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Eine seltsame Schrift aus Fernost. Die anfänglichen Überlieferungen

Im Dokument Grammatologie der Schrift des Fremden (Seite 24-27)

Kapitel I: Chinesische Schrift als Mnemographie. Matteo Riccis Xiguo Jifa

I.2. Eine seltsame Schrift aus Fernost. Die anfänglichen Überlieferungen

Die erste Nachricht über die Schrift des Fernen Ostens brachte der Franziskaner Wilhelm von Rubruck (ca. 1215-1270), der im Auftrag des französischen Hofs in die Mongolei, das damalige Tartar geschickt worden war.46 Er präsentierte 1255 Ludwig IX. seine Beobachtung

44 Lackner 1986, S. 1.

45 Schreyer 1992, S. 38.

46 Er hinterlässt dabei einen Bericht dieser Reise. Wilhelm von Rubruck: Reise zum Großkhan der Mongolen.

der chinesischen Schrift mit folgenden Worten: „Sie schreiben mit einem Pinsel, wie ihn die Maler benutzen, und machen in einer Figur mehrere Buchstaben, die ein Wort bedeuten.

(Faciunt in una figura plures literas comprehendentes unam dictionem.)“47 Ein mit dem Pinsel ‚gemaltes‘ Zeichen, das, aus mehreren Buchstaben (literas) bestehend, für ein Wort stehe: Die Europäer, die diesen Bericht von dem seltsamen Schriftzeichen mitbekamen, müssen von Anfang an gedacht haben, dass es sich um ein Schriftsystem handele, das sich vom ihnen vertrauten phonetischen Alphabet vollkommen unterscheide.

Der Untergang des Mongolenreiches sowie die Pestepidemien in Europa führten dazu, dass der Kontakt Europas zum Fernen Osten für fast dreihundert Jahre abbrach, 48 verhinderten somit die weitere Beschäftigung mit der ostasiatischen Schrift. Erst als der Jesuitenorden seine Mission in der Region aufnahm, begannen erneut die Nachrichten zu fließen. Am 29. Januar 1552 sandte Francisco Xavier (1506-1552), der Pionier der Ostasien-Mission, einen Brief, der eine Auskunft über die chinesische Schrift enthält; hier wurde zum ersten Mal darüber berichtet, die chinesische Schrift sei in Ostasien als ein gemeinsames Kommunikationsmittel im Einsatz, was damit erklärt wurde, dass sie nicht das Gesprochene, sondern die Sachen bezeichne: „Besondere Aufmerksamkeit verdient es, dass die Chinesen und die Japaner sich nicht verstehen, wenn sie sprechen, da die Sprachen sehr verschieden sind, aber die Japaner, die den Buchstaben Chinas kennen, verständigen sich durch die Schrift mit ihnen … Das kommt daher, dass jeder Buchstabe in China eine Sache bedeutet …, und wenn der Japaner diese Buchstaben liest, liest er sie in seiner Sprache, und der Chinese in der seinen; und so verstehen sie sich zwar nicht durch das gesprochene Wort, aber durch das geschriebene, weil sie die Bedeutungen der Buchstaben kennen.“49

Von der Sachbezogenheit des Zeichens, aufgrund deren es auch für die unterschiedlichen Nationen, die verschiedene Sprachen sprechen, verständlich sei, war seitdem wiederholt die Rede. Der portugiesische Dominikaner Friar Gaspar da Cruz (?-1570), der im Jahre 1556 einen Monat in Canton verbrachte, berichtete in seinem Tractado em que se cotam muito por estenso as cousas da China von 1569/70, die Chinesen und Japaner sowie die Cochinesen (die heutigen Vietnamesen) kommunizierten durch das Schreiben, während sie einander durch die gesprochene Sprache nicht verstehen könnten. Der Grund dafür sei,

„that the Chinese have no fixed letters, but write by a great multitude of characters, which

Von Konstantinopel nach Karakorum 1253-1255.

47 A. van den Wyngaert: Sinica Franciscana, Bd. 1, Florenz 1929, S. 271, zit. in Friedrich 2003, S. 92 und Lundbaek 1986, S. 40.

48 Friedrich 2003, S. 95.

49 G. Shurhammer/I. Wicki: Epistolae S. Francisci Xaverii, Bd. 2, Rom 1945, S. 292, zit. in Friedrich 2003, S.

100.

signifies a thing in such sort that one single character signifies ‚heaven‘, another ‚earth‘, and another ‚man‘, and so forth with everything else.“50

Diese Beschreibung von Cruz übernahm Bernardino de Escalante 1577 fast wörtlich, fügte allerdings drei angeblich chinesische Schriftzeichen zur Veranschaulichung hinzu, die später von vielen anderen Autoren übernommen wurden.51 Er schrieb: „The People of Chinese have no number of letters in their A, B, C, for all that they write is by figures, signifying the heaven by what they call Guant, by onely one figure which is this. And the king, which they call Bontai, which is this. [Abbild 1] And in like order the earth, the Sea, and the rest of the Elements, and names, using more than five thousands ciphers or figures, different one from the other, which they make very readily … They speaking different languages in the most part of their provinces, and the one understand not the other by speake more than the Gascoines doe understande the Valencianos, yet generally they understande one another by writing … And although they declare one to another of them any worde that is strange, yet they understande that it is the selfe same thing, because they see plainely that it doeth signify a Citie, which is this, and some doe call it Leombi, and other Fu, the one and the other doe understand that it is to be understoode a Citie, and the like it followeth with all other names.

And in this sort they talk one with another in writing those in Lapaon, and Illandes of the Cechis, and the Realme of Guachinchina, without understanding anie worde the one with another when they speake.“52

Die Menschen mit unterschiedlichen Sprachen verstünden sich durch das figürliche Schreiben, in dem eine Figur für eine Sache stehe. Dies sei nur möglich, weil sich die Zeichen unabhängig von der Sprache unmittelbar auf die Sache bezögen. In Historia de las cosas mas notables, ritos y costrumbres, del gran Reyno dela China (Rom 1585), einem der wichtigsten Werke für das damalige europäische Wissen über China 53, bestätigte der Augustinermönch Juan Gonzales de Mendoza (1545-1614) wiederum diese Ansicht: „You shall finde verie few in this Kingdome but can both write and reade, yet have they not the alphabet of letters as we have, but all that they doe write is by figures, and they are long in learning of it, and with great difficultie, for that almost everie word hath his character. They do signifie the heaven, which they do call Guant, by one character alone, which is this : the king whom they doo call call Bontax by this and by consequent the earth, the sea, and the rest of the elements … It is a

50 Schreyer 1992, S. 6-7. De Francis 1984, S. 134.

51 Schreyer 1992, S. 6.

52 Bernardino De Escalante: A Discourse of the Navigation which the Portugales doe make to the Realmes and Prouinces of the East partres of the worlde, and of the knowledge that growes by them of the great things, which are in the Dominions of China, London 1579, Translated out of Spanish into English by Iohn Frampton, S. 30.

53 Ching/Oxtoby 1992, S. 13.

kinde of language that is better understood in writing than in speaking (as the Hebrue tongue) by reason of the certaine distinction of points that is in every character differing one from the other, which in speaking cannot be distinguished so easily … [I]t is an admirable thing to consider how that in that kingdome they do speake manie languages, the one differing from the other; yet generally in writing they do understand one the other, in speaking not. The occasion is, for one figure or character onto them all both signifie one thing, although in the pronouncing there is difference in the vowels. The character that both signifie a citie is this and in their language some do call it Leombi, and others Fu, yet both the one and the other too understand it to be citie, the like is in all other names. And in this order do communicate with them the Iapones, Lechios those of Samatra, and those of the kingdome of Quachinchina and other borderers onto them; whereas in their speech or language, there is no more understanding then is between Greekes and Tuskanes.“54

Die Sachbezogenheit bzw. die Sprachunabhängigkeit, verbunden mit der bewundernswerten Universalverständlichkeit – diese Eigenschaften, die die frühen Berichte über die chinesische Schrift nach Europa vermittelten, bildeten demnach die Grundlage des weiteren Diskurses darüber.

Im Dokument Grammatologie der Schrift des Fremden (Seite 24-27)