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Sonderstellung des Fußballs

die Inszenierung als Medienereignisse. Neben dem eigentlichen Ereignis produziert das Fernsehen durch eigene Anreicherung , z.B. durch die Integration der Zuschauer, ein weiteres mediales Ereignis. In diesem Sinne stellt Public Viewing eine neue Form von Medienereignis und somit eine neue Stufe in der Sport-Medienentwicklung dar.

6.3 Sonderstellung des Fußballs

In dieser Arbeit werden viele Beispiele und Ansätze aus dem Bereich des Fußballs stammen. Dies hat den einfachen Grund, dass Public Viewing zum ersten Mal bei einer Fußball-Veranstaltung in großem Maße „aufgetreten‟ ist, nämlich bei der WM 2002 in Südkorea und Japan. Darüber hinaus ist Public Viewing bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 erstmalig in das organisatorische Gesamtkonzept aufgenommen worden (s. Kap. 5). Dieses soll keine Beschränkung auf den Bereich des Fußballs darstellen. Allerdings darf und kann nicht außer Acht gelassen werden, dass von dieser Ballsportart und seinen Akteuren die wichtigen Impulse zur Entstehung des Phänomens Public Viewing ausgingen, so dass der Fußball eine hervorgehobene Rolle spielen muss. Demnach ist die Sonderrolle des Fußballsports im Zusammenspiel zwischen gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen und dem Massenmedium Fernsehen zu eruieren.

Was hat es aber mit der besonderen Stellung des Fußballs auf sich? Warum konnte sich Public Viewing gerade in diesem Umfeld entwickeln? Das sind die Fragen, deren Beantwortung sich der folgende Abschnitt widmen wird. Unter den vielen Sportarten, die es auf der Welt gibt, spielt der Fußball einen ausne hmend auffälligen Part. Um es nach Feldenkirchen (2006) zu sagen: Fußball ist längst kein beliebiges Ballspiel mehr, er hat seinen gesellschaftlichen Stellenwert verändert. Er selbst –der Fußball- könne nichts dafür, er sei im Wesentlichen der alte geblieben, so Feldenkirchen, sondern die Menschen haben sich rund um das Spiel verändert. Dieser Ballsport ist der populärste Sport unserer Zeit. In Deutschland sind etwa 40 Mio. Menschen an Fußball interessiert, was einem Prozentsatz von 60 der über 14-Jährigen entspricht. Auch im übrigen Europa und in Südamerika, ebenso wie in Afrika und Asien, ist der Fußballsport das beliebteste Freizeitvergnügen (vgl. Bausenwein, 1995, S. 11; Kurscheidt, 2004, S.

2).

Der genaue Ursprung des Spiels ist nicht bekannt. Ein wichtiger Aspekt aber sind die sich über den gesamten Globus verteilenden Vorläufer . Frühe Varianten des beliebten Sports wurden im dritten Jahrtausend vor Christi Geburt in China, im zweiten Jahrtausend vor Christus in Mittelamerika und später in Japan, Italien und Spanien praktiziert.34 Fußball ist in all seinen Formen bereits ein global verbreitetes Spiel gewesen, als es seine entscheidende Entwicklung in England und Schottland nahm (vgl. FIFA, o.J.e). So ist eine der frühesten Erwähnungen einer Handschrift von 1175 zu entnehmen (vgl. Marsh & Morris, 1989, p. 118). Im 14. Jahrhundert erfreute sich nach Ellias und Dunning (1966 zit.n. Schmidt, 2002, S. 15; Schulke, 2006, S. 21) ein Spiel Namens Hurling35, eine Mischung aus Fußball, Rugby und Handball, großer Beliebtheit. Dieser von zwei Parteien auf freiem Feld organisierte Wettstreit half -vor dem sozialen Hintergrund des Mittelalters gesehen-, Konflikte zwischen niederen sozialen Gruppen und Ortschaften körperbetont auszutragen. Der Fußball fand hierzulande zunächst kaum Anklang. Die Obrigkeit und Vertreter der Kultus- und Schulbehörden bevorzugten das militärisch anmutende Turnen und verachteten den spi elerischen Wettstreit. Während Reformer -hervorzuheben sei hier der Braunschweiger Pädagoge Konrad Koch- die englische Spielform einführte n, warnten Konservative vor den negativen Einflüssen des Fußballs. Dieser stellte ihrer Meinung nach eine Gefahr für das Gemeinschafts- und Vaterlandsbewusstsein dar. Wenig später freilich trat der Fußballsport seinen Siegeszug an, der bis heute andauert (vgl.

Schmidt, 2002, S. 16; Murray, 1996, p. 25f.).36

Bereits in der Weimarer Republik entwickelte sich der Fußball zu einem

35Hurling wird noch heute gespielt. Die schnelle Mannschaftssportart ist vor allem in Irland b eliebt.

36 Einen nicht unwic htigen Part t rägt der 1904 in P aris gegründete Weltfußballverband. In 100 Jahren ist aus der wagemutigen Idee einiger Fußballliebhaber, ein mächtiges Organ des internationalen Fußballs geworden (vgl. Eisenberg et al., 2004, S. 9, 57). Die FIFA achtet stets darauf, ihren Einfluss weiter auszubauen. Mit Rücksichtsnahme auf neue Märkte verschob die FIFA die A nzahl der Plätze von den angestammten Fußballgebieten Südamerika und Europa zu Gunsten der V erbände Asiens, Mittel- und Nordamerikas plus Karibik sowie Oz eaniens. Um den bislang noch wenig erschlossenen Fußballmärkten gerecht zu werden, hat sich auch die Vergabestrategie für das Endt urnier geändert. Der traditionelle Wechsel der Ausrichterrolle zwischen Europa und Südamerika wurde erstmals 1994 mit der Festlegung auf die USA durchbrochen. Nach den Ländern Südkorea und Japan als Organisatoren für die Weltmeisterschaft im Jahr 2002, wird das Turnier 2010 in Südafrika stattfinden. Zukünftig erfolgt die Ausschreibung nach einem regionalen Rotationsprinzip (vgl. Kurscheidt, 2004, S. 3ff.).

6.3 Sonderstellung des Fußballs

Massenereignis bei Aktiven und Zuschauern (vgl. Pyta, 2005, S. 7-30; Schulke, 2006, S. 22).

„Massensport das heißt heute: Zweiundzwanzig spielen Fußball, Tausende und Zehnt ausende sehen zu. Sie stehen um das Spielfeld herum, kritisieren, johlen, pfeifen, geben ihr sachverständiges Urteil ab, feuern S pieler an, bejubeln ihre Lieblinge, beklatschen einzelne Leistungen, reißen den Schiedsrichter herunter, fanatisieren sich, spielen innerlich mit. Sie verfallen der Fußballpsychose, und sie benehmen sich auf dem S portplatz, als hinge nicht nur ihr eigenes Wohl und W ehe, sonder das Wohl und Wehe der ganzen Welt von dem Ausgang dieses lumpigen Fußballspiels ab“ (Helmut Wagner im Jahr 1931 zit.n. Pilz, 2002, S. 59).

Aber warum ist gerade der Fußball das „erstaunlichste(n) Massenphänomen der Moderne“ (Bausenwein, 1995,S. 11)?37 Nun, es kann ohne Zweifel angenommen werden, dass der Erfolg des Fußballs auf mehr basiert als bloß auf dem Spiel an sich. Dieser Sport spiegelt mit seiner Dramatik unser Leben wider. Nach Weinhold (2002, S. 34f.) können wir uns an die Höhepunkte des Spiels erinnern, weil in ihnen die zentralen Inhalte des Wettkampfs, also Siegen und Verlieren, Anerkennung von Leistung, Teamgeist usw. sichtbar werden. Die Identifikation mit hervorragenden Athleten, das Mitfühlen ihrer Tränen nach einem verlorenen Spiel, genauso wie die Freude nach einem Sieg sind symbolhafte Handlungen unseres eigenen Lebens. Zudem sorgt nicht zuletzt die Unvorhersehbarkeit des Ausgangs für echte Emotionen und somit für mehr Realismus als bspw. im Theater oder Kino. Der moderne Fußball(-Sport) mit seinen Ritualen, Inszenierungen, Betrugsversuchen usw. ist jederzeit authentisch, öffentlich und unmittelbar (vgl.

Schulke, 2006, S. 21). Diese Bilder machen die Begeisterung der Akteure und der Zuschauer aus. Besonders anonymer werdende Gesellschaften brauchen, so wird vielfach betont, Orte, an denen die Kunst, das Leben zu meistern, symbolhaft dargestellt wird, wie es eben im antiken Griechenland bereits der Fall war.

Demnach kann im Spiel mit dem eigenen und dem gegnerischen Körper, das si ch durch Dribbeln, Schießen und Täuschen darstellt, ein Rollenkampf gesehen werden. Die Angriffs- und Abwehrspieler symbolisieren ein Charakterspiel zwischen „guten‟ und „bösen‟ Spielern, welches für die Fans das Leben in vereinfachter bildhafter Form darstellt (vgl. Gebauer, 2002, S. 172). Marsh und Morris (1989, p. 112) heben zudem hervor, dass in den weltweit populären Massensportarten sich die Merkmale wieder finden, die einst für

37 Im Folgenden sollen beispielhaft einzelne in der wissenschaftlichen Literatur fort während wiederkehrende A rgument e und Positionen weiterführend erört ert werden. Ein Anspruch auf Vollständigkeit kann nicht erhoben werden und erscheint auch nicht zweckmäßig.

Jagdgesellschaften wichtig waren. Schne lligkeit und Wendigkeit, koordinative Fähigkeiten, Kraft, Zähigkeit und Treffsicherheit sind Eigenschaften, die hier in den Augenschein fallen.

Dem könnte entgegengehalten werden, dass dieses ja bei jeder Sportart möglich ist, dennoch scheint das Sportspiel Fußball besonders zu sein. Murray (1996, p.

174) streicht bspw. die Förderlichkeit des Teamsports gegenüber Individualdisziplinen bzgl. der Identifikation heraus. Mannschaften bestehen im Gegensatz zu Einzelathleten über Generationen hinweg. So besitzt eine Familie meist Jahrzehnte lang Dauerkarten für einen Verein, während sich die jüngere Generation nicht mehr mit dem inzwischen nicht mehr aktiven Lieblingsindividualsportler des Vaters identifizieren kann.38

Welchen wechselseitigen Einfluss Sport und Fernsehen aufeinander haben, ist bereits erörtert worden. So ist es nicht verwunderlich, dass die Ausstrahlungsquantität sowie -qualität eines Sports im Fernsehen oftmals als Argument genannt wird. Schließlich trägt das TV einen nicht unerheblichen Anteil an der Beliebtheit des Fußballs. Die hohe Telegenität dieses Sportspiels sichert seine umfassende Bedeutung und weit reichende Verbreitung (vgl. Gebauer, 2002, S. 175). Ballsportarten, wie vor allem Fußball, aber auch Basketball oder Handball lassen sich ideal im Fernsehen zuschauergerecht umsetzen. Durch die physische Einheit von Ort, Handlung und Zeit lässt sich der Ablauf eines Fußballspiels ohne größere dramaturgische Eingriffe des Fernsehens auf eine spannende Art abbilden. Bei vielen anderen Sportarten ist dies nicht der Fall. Bei einer Reihe greift das Fernsehen ein und stellt einen linearen und somit zuschauerfreundlichen Ablauf eines sportlichen Wettbewerbs erst her, wie z.B . bei den Wintersportarten Biathlon und Skilanglauf. Oft muss der Moderator durch erklärende Eingriffe den Ablauf und die Entscheidungen einer Sportart aufbereiten, wie beim Fechten. Fußball versteht der Zuschauer auch direkt meist ohne Erklärungen (vgl. Gerhard, 2006, S. 472; 2006a, S. 45).

Als eine weitere Begründung für die herausragende Stellung des Fußballs wird das in Europa herrschende Überangebot an Fernsehfußball angeführt. Nach Eisenberg, Lanfranchi, Mason und Wahl (2004, S. 267) stehen den

38 Bezogen auf diese Thematik ist die Rolle der V ereine besonders im Ruhrgebiet mi t Sicherheit eine eigene Arbeit wert. Weitergehende Ausführungen finden sich bei Pyta (2004) oder B reitmeier (2004).

6.3 Sonderstellung des Fußballs

Endverbrauchern diesbezüglich mehr als 250 Kanäle zur Verfügung. Auf diese Weise werden sogar diejenigen zu Kennern des Spiels, die sich eigentlich überhaupt nicht dafür interessieren. Wann man auch immer durch die Kanäle schaltet, immer ist auf einem Sender eine Tabelle mit den Spielergebnissen des Wochenendes oder ein Interview mit einem Spieler oder Trainer zu sehen.

Gerhard (2006a, S. 44) hält dagegen fest, dass selbst in den „Fußballjahren‟

jeweils zu den Welt- und Europameisterschaften der Anteil bei der Live-Übertragungen bei der ARD nur 0,9% und selbst beim Deutschen Sportfernsehen (DSF) nur bei 2,4% liegt.

Aus den genannten Gründen lässt sich schlussfolgern, dass es offenbar die Summe der Details ist, die die Sonderstellung des Fußballs ausmacht. Ein weiteres vielfach genanntes Argument für die große Bedeutung des Sportspiels ist die sich quer durch alle Bevölkerungsschichten und Landesteile ziehende Beliebtheit. Denn auch im Handball oder Eishockey wird die gleiche lebensechte Dramatik erzeugt, nur sind diese Sportspiele zumindest hierzulande ausschließlich regional bedeutsam. Für den Fußball dagegen begeistern sich neben den Profis eine Masse an Freizeitkickern und Millionen von Menschen, die passiv an diesem Sport teilhaben (vgl. Messing und Lames, 1996, S. 26; Rahmann, Weber, Groening, Kurscheidt, Napp & Pauli, 1998, S. 63). Schiffer (2004, S. 15) geht sogar so weit, dass er den Fußball zu einem „das Leben prägenden gesamtkulturellen Phänomen“ emporhebt, welches als einziges Klassen und Nationen kulturell vereint. Gebauer (2002, S. 172) hingegen mahnt zur Vorsicht, weil Mädchen und Frauen im Normalfall zu viel geringeren Anteilen fußballinteressiert seien. Nach Rühle (2003, S. 218) kann differenziert werden in Sportarten, die polarisieren, und solche, die nicht polarisieren. Fußball gehört zu denjenigen, die weitgehend unabhängig von Alter und Geschlecht der Zuschauer ein breites Publikum ansprechen. Bertling und Eggers (2004, S. 202-205), Gebauer (2002, S. 177ff.) oder Murray (1996, p. 201) schreiben, dass der Fußball seinen Status als schichtübergreifendes kulture lles Phänomen jedoch erst durch seine Akzeptanz bei den Eliten in den 1970er Jahren erlangte. Diese äußert sich zum einen dadurch, dass es heute für viele Politiker, Manager und Schauspieler

„zum guten Ton‟ gehört, sich auf der Ehrentribüne oder in der VIP-Loge ihres

Heimatklubs sehen zu lassen39 und zum anderen anhand der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema.

Eine Besonderheit stellt der Gewinn des Weltmeistertitels 1954 durch die deutsche Nationalmannschaft dar. Der sportliche Sieg über die Ungarn im Finale von Bern wurde für die gesamte Bevölkerung zum politischen Symbol des Wiederaufbaus, sowohl des kriegszerstörten Landes als auch des deutschen Selbstbewusstseins. Das „Wunder von Bern“ sei nach Pyta (2004, S. 7, 29) als Stilisierung, als Ausdruck einer Symbolpolitik zu begreifen, aus der sich als letzte Konsequenz der Gründungsmythos der Bundesrepublik ergibt. Die deutsche Bevölkerung hätte neun Jahre nach Kriegsende nach neuen identitätsstiftenden Symbolen gesucht, die durch den Glauben an die starke D-Mark zum Einen und durch die Leistungsfähigkeit der sozialen Marktwirtschaft zum Anderen befriedigt wurden. Mit letzterem korrespondiere das „Wunder von Bern“, weil es durch die Verzahnung mit dem Wirtschaftswunder Platz in der kollektiven Erinnerung eines ganzen Volkes gefunden hat (vgl. Breitmeier, 2004, S. 142). Breitmeier (2004, S.

143-147) geht sogar so weit, dass er die Feierlichkeiten zum Erfolg der Weltmeisterschaft 1954 als Gründungsmythos der BRD ausbaut. Die damalige Regierung hätte die Gelegenheit genutzt, negativ besetzte nationale Symbole wie das Berliner Olympiastadion, die Nationalhymne oder auch die, allerdings neue, Nationalflagge mit dem positiven Sieg der Arbeiterelf im gesamten Volk zu etablieren. Die genannten Aspekte sorgen letztlich dafür, dass der Gewinn der Fußball Weltmeisterschaft 1954 sich bei fast allen Bevölkerungsteilen weit über die Zeit hinaus als symbolischer Erinnerungsort in das kollektive Gedächtnis gebrannt hat.

Feldenkirchen (2006) beschreibt diese Vorgänge aus heutiger Sicht wie folgt;

„Er [der Fußball] ist einer der letzten Kleber für eine auseinander fallende Gesellschaft, der letzte gemeins ame Nenner von Hartz -IV-Empfängern, Investmentbankern und Intellektuellen, vor allem während der Weltmeisterschaft. Er lässt die Grenzen s ozialer Herkunft für die Dauer eines Turniers verschwinden, er sorgt für zeitlich befristeten Zusammenhalt.“

39Vor allem im südlichen Europa und in Lateinamerika gibt es eine andere Repräsentationsku ltur.

Die Verbindung von sportlichen Begegnungen mit kirchlichen Riten und Handlungen lässt Feste entstehen, an denen sich die nationalen Eliten selbst verständlich beteiligen. In diesen Ländern wird Fußball längst als nationale Repräs entation angesehen (vgl. Gebauer, 2002, S. 178).

6.3 Sonderstellung des Fußballs

Es ist deutlich geworden, dass es schwer ist, dem „Mythos Fußball‟40 gerecht zu werden. So könnten die angeführten Argumente problemlos um die Erfolgsgeschichte des Fußballs im deutschen Fernsehen oder die Markenstärke des Fußballs erweitert werden. Eine möglichst vollständige Di skussion kann aber hier nicht zweckdienlich sein. Vielleicht lässt sich die Massenaffinität des modernen Fußballs schlicht mit dem folgenden Zitat zusammenfassen:

„Es ist eines der Paradoxien der Postmoderne, dass diese Individualisierung am besten in einem Massensport erfolgen kann“ (Krüger, 1999, S. 1228).

In diesem Kapitel ist das Ziel verfolgt worden, einige wichtige Aspekte, die ihren Teil zum Verständnis beitragen können, zu erörtern. Gesagt werden kann zunächst, dass die Gefahren, die z.B. Gebauer (2002, S. 185) als Folge der Professionalisierung für die Identifikation und Repräsentation durch die Spieler sieht, für die Mehrzahl nicht zu greifen scheinen. Die Annahme, dass die Kommerzialisierung des Spitzensports und insbesondere des Fußballs die Identifikations- und Repräsentationsfunktion der Akteure mindert, bewahrheitet sich nicht. Wie Feldenkrichen (2006) betont, raube das moderne Fußballgeschäft den Anhängern die Möglichkeit sich zu identifizieren, aber dennoch scheine das Bedürfnis nach Fußball unaufhaltsam. An dieser Stelle haben allerdings die Medien eine wichtige Vermittlerro lle eingenommen. Sie verstehen es, fortwährende Spannung zwischen Nähe und Distanz sowie zwischen Sportler und Fan zu erzeugen, die den Starkult aufrechterhalten. Dieses veränderte Verhältnis macht den Showcharakter des modernen Fußballs aus (vgl. Pilz, 2002, S. 61).

Eisenberg et al. (2004, S. 267ff.) gehen sogar davon aus, dass gerade dieses sportliche Entertainment, was u.a. durch begleitende Reportagen, Hintergrundinformationen oder Interviews unte rstützt wird, zur Bildung oder Festigung des sozialen Netzes moderner Gesellschaften beitragen kann, i ndem nämlich das medial vermittelte Wissen, z.B. durch Computeranimation der Abseitsregel, in der sozialen Gemeinschaft thematisiert werden kann.

Resümierend lassen sich die anfangs aufgestellten Fragen wie folgt beantworten.

Für die hervorgehobene Position des Fußballs muss das Zusammenspiel einer Vielzahl an Faktoren verantwortlich gemacht werden. Anführen lassen sich Determinanten von der bereits in der frühen Entwicklungshistorie angesiedelten

40 Weiteres zum Mythos Fußball ist z.B. nachzulesen in B reimeier (2004, S. 129f.) und Pyta (2004, S. 6).

weltweiten Verbreitung bis zu den Repräsentations- und Identifikationskonstrukten oder der Telegenität der Sportart. Die Beantwortung der zweiten Frage, die da lautete, warum sich Public Viewing gerade in diesem Umfeld entwickeln konnte, kann nur angedeutet werden. So ist offensichtlich ein großes, möglichst in der Bevölkerung breit angelegtes Interesse nötig, um die notwendige Zuschaue rzahl zu generieren.

6.4 Zusammenfassung

Durch gesellschaftliche Modernisierungsprozesse ist der Einzelne im gesteigerten Maße gezwungen, sich individuelle Sozialstrukturen aufzubauen. Im Zusammen-spiel mit dem Wertewandel und den durch diesen hervorgerufenen Bedeutungs-zuwachs an hedonistischen Freizeitwerten kann der körperorientierte Sport eine neue Bezugsquelle darstellen. In anonymer werdenden individualisierten Gesell-schaften kann vor allem die Identifikation mit den und die Repräsentation durch die Athleten dem individuellen Sozialprofil Struktur geben. Besonders bei inter-nationalen Sportgroßveranstaltungen repräsentieren die Top-Athleten jeden Einzelnen, aber auch die gesamte Nation und rufen ein Zusammengehörig-keitsgefühl hervor. Eine starke Identifikation kann demnach z.B. mit den National-mannschaften, weil diese im Vergleich zu Individualsportlern fortwährend eine Möglichkeit der Repräsentation bieten, erfolgen. Eine herausragende Bedeutung für die Befriedigung dieser Bedürfnisse kommt in Deutschland, wie in vielen anderen Ländern dem Nationalsport Fußball zu. Die hervorgehobene Position, die das Sportspiel innehat, ist nur aus einem multifaktoriellen Begründungs-zusammenhang zu erklären. Faktoren wie die weltweite Verbreitung oder die Telegenität des Fußballs haben diesen zu einem Massenphänomen gemacht. Mit den modernen Massenmedien und insbesondere mit dem Fernsehen steht der Sport in einer symbiotischen Beziehung. Diese hat u.a. zu fortwährendem technologischem Fortschritt bei den Übertragungsmedien und einer sich verän-dernden Sportberichterstattung geführt. Sportgroßveranstaltungen werden vom Fernsehen als eigene Ereignisse auf anderer Ebene produziert. Mit Hilfe von zusätzlichen narrativen Mitteln wird das Fernsehen zum Hauptakteur der Gattung des Medienereignisses. Public Viewing wird als eine neue Form von Medien-ereignis und somit eine neue Stufe in der Sport-Medienentwicklung verstanden.

7 Publikum

7 Publikum

In diesem Teil geht es darum, die Grundlagen um die Komponente des Publikums zu erweitern und damit das Fundament der Analyse des Phänomens Public Viewing zu festigen. Das Publikum spielt für das Phänomen Public Viewing eine unübersehbar wichtige Rolle. Denn es ist kein Zusatz wie bei anderen Sportveranstaltungen, die zum sportlichen Vergleich stattfinden. Beim Public Viewing spielt das Publikum die Hauptrolle; ohne Zuschauer würde es kein Public Viewing geben, und niemand würde auf die Idee kommen, Großleinwände aufzustellen. Um das Phänomen Public Viewing diskutieren zu können, ist es also erforderlich, die Verbindung zwischen dem Sport und seinem Publikum zu analysieren. Obwohl es bereits seit den ersten Sportereignissen immer Zuschauer oder Unterstützer der Athleten gab, scheine n bei besonderen Begebenheiten extrem viele Menschen zu Zuschauern oder besser, zu einem Teil des Publikums zu werden. Außerordentlich auffällig ist dieses Phänomen während der Fußball-Weltmeisterschaften 2002 und 2006 zu beobachten gewesen.

Ein erster Schritt zur Klärung dieser Beobachtung wird mit der Strukturierung des extrem heterogenen Sportpublikums unternommen. Dabei steht nicht die vollständige Klassifizierung im Fokus, sondern es geht vielmehr um die Verdeutlichung der Existenz von unterschiedlichen Zuschauerarten (7.1). Im zweiten Schritt wird erörtert, wie sich die Publikumsbildung und –bindung determiniert. Zu diesem Zweck muss zunächst die Bedeutung des Sports für das (Medien-)Publikum diskutiert werden. Für dieses Anliegen liefert die Arbeit von Riedl (2006) den nötigen strukturellen Hintergrund. Auch hier kann es nicht darum gehen, einen möglichst vollständigen Überblick über die Motive und Bedürfnisse von Individuen zu geben, sich Sport anzusehen. Stattdessen werden wesentliche

Ein erster Schritt zur Klärung dieser Beobachtung wird mit der Strukturierung des extrem heterogenen Sportpublikums unternommen. Dabei steht nicht die vollständige Klassifizierung im Fokus, sondern es geht vielmehr um die Verdeutlichung der Existenz von unterschiedlichen Zuschauerarten (7.1). Im zweiten Schritt wird erörtert, wie sich die Publikumsbildung und –bindung determiniert. Zu diesem Zweck muss zunächst die Bedeutung des Sports für das (Medien-)Publikum diskutiert werden. Für dieses Anliegen liefert die Arbeit von Riedl (2006) den nötigen strukturellen Hintergrund. Auch hier kann es nicht darum gehen, einen möglichst vollständigen Überblick über die Motive und Bedürfnisse von Individuen zu geben, sich Sport anzusehen. Stattdessen werden wesentliche