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“The stress in accounts of our „postmodern‟ world on s ubjectivities and identities inevit ably points to the affective grounding of identity, while the acknowledged centrality of c onsumption to the life of the contemporary subject leads to consideration of the powerfully affective nature of the consumer‟s relationship to goods and to the social contexts of consumption” (Brown & Richards, 2000, p. 32).

Das Individuum in der postmodernen Gesellschaft handelt oftmals erlebnisorientiert und kann sich zu diesem Zweck zu Erlebnisgemeinschaften zusammenschließen, das konnte bis zu dieser Stelle festgestellt werden. Was bedeutet es jedoch für das Public Viewing und die verantwortlichen Experten, wenn der Zuschauer als Konsument von emotionalen Erlebnissen zu begreifen ist? Dieser Frage widmet sich das folgende Kapitel.

Vielfach wird betont (vgl. z.B. Opaschowski, 2001, S. 87; Romeiß-Stracke, 2006, S. 35ff.; Scheurer, 2003, S. 25), dass sich die erlebnisorientierte Lebensei nstel-lung auch in veränderten Konsumwünschen und –bedürfnissen widerspiegelt.

Weiermair und Brunner-Sperdin (2006) führen aus, dass die verstärkte Erlebnisorientierung und das Bedürfnis, diese Erlebnisse in der freien Zeit zu erleben, eine Anpassung der Freizeit-Anbieter an die gegebene Situation bewirkt hat (vgl. auch Müller und Sche urer, 2004, S. 4f.;Opaschwoski, 2001, S. 87). Die Tendenzen der Erlebnisgesellschaft führen dazu, dass der Erlebniswert einer Dienstleistung, eines Angebotes oder auch ei nes Produktes stärker in das Zentrum des Interesses rückt. Diesen Sehnsüchten versuchen viele Anbieter zu entsprechen. Auch Bachleitner (2004, S. 18) betont den heutigen

„Erlebnisfetischismus“ im Verständnis der Etablierung von Gegenwelten und Gegenentwürfen zu den empfundenen Bedingungen der Postmoderne. Als logische Konsequenz hat sich ein Markt für Erlebnisse gebildet.

10.2 Erlebniskonsument

Abb. 10: Die wirtschaftliche Diffe renzierung (nach Pine & Gilmore, 1999, p. 22)

Der Prozess der wirtschaftlichen Differenzierung, den Pine und Gilmore (1999, S.

1) in ihrem Standardwerk zur Erlebnisökonomie am Beispiel Kaffee erkläre n, kann auch auf Public Viewing übertragen werden. Der Kaffee wird auf seinem Entstehungsweg von der rohen Bohne, über die Verarbeitung, hin zu der Aufbereitung und Präsentation sukzessive aufgewertet. Mit seiner Verarbeitung erhält der Kaffee eine Wertsteigerung. Dieser Prozess ist eine Wertschöpfungskette, wie sie bei vielen Produkten anzutreffen ist. Der entscheidende Aspekt wird jedoch im vierten Kettenglied gesehen. Es macht einen großen Unterschied aus, ob Kaffee in einem gewöhnlichen Restaurant oder in einem szenigen Coffeeshop ausgeschenkt wird. In ersterem wird man einen Preis von 1,50 € bezahlen, während im zweiten Fall eine Kaffeekreation durchaus 4 € kosten kann. Die Differenz zwischen dem Restaurant und dem Coffeeshop besteht in dem Erlebnis. In letzterem gibt es eine Auswahl an Kaffeesorten und -arten, es ertönt entspannende Musik, und der Kunde kann sich in gemütlichen Sesseln erholen. Somit wird aus dem Kaffeegenuss eine kleine Flucht aus dem Alltag, für die viele Besucher tiefer in die Tasche greifen. Das Erlebnis, den oft durch Sirup, Sahne oder andere Geschmackstoffe angereicher ten und dekorierten Kaffee an einem schönen Ort zu genießen, stellt das Endglied in der Produktdifferenzierung dar. Der Gast erhält im Austausch gegen sein Geld, seine Anwesenheit und Aufmerksamkeit, die nicht zuletzt für Werbende interessant ist, ein Erlebnisangebot.

Das kann der eben beschriebene Kaffeegenuss genauso sein wie das Erleben einer TV-Vorführung in einem stadionähnlichen, entsprechend geschmückten

Areal mit zum Setting passender Musik. Gerhard (2006a, S. 46) hebt hervor, dass der Fußball,

„mehr als andere Sportarten (…) im Fernsehen Erlebnisqualitäten [eröffnet], die sowohl kognitiver wie auc h emotionaler Art sind: einfache überschaubare Regeln, der stetige Wechsel von antizipierbaren und nicht antizipierbaren Abläufen, die Ästhetik der B ewegungsabläufe, der affektiv verankerte Wunsch nach einem Sieg der

<eigenen> Mannschaft in einer Wettbewerbssituation, die S pannung des unsicheren Ausgangs und letztlich die Möglichkeit des stetigen Wechsels dies er emotionalen und kognitiven Reaktionsmöglichkeiten der Fernsehzuschauer selbst.”

Einen wichtigen Aspekt im Hinblick auf den Kontext Public Viewing hebt hier Pfaff (2002a, S. 18) hervor: Inszenierte Sportveranstaltungen müssen sich mit dem Live-Erlebnis messen können. Dies gilt insbesondere für nur über Leinwand oder Fernsehen dargestellte Ereignisse, die oftmals genau aus diesem Grund zu Medienereignissen angereichert werden. Public Viewing muss in diesem Fall an das mediale Ereignis vor dem heimischen Fernseher heranreichen, gleic hzeitig aber den Vergleich mit dem Spiel im Stadion nicht scheuen müssen. Es muss also konkurrenzfähig zu dem sicheren Sitzplatz, der guten Sicht und dem freien Weg zu den sanitären Anlagen zu Hause bzw. zum Live-Erlebnis im Stadion sein.

Internationale (Fußball-)Sportturniere sind oftmals an sich bereits ein Ereignis, dennoch bietet es sich geradezu an, das Erlebnispotential für die Besucher zu steigern. Maennig (2007, S. 37) weist auf den erheblichen Erlebnisnutzen für die deutsche Bevölkerung hin, den er mit der gestiegene n Zahlungsbereitschaft der Deutschen die WM im eigenen Land zu haben, begründet. Er konstatiert, dass vor dem Turnier nur jeder fünfte Bewohner Deutschlands bereit war zu zahlen: 4,26€

im Durschnitt. Während nach der Weltmeisterschaft 2006 42,6% der Bevölkerung eine positive Zahlungsbereitschaft aufwiesen, die im Mittel bei 10,07€ lag.

Maennig impliziert den Erlebnisnutzen der Bevölkerung als den größten Effekt der WM aus ökonomischer Sicht.

Den Begriff des Erlebnisangebots definieren Müller und Scheurer (2004, S. 5) wie folgt:

„Eine Leistung kann als Erlebnisangebot bezeichnet werden, wenn es vorrangig dem Erlebnisnutzen dient und mit atmosphärischen Bezeichnungen wie schön, spannend, interessant, gemütlich oder gar geil beschrieben wi rd.“74

Ist es folglich sinnvoll, Public Viewing mit Erlebnisangeboten zu offerieren? Kann

74 Pfaff (2002a) bietet für diese Aktion den Begriff „ verstärkte Erlebnisse‟ an. Im Rahmen dieser Arbeit soll aber die von Scheurer und Müller (2004, S. 4) proklamierte Trennung von Ereignis und Erlebnis weitergeführt werden.

10.2 Erlebniskonsument

damit das Erlebnisbedürfnis befriedigt sowie dem Wunsch nach Atmosphäre und emotionalem Erleben Genüge getan werden? Wie im Rahmen dieser Arbeit bereits deutlich wurde, ist das Entstehen von Emotionen und Erlebnissen einzig multikausal erfassbar. Bereits bei den meisten offiziellen Fan Festen zur WM 2006 in Deutschland wurde Wert auf den Erlebnisnutzen gelegt (vgl. auch Kap. 13.2).

Abb. 11: Fan Fest Frankfurt a m Ma in (Stadt Frankfurt a m Ma in, o.J.)

Die Ausrichter der Fan Feste während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 haben z.T. ein enormes Repertoire um das eigentliche Public Viewing herum angerichtet.

Das Fan Fest der Stadt Frankfurt fand bspw. direkt am Main statt: Die rund 15.000 Fans, die an den aufsteigenden Ufern des Flusses Platz finden, schauen auf schwimmende Leinwände. Für dieses Szenario werden anstatt der ansonsten 60 bis 80 qm großen Screens zwei 144 qm große benötigt, damit die Spielszenen für die Zuschauer auch genau zu verfolgen sind. Ein „Hingucker‟ ist die Sky Arena, die Verwandlung der typischen Hochhauskulisse in eine überdimensionale Licht-Klang-Skulptur. Für die Zuschauer ist fast alles wie im Stadion; es gibt Sitztribünen, Stehplätze, Zugangskontrollen und einen VIP-Bereich (vgl. Paperlein, 2005; Zils, 2005).

Es wird bereits hier deutlich, dass die Fan Fest-Verantwortlichen in Erlebnisangeboten einen Zusatznutzen gesehen haben. Vielleicht zog genau das die vielen Zuschauer zu diesen Veranstaltungen. Denn gerade die Fan Feste wurden von reichlich „Gelegenheitsfans‟ besucht. Godbey (1993, p. 53), der das Freizeitverhalten im postmodernen Nordamerika beschreibt, offeriert den Begriff

„time deepening“. Er nimmt an, dass die Menschen in ihre Freizeit am liebsten

„zwei Fliegen mit einer Klappe‟ schlagen. Das soll heißen, dass eine Person es als

erstrebenswert ansieht, mehr als eine Aktivität zur gleichen Zeit zu tun. Es ist denkbar, dass die Besucher die Verbindung von Public Viewing auf dem Großbildschirm und das Zusammensein und Feiern mit Freunden gesucht haben.

Ebenso sehen Harney und Jütting (2007, p. 15) im Public Viewing eine „mittelbare Unmittelbarkeit“, dem Publikum würde das „Dabeisein‟ suggeriert und verbünde sich mit mit dem Gemeinschaftserlebnis. Diese Kombination ließe die Abwesenheit des Spiels unwichtig werden.

In der Erlebnisgesellschaft kommt es vielen weniger auf das Konsumgut selber an, als auf die innere Wirkung, die Besagtes in ihnen auslöst. Dass es das tut, wird oft von der Werbeindustrie und den Medien suggeriert. Der Gast ist deshalb versucht zu glauben, es könne das Erlebnis, die innere Wirkung gekauft werden (vgl.

Schulze, 2007, S. 312). Köck (2005, S. 14) beschreibt diesen Vorgang anhand des Beispiels eines beliebten Urlaubsortes der deutschen Bevölkerung:

„Erst die Beschreibung und Etikettierung durch die kommerzielle Erlebnisindustrie und durch die mediale und wissenschaftliche Tourismuskritik haben das sommerlich karnevaleske Leben an diesem Strandabschnitt [gemeint ist El Arenal auf Mallorca]

zur außergewöhnlichen Erfahrung g emacht.”

Demnach können Massenmedien eine wichtige Funktion für Erlebnisangebote erfüllen. So fiel während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 die vorrangig positive Berichterstattung über die Public Viewing-Areale auffällig ins Gewicht (vgl. Kap.

13.2).

Schulze (2007, S. 312) gibt andererseits zu bedenken, dass viele Konsumenten die Botschaft gerne glauben, weil es sie von der eigenen Verantwortung erlöst.

Was aber vergessen würde, ist die psychische Aktivität, die man selbst leisten müsse, um ein Erlebnis zu haben. Dennoch scheint das Fortschreiten der Erlebnisorientierung unumgänglich zu sein (vgl. Opaschowski, 2000, S. 166ff.).

Es gilt festzuhalten, dass das Bedürfnis von Individuen, emotionale Erlebnisse in der Freizeit zu erfahren, gerade in der postmodernen Gesellschaft ausgeprägt ist.

Der Erlebniswert eines Freizeitangebots, wie z.B. Public Viewing, rückt weiter in das Zentrum des Interesses der Besucher. Diesen Ansprüchen versuchen viele Anbieter mit ihrer Angebotsgestaltung bereits zu entsprechen. Gerade für das Public Viewing, welches letztlich eine mediale Rezeption zweiter Ordnung darstellt, scheint die Verstärkung des Erlebnispotentials geeignet, sich in der Zwitterstellung zwischen der Bequemlichkeit des heimischen TV-Genusses und dem Live-Erlebnis im Stadion etablieren zu können. Die Medien können auch hier