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Technologische Entwicklung

“A toaster with pictures would really be much more interesting than a regular appliance” (McCarthy, 2001, p. 117).

McCarthy (2001, p. 118) geht davon aus, dass „things do, in some sense „talk‟”.

Fernsehgeräte seien diskursive Objekte, die “as a distinctive kind of object“ auf ihre Art und Weise in öffentlichen Kontexten kommunizieren. Die Möglichkeit des Fernsehens, Bilder und Töne live zu übertragen im gleichen Augenblick, in dem sie entstehen, ist der große Vorteil des Fernsehens. Durch vertonte Livebilder ist es also möglich, die Begrenzung von Zeit und Ort aufzuheben. Ein globales Ereignis wie die Fußball-WM erzeugt eine große Öffentlichkeit. Seit es den Rundfunk und insbesondere das Fernsehen gibt, können die Zuscha uer nahezu überall auf der Welt dem Ereignis gleichzeitig oder zumindest zeitnah beiwohnen, obwohl es natürlich in den Anfängen technologische Schwierigkeiten gab. So verpassten die Kameras im November 1936 das erste Tor während der Begegnung Italien gegen Deutschland, und die Spieler und der Ball waren für die Zuschauer vor dem Bildschirm kaum auszumachen (vgl. Keilbach & Stauff, 2006, S. 166). Das „Live-Dabeisein‟ scheint in den letzten Jahren einen großen Imagezuwachs in der Gesellschaft bekommen zu haben. So wird betont (vgl.

Levine, 2008, p. 398; Sydnor, 2000, p. 224), dass die Entwicklungen der neuen (Kommunikations-)Medien wie Mobiltelefone oder Internet auf die „Liveheit‟ als zentrale Qualität abgerichtet sind. Siegel (2002, p. 49) schreibt, dass sich die Präsenz von Bildschirmen im öffentlichen Raum enorm erhöht hat. Im Sommer 1980 wurde im Dodger Stadium in Los Angeles, USA, das erste „large-screen color video display system“ installiert.

“In many grounds, too, the spectactor can watch live (with slight delay) replays of the action on giant screens…” (Redhead, 2007, p. 234).

Dieses Zitat verdeutlicht, egal, ob der Zuschauer im Stadion oder am anderen Ende der Welt auf dem Sofa sitzt, ein jeder ist live dabei. Diese bipolaren Zuschauer-Positionen, auf der einen Seite bspw. gerade in der Loge einer Fußballarena zu sitzen, andererseits aber auf dem Bildschirm die Olympischen Spiele zu verfolgen, machen das Publikum zu einem „multimedia product of many different visual and spatial ideologies“ (McCarthy, 2001, p. 119). Heutzutage sind neben den großflächigen Bildschirmen im Stadion Fernsehbildschirme

allgegen-8.2 Technologische Entwicklung

wärtig. Sei es an der S-Bahn-Haltestelle, im Supermarkt oder in der Bank, an all diesen Orten wird das Individuum mit Informationen in Bild und Text versorgt. Ein jeder kann internationale Medienereignisse live verfolgen, ob er auf dem Flughafen in Dubai ist oder in einer australischen Stadt,

Eine Zeit lang war es nicht möglich, bei starkem Tageslicht eine Übertragung für viele Menschen zugänglich zu machen. So war das TV-Erlebnis noch meilenweit vom Live-Genuss eines Sportereignisses entfernt.60 Schulke (2006b, S. 3) weist darauf hin, dass neue Übertragungsformen stets Katalysatoren für sportliche, ökonomische, gesellschaftliche und technische Entwicklungen gewesen sind.

Dass dies auch umgekehrt gilt, betont Krüger (1999, S. 1226). Nach Gerhard (2006, S. 472) hat die visuelle Aufbereitung der Liveübertragung bei der Fußball-WM 2006 einen qualitativen Sprung gemacht: 16:9 Format, mehr Kameras, mehr Totalen. Der ballführende Spieler ist mit der Kamera verfolgt worden, es gab grafische Zusatzelemente oder computeranimiertes Nachstellen von Spielszenen.

Zwei weitere Nova sind für den Markt der Sportübertragung proklamiert worden, die für ein noch authentischeres Live-Erlebnis sorgen sollen. Zunächst ist die außergewöhnlich hohe Bildauflösung, das High Definition Television (HDTV)61, zu nennen. HDTV soll eine völlig neue Qualität hinsichtlich Schärfe, Detailgenauigkeit sowie Farbbrillanz ermöglichen und ein Live-Seherlebnis vermitteln.62 Im akustischen Bereich wird ein Dolby-Surround-System für verbesserte Qualität sorgen. Der Ton wird von je 30 Mikrofonen pro Stadion zunächst in ein spezielles Studio geleitet, wo er von einem Toningenieur gemischt und dann übertragen wird.

Dank der genannten Technologien müssen die Zuschauer nun laut FIFA (2005) nicht mehr direkt im Stadion sitzen, um Atmosphäre zu schnuppern. Die Neuheiten HDTV und Dolby-Surround-Sound machen die Ausstrahlung der

60 In der wissenschaftlichen Literatur zu dies er Thematik wird in der Regel näher auf die historische Ent wicklung eingegangen (vgl. Cy bulska 2007; Loosen, 2004; Whannel, 2005, p. 407ff.

[u.a.]). Da dies e im hier vorliegenden Zusammenhang keine unabdingbare Bedeutung hat, wird auf eine Darstellung verzichtet.

61 HDTV, ist ein Sammelbegriff für Fernsehnormen, die sich durch höhere vertikale, horizontale und bzw. oder temporale A uflösung auszeichnen. Durch die bessere Auflösung kommt es zu einer prägnanteren Bildqualität (vgl. Woldt, 2006, S. 235).

62 Der Host Broadcast Service (HBS) ist bei allen 64 Spielen der Fußball-WM 2006 mit mindestens 20 HDTV-K ameras vor Ort gewesen und hat versucht, die Stimmung in den Stadien einzufangen(vgl. Kaiser, 2005). Die Kameras des HBS werden das Turnier in „wide-screen“-Optik aufnehmen, welches die zweite Neuerung der FIFA darstellt. Dies es ist ein ursprünglich für Spielfilme entwickeltes 16:9 Format. Da jedoch nur spezifische Geräte dieses Format empfangen können, wird es auch weiterhin alle Übertragungen im Standardformat 4:3 geben (vgl. Infront Sports & Media AG, o.J. ).

Begegnungen noch realer und könnten zu einer erstmals vollen Ausschöpfung des Public Viewing-Potentials führen. Allerdings ist Premiere der einzige Sender, der HDTV gezeigt hat. Während der Fan Feste musste sich der Zuschauer also mit der normalen Auflösung zufrieden geben, weil dort die Signale von ARD, ZDF und RTL gesendet wurden. Auf einigen anderen Veranstaltungen, die in Kooperation mit dem Pay-TV-Kanal ausgestrahlt wurden, ist es aber möglich gewesen, die Begegnungen in hochauflösenden Bildern zu verfolgen. Allerdings machten, so Schulke (2006, S. 20), erst die „epochalsten medientechnologischen Fortschritte“

das Phänomen Public Viewing möglich. Sie sorgten dafür, dass Übertragungen auf Großbildschirme immer mehr in den Mittelpunkt von Ereignissen rücken.

Durch komplexe Steuerungsprozesse von Lichtsignalen in kleine Präsentations-module sind scharfe Bilder auf Flächen von bis zu 200 qm möglich. Diese machten laut Habbel (2005, S. 7) die Übertragung bei hellem Tageslicht erst möglich. Diese neuartigen Videowalls ermöglichen es auch für den in 150 m Entfernung stehenden Zuschauer, bei Wind und Wetter ein gestochen scharfes Bild zu sehen. Die mögliche Größe und die Leuchtkraft dieser Wände erlauben es großen Menschenmengen, direkt und nahezu live dabeizusein (vgl. Schulke, 2006b, S. 12; 2007, S. 36). Neue Technologien ermöglichen es also, dass das Fernsehen auf die öffentlichen Flächen und Plätze der Städte zurück wandert.

Diese sind plötzlich wieder zentraler Punkt der Stadt, auf dem sich soziales Leben abspielt. Die vorangegangenen großen Sportereignisse, vor allem aber die internationalen Fußballturniere, haben gezeigt, dass solche Veranstaltungen, auch wenn sie für den Zuschauer nur auf dem Bildschirm stattfinden, für ihn attraktiv sind. Das Medium Fernsehen ist mit dem großen Erfolg des Public Viewing in 2006 ein Stück weit aus dem Konsum in den eigenen vier Wänden i n die Öffentlichkeit gewandert.

Die symbiotische Beziehung des Fernsehens und des Spitzenfußballs treibt die Entwicklung in den Übertragungsmedien voran. Gerade zur WM 2006 wurden drei Neuheiten auf den Markt gebracht. Die LED (Light-Emitting Diode)-Technik ist für das Public Viewing am bedeutsamsten, weil sie TV-Vorführungen auch bei starkem Tageslicht ermöglicht. Aber auch die Einführung von HDTV und des 16:9-Formats machen deutlich, dass die Fernsehübertragungen von internationalen Sportveranstaltungen immer mehr zu eigenständigen Medienereignissen werden.

Wie Rötzer (2006) betont, scheint das eigentliche Ereignis immer mehr in den

8.3 Zusammenfassung

Hintergrund zu rücken. Dieses gilt für Public Viewing in besonderem Maße.

8.3 Zusammenfassung

Das Grundlagenkapitel abschließend ist in Kap. 8 ein weiterer Faktor des Public Viewing angesprochen worden. Durch die Mediatisierung der Gesellschaft hat sich nicht nur die Bedeutung des Fernsehens geändert und z.B. die Entwicklung des Sports vorangetragen, sondern es hat sich auch die räumliche Nutzung gewandelt. Dies ist zunächst durch einen Blick auf die das Public Viewing determinierenden Faktoren der Kartennachfrage, der Lokalität, der Atmosphäre und der Sicherheit erfolgt. Die die Kapazität der Sportstätte übersteigende Nachfrage nach Tickets, die Lokalität im Si nne des „liminal spaces‟ als der Faktor für die Entstehung einer spontan-kollektiven, emotionalen Atmosphäre und die zu vermittelnde „gefühlte‟ Sicherheit sind die bestimmenden Größen des Public Viewing. Sport und Sportübertragungen im Fernsehen finden heute in diversen Räumen und Kontexten weltweit statt. Eine Vielzahl an Menschen kann Großveranstaltungen gemeinsam an öffentlichen Orten verfolgen. Technologische Entwicklungen, nicht zuletzt hervorgerufen durch die Symbiose zwischen dem Fernsehen und dem Spitzenfußball in den Übertragungsmedien, hervorzuheben sind hier die LED-Videowände, sorgen immer mehr dafür, dass TV-Vorführungen und in besonderem Maße das Public Viewing zu vom eigentlichen Ereignis zu zunehmend unabhängigen Ereignissen werden.

III Theoretische Erklärungsmodelle

Im folgenden Kapitel werden zwei grundsätzliche theoretische Ansätze zur Aufschlüsselung des Phänomens Public Viewing eruiert. Sowohl Emotionen als auch Erlebnisse sind im Kapitel II und in der vorangehenden explorativen Expertenbefragung als wichtige Bestandteile von Sportübertragungen auf Videowände herausgefiltert worden. Das Ziel ist es, aufbauend auf den bislang erörterten Ergebnissen den Komplex der Emotionen und den der Erlebnisse zur weiteren Erkenntnisgewinnung theoretisch zu vertiefen.

Begonnen wird mit der Diskussion über einen auffälligen Bestandteil des Public Viewing, nämlich die Emotion. Zunächst wird ihre soziologische Relevanz erörtert (9) und anschließend der Begriff definiert und in seinem Bedeutungsrahmen eingegrenzt (9.1). Im nächsten Schritt werden emotionssoziologische Werkzeuge vorgestellt, die Erklärungsansätze und Interpretationsebenen bieten (9.2). Ein besonderes Augenmerk wird hier mit einem eigenen Kapitel auf kollektive Emotionen gelegt (9.3). Abschließend darf die Analyse von Emotionen und Fernsehen in diesem Kontext nicht fehlen (9.4). Resümierend wird letztlich die Rolle der Emotionen für das Phänomen Public Viewing zusammengefügt (9.5).

Danach erfolgt die Erörterung der Suche nach und Inszenierung von Erlebnissen (10). Zu diesem Zweck wird die Stellung des Erlebnisses in der Gesellschaft eruiert (10.1) und das Individuum als Konsument von Erlebnissen analysiert (10.2). Weiterführend wird der Ansatz des Erlebnis-Setting auf Public Viewing übertragen (10.3) und die Inszenierung als Instrument dessen erfasst (10.4). Der Vollständigkeit halber wird ein Exkurs zum Thema Event dieses Kapitel abrunden (10.5). Abschließen wird diesen Teil erneut eine Zusammenfassung der Ergebnisse und ihre Einordnung in den Gesamtzusammenhang (10.6).

9 Relevanz von Emotionen

9 Relevanz von Emotionen

„Da schien eine ganze Nation, vor allem die jungen Menschen, in eine taumelnde Feierstimmung zu geraten, bei der es auch um das Fußballspiel, die eigene Mannschaft und eine Art nationaler Stimmung ging, aber in der die riesigen Leinwände den Kern bildeten, der die Massenerregung der Menschen in roter Kleidung massierte (…) Die Masse feierte sich selbst, die Spiele waren dafür nur der notwendige K atalysator, der für die Grunderregung, die Einigkeit und aus reichende Menge an Menschen draußen auf den Plätzen und Straßen sorgte“ (Rötzer, 2006).

Emotionen spielen beim Public Viewing eine kaum übersehbare zentrale Rolle.

Das Ausdrücken und Ausleben von Gefühlen besonders in der Freizeit scheint in der Gesellschaft nötig und erwünscht zu sein. Besonders auffällig ist dieses Phänomen bei Massenveranstaltungen, gerade im Sport. Wobei Public Viewing hier anscheinend nochmals eine Sonderstellung einnimmt. Es besteht an dieser Stelle also ei ndeutig ein Forschungsinteresse nach der Bedeutung von Emotionen für das Phänomen Public Viewing.

Für die Erörterung der Dimension Emotion ist es nahe liegend, anfangs zu klären, welche Bereiche diese Dimension beinhaltet. Befasst man sich mit Emotionen, wird schnell deutlich, dass der Begriff an sich und seine Bedeutungszuweisungen sehr vielseitig und vielschichtig sind. Zu Beginn des Kapitels steht die definitorische Begrenzung des Emotionsbegriffs für die folgende Verwendung im Vordergrund (9.1). Die Rolle der Emotionen für das Phänomen Public Viewing soll näher bestimmt und der Zusammenhang dieser beiden Komponenten verdeutlicht werden. Dazu wird im ersten Schritt eine Schwerpunktlegung auf soziologische Aspekte erfolgen, um eine Zerfaserung der Erkenntnisse zu vermeiden. Um Aufschluss über diese Frage zu gewinnen, wird diskutiert, wie Gefühle soziologisch entstehen und wie selbige bedingt sind . Für diesen Zweck werden theoretische Konzeptionen vorgestellt, diskutiert und für die Frageste llung der Ausarbeitung ausgewertet. Dennoch wird nach Brown (2000, p. 36) das Ziel verfolgt, die traditionelle Tre nnung der Psychologie, die sich mit dem Individuum beschäftigt, und der Soziologie, die sich mit der Gesellschaft auseinandersetzt, zu lockern, um einen Erkenntnisgewinn zu erzielen. Es wird die Frage nach dem sozialen Einfluss für Emotionen gestellt. Zu diesem Zweck werden hauptsächlich die Arbeiten von Kemper (1978, 2002, 2007), bzw. Gerhards (1988) sowie die Gedanken Riedls (2006) als Grundlage genutzt, um sowohl einen sozialkonstruktivistischen als auch einen systemtheoretischen Zugang zu erhalten

(9.2).

Um der Rolle von Emotionen im Hinblick auf Public Viewing gerecht zu werden, wird im zweiten Schritt das Augenmerk auf kollektiv geteiltes (emotionales) Wissen und die Kommunikation dieses Wissens von Menschenmassen gelegt.

Von sozialpsychologischen Theorien ausgehend, wird der Versuch unternommen, einen an der soziologischen Systemtheorie orientierten Aspekt für das Zusammenspiel von Emotionen, Massen und Public Viewing zu liefern (9.3).

Daran anschließen wird sich ein Einblick in den Zusammenhang zwischen Gefühlen und dem „Kern‟ des Public Viewing, nämlich dem Fernsehen und seiner Wechselwirkung mit Emotionen (9.4). Den Abschluss bilden erneut die Zusammenfassung der Erkenntnisse und die Eingliederung in den Horizont der Arbeit (9.5).