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Perspektive heraus erfolgen (vgl. Digel, 1995, S. 20; Heinemann, 2007, S. 317f.).

Für unseren Zusammenhang ist es wichtig, Public Viewing mit seinen Akteuren in den gesellschaftlichen Kontext einzuordnen. So lässt sich festhalten, dass das Individuum in der Postmoderne einem Mangel an Sozialstruktur ausgesetzt ist, welches es in Eigenleistung auszugleichen versucht. Der Sport mit seinen gesetzmäßigen Ritualen kann einen Beitrag dazu leisten.

6.2 Sport und Fernsehen

Die gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen haben Einfluss auf den Sport und die Medien, insbesondere auf das Fernsehen. Nach Bette (1993, S. 34-39) und Digel (1995, S. 25) erzeugt insbesondere der Individualisierungsprozess die sozialstrukturellen und individualpsychologischen Voraussetzungen für einen Boom des Sportmarktes. Der soziale Wandel sorgt für den Bedeutungszuwachs und die gestiegene gesellschaftliche Wertschätzung des Sports und des sportiven Körpers. Selber aktiv Sport zu treiben, gehört für viele Menschen in den Alltag.28 Es soll an dieser Stelle darum gehen, den Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher Modernisierung, dem Sport und dem Massenmedium Fernsehen zu durchleuchten, um aus diesen Erkenntnissen Rückschlüsse auf die Entstehung des Public Viewing zu ziehen.

Ein Sozialsystem, welches Schichten, Geschlechter und Altersgruppen erfasst, kann als Verbindung für Menschen unterschiedlicher Gruppierungen funktionieren und den stärkeren Bedürfnissen nach einer bewussten Freizeit- und Erlebnisgestaltung Rechnung tragen (vgl. Rittner & Breuer, 2002, S. xiv). Die massive Hinwendung zu einem körperbetonten Handlungsfeld, welches unmittelbare Wirksamkeitserfahrungen und Ich-Erlebnisse verspricht, ist eine

28 Die B estandserhebung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB ) von 2008 (vgl.

Deutscher Olympischer Sportbund, 2008, S. 3, 14f.) verzeichnet insges amt über 27 Mio. Mitglieder in den ei nzelnen Mitgliedsorganisationen. Im Alter zwischen 19 und 26 Jahren sind bspw. 42,3%

der männlichen und 24,1% der weiblichen B evölkerung in den alten B undesländern in einem der Mitglieds vereine des DOSB organisiert Zudem kann davon ausgegangen werden, das die Zahl der nicht im Verein organisierten Sportler noch um ein Vielfaches höher liegt. Allerdi ngs gilt es hier nach Opaschowski (2001, S. 82f.) kritisch zu hinterfragen, ob der Mitgliederstatus wirklich Rückschlüsse über die Sportlichkeit der deutschen Bevölkerung zulässt. So vermutet er, dass das Sporttreiben der Deutschen bei weitem überschätzt wird. Diese Diskussion soll aber an dieser Stelle nicht vertieft werden.

mögliche Folge.29 Dabei kann nur in bedingtem Maße von der direkten eigenen Sportausübung gesprochen werden. Vielmehr ist damit eben auch der indirekte Einfluss, vom Tragen von Sportkleidung im Alltag hin zu sportiven Aussagen in Werbespots gemeint, die der Sport in der postmodernen Gesellschaft hat.

Individuen, die in angestammten Rollen und Traditionen keinen Halt und keine Orientierung mehr finden, lenken die Aufmerksamkeit auf den Körper und das

„Sich-Erfahren‟, als Zeichen einer aktiven Selbstgestaltung und –inszenierung auf der Suche nach der eigenen Identität. Wer auf sich selbst zurückgeworfen ist, nutzt folgerichtig auch verstärkt seinen Körper für eine Stabilisierung des eigenen Ichs. Im Sport lässt sich Identität „erarbeiten‟. Wer an seiner Physis30 und seinem Äußeren arbeitet, der macht sich und seinen Körper zu einem Symbol des Sports.

Die Personen machen sich den Gesundheits- und Leistungscharakter des Sports zunutze, um ihre Identität darzustellen. Das Feld des Sports eigne sich eben in besonderer Weise zur Darstellung von Identität und Distinktion31 (vgl. Bette, 1993, S. 39f.; Gebauer, 2002, S. 34).

Aber nicht nur derjenige, der selber aktiv ist benutzt den Sport zur Identitätsstiftung (vgl. Schulke, 2006a, S. 20). Auch die Zuschauer von Sportveranstaltungen benutzen den Sport und die aktiven Sportler zur Orientierung in der Gesellschaft. Hierzu gibt es in der wissenschaftlichen Literatur eine Reihe von divergierenden Theorien. Im Folgenden werden exemplarisch zweierlei Gedankengänge erörtert. Gebauer (2002, S. 2, 157) oder auch Schulke (2006, S. 21) sehen den Sport als Abbild der Gesellschaft. Das Theater als Vergleich zu Hilfe nehmend, wird der Sport als ein soziales Feld beschrieben, welches die zentralen Themen moderner Gesellschaften behandelt. Im Gegensatz zum Theater oder Film-Genres, denen ebenfalls eine gesellschaftliche Spiegelfunktion unterstellt werden kann- besitzt der Sport kein Skript. Er ist nicht vorhersehbar. Sport ist nicht intellektuell abgehoben, sondern er ist für alle verständlich. Man ist nicht bloß Zuschauer, der in den dunklen Rängen sitzt, sondern man befindet sich mitten im Jetzt und Hier, im Diesseits und im Alltag.

29 Diese Sehns ucht wird besonders im Zusammenhang mit dem erlebnisorientierten Menschen- und Gesellschaftsbild beschrieben (s. Kap.10).

30 Die Physis ist das zentrale Thema des Sports. Sie ist ein gesellschaftlich gelernt er und akzeptierter Ort des Affekt- und Emotionsauslebens (s. Kap. 9).

31 Distinktion deshalb, weil auch die Abgrenzung, die Differenzierung von anderen einen gewic htigen Teil der eigenen Identitätsfindung ausmacht.

6.2 Sport und Fernsehen

Auch die bereits erwähnte Ritualfunktion des Sports kann hier angeführt werden.

Gleich (2001, S. 178) weist darauf hin, dass sportliche Großereignisse, die von den Medien entsprechend inszeniert werden, die Qualität moderner Rituale oder Zeremonien annehmen. Die modernen Massenmedien scheinen folglich eine wichtige Funktion zu haben. Diese sind, wie der Sport, Mittler, die die Beziehungen zwischen den Mitgliedern einer Gesellschaft erzeugen. Sie verbinden nicht nur als Partner einer Mannschaft oder eines Teams, sie trennen sie auch als Kontrahenten und ermöglichen eine Teilnahme für alle als P ublikum (vgl. Gebauer, 2002, S. 161).

In einem weiteren Ansatz sieht Gebauer (2002, S. 163ff.) in der sozialen Motorik einen möglichen Grund für die unbestreitbar stattfindende Identifikation mit Spitzensportlern. Demnach stellt die Bewegungslehre die Teilhabe des Einzelnen an der Gesellschaft dar. So übernimmt beispielsweise das Neugeborene die Motorik seiner Eltern, wie der Nachwuchsathlet die bevorzugte Technik seines Trainers nachahmt. Daher führen junge Menschen durch Vorbilder erlernte Bewegungen als Gemeinsamkeiten im Sinne der sozialen Motorik fort. Für den Sportzuschauer verbindet sich die eigene Motorik mit den Bildern der Athleten.

Sportler können also als ein exemplarischer Teil einer Kultur angesehen werden.

Die eigene Gesellschaft wird durch sie widergespiegelt durch die Gemeinsamkeit der Bewegungen. Spitzenathleten repräsentieren demnach auf der einen Seite jeden Einzelnen, aber auch die Kultur in ihrer Gesamtheit.

Letztere ist das Gemeinsame an diesen Ansätzen, und dies bildet auch die Grundlage der Diskussion: Sport leistet, so ist betont worden, durch die Möglichkeiten der Identifikation und Repräsentation sowie seiner Ritualfunktion einen wichtigen Beitrag für die Identitätsbildung in hoch entwickelten, postmodernen Gesellschaften. Besonders im Rahmen von internationalen Sportgroßveranstaltungen fällt dies auf; Einzelne, die sich vorher nicht besonders für Sport, eine bestimmte Disziplin und schon gar nicht für einen einzelnen Sportler interessiert haben, identifizieren sich und ihre Nation plötzlich mit dem Topathleten des Turniers (vgl. ebd., S. 156-167). Demnach kann durchaus angenommen werden, dass sich „eine Gesellschaft, die sich bei ihrer symbolischen Selbstkonstitution zusieht und dieses Spektakel genießt, (…) sich ihrer selbst [vergewissert]“ (ebd., S. 167). Der Sport scheint folglich auf mehreren Ebenen mit dem sich vollziehenden sozialen Wandel in Beziehung zu stehen.

Bette (1993, S. 49) oder auch Digel und Burk (2001) sehen in der steigenden Individualität sogar einen Motor, mit dem der Sport einen großen Teil seiner sachlichen, sozialen und zeitlichen Variationen produziert. Digel (1995, S. 14) und Heinemann (2007, S. 327) gehen zunächst davon aus, dass sich die Entwicklungen des Sports anhand der genannten Prozesse mindestens beschreiben lassen.

Jedoch sind es nicht nur die sozialen Prozesse und gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen, die Einfluss auf die Entwicklung des Sports haben. Prozesse der Mediatisierung32 stehen ebenso in Wechselwirkung mit diesen Abläufen. Eine nahezu symbiotische Verbindung besteht zwischen den Medien und dem Sport.

„Sport begleitet die Medienevolution: Mediengeschichte ist immer auch Sport -Mediengeschichte“ (Loosen, 2004, S. 16).

Der Sport ist unabdingbar mit der Evolution der Medien verbunden. Seit der Einführung des dualen Rundfunksystems in Deutschland im Jahr 1984 stieg die Zahl der dem Sport gewidmeten Stunden der Berichterstattung in den öffentlich-rechtlichen und in den privatwirtschaftlichen Fernsehanstalten kontinuierlich an (vgl. Digel & Burk, 1999, S. 22). Besonders der Spitzensport „erweist sich (…) [dabei] als Dauerproduzent von berichtenswerten Ereignissen für die Massenmedien“ (Riedl, 2006, S. 64).

Sportgroßveranstaltungen wie die Fußball-Weltmeisterschaften, Olympische Spiele, aber auch das Lokalderby in der Fußball Bundesliga können als Medienereignisse beschrieben werden, die eine große Zahl an Zuschauern anziehen. Nach Cybulska (2007, S. 23) sind Medienereignisse Ereignisse, bei denen es „zu einem Zusammenwirken zweier Ereignisse [kommt]. Auf der einen Seite gibt es ein Ereignis, das eintrifft; und auf einer weiteren Ebene ein Ereignis, das dieses zeigt“. Rivenburgh (2003, p. 31) definiert Media Events als “a unique media genre that results when television‟s visual and narrative power taps into public fascination with a story that transcends daily experience”.33 Es treffen an dieser Stelle folglich zwei wichtige Determinanten zusammen: ein großes Ereignis,

32 Eine gute Zusammenfassung über Begriff und Inhalt der Mediatisierung für den Sport findet sich z.B. bei Bernstein und Blain (2003), Dohle und Vowe (2006) oder Krüger (1993).

33 Die weiterreichendere Begriffsbestimmung der „Väter‟ der Media Events, Dayan und Katz (1994), werden an dieser Stelle noch nicht genannt, um die Stringenz der Argumentation nicht zu gefährden. In Kap. 9.4 wird darauf zurückgekommen.

6.2 Sport und Fernsehen

welches an sich bereits Interesse weckt, und als zusätzlicher Faktor ein weiteres Ereignis, welches die Massenmedien –zumeist das Fernsehen- produzieren.

Kehren wir aber zunächst zu den Sportveranstaltungen zurück. Ihre große Reichweite ist es, welche die Massenmedien primär interessiert. Natürlich hat vor allem das Fernsehen vorrangig finanzielle Verwertungsinteressen im Blick, was die Auswahl der übertragenen Sportarten stark begrenzt. Nichtsdestotrotz beschaffen paradoxerweise auch die Massenmedien dem Sport das Publikum. Sie weiten den Zuschauerkreis auf die Fernsehrezipienten aus. Dieser Kreislauf ist es, der beiden Systemen in der Verbindung gute Entwicklungsmöglichkeiten bietet.

„Sportereignisse genießen als rituelle Medienereignisse in der Medienlandschaft eine Sonderstellung und gehören zu den quotenstärksten Formaten im deutschen Ferns ehen“ (Cybulska, 2007, S. 34).

So werden TV-Stationen nicht müde, zu jeder wichtigen Spitzensportveranstaltung neue mediale Technologien anzubieten, um die Attraktivität des Fernsehsports weiter zu erhöhen und die Telegenisierung von Sportereignissen weiter voran zu treiben (vgl. Schauerte & Schwier, 2004, S. 164).

“[T]ec hnical innovations are symbolically staged and popularized mainly in the c ontext of sports events-whether they be new image technologies like slow motion replay or

„virtual replay‟, or broadcast and recording tec hnologies such as cable and satellite TV after 1984, the introduction of DVD and PVR“ (Keilbach & Stauff, 2006, p. 165).

Die fortwährende Entwicklung von technischen Neuheiten wie der Vergrößerung der Bildschirme, Slow-Motion oder optische Unterstützungen der Torentfernung haben das Erlebnis, zu Hause Sportberichterstattungen zu verfolgen, auf eine neue Stufe gehoben (vgl. Schulke, 2006, S. 19) (vgl. auch Kap. 8).

So hat Schwier (2002, S. 2) mit Blick auf das Public Viewing Recht, wenn er postuliert:

„Der Sport und die Massenmedien gehören gegenwärtig sowohl zu den ökonomischen Wachstumsbranc hen als auc h zu den einflussreichsten kulturellen Kräft en unserer Zeit und weisen darüber hinaus äußerst vielfältige Wechselbeziehungen auf, die eine Verschmelzung beider Phänomene zu einem einheitlichen Produktionskomplex schon in näherer Zukunft möglich erscheinen lässt.“

Die Medien haben ihren Anteil dazu beigetragen, dass sich der Fernsehsport und besonders der Fernsehfußball zu einer eigenen Unterhaltungssparte entwickelt haben. Der Prozess der funktionalen Ausdifferenzierung in der Medienlandschaft (vgl. Digel & Burk, 2001, S. 20) lässt sich z.B. an der variableren Form der Berichterstattung oder der räumlichen Vielfalt (s. Kap. 8) beobachten. Mit Vor- und

Nachberichten, Interviews usw. ebenso wie mit der Möglichkeit, strittige Szenen zu wiederholen und heranzuzoomen, sind die TV-Sender in der Lage, die Übertragung von Fußballspielen im Vergleich mit einem Besuch im Stadion nicht als zweitrangig dastehen zu lassen. Dem visuellen Medium Fernsehen ist es möglich, die bereits vorhandenen Inszenierungen des Sports auf zugreifen und zu verstärken (vgl. Cybulska, 2007, S. 38). Die Sportberichterstattung hat sich, wie bereits Krüger (1993, S. 28f.) anführte, vor allem im Fernsehen geändert. Loosen (2001, S. 137) bezeichnet diese als „Hybrid aus Information und Unterhaltung“, welches sich einer klaren Einreihung in die Facetten Unterhaltung und Information entzieht. Gleich (2000, S. 512; 2001, S. 170f.) beschreibt die Sportberichterattung als weit über das sportliche Ereignis hinausgehend. Scherer (2004, S. 218) betont, dass diese Tendenzen aber keinesfalls einseitig ausgelegt sind, ebenso unterstützen die Ausrichter von Sportveranstaltungen die Bemühungen der Medien um Dramatisierung, Emotionalisierung und Spannungsstei gerung. Dayan und Katz (2001, S. 413) ge hen sogar so weit, TV-Übertragungen als „funktionales Äquivalent“ im Vergleich mit dem Live-Ereignis anzusehen.

„Das Fernsehen überlagert die performanc e der Organisatoren mit seiner eigenen performance, es präsentiert seine Stellungnahme den Stellungnahmen der Zuschauerinnen und Zuschauer und es bietet stellvertretende Formen der Teilnahme an, um die Zuschauerinnen [spectators] und Zuschauer für die ihnen vorenthaltene Teilnahme zu entschädigen. Fernsehen wird so zum Hauptdarsteller [primary performer] bei der Aus führung öffentlicher Zeremonien“ (Dayan & Katz, 2001, S.

413f.).

Dayan und Katz (2001, S. 414) gehen bei ihren Ausführungen davon aus, dass die Performance der Ereignisse im Fernsehen im Sinne einer „qualitativen Umwandlung der Beschaffenheit öffentlicher Ereignisse“ gesehen werden kann.

Es wird hervorgehoben, dass das Fernsehen mit seiner eigenen Rhetorik den Versuch unternimmt, einen Ersatz oder eine Alternative für das Live-Erlebnis zu sein.

Es gilt also festzuhalten: Bezug nehmend auf das Phänomen Public Viewing ist hier ein wichtiger Ansatz zu sehen. Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse erscheinen der Sport und seine Berichterstattung im Fernsehen als ein geeignetes Projektionsfeld für Identifikations-, Repräsentations- und Distinktionsentwicklungen. Insbesondere internationale sportliche Großereignisse bieten aufgrund der fortgeschrittenen Übertragunstechnik und der dramaturgisch ausgerichteten Sportberichterstattung gute Vorraussetzungen für