichenden Allgemeinen entspricht“691; so wird etwa die Stärke Jupiters durch einen Adler symbolisiert, weil der

685 Hegel 1830, § 453.

686 Hegel 1830, § 453, Zus.

687 Hegel 1830, § 453, Zus.

688 Hegel 1830, § 454, Zus.

689 Hegel 1830, § 457.

690 Hegel 1830, § 455.

691 Hegel 1830, § 457.

Adler, der Inhalt des Bildes, selbst als stark gilt. Hier überwiegt das Objektive noch gegenüber der ideellen Vorstellung. Dagegen entsteht ein Zeichen, wenn die Intelligenz von der subjektiven Bewährung der Vorstellung „notwendig zur objektiven, an und für sich seienden Bewährung der allgemeinen Vorstellung“ fortschreitet. Dadurch „kommt … die allgemeine Vorstellung dahin, zu ihrer Bewährung nicht mehr den Inhalt des Bildes nötig zu haben, sondern an und für sich selbst bewährt zu sein, also unmittelbar zu gelten. Indem nun die von dem Inhalte des Bildes freigewordene allgemeine Vorstellung sich in einem willkürlich von ihr gewährten äußerlichen Stoffe zu etwas Anschaubaren macht, so bringt sie dasjenige hervor, was man, im bestimmten Unterschiede vom Symbol, Zeichen zu nennen hat.“692 Beim Zeichen verfügt die allgemeine Vorstellung der Intelligenz über den Inhalt des Bildes gänzlich eigensinnig, um darin sich anschaulich zu machen, ohne von dem Bild bestimmt zu sein. So beweist die Intelligenz bei den Zeichen „eine freiere Willkür und Herrschaft im Gebrauch der Anschauung denn als symbolisierend.“693 Bei den Zeichen ist die Intelligenz „mit dem Inhalte der Anschauung fertig geworden und hat dem sinnlichen Stoff eine ihm fremde Bedeutung zur Seele gegeben. So bedeutet zum Beispiel eine Kokarde oder eine Flagge oder ein Grabstein etwas ganz anderes als dasjenige, was sie unmittelbar anzeigen.“694 So ist der Geist in der Produktion des Zeichens freier, unabhängiger und sich selbst näher als in der des Symbols.695

Hegel macht diese „Willkürlichkeit der Verbindung des sinnlichen Stoffes mit einer allgemeinen Vorstellung“696 zum wesentlichen Charakter des Zeichens. Im Symbol ist der Inhalt der Anschauung mehr oder weniger noch aufbewahrt ist; „beim Zeichen … hingegen geht der eigene Inhalt der Anschauung und der, dessen Zeichen sie ist, einander nichts an.“697 Das Zeichen ist insofern eine reine Entäußerung des sich objektivierenden Geistes, dessen Innerlichkeit das Sichtbare des Zeichens übertrifft. Die allgemeine Vorstellung entäußert sich im Zeichen, indem sie sich von dem Inhalt des anschaubaren Stoffes des Bildes gänzlich frei und unabhängig macht. Bei dieser „Einheit selbständiger Vorstellung und einer Anschauung“, die von der Intelligenz selbst ausgegangen ist, gilt die Anschauung „nicht als positiv und sich selbst, sondern etwas anderes vorstellend. Sie ist ein Bild, das eine selbständige Vorstellung der Intelligenz als Seele in sich empfangen hat, seine Bedeutung.“698 Aus der Perspektive der Anschauung lässt sich dieser Umstand so ausdrücken, die Anschauung stelle sich „einen ganz

692 Hegel 1830, § 457, Zus.

693 Hegel 1830, § 458.

694 Hegel 1830, § 457.

695 Derrida 1988, S. 100.

696 Hegel 1830, § 457.

697 Hegel 1830, § 458.

698 Hegel 1830, § 458.

anderen Inhalt vor, als den sie für sich hat; – die Pyramide, in welche eine fremde Seele versetzt und aufbewahrt ist.“699 Beim Zeichen fehlt daher jede „natürliche Beziehung der Ähnlichkeit, der Partizipation oder der Analogie zwischen dem Signifikat und dem Signifikanten …, zwischen der Repräsentation (Bedeutung) und der Anschauung, oder ferner auch zwischen dem Repräsentierten und dem Repräsentierenden der Repräsentation durch Zeichen.“700 Aus der Perspektive des Bezeichneten, also der allgemeinen Vorstellung, erscheint das Sichtbare des Zeichens nur noch als die von seinem eigenen Inhalt völlig unabhängige Hülle. Die Willkürlichkeit der Verknüpfung des Zeichens mit dem Bezeichneten beinhaltet daher den Überschuss des Subjektiven der allgemeinen Vorstellung, für die das Sichtbare des Zeichens, wodurch sie, die Vorstellung, bezeichnet wird, gänzlich gleichgültig geworden ist. Das Zeichen ist „gleichgültig gegen das Bezeichnete, und (bezeichnet) darum in Wahrheit nichts“701, es ist „ein äußerer, zufälliger Ausdruck, dessen wirkliche Seite für sich bedeutungslos“702 ist. Insofern ist das Sichtbare, Anschaubare des Zeichens kein Ort der Wahrheit. „Die wahrhafte Stelle des Zeichens“ ist bei Hegel „die aufgezeigte“703, die vom Sichtbaren des Zeichens befreite reine Subjektivität.

Hier offenbart sich deutlich der Logozentrismus von Hegels Zeichentheorie, der sich sogleich auch als Phonozentrismus erweisen wird. Der Ort des Logos liegt bei ihm ganz offensichtlich im Subjekt, das für seinen geistigen Inhalt ein Zeichen willkürlich und eigensinnig gewählt hat. Das sichtbare Zeichen ist dabei nur „das Außersichsein des Logos in der sinnlichen oder intellektuellen Abstraktion“704, und der wahre Ort des Logos liegt im Aufgezeigten, im Innerlichen des Geistes. So erscheint es nicht verwunderlich, dass Hegel dem Ton den Status des Zeichens par excellence verleiht. Der Ton ist die innere und daher die würdigste Gestalt der Anschauung, die die Intelligenz ihren selbständigen Vorstellungen gibt.

Denn er ist „ein Dasein in der Zeit, – ein Verschwinden des Daseins, indem es ist“705, während die anderen Zeichen wie Schrift und geometrische Figuren ihr Dasein in einem räumlichen Verhältnis haben, daher dem eigentlichen Bezeichneten, der Vorstellung der Intelligenz äußerlich sind. Der Ton, dessen Sinnlichkeit sich gleich aufhebt, sobald er ausgesprochen wird, ist demnach „die wahrhaftere Gestalt der Anschauung“706 und „die

699 Hegel 1830, § 458.

700 Derrida 1988, S. 98.

701 Hegel 1807, S. 239-240.

702 Hegel 1807, S. 236.

703 Hegel 1830, § 458.

704 Derrida 1967, S. 45.

705 Hegel 1830, § 459.

706 Hegel 1830, § 459.

erfüllte Äußerung der sich kundgebenden Innerlichkeit.“707 Es überrascht uns dann nicht, dass für Hegel die Sprache als „der für die bestimmten Vorstellungen sich weiter artikulierende Ton“ 708 ein Vorrecht erhält gegenüber der Schrift, deren Dasein im „Felde des unmittelbaren räumlichen Anschauens“ 709 verortet ist. Während die Sprache näher an der Innerlichkeit des Geistes steht, ist die Schrift als das sinnlich-räumliche Zeichen „bloß eine weitere Fortbildung im besonderen Gebiete der Sprache, welche eine äußerlich praktische Tätigkeit zu Hilfe nimmt.“ 710

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