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Emotionen: Begriffsabgrenzung und Definition

9.1 Emotionen: Begriffsabgrenzung und Definition

“…Emotions lie at the juncture of a number of fundamental dualisms in western thought such as mind/body, nature/culture, public/private“ (Bendelow & Williams, 1998, p. xvi).

Auf der Suche nach im weitesten Sinne sozialwissenschaftlichem Material zum Thema Emotionen wird man zunächst auf psychologische Literatur stoßen. Das liegt nahe, denn Emotionen scheinen primär als personengebundene und –be-zogene Gegebenheiten, wird doch von Individuen erlebt und gefühlt (vgl.

Gerhards, 1988, S. 12). So sieht Compi (1997, S. 67) in seinem Werk über Affektlogik Emotionen –er bezeichnet sie allerdings als Affekte- als ein

„von inneren oder äußeren Reizen ausgelöste, ganzheitliche psycho-physische Ge-stimmtheit von unterschiedlicher Qualität, Dauer und Bewußtseinsnähe“.

Zudem scheint ebenso sowohl ein gewisser Körperbezug vorhanden, der sich z.B.

im umgangssprachlichen Gebrauch -das Herz schlägt mir bis zum Hals- wieder findet, als auch etwas im Inneren des Subjektes vorhanden zu sein, was nach außen gezeigt wird. Denn an der äußeren Reaktion eines Subjektes erke nnen wir schließlich als Erstes, dass Emotionen im Spiel sind (vgl. Riedl, 2006, S. 91).63 Der Zielstellung dieser Arbeit kann der eingeschränkte Horizont der Psychologie nicht reichen, so geht es denn um ein soziales Phänomen. Mit dem Einstellen des Fokus auf die Soziologie der Emotionen öffnet sich ein weites Feld. Es würde den Erkenntnisstand dieser Arbeit aber nicht fördern, unnötig detaillierte Ausführungen zum Forschungsgegenstand Emotionen in allen nützlichen soziologischen Fachbereichen und Wissensgebieten zu liefern. Ein Überblick über die europäischen Klassiker der Soziologie des letzten Jahrhunderts, die sich mit Emotionen beschäftigt haben, findet sich z.B. bei Flam (2002), Maier (1999), Schmidt (2005) oder Shilling (2002). Wie Williams und Bendelow (1998, p. xv) richtig feststellen:

“It is really only within the last decade or so that a distinct „corpus‟ of work, mostly American in origin, has begun to emerge in the sociology of emotions.”

Allerdings sind diese Arbeiten eher pluralistisch orientiert und gehen formell wenig konform (vgl. Flam, 2002, S. 165; Hochschild, 1998, S. 3 ). Es können jedoch aus

63 Ein Einstieg in die Emotionspsychologie ist u.a. bei Ciompi (1997), Meyer, Schützwohl &

Reisenzein (1993,1997) oder Scherer (2001) zu finden.

einzelnen Werken Ansätze und Gedankengänge genutzt werden, um dem Phänomen Public Viewing näher zu kommen. In diesem Sinne wird hier das Ziel verfolgt, die vorhandenen Ergebnisse zu selektieren und für den Erkenntnisgewinn dieser Ausarbeitung zu nutzen.

So soll an dieser Stelle die Arbeit von Hochschild (1990, 1998) genannt werden.

Denn sie postuliert in einer konstruktivistischen Denkweise das Selbst als fähig, Gefühle zu erleben, zu reflektieren und zu managen (vgl. Flam, 2002, S. 127).

Hochschild verfolgt hier den bereits von Goffman (1969) verfolgten Geda nken, dass sich Individuen in ihren Interaktionen normkonform verhalten möchten. Auf die von Hochschild erstmals erwähnte n Begriffe „Gefühlsarbeit‟ bzw. „Gefühls-regeln/feeling rules‟ wird im weiteren Verlauf der Ausarbeitung noch eingegangen.

Mit diesen Gefühlsregeln verbindet Hochschild Emotionen, die sie zunächst auf der Mikroebene ansiedelt und mit der Makroebene, indem sie Organisationen oder Eliten die Macht über diese zuschreibt (vgl. Flam, 2002, S. 133f.).

Das Werk von Gerhards (1988) ist eine frühe fundierte Auseinanderse tzung der Soziologie mit der Thematik der Emotionen. Dabei geht es Gerhards (1988, S. 19) darum, das Phänomen Emotionen aus einem soziologischen Blickwinkel zu betrachten, indem er das soziale Element „im Sinne der wechselseitigen, sinnhaften Bezugnahme der Handelnden aufeinander“ in den Fokus der Diskussion stellt. Er bezieht Stellung im Sinne einer postmodernden Sicht,

„in welcher gerade nicht die Kontrolle von Emotionen, sondern die Orientierung des Verhaltens an den emotionalen Befindlichkeiten selbst, mit dem hedonistischen Ziel des Vermeidens von Negativ-Emotionen und dem Erreichen von angenehmen Gefühlen zur gesellschaftlichen Norm werde“ (Ciompi, 1997, S. 239).

Nach Brown und Richards (2000, p. 31) wächst die Bedeutung von Emotionen als Forschungsfeld der Sozialwissenschaften zum Verständnis unserer Gesel lschaft.

“Not only is it recognised that there has to a degree been an emotionalisation of public life, so that emotion in an explicit way intrudes into the sociological view, but the emotional dimensions of all social processes are now beeing s een as a proper and necessary object of study.“

In diesem Diskurs gibt es zunächst zwei Blickwinkel. Gerhards (1988, S. 11f.) betont, dass Emotionen auf der einen Seite immer das Ergebnis von soziale n Konstellationen und auf die Reaktion auf sie sind (vgl. auch Riedl, 2008, S. 237).

Der WM-Zuschauer erlebt Freude und Glücksgefühle, weil die deutsche Nationalmannschaft ein Spiel gewonnen hat. Die Emotionen beziehen sich also

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auf eine Situation, ein Geschehnis. So wird hier auch diese Perspektive, also die Frage nach den sozialen Bedingungen der Entstehung von Emotionen, in den Vordergrund gestellt. Gleichzeitig geben unsere Emotionen aber auch den sozialen Zusammenhängen des täglichen Lebens Struktur. Oftmals sind es scheinbar keine rationalen Entscheidungen, die wir in unserem Alltag treffen.

Positive Emotionen bestimmen vielleicht letztlich, ob wir uns ein Fußballspiel ansehen oder lieber einer alternativen Freizeitbeschäftigung nachgehen. Darüber hinaus besteht noch eine weitere Ebene, nämlich die der kulturellen Kodierung von Emotionen. In unserer komplexen Umwelt verwenden wir Emotionsregeln, die die Informationsverarbeitung entlasten. Bei vielen alltäglichen Ereignissen verwenden Individuen bereits vermittelte Wissenselemente zur Bewältigung der Lebenswelt. Diese können bspw. in der Sozialisation erfahren werden und auf der Wertebildung früherer Generationen basieren oder auch durch sprachliche Medien vermittelt werden (vgl. Tritt, 1992, S. 168). Emotionen scheinen also wesentlicher Bestandteil der gesellschaftlichen Struktur zu sein. Folgerichtig sind die meisten soziologischen Ansätze zur Bestimmung der Emotionalität also durch den Wunsch geprägt, die Auswirkungen von Emotionen auf Interaktionen bzw. die Effekte von vorhandenen gesellschaftlichen Mustern auf die Emotionalität von Einzelpersonen zu untersuchen (vgl. Tritt, 1992, S. 46).

Dennoch ist dieses Feld nicht einfach zu bearbeiten und es darf nicht vergessen werden, dass auch andere Faktoren wie die Physiologie eine entscheidende Rolle spielen. In diesem Zusammenhang jedoch soll das Augenmerk hauptsächlich auf der soziologischen Perspektive liegen. Eine wichtige Anmerkung macht Schmidt (2005, S. 16) unter Berufung auf Bartsch und Hübner (2004, S. 109) zu diesem Thema. Diese sind der Meinung, dass es nicht wichtig ist, ob Emotionen primär biologische oder soziale Phänomene sind, sondern wie biologische und soziale Faktoren bei der Entstehung von Emotionen zusammenwirken. So bilden soziokulturelle mit biologischen Faktoren im Entwicklungsgang der Emotionsentstehung, der Bewertung und schließlich des Ausdrucks, des Auslebens von Emotionen einen Wirkungszusammenhang. Die Einflüsse beziehen sich wechselseitig aufeinander und stellen eine dynamische Gesamtstruktur dar. Diese Feststellung lässt sich allein mit dem Gedanken untermauern, dass der Einzelne im Bewusststeinsprozess des Emotionalen gar nicht unterscheiden kann, ob die erlebten Gefühle nun biologischen, kognitiven,

körperlichen oder soziokulturellen Ursprungs sind (vgl. Schmidt, 2005, S. 16f.).

Ebenso ist Brown (2000, p. 35) der Meinung, dass es im Sinne der psychoanalytischen Soziologie der Emotionen wichtig ist, „to avoid studying the individual in isolation from his or her social co ntext“.

Verschiedentlich wurde betont (z.B. von Gerhards, 1988, S. 15; Meyer et al., 1993

& 1997; Schmidt, 2005, S. 11f.; Tritt, 1992, S. 30-41; Vester, 1991, S. 28), dass es zum Begriff Emotionen so viele Definitionen zu geben scheint wie Autoren, die sich im weitesten Sinne mit diesem Thema beschäftigen. Angesichts der geschilderten Situation empfiehlt es sich für diese Arbeit nicht, eine eigene Suche nach der richtigen und allumfassenden Definition zu beginnen. Stattdessen bietet es sich an, den Emotionsdiskurs ein Stück weit zu systematisieren, um die Referenzbereiche, von denen im weiteren Verlauf der Arbeit gesprochen wird, erfassen zu können.

Riedl (2006, S. 93-97) stützt seine Überlegungen zu einem emotionssoziologischen Modell zur Steuerung des Emotionserlebens im Publikum auf die allgemein gehaltene Definition von Meyer et al. (1993, S. 22ff.). Emotionen sind demnach Erscheinungen mit vier Eigenschaften:

1. Emotionen sind aktuelle Zustände von Personen, wie Freude, Traurigkeit, Angst, Stolz etc. oder weitere Vorkommnisse, die diesen hinreichend ähn lich sind.

2. Emotionen lassen sich nach ihrer Qualität und ihrem Typus unterscheiden.

3. Emotionen richten sich normalerweise nach einem Objekt.

4. Personen, die Gemütsbewegungen fühlen, spüren häufig charakteristische physiologische Veränderungen, dazu haben sie üblicherweise ein typisches Erleben und Reaktionen.

Einen wichtigen Aspekt sprechen Meyer et al. im dritten Punkt an, dass nämlich Emotionen meist in irgendeiner Weise einen Objektbezug haben. Dabei muss dieser Objektbezug nicht der Realität entsprechen, nur die momentane Realität der Person ist für diesen Faktor von Bedeutung. Die vierte genannte Größe besitzt drei einzelne Komponenten. Die körperliche, physiologische Ebene bemerken wir, wenn wir vor Aufregung feuchte Hände bekommen. Dieser Körperbezug wird im Verlauf der Arbeit nicht völlig ausgeklammert, aber da er zum größten Teil nicht in den sozialwissenschaftlichen Forschungsraum fällt, nur eine Randrolle spielen. Mit dem Erlebnisaspekt von Emotionen ist die subjektive Komponente der Gefühle

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gemeint. Es gibt ein bestimmtes Gefühl, das dem Einzelnen das Vorhandensein von Emotionen anzeigt, und dieses Gefühl fühlt sich anders an, als wenn die Person sich in anderen bewussten Zuständen befindet. Mit der Reaktion auf ein bestimmtes Gefühl sind nachgeschaltete Verhaltensweisen gemeint, wie etwa Mimik, Gestik und Bewegungen des Körpers . Genauso können dies aber komplexere Verhaltensweisen wie Angriffsbemühungen bei Wut oder Flucht bei Angstgefühlen sein (vgl. ebd., S. 27-32).

Gerhards (1988, S. 16) gibt folgende Arbeitsdefinition für sein Werk aus:

„Emotionen sind eine positive oder negative Erlebnisart des Subjektes, eine subjektive Gefühlslage, die als angenehm oder unangenehm empfunden wird. Emotionen entstehen als Ant wort auf eine Bewertung von Stimuli und Situationen; sie können mit einer physiologischen Erregung einhergehen und können in Form von Emotionsexpressionen zum Ausdruck gebracht werden. Sie wirken selbst wieder strukturierend auf den sozialen Zusammenhang zurück .”

Das Erleben von Emotionen wird demnach als subjektiv beschrieben. Diese Erlebnisart kann positiv oder negativ sein. Sie entsteht als Reaktion auf und Folge von Situationsinterpretation auf Zustände und Reize. Mit ihr einhergehen können körperliche Erregung und andere Gefühlsäußerungen. Physiologische Erregungen und Emotionsexpressionen können als Folge auftreten, müssen dies aber nicht zwingend. Rückwirkend strukturieren Emotionen wiederum selbst den sozialen Interaktionszusammenhang, aus dem sie hervorgegangen sind (vgl. Gerhards, 1988, 16f.).

Diese Beschreibung wird in der Definition von Cordsen und Deilmann (2005, S.

314) um weitere wichtige Komponenten ergänzt. So sprechen sie von der Entstehung von Emotionen als einem

„sukzessiven, kognitiven Verarbeitungsprozess in der Gegenwart wahrgenomm ener Reize (…), aus dem eine spezifische Reaktion resultiert – im Rückgriff auf in der Vergangenheit erworbenes Wissen und orientiert an in der Zukunft liegenden Wünschen und Handlungszielen.“

So kommt in dieser Auslegung klar die zeitliche Komponente zur Geltung.

Emotionen geschehen demnach zeitnah, können aber durch Erfahrungen in der Vergangenheit sowie in der Zukunft liegende Ziele kognitiv beeinflusst werden.

Diese drei Versuche, Emotionen zu begreifen, liefern zunächst ein ausreichendes Grundverständnis. Während Meyer et al. eine eher psychologische Perspektive wählen, greifen Gerhards sowie Cordsen und Deilmann bereits sozialkonstruktivistische Aspekte auf, die im Folgenden vertieft werden sollen.

Denn das Phänomen Public Viewing wird in dieser Arbeit als ein in der Gesellschaft liegendes Geschehnis begriffen. Insofern wird selbige als Bezugsbereich interessant, da Aspekte der Sozialisation und Kommunikation von Emotionen, ihr Zusammenspiel in den Dimensionen von Macht und Status und die Verankerung ihrer Position in Augenschein genommen werden (vgl. Schmidt, 2005, S. 28).

Eine wichtige Hilfestellung zur Ordnung der strukturellen Komponenten bietet Schmidt (2005, S. 26f.) mit der von ihm vertretenen Differenzierung der Bezugnahme auf das Emotionsgeschehen in fünf Ebenen:

1. Die neuronale Ebene im Hinblick auf körperliche Grundlagen und Prozesse, 2. die psychische Ebene im Bezug auf das bewusste Erleben von Gefühlen, 3. die kognitive Ebene hinsichtlich des Wissens von Emotionen,

4. die kommunikativ-mediale Stufe im Hinblick auf die Emotionsperformanz in allen ihren Aspekten und die

5. soziokulturelle Ebene, die sich auf den Stellenwert, die Interpretation und Bewertung von Gefühlen im individuellen wie im gesellschaftlichen Bereich bezieht.

Schließlich macht er zwei Hauptbezugsrichtungen aus. Zum einen die Richtung des Körper, des Gehirns, des Bewusstseins und Kognition und zum anderen die der Sprache, der Kommunikation, der Gesellschaft und der Kultur. Wobei hier der Standpunkt von Brown (2000, p. 46) vertreten wird: „This reveals a complex view of emotion which is tied to mind, body, transitional phenomena, unco nscious communication and discourse“.64

Auf der letztgenannten Richtung soll der Schwerpunkt dieser Ausarbeitung liegen, wobei hier wiederum die Gesellschaft, die Kultur und die Kommunikation im Vordergrund stehen werden. Kultur wird nach Lyon (1998, p. 39) als ein komplexes System von Symbolen, Bedeutungen, Kategorien, Modellen oder Schemata re-präsentiert, welches Erfahrungen und Aktionen steuert. In diesem Sinne liefert sie eine zusammenhängende, in unserem Kontext am passendsten erscheinende Definition von Emotionen.

64 Siehe hierzu auch Hochschild (1998) und Williams und Bendelow (1998).