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„Wie schon bei den [Fußball-]Weltmeisterschaften 1998 und 2002 war die Zahl der weiblichen Zuschauer auch bei der WM im eigenen Land [gemeint ist Deutschland]

überdurchschnittlich hoch. Interessierte sich während der letzten Bundesligasaison ein Drittel der weiblichen Zuschauer für Fußball, war en es bei den Livespielen der Fußball-Weltmeisterschaft 43 Prozent“ (Geese, Zeughardt & Gerhard, 2006, S. 454).

Dieses Zitat verdeutlicht die außergewöhnliche Zuschauerstruktur, die bei internationalen Großereignissen des Sports anzutreffen ist. Bei Veranstaltungen, wie Weltmeisterschaften beliebter Sportarten oder Olympischen Spielen, scheinen mehr Menschen die Athleten zu unterstützen, als es im normalen Ligabetrieb oder bei weniger wichtigen Wettkämpfen der Fall ist. Diese müssen andere Motive oder Beweggründe haben, sich eine Veranstaltung anzusehen, als diejenigen, die langjährige Fans einer Mannschaft oder eines Vereins sind. Gerade beim Public Viewing zu den Fußball-Weltmeisterschaften 2002 und 2006 fallen vor allem die vielen weiblichen Besucher auf, die sich den Fans angeschlossen haben.

An dieser Stelle ist es daher sinnvoll, sich mit dem Publikum zu beschäftigen.

Denn augenscheinlich ist dieses ein wichtiger Bestandteil des Public Viewing. In der wissenschaftlichen Literatur herrscht diesbezüglic h ein Begriffswirrwarr. Einen Zuschauer definieren Tedeschi, Madi und Lyakhovitzky (1998, S. 94) als

„jemanden, der eine bewusste (häufig mit einigen Kosten verbundene) Entscheidung trifft, ein Ereignis zu beobachten, das zu dem Zweck organisiert wird, ei n Publikum entstehen zu lassen.“

Wichtig ist in diesem Fall die Freiwilligkeit des Zuschauens. Der Einzelne trifft also eigenständig die Entscheidung für den Besuch der Sportveranstaltung. So lassen sich bereits am Anfang Zeugen eines Verbrechens oder Unfalls als Zuschauer ausschließen. Denn sie sind nicht aus eigener Motivation bei dem Ereignis anwesend, und sie haben keine bewusste Entscheidung getroffen (vgl. Tedeschi et al.., 1998, S. 94), sondern sind zufällig anwesend gewesen, als ein Ereig nis eingetreten ist. Bei Strauß und Jürgensen (1998) findet sich ein interessanter Zuschaueransatz, der auf die Intendierung bzw. Nicht-Intendierung des Ereignisses abzielt. Sie differenzieren den Besucher nach der vorhandenen bzw.

nicht-vorhandenen Absicht des Besuchs. Des Weiteren sehen sie Zuschauer als

„nicht wesentliche[n] Bestandteil des eigentlichen Geschehens“. Das heißt, der Besucher ist nur ein Beobachter von a ußen, er scheint hier nicht in das Geschehen inbegriffen und kann auch nicht einwirken. Wie bei obigem Zitat von

7.1 Publikumsstruktur

Tedeschi et al. (1998, S. 94) deutlich wird, trifft der einzelne Zuschauer die bewusste Entscheidung, einem Ereignis beizuwohnen, welches u.a. dazu initiiert wurde, ein Publikum entstehen zu lassen. Der Begriff Publikum bestimmt also

„Zuschauermengen, die sich zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort befinden – zum anderen aber auch massenmediale Publika – d.h. viele Zuschauer, die sich zur gleichen Zeit an verschiedenen Ort en aufhalten“ (vgl. Strauß &

Jürgensen, 1998, S. 18).

An dieser Stelle werden folglich die einzelnen Zuschauer zu einem Publikum zusammengeführt. Dieses wird aber wiederum in das Publikum vor Ort und das disperse massenmediale Publikum unterschieden.

In der englischsprachigen Literatur wird oftmals auch die Bezeichnung „audience‟

für die Zuschauer oder das Publikum verwendet. Da dessen Verwendung aber dem Verständnis des Publikumbegriffs in dieser Arbeit ähnelt, wird die deutsche Umschreibung vorgezogen. Entscheidend ist hier jedoch nicht das Heischen nach der vermeintlich richtigen Begrifflichkeit, wie es in einigen Werken verfolgt wird, sondern eine Festlegung der Auffassung, als was in dieser Ausarbeitung das Publikum verstanden werden wird. Zu diesem Zwecke lassen sich der „Uses-and-Gratification-Approach‟ und der „Selective-Exposure-Ansatz‟ aus der Medienforschung heranziehen. Der Kern des „Uses-and-Gratification-Approach‟ ist die Vorstellung von einem aktiven Publikum. Der Zuschauer verfolgt mit dem Sehen einer Fernsehübertragung ein Ziel, er selektiert und bewertet die Nützlichkeit seines Tuns durch die Wahl, die er trifft, eben diese Sendung zu sehen oder nicht (vgl. Bösch & Borutta, 2006a, S. 28; Zillmann & Bryant, 1998, S.

197). Der Einzelne, so wird angenommen, ist kognitiv motiviert, verschiedene Medieninhalte zu bestimmten Zeiten zu sehen bzw. nicht zu sehen, um seine sozialen und psychischen Bedürfnisse zu befriedigen (vgl. Raney, 2004, p. 51).

Die Auswahl für ein bestimmtes Programm fällt zwischen den von den Rezipienten gesuchten Gratifikationen und jenen Gratifikationen, die sich die Zuschauer von der ausgestrahlten Sendung versprechen. Die Entscheidung fällt für das Programm, bei dem diese Diskrepanz am geringsten ist (vgl. Döhle, Klimmt &

Schramm, 2006, S. 53).

Diesem kognitiven Ansatz steht das Modell der „Selective-Exposure‟ gegenüber.

Dieser geht davon aus, dass sich Zuschauer zwar explizit für das Sehen einer Sportübertragung entscheiden, aber sie das zu Sehende bewerten mit Mögen, Gleichgültigkeit oder Nicht-Mögen; dies geschieht aus „spontanen hedonistischen

Launen“ (Zillmann & Bryant, 1998, S. 199) heraus. Raney (2004, p. 50) fügt dem hinzu, dass Individuen “tend to selectively expose themselves to media content that is presumed to be (for the most part) consistent with their existing attitudes, beliefs, and thoughts”.

Eine Verbindung dieser beiden Ansätze ist das dynamisch-transaktionale Model von Früh (1991). Dies ist weder kommunikator- noch rezipientenorientiert, stattdessen schreibt es dem Wirkungsprozess die entscheidende Rolle zu. Die zentralen Perspektiven des Wirkungsprozesses sind demnach gleichberechtigt, und als eigenständige Komponente tritt die Wechselbeziehung hinzu (vgl. Früh, 1991, S. 39). In diesem Sinne wird der einzelne Zuschauer als Teil des Publikums angesehen. Das Augenmerk liegt hier weniger in der Begriffsabgrenzung als auf dem Bedeutungs- und Wirkungszusammenhang mit dem Medium Fernsehen.

Ein ähnliches Begriffs-Wirrwarr herrscht in der Fachliteratur bezüglich der Zuordnung einzelner Gruppierungen. Eine der wenigen klaren Strukturierungsversuche schlagen Wann, Melnick, Russell & Pease (2001, S. 1-4) vor. Sie unterscheiden zunächst grob in

- „sport fans“ und

- „sport spectators“ oder „sport consumers“.

Demnach sind „sport fans‟ als Individuen zu bezeichnen, die am Sport interessiert sind und die Karriere eines Teams oder eines Athleten verfolgen. Der Begriff „sport fan‟ spaltet sich in den „lowly identified sport fan‟ und den „highly identified sport fan‟ auf. Erstere sind Personen mit einem geringen Niveau an Identifikation. Die Rolle, die die Mannschaft oder der Sportler für ihr Selbstko nzept einnimmt, ist eher gering, und demzufolge reagieren „lowly identified sport fans‟ nicht sonderlich stark auf das Auftreten der Sportler. Nach König (2002, S. 48f.) entscheidet sich dieser Typus eher nach rationalen Faktoren wie, „wenn Zeit dazu da ist‟ oder dem Wetter, dem übrigen Freizeitangebot etc. für oder gegen den Veranstaltungsbesuch. Für die „highly identified sport fans‟ auf der anderen Seite, ist die Rolle des Fans eine sehr wichtige in seiner Identitätskonzeption.

Die Kategorie der „sport spectators‟ oder „sport consumers‟ verfolgt aktiv das Sportereignis, sei es live oder mit Hilfe eines Mediums. Diese Einteilung differenzieren Wann et al. in „direct sport consumers‟ und „indirect sport consumers‟. Die erste Bezeichnung bezieht sich auf Individuen, die bei einem