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Schlüsselereignis: WM 2002 in Japan und Südkorea

5.2 Wachsende Beliebtheit des Public Viewing

5.2.2 Schlüsselereignis: WM 2002 in Japan und Südkorea

“During the 1990s the culture of collective viewing in public spaces, long common in continental Europe, became a more significant phenomenon around the world”

(Whannel, 2005, p. 414).

Bereits bei Ereignissen wie der FIFA WM 1998 in Frankreic h oder bei den Olympischen Sommer-Spielen in Sydney 2000 wollten mehr Menschen an dem Ereignis teilhaben, als die Stadienkapazitäten zuließen. Die damaligen Übertragungen auf Großleinwände sind vielerortens schon ein großer Erfolg gewesen (vgl. FIFA, o.J.d; Neue Zürcher Zeitung, 2001). Unter anderem dank neuer Übertragungstechniken (s. Kap. 8.2) ist das Public Viewing im Rahmen großer Veranstaltungen nun mehr und mehr in den Fokus gerückt (vgl. Habbel, 2005, S. 7). Aber erst bei der WM 2002 in Südkorea und Japan ist das öffentliche Schauen von Fußballspielen zu einem wirklich interressanten Faktor geworden.

Es kann von einem Wandel des Zuschauer- und Fanverhaltens gesprochen werden, der sich dadurch auszeichnet, dass außergewöhnlich viele Menschen wichtige Spiele außer Haus sehen (vgl. Chi-dong, 2002, p. 28; FIFA Marketing AG Media Services, o.J.). Darüber hinaus ändert sich die Art und Weise, wie Menschen außerhalb der Stadien die Spiele verfolgen (vgl. FIFA Marketing AG Media Services, o.J.). Eine auffällig hohe Zahl sieht sich die Spiele nicht vor dem heimischen Fernseher an, sondern gemeinsam mit Freunden oder Kollegen in Bars oder auf großen Plätzen. Das Miterleben von Spielen auf Videowänden ist zu einem wichtigen Faktor geworden (vgl. FIFA, o.J.b). Nac h Angaben von Sponsoring Insights (zit.n. FIFA Marketing AG Media Services, o.J.) sollen bis zu 43% der Fernsehzuschauer im Vereinigten Königreich die Begegnung zwischen Argentinien und England in Pubs oder Bars gesehen haben. Für die wichtigen europäischen Fußballmärkte Italien und Spanien gehen andere Quellen von 20 bis 25% aushäusiger Zuschauer aus (vgl. SponsorMetrix zit. n. ebd.).

Offenbar scheint der Einzelne zu besonders wichtigen Sportereignissen den gemütlichen heimischen Fernsehsessel gerne gegen einen Barhocker einzutauschen. Der Fußball rückt so ein Stück weiter in die Öffentlichkeit, in die Gesellschaft hinein. Auch in Deutschland gab es Public Viewing zur WM 2002. Es wurden an zentralen Plätzen in Großstädten die wichtigen Spiele der eigenen Nationalmannschaft übertragen. Viele ta usende Menschen versammelten sich vor den Leinwänden (vgl. Schulke, 2006b, S. 36). Nach Röger (2006) hat die WM in

5.2.2 Schlüsselereignis: WM 2002 in Japan und Südkorea

Südkorea und Japan den Fußball noch ein wenig mehr in die Gesellschaft gebracht. Durch die Zeitverschiebung fielen die meisten Spiele in Mitteleuropa auf den Vormittag. Somit ruhte in so manchem deutschen Büro die Arbeit, wenn die Nationalelf spielte, es wurden Tippspiele veranstaltet und die Mittagspause nach dem Spielplan gelegt. Dadurch haben auch nicht fußball-affine Gruppen der Gesellschaft am Ereignis teilgenommen, einfach, weil es Spaß machte und kaum zu umgehen war.

Ein mancher wird sich an das erste große Fußballereignis im deutschen Fernsehen erinnern: Die Fußball-WM 1954. Die ARD übertrug neun der 26 Spiele live. Zu dieser Zeit muss nach Gerhard (2006, S. 465f.) davon ausgegangen werden, dass sich weniger als 100.000 TV-Geräte in Benutzung befanden.

Dennoch scheinen Hunderttausende, wenn nicht Millionen von Zuschauern das Endspiel im Fernsehen –vor allem in Gaststätten– gesehen zu haben (vgl. auch Breitmeier, 2004). Der Fußball(-Sport) ist also in die Mitte der Gesellschaft zurückgekehrt.

In Südkorea, einem der Ausrichterländer, warben Regierung und Ausrichterstädte rege für das „Gemeinschaftsgucken‟ vor Großleinwänden. Es wurden insgesamt 2.021 sogenannte Big-Screens an 1.868 Plätzen im ganzen Land aufgestellt, um den Menschen das Zusehen mit Freunden zu ermöglichen. Hinzu kamen private, meist für Werbezwecke genutzte Leinwände, die auf Trucks befestigt für eine noch größere Anzahl an zusätzlichen Public Viewing-Möglichkeiten sorgten (vgl. Soon-Hee, 2004, p. 149ff.). Meist Jugendliche und junge Erwachsene feuerten ihre Mannschaft vor TV-Wänden in den Innenstädten der Ballungsräume an. Hierbei handelte es sich meist um kurzfristig und punktuell iniziierte Maßnahmen (vgl.

Schulke, 2006b, S. 30). Nach Angaben des Korea Pool14 (zit.n. FIFA Marketing AG Media Services, o.J.) gingen 2,8 Mio. Menschen in Korea auf die Straßen, um sich bei 223 offiziellen Veranstaltungen das Spiel ihrer Mannschaft gegen Portugal anzusehen. Beim Spiel gegen Italien sollen es sogar 4,2 Mio. gewesen sein.

14 Der K orea Pool ist eine Gemeinschaft von Fernsehstationen. E r besteht aus der KBS (Korea Broadcasting System), der MB D (Munwha Broadc asting Corporation) sowie der SBS (Seoul Broadcasting System) (vgl. Pank, o.J.).

Abb. 3: Public Vie wing bei der FIFA WM 2002TM in den Innenstädten Südkoreas (FIFA, o.J.c/Soo-min, 2002, p. 33)

Wieso ist es gerade dort zu diesen Zusammenkünften von tausenden Personen gekommen? Nach Horne und Manzenreiter (2004, p. 195) hätten besonders die koreanischen Medien einen großen Einfluss auf das Phänomen geno mmen:

“Korean Media had instructed their nation how to cheer for national success. Oh, pilseung Korea is an adapted version of a football cheer sung by K -League team Bucheon SK supporters.”

Durch einen Fernseh-Werbespot mit einem koreaweit bekannten Filmschauspieler und hunderten Fans der „Red Devils‟ wurde die Bevölkerung angeleitet „Oh, pilseung, Korea“ und einen anderen Fangesang zu singen (vgl. Soo-min, 2002, p.

32f.). Während die Bilder der WM-Partys mit bis zu 100.000 in Nationalfarben gekleideten, friedlich feiernden Koreanern um die Welt gingen, verbot die japanische Regierung das öffentliche Spektakel. Sie hatte Bedenken, dass junge gewaltbereite Fans mit der Polizei aneinander geraten könnten (vgl. Hamburger Abendblatt, 2005a; Soon-Hee, 2004, p. 151). Horne und Manzenreiter (2004, p.

195) postulieren, dass Public Viewing in Japan nur in eingegrenzten erlaubten Zonen möglich war. Die anwesende Polizei soll verdutzt die jungen Japaner mit ihren „Nippon! Nippon!“-Rufen und typischen Verhaltensweisen siegreicher Fußballanhänger wie dem Fahneschwenkenden-auf-die-Straße-Laufen beobachtet haben. Horne und Manzenreiter (2007, p. 574) sehen in diesem Verhalten, „a symbolic battleground for a „new Japan‟“. Ähnlich wie in Deutschland 195415 und 2006 könnten die Fans eine seltene Gelegenheit genutzt haben, um das seit 1945 andauernde seltsame Gefühl beim Zeigen von nationaler Identität zu

15 Siehe hierzu Kap. 6.3