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WM 2006: Die neue Qualität des Public Viewing

5.2 Wachsende Beliebtheit des Public Viewing

5.2.3 WM 2006: Die neue Qualität des Public Viewing

entschärfen und zu überwinden. So habe der Fußball sogar die Macht im Scheinwerferlicht der Globalisierung als „indigenization, re-invention of tradition and creaolisation“ weiterreichende soziale Funktionen zu erfüllen.

Die Beispiele der Ausricherländer Südkorea und Japan verdeutlichen sehr gut die vielschichtigen Beweggründe, die sich hinter dem Zusammenfinden der Zuschauer auf den Straßen verbergen können. Immer mehr Menschen möchten ihre Emotionen augenscheinlich unmittelbar (mit-)teilen und derartige Turniere nicht alleine zu Hause verfolgen (vgl. Habbel, 2005, S. 89) , und das überall auf der Welt. Ein neuartiges Zuschauerverhalten bei internationalen Fußballspielen ist erkennbar. Wann genau allerdings die Abwanderung der Menschenmassen vom heimischen Fernsehsessel auf den Barhocker oder vor die Großbildleinwand auf dem Marktplatz begonnen hat, kann nicht eindeutig bestimmt werden. Denn erst während der WM 2002 wurden zum ersten Mal die Zahlen der „öffentlichen Seher‟

ermittelt (vgl. FIFA, o.J.b; Infront Sports & Media AG, 2002), die teilweise die Zuschauerzahlen im Stadion übertreffen (vgl. Schulke, 2006, S. 17).

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“Out-of-home viewing for the FIFA World CupTM has become a huge phenomenon”

(Infront Sports & Media AG, 2006).

Durch die große Kartennachfrage im Vorverkauf haben sowohl die Städte als auch Infront und FIFA rechtzeitig vor der Weltmeisterschaft in Deutschland das enorme Potential von TV-Übertragungen der Spiele erkannt (vgl. Schulke, 2006a, S. 19) (s. auch Kap. 8.1). So wurde Public Viewing erstmals offiziell vom Verband und den zwölf Ausrichterstädten organisiert16, und die Rechte für weitere Veran-staltungen wurden von Infront vermarktet. Erstmals wurde neben den üblichen Panel-Untersuchungen zur Akzeptanz der WM-Partien bei Fernsehzuschauern per Telefoninterview eine demoskopische Befragung durchgeführt. Das Institut Forsa wurde vom ZDF beauftragt, in fünf Wellen telefonisch zu ermitteln, wo das Publikum welche Spiele der deutschen Mannschaft an welchen Orten außer Haus verfolgt hat (vgl. Geese et al., 2006, S. 456).17

16 Die FIFA plant die Fan Feste für zukünftige Turniere als festen Veranstaltungsteil zu etablieren (vgl. Schulke, 2007, S. 27, 60-63).

17 Es wurden in jeder Befragungswelle mit je 1.000 repräsentativ ausgesuchten B efragten ab 14 Jahren computergestützte Telefoninterviews durchgeführt (vgl. ebd., S. 464).

Tab. 2: Nutzung der Fe rnsehübertragung der Spie le der deutschen Mannschaft zur WM-2006 innerhalb und außerhalb der eigenen Wohnung. Verg leich der tele metrisch gemessenen Zuschauerzahl (durchschnittl.

Sehbeteiligung) mit tele fonisch erhobenen Außer-Haus-Reichwe iten

(Tele met rische Daten–AGF/ GfK, Fernsehpanel D+EU; tele fonisch erhobene Daten forsa CATI- Studie zur Außer-Haus-Nutzung, fünf Wellen à 1.000 repräsentativ ausgewählte Personen nach Geese et al., 2006, S.

45718

Die Spiele der deutschen Nationalelf gehören auch außer Haus zu den beliebtesten Partien. Es ist anzunehmen, dass die Reihenfolge dieser Begegnungen in der Beliebtheitsskala von der Attraktivität der Partien abhängt.

Weitere Anhaltspunkte sind die Anstoßzeit der Begegnung sowie der Wochentag.

Während bei den Spielen mit einer Anstoßzeit um 21 Uhr grundsätzlich höhere Zuschauerzahlen in den eigenen Wänden gemessen wurden als bei den früher angepfiffenen Begegnungen, geht die Außer-Haus-Nutzung für die späten Spiele tendenziell zurück. Des Weiteren scheint die Zeit und die Motivation, am Wochenende die Spiele außer Haus zu sehen, größer. In diesem Fall kann die Uhrzeit eine zweitrangige Rolle spielen. Denn für die Partie um den dritten Platz Deutschland gegen Portugal am Samstag, 8. Juli 2006, wurden trotz der Anpfiffzeit um 21 Uhr die meisten Besucher registriert. Die Erhebung ergab für dieses Spiel eine Außer-Haus-Nutzung von 16,93 Mio. Zuschauer19 (vgl. ebd., S.

457). Nach wie vor findet aber ein wesentlicher Teil der externen Fernsehnutzung

18 Wobei an dieser Stelle darauf hinzuweisen ist, dass sich die im telefonischen Interview erhobenen Dat en nicht direkt mit denen der qualit ativen Erhebung zum Fernsehkonsum vergleichen lassen. So sind wohl die meisten, die in der telefonischen Befragung angeben, zu einer Public Viewing Veranstaltung zu gehen, in der kontinuierlichen Fernsehforschung als „Seher‟

einzurechnen. Die Anzahl dies er „Seher‟ liegt meist deutlich über dem Wert der Zuschauerzahl, die für die „durchschnittliche Sehbeteiliung‟ in der Paneluntersuchung genommen wird (vgl. ebd., S.

456).

19 Gewertet wurden Zuschauer ab 14 Jahren.

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nicht öffentlich statt, sondern bei Nachbarn, Freunden oder Verwandten. Von den knapp 17 Mio. Bürgern, die das „kleine Finale‟ nicht am eigenen Gerät verfolgten, war ungefähr die Hälfte, nämlich etwa acht Mio., bei Anderen zu Besuch.20 Auf öffentliche Großbildleinwände entfielen ca. 4,3 Mio., auf gastronomische Einrichtungen ungefähr 3,2 Mio. Zuschauer. Demnach lässt sich sagen, dass das gemeinsame Sehen im privaten Rahmen auch bei der WM 2006 jenes im öffentlichen Raum noch immer mindestens aufwog (vgl. ebd., S. 457).

Verlässliche Angaben über die Höhe der Zunahme von Außer -Haus-Sehern können nicht gemacht werden, da für die vergangenen Europa- und Weltmeisterschaften keine genauen Daten vorliegen (s. Kap. 5.2.2). Geese et al.

(2006, S. 458) wagen aber den Vergleich mit Blick auf das Gesamtereignis. Im Verlauf der WM 2006 haben danach 49% des Publikums, das sind annähernd 30 Mio. Menschen, auch mal ein Spiel woanders, das heißt nicht im eigenen Haushalt, gesehen, während bei den vorherigen Turnieren, der Fußball-WM 2002 und der Europameisterschaft 2004, jeweils nur Werte von etwa 30% erreicht wurden (vgl. auch Zubayr & Gerhard, 2002, S. 309; Zubayr & Gerhard, 2004a, S.

424).

20 Die Kategorie „Schrebergarten, Wochenendgrundstück“ (ca. 0,4 Mio.) wird hier hinzugezählt, wodurch die 50% -Marke fast erreic ht wird (vgl. ebd., S. 464).

Tab. 3: Anteil der Personen mit Außer-Haus-Nutzung im Ve rlauf verschiedener Fußballturnie re

„Wo haben Sie die Übertragung der WM/EM gesehen?“ (Angaben in %) (Telefonische Begleitu mfrage anlässlich der Fußball-WM 2002 (MMA Fran kfurt), Fußball-EM 2004 (fo rsa Berlin), und der Fußball-WM 2006 (IFA K Taunusstein) nach Geese et al., 2006, S. 458)

Gut ersichtlich ist zunächst, dass der Wunsch, die Weltmeisterschaftspartien mit anderen zu erleben, besonders bei den 14 bis 29-jährigen ausgeprägt ist. Im Jahr 2006 bescheinigten fast 80% der jungen WM-Zuschauer, schon einmal ein Spiel extern verfolgt zu haben. Für 11% fand das Zuschauen sogar ausschließlich Außer-Haus statt (vgl. Geese et al., 2006, S. 458).

Bis jetzt konnten wir sehen, dass die Zahl der Menschen, die sich gemei nsam mit Freunden und Fremden vor Großleinwänden versammeln, um wichtige Fußballspiele zu verfo lgen, generell zugenommen hat. Doch wo findet das

„gemeinsame Sehen‟ der Partien statt?

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Abb. 4: Orte der Außer-Haus-Nutzung (Personen, die mindestens ein Spie l außerhalb der e igenen Wohnung gesehen haben) im Verlauf verschiedener Fußballturniere „Wo haben Sie d ie Übertragungen der WM/EM gesehen?“ (Mehrfachantworten möglich) (Te lefonische Begle itu mfragen anlässlich der Fußball-WM 2002 (MMA Frankfurt), Fußball-EM 2004 (forsa Berlin), und der Fußball-WM 2006 (IFAK Taunusstein) nach Geese et al., 2006, S. 459)

Es ist ersichtlich, dass die Orte des gemeinsamen Sehens einem Wechsel unterworfen sind. Während die Prozentwerte für Übertragungen in gastronomischen Einrichtungen von 2004 bis 2006 keine erkennbaren Änderungen zeigen, ve rzeichnet das „öffentliche Sehen‟21 auffallend steigende Werte. Bei der WM in Japan und Korea im Jahr 2002 nutzten nur 13% die Möglichkeiten des Public Viewing. Allerdings sahen 31% die Spiele am Arbeitsplatz, was eindeutig mit de n durch die Zeitverschiebung bedingten frühen Anstoßzeiten zusammenhängt (vgl. ebd., S. 459). Diese Zahlen decken sich in der Tendenz mit einer Umfrage der Mediaedge: CIA (2002).22 In dieser Untersuchung gaben 78,5% an, die Spiele allein oder mit der Familie zu Hause anzusehen. Die Werte für das Zuschauen im Lokal lagen bei 9,5% und die Zahlen für das gemeinsame Gucken an öffentlichen Orten sogar nur bei 1,9%. Die ZDF-Medienforschung (zit.n. Geese & Gerhard, 2008, S.447) fand für die EM 2008 heraus, dass bei allen Spielen der Anteil der Außer-Haus-Seher, die das Spiel bei Freunden, Verwandten oder Bekannten sehen, am größten ist. Der nächst geringere Anteil sah sich zumeist die Begegnung in einer gastronomischen

21 Mit „öffentlichem Sehen‟ sind all jene Veranstaltungen gemeint, b ei denen sich das Publikum im öffentlichen Raum zusammenfindet. Geese et al. (2006, S. 459) stellen aber die begründete Vermutung an, dass die Befragten vermutlich Biergärten zu dieser Kategorie gezählt haben, obwohl diese eigentlich in den Bereich Gastron omie gehören würden.

22 Die Agentur befragte 1.672 Personen zu ihrem Fernsehverhalten hinsichtlich der WM 2002.

Einrichtung an, auch bei den Spielen der deutschen Mannschaft. Bei den K.o.-Rundenspielen der deutschen Mannschaft allerdings lag das gemeinsame Verfolgen der Spiele auf öffentlichen Plätzen an zweiter Stelle. Allgemein nach der beliebtesten Form der Außer-Haus-Nutzung gefragt, geben 56,3% an, dass sie Spiele bei Freunden, Bekannten oder Verwandten sehen, dann folgen die gastronomischen Einrichtungen mit 39,8%. Das Verfolgen der Spiele auf öffentlichen Plätzen geben nur 36,2% an.23

Aber nicht nur in Deutschland sahen viele Menschen die Spiele außer Haus. Das Finale ihrer Mannschaft gegen Frankreich sahen 200.000 Italiener im antiken Circus Maximus in Rom auf drei großen Leinwä nden. Auch in Mailand sahen 150.000 Fans den Sieg der Squadra Azzurra gegen die Equipe Tricolore auf dem Piazza del D uomo (vgl. Infront Sports & Media AG, 2006).

Resümierend kann festgehalten werden, dass der Besuch von Public Vi ewing-Veranstaltungen von verschiedenen Faktoren wie bspw. den Mannschaften, der Uhrzeit und von den gegebenen Möglichkeiten abhängt. Public Viewing hat zu der WM 2006 in Deutschland definitiv eine neue Qualität entwickelt. Trotz des großen Zulaufs zum „öffentlichen Sehen‟ der Übertragungen der Spiele, ist die Rezeption im Verhältnis zum Sehen im privaten Raum als ausgeglichen anzusehen. Das Publikum zwischen 14- und 29 Jahren scheint das öffentliche Schauen am attraktivsten zu finden.

23 Gees e et al. (2006, S. 459) geben z u bedenken, dass es zunächst geeignete Lokalitäten geben muss, in denen die Spiele außerhalb des privaten Rahmens zu verfolgen sind. Es hätte, so argumentieren sie, vielleic ht bei den Turnieren vor 2006 mehr Außer -Haus-S eher geben, wenn diese mehr Möglichkeiten gehabt hätten.