6. Auswertung
6.4 Wissenschaft und Gesellschaft
Die letzte der zu untersuchenden Dimensionen soll das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Gesellschaft näher beleuchten. Hier geht es darum, heraus‐
zuarbeiten, welche gesellschaftlichen Vorstellungen in der ingenieurwissen‐
schaftlichen Ausbildung zum Tragen kommen. Dabei ist die Beziehung tenden‐
ziell wechselseitig. Im Bereich der technischen Vorbildung spielen insbesondere die Sozialisation und schulische Bildung eine Rolle, wie auch die Frage danach gestellt werden kann, welche Vorannahmen die Hochschule speziell über die schulische Vorbildung macht, also wie die Lehre daran anknüpft. Weiterhin wird untersucht, welche Vorstellungen die Studentinnen über das Bild ihrer Disziplin in das Studium mit hineingenommen haben bzw. wie sie ihre Sichtwei‐
sen dort verändert haben. Es gilt zu erfahren, welches Ansehen die Ingenieur‐
wissenschaften genießen und welcher gesellschaftliche Beitrag ihnen zugewie‐
sen wird. Daraus lassen sich auch Bilder und Definitionen von Technik im Alltag ableiten. Schließlich wird noch ein detaillierterer Blick auf die Professionsorien‐
tierung (Arnold & Fischer 2004) der Ingenieurwissenschaften und die Konse‐
quenzen, die die Studentinnen daraus für ihre Berufsplanung ziehen, geworfen.
Insbesondere hier werden Aspekte des sozialen Klimas und der hierarchischen Strukturen noch einmal zu Tage treten.
Technische Vorbildung
Die voruniversitäre Bildung und Sozialisation hat einen erheblichen Einfluss auf die Studienwahl (vgl. Kapitel 4.2). In Elternhaus, peer group und der Schule werden SchülerInnen an Technik herangeführt, dafür begeistert oder davon abgeschreckt. Wie dargestellt, wählen SchülerInnen ihre Leistungskurse nach wie vor geschlechtsspezifisch und daran anschließend ihr Studienfach. Auch die hier interviewten Studentinnen hatten in der Schule ihre Stärken in Mathema‐
tik und den Naturwissenschaften. Ihre Studienfachwahl folgt dem Ausschluss‐
prinzip, sodass ihre vermeintlich fehlende Begabung z.B. für Sprachen eine Stu‐
dienfachwahl im naturwissenschaftlich‐technischen Bereich begünstigt. Ledig‐
lich die Maschinenbauerin Mara hat Deutsch und Kunst als Leistungskurse im Abitur, und hat somit eine andere Orientierung eingenommen.
Die Studentinnen zeigen ein sehr hohes intrinsisches Interesse sowie den Aus‐
druck von Faszination für Technik und deren Bedeutung in der Gesellschaft. Die
Ursprünge dessen sind zumindest bei einigen bereits in der Kindheit und Ju‐
gend auszumachen. Die Maschinenbauerin beschreibt, dass sie bereits als jun‐
ges Mädchen Uhren und Taschenrechner auseinandergebastelt hat, die Ma‐
thematikerin, dass sie gerne strikt und die Strickmuster in Gleichungen um‐
rechnet, die Studentin des Verkehrswesen befasst sich seit früher Jugend mit dem Automobil. Es fällt allerdings auf, dass eine weitere Förderung in diesem Bereich in Schule und Elternhaus meist nicht stattfindet. So kam die Maschi‐
nenbauerin erst im Studium mit dem Fachgebiet in Kontakt, sodass sie ihr Stu‐
dienfach wechselte und sie bemängelt ganz konkret:
Mara: „(…) Aber ich finde, man wird auch so als Mädchen schlecht gefördert. Also, man kommt halt gar nicht auf die Idee, einem Mädchen irgendwie so einen Zu‐
sammenbaukasten zu schenken mit so Experimentiersachen, was Jungs halt immer zuhause rumliegen haben.“ (Maschinenbau)
In diesem Zusammenhang steht dann auch, dass die technisch‐
naturwissenschaftliche Vorbildung zwischen Jungen und Mädchen ungleich ist.
Vor allem wird dies immer wieder im Umgang mit dem Computer und beim Programmieren geschildert (vgl. auch S. 144), wie aus Donatas Kritik an den di‐
daktischen Konzepten in der Informatik abzulesen ist.
Donata: „Dann ist das hart, weil man bekommt dann gleich einen Zettel: ‚Hier, lösen sie die Aufgaben!‘, nicht: ‚Hier ‐ hast du mal eine Beispielaufgabe, wir zeigen dir das mal, wie das zu lösen ist‘. (…) Ja, also da kenne ich viele, die am Anfang damit Probleme hatten, so schon im Vordiplom auch. Und gerade auch Mäd‐
chen, weil sie sich in ihrer Freizeit vor dem Studium nicht mit Programmieren beschäftigt haben.“ (Informatik)
Die Studentin des Verkehrswesens schildert darüber hinaus, dass in der Schule keine Vorstellung der Studienmöglichkeiten im Ingenieurwesen stattgefunden hat. Sie hat diese Wahl vollständig alleine getroffen.
Nele: „Ja, habe ich ja schon gesagt, weil es mich einfach interessiert, ich Autos mag und da schon irgendwie mein Herz auch ein bisschen aufgeht. Und das hat sich einfach in der Schule schon abgezeichnet. Also, ich war generell jetzt eine gute Schülerin schon, aber in Physik, in Chemie, Mathe, das waren einfach die Fä‐
cher, die mich interessiert haben, in denen ich gut war, in denen ich viel hinter‐
fragt habe und eigentlich stand für mich seit der elften Klasse irgendwie fest,
dass ich was mit Autos machen möchte. Also, dass ich irgendwie in die Rich‐
tung Maschinenbau bzw. Fahrzeugtechnik studieren möchte und das hatte sich dann auch einfach nicht großartig geändert. Aber mich hatte in der Schule kei‐
ner darauf hingewiesen oder mir diesen Studiengang präsentiert. Also, ich habe mir das schon sehr komplett selber irgendwie, ja, ausgedacht oder mir in den Kopf gesetzt einfach.“ (Verkehrswesen)
Die Studienwahl von Nele ist sehr eindeutig ihrer intrinsischen Motivation und eigenem Engagement und Entscheidungswillen geschuldet. Begünstigt wurde dieser Prozess durch die positive Verstärkung ihrer Interessen im Elternhaus.
Beide Eltern arbeiten in technik‐ bzw. ingenieurwissenschaftlichen Kontexten und sie berichtet von der Eisenbahnbegeisterung ihres Vaters.
Nele: „Und meine Eltern sind auch technisch – doch, also es ist schon technisch an‐
gehaucht, meine ganze Familie. Ich kann nicht sagen, dass sie mich aktiv beein‐
flusst haben, aber natürlich kriegt man das irgendwie mit, wenn mein Papa an seinen Zügen – er ist ein totaler Zügefan, also ist auch Zugbauer, und dass er mir da irgendwie Sachen zeigt oder Fahrgestelle oder so. Sicherlich wird man da irgendwie‐, wächst man damit auf, dass dann der Papa da die ganze Zeit diese Züge fotografiert. Und meine Mutti ist Bauingenieurin. Die guckt sich die ganzen Bauten an, wie die Träger hängen und so. Und, ja, sicherlich hat das da mit reingespielt, dass ich da einfach für Technik ein Auge hatte oder ein Inte‐
resse und, ja, so bin ich dazu gekommen.“ (Verkehrswesen)
Umgekehrt zeigt die Erfahrung von Donata, dass elterlicher Zwang zwar auch zu einem Ingenieursstudium führen kann, ihre Motivation und eine inneres Inte‐
resse an Technik und Ingenieurwissenschaften hingegen nicht positiv beein‐
flusst. Ihre Ausbildungs‐ und Studienentscheidung wurde letztlich von ihrem Vater getroffen und sie resümiert:
Donata: „(…) Ich könnte mir auch ein anderes Studium vorstellen, durchaus. Wäre auch nie direkt nach der Schule auf die Idee gekommen, einfach wegen dem Image, weil man sich so Gigs vorstellt, so verrückte Menschen, also, langweilige Menschen, ganz genau, die den ganzen Tag nur über Computer oder Program‐
me reden und nicht so am sozialen, öffentlichen Leben beteiligen. Keine Ah‐
nung, mit denen man z.B. nicht feiern gehen könnte oder so. Na ja, deswegen bin ich ja da so rein gerutscht, würde ich sagen, weil der Grund für das Studium war eigentlich die Ausbildung und der Grund für die Ausbildung war einfach nur der Wunsch nach Berlin zu ziehen und weil es da dafür Geld gab und die Bewerbung hatte eigentlich mein Papa geschrieben. Ich hatte mich beworben
an der Technikhochschule für ‚Regenerative Energien‘, weil ich was Gutes tun wollte für die Menschheit (…).“ (Informatik)
Zwar stellt sie im Anschluss fest, dass ‚Regenerative Energien‘ für sie auch nicht das richtige Studienfach gewesen wäre, aber das Zitat verdeutlicht, dass weder in der Schule noch im Elternhaus ein positives Bild des Ingenieurbereichs ge‐
prägt wurde. Trotz des väterlichen Vorbilds (Ingenieur im Bereich Automations‐
technik) hat sie eine vollkommen stereotype Vorstellung von Informatikern.
Es wird deutlich, dass die Prägung im engen Sozialisationsumfeld offensichtlich einen positiven Einfluss auf das Bild von Technik und Ingenieurwissenschaften haben kann, und dass die frühe Heranführung, das Interesse an Technik be‐
günstigt. Alle drei in diesem Abschnitt vorgestellten Studentinnen haben sich bereits in der Jugend mit technischen Artefakten beschäftigt.
In Bezug auf die schulische Vorbildung und vor allem den Übergang von der Schule in die Universität, stellt sich der inhaltliche Bruch im Hinblick auf die Vermittlung naturwissenschaftlich‐mathematischen Wissens als problematisch heraus. Die Studentinnen benennen für Mathematik und Physik eine sehr gro‐
ße Anforderungslücke. Alba beschreibt ihre Entscheidung, nicht Mathelehrerin zu werden, mit der ‚Verflachung‘ mathematischen Wissens.
Alba: „(…) Unimathe hat gar nichts mit Schulmathe zu tun. Und ich glaube, dass, wenn man nicht total auf dieses ganze Pädagogikzeug und so steht, kann ich auf jeden Fall verstehen, warum‐, könnt ich mir vorstellen, dass Lehrer depr‐, Mathelehrer deprimiert sind, weil sie einfach wirklich, wirklich faszinierende Sachen da auf eine Art, die so groß ist und so weit und irgendwie und dann in der Schule sitzen und Bruchrechnung machen.“ (Mathematik)
In ihrer Aussage wird zum einen ihre intrinsische Motivation für die Mathema‐
tik deutlich, zum anderen kann aber auch herausgearbeitet werden, dass das Innovative, Kreative, „Faszinierende“, die Verflechtung und Bedeutung für das alltägliche Leben der Mathematik in der Schule offensichtlich nicht vermittelt wird. Ihre Aussage ist insofern besonders interessant, weil sie nicht darauf ver‐
weist, dass der Schwierigkeitsgrad zur Hürde in der Entscheidung für Mathema‐
tik und Ingenieurwissenschaften wird, sondern eben die fehlende Begeisterung
der Lehrkräfte mit der Konsequenz, das Interesse der SchülerInnen nicht we‐
cken zu können.
Titas Kommentar hingegen benennt, den unterschiedlichen Schwierigkeitsgrad.
Tita: „Ja, also in der Schule war das so, im Abitur da lernt man nur ein paar Wider‐
stände und so was kennen. Ja, und im Grundstudium ist das halt viel krasser, natürlich und man hat die ganze Elektrotechnik abzuarbeiten und ja, das ging auch relativ gut, also die Noten sind nicht so gut.“ (Elektrotechnik)
Hier geht es konkret um die fachlichen Inhalte. Die SchülerInnen werden nicht ausreichend auf das Studium vorbereitet und ggf. von ihrer Studienfachwahl wieder abgeschreckt. Anders als Erlemann für die Physik feststellt, ist hier nicht die Anknüpfung an Inhalt und Struktur des Schulwissens beschrieben (Erlemann 2004, S. 47). Haben SchülerInnen sich für das ingenieurwissenschaft‐
liche Studium entschieden, ist die Gefahr, starke Belastungen zu erfahren und das Studium wieder abzubrechen, sehr groß. Denn die meisten erfahren eine enorme Steigerung in Hinblick auf Arbeitstempo und Niveau der Aufgaben (Erlemann 2004, S. 48).
Gesellschaftlich geprägte Vorstellungen der ingenieurwissenschaftlichen Diszip‐
linen
Für die Studienfachwahl bedeutend sind, wie bereits angedeutet, auch die ge‐
sellschaftlich geprägten Bilder dieses Fachbereichs.
Die hier befragten Studentinnen stellen die Ingenieurwissenschaften und ihre Themen als höchst innovativ (z.B. „neuproblematisch“; Studentin Mathematik), fortschrittlich und als Fachgebiet mit großer Verantwortung dar. IngenieurIn‐
nen entwickeln, und das ist auch das Ziel der befragten Studentinnen, „alles, al‐
le Technik“, „neue“ und „vernünftige“ Produkte, mit denen man „Menschenle‐
ben retten kann“ (Studentin Maschinenbau). Sie sind visionär und haben Ver‐
antwortung für Umwelt und Gesellschaft, wie Tita betont.
Tita: „(…), weil es heutzutage eine große Rolle spielt. Wir wollen ja nicht in zehn Jah‐
ren die Erde in einen Müllhaufen verwandeln. Wir produzieren in letzter Zeit auch sehr viele Geräte, die nach zwei Jahren wieder Müll sind. Wohin damit?
Ich finde das sollte man auch behandeln.“ (Elektroingenieurin)
Zwar scheinen diese Themenwünsche im Curriculum immer noch zu kurz zu kommen, aber die Studienfachwahl, insbesondere die Wahl der Vertiefungen zeigt, dass die Studentinnen hier durchaus das medial und offiziell vermittelte Bild der Ingenieurwissenschaften als Bezug nehmen. Wie in Abschnitt 3.4 fest‐
gestellt, wird seitens des VDI oder auch des Wissenschaftsrates die Verantwor‐
tung, Kreativität und Innovativität der Ingenieurwissenschaften stark betont.
Frauen sind hier bekanntermaßen besonders angesprochen und für die hier in‐
terviewten Studentinnen ist eine Übereinstimmung ihres Interessenspektrums mit dem vermittelten Bild festzustellen.
Die Tatsache, dass die Themen im Lehrkanon allerdings nicht hinreichend ver‐
mittelt werden und einige Studentinnen betonen, dass sie diese Interessensge‐
biete und die nötigen Kompetenzen außerhalb der Uni weiter verfolgen, z.B.
bei Tätigkeiten als studentische Mitarbeiterinnen in Forschungsinstituten oder in Praktika, deutet auf eine Diskrepanz zwischen Bild und Wirklichkeit der Lehre hin. Ein kurzer Blick aber in die Webseiten entsprechender Institute zeigt, dass klar ist, welche Anforderungen an ein modernes Studium in Hinblick auf ein ak‐
tuelles und ansprechendes Lehrprogramm gestellt werden, und ist Ausdruck der Veränderungen in diesen Fachbereichen. Die Selbstdarstellungen der Elekt‐
rotechnik an der RWTH Aachen und an der TU Berlin verdeutlichen die Zielrich‐
tung:
„Unser Ziel ist es, hochqualifizierte und verantwortungsbewusste Ingenieurinnen und Ingenieure für den Führungsnachwuchs in Wirtschaft, Gesellschaft, Lehre und Forschung heranzubilden. Unsere national und international anerkannte, führende Position sowohl bei der Ingenieurausbildung als auch in der Forschung möchten wir langfristig absichern und noch weiter ausbauen.“ (RWTH Aachen)112
„Sie studieren an einer der größten und bedeutendsten Fakultäten für Elektrotech‐
nik und Informatik in Deutschland. Fünf Fraunhofer‐Institute und die Telekom‐
Laboratories sind mit ihr verbunden. Sie absolvieren Ihr Studium dadurch inmitten eines einzigartigen Forschungsumfelds der Informationstechnologie. Über tausend Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten hier. Für Sie bedeutet das topak‐
tuelle Lehrinhalte: Nur wer forscht, kennt die Themen von morgen. Und viele der
112 Quelle: http://www.fb6.rwth‐aachen.de/de/2.php; (03.09.2009)
Forschenden geben als Lehrbeauftragte ihr Wissen an Sie weiter. Neben den über 40 planmäßigen Professuren und 134 Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verfügt die Fakultät über eine große Zahl von Stiftungsprofessuren, die das Lehrangebot mit weiteren Spezialthemen bereichern. Gegenwärtig verjüngt sich dazu die Fakultät umfassend, da viele jüngere Professorinnen und Professoren berufen werden.“ (Elektrotechnik an der TU Berlin)113
Trotz offensichtlich fruchtender Kampagnen, gibt es weiterhin den Eindruck, dass ein sehr eindimensionales Bild der ingenieurwissenschaftlichen Ausbil‐
dung vermittelt wird. Einige Bereiche der Ingenieurwissenschaften erfahren nicht die angemessene Anerkennung, wie Mara für die biomedizinische Technik feststellt:
Viola: „Gibt es irgend so einen Bereich, der dir einfällt, der typisch Maschinenbau ist, aber wovon keiner was weiß, dass ihr dafür wichtig seid?
Mara: „(.). Also, ich würde sagen Medizintechnik wäre so einer, (…) weil alles, also der ganze Ruhm in der Medizin geht ja immer auf die Mediziner zu‐, also fällt auf die Mediziner ab, (…) obwohl ganz viel auch Maschinen dafür verantwort‐
lich sind, für den Fortschritt der Medizin. (…) Das wird aber gar nicht so gewür‐
digt, finde ich. Und man weiß gar nicht, dass es Maschinenbauer‐. also bei Me‐
dizintechnik stellt man sich nicht Maschinenbauer drunter vor, wenn man das hört.
Viola: Weniger.
Mara: Ja. Deswegen wäre das für mich jetzt Medizintechnik.“ (Maschinenbau)
Maras Aussage ist nicht nur ein Zeichen für das bruchstückhafte gesellschaftli‐
che Bild der Ingenieurwissenschaften, auch ist es Ausdruck der Beziehung zu anderen Disziplinen. Wird in den Selbstdarstellungen, wie sie oben aufgeführt sind, die Bedeutung der Ingenieurwissenschaften für den gesellschaftlichen Fortschritt als sehr groß dargestellt, wird hier deutlich, dass das Ansehen durchaus geschmälert wahrgenommen wird, zumindest nach Einschätzung die‐
ser Studentin. Vermutet werden könnte, dass dieser Aspekt, die mehrfach be‐
legte Selbstinszenierung verstärkt oder zumindest mit bedingt.
113 Quelle: http://www.studienberatung.tu‐berlin.de/menue/studium/studiengaenge/ fae‐
cher/elektrotechnik/; (03.03.3009)
Technik in alltagsweltlichen Bezügen
Nachdem deutlich wurde, dass die Studentinnen das Bild der innovativen und fortschrittsbringenden Ingenieurwissenschaft mittragen, ist zu fragen welche Definitionen von Technik im Alltag ihre Ausbildung begleitet. Welchen Stellen‐
wert räumen sie der Technik ein und stellen sie konkrete gesellschaftliche Be‐
züge her?
Vorerst ist festzustellen, dass ein klares Bild der Studentinnen von Technik auf der deskriptiven Ebene kaum abgeleitet werden kann. Sie machen wenig direk‐
te Ausführungen zur Bedeutung von Technik. Bereits illustriert habe ich, dass sie bereits früh Interesse für technische Artefakte zeigen und einen positiven Bezug zu Technik haben. Ihre Studienmotivation ist insofern eindeutig intrin‐
sisch fundiert. Eine Darstellung der Maschinenbaustudentin klärt allerdings deutlich ihre geschlechtliche Assoziation von Technik:
Mara: „Genau, es ist irgendwie so technisch und dann ist es für mich auch irgendwie gleichzeitig männlich, irgendwie. Also, mich stört auch gar nicht, dass die nur so Beispiele mit Autos bringen, weil ich das selber so damit verbinde.“ (Maschi‐
nenbau)
Maras Beschreibung ist ein deutlicher Ausdruck des Ergebnisses gesellschaftli‐
cher Konstruktion. Sie argumentiert aufgrund ihrer alltagsweltlichen Erfahrung und kann sich dadurch kaum für alternative Sichtweisen öffnen. Die Aussage
„weil ich das selber so damit verbinde“ illustriert ganz eindeutig das fehlende Hinterfragen. Weder in Elternhaus, Schule oder im Studium findet eine Reflek‐
tion der gesellschaftlichen Kopplungen von Technik statt.
Eine Elektrotechnikern kann eine geschlechtliche Zuordnung kaum nachvollzie‐
hen und liefert später Begründungen, die das soziale Klima als Ursache der Zu‐
schreibung ‚männlich‘ für die Elektrotechnik benennen114. Der ausführliche Dia‐
log zeigt auch, wie schwer es ist, geschlechtliche Konnotationen zu erfassen.
114 Ähnlich undeutlich zeigten sich auch die Ergebnisse von Engler und Faulstich‐Wieland (1995, S. 60ff). Eine Zuschreibung geschlechtlicher Eigenschaften für Technik fällt zu‐
nächst schwer, erst in einem Gesamtbild können auf zweiter Ebene geschlechtliche Zu‐
schreibungen gedeutet werden und diese stehen oft auch deutlicher im Zusammenhang mit dem sozialen Klima.
Die Aufzählung von Klischees macht deutlich, welche Rolle allerdings ge‐
schlechtliche Konnotationen spielen. Zwar benennt Casja ihre negative Haltung zu Klischees, aber bekannt sind sie ihr und sie kann sie einordnen. Weniger ge‐
lingt es deutlich zu machen, was die Themen der Elektrotechnik ausmacht.
Casja: „(…) Also das Problem ist, Elektrotechnik ist noch eins der wirklich wenigen Fächer, wo es so wenige Frauen gibt. Man muss wirklich sagen, da hat man so sehr, ich weiß auch gar nicht warum, aber es wird so behauptet, dass ist ein Männerfach. Also ich finde ja immer Maschinenbau viel männlicher als Elektro‐
technik, mich wundert das jedesmal eigentlich. Ja, aber was will man machen, also es müssen eben mehr Frauen anfangen und dann wird das sich auch auflo‐
ckern. Das ist eben ein Prozess.
Viola: Warum glaubst Du denn, dass das ein Männerfach ist?
Casja: Das glaube ich ja eigentlich nicht, aber…
Viola: Aber was glaubst Du, wurde gesagt, sind die Eigenschaften oder die Merkmale von Elektrotechnik, dass es männlich sei?
Casja: Ja, das ist eben‐, in der Hinsicht ist es einfach schon männlich, wenn eben nur Männer um dich herum sind. Und na ja, wie soll ich das sagen. Es ist einfach anders, wenn man mit Männern‐, man muss dann einmal derbe Witze aushal‐
ten können. (…)
Viola: Aber sind denn die Themen männlich?
Casja: Meiner Meinung nach ja nicht. Also die Themen an sich sind ja meiner Mei‐
nung nach nicht männlich und deswegen kann ich nicht verstehen, warum so wenige Frauen Elektrotechnik studieren.
Viola: Was ist denn an den Themen weiblich?
Casja: Was ist denn männlich, was ist denn weiblich?
Viola: Keine Ahnung.
Casja: Ja ich auch nicht. (Lachen) Na ja, ein Mikrosystem‐Professor meinte ja einmal zu mir, dass es ihn sehr wundert, dass doch so viele Frauen Mikrosystemtech‐
nik studieren, dass ist ja wahrscheinlich, weil es so klein und fragil ist und so.
Das ist ja eher etwas für Frauen. Das war jetzt die Meinung meines Professors, die er einmal geäußert hat. Da dachte ich auch so, okay. Wie soll ich das jetzt werten?
Viola: Hast Du da eine Meinung dazu? Also gerade wenn Du so ein Beispiel hast, fra‐
gil…
Casja: Natürlich, aber dann könnte man eben auch sagen, Psychologie ist ein Frauen‐
fach oder Erziehungswissenschaften ist ein Frauenfach, das hat mit Männern nichts zu tun.
Viola: Sagt man ja auch.
Casja: Ja natürlich, und wenn man das dann natürlich so sieht, dann ist es natürlich ein Männerfach, weil es hat etwas mit Mathe zu tun, es hat mit logischem Den‐
ken zu tun (.). Ja, weiß ich nicht, Frauen können sich ja auch in einer neuen Stadt nicht auskennen oder so, können ja auch keine Karten lesen. Wenn wir jetzt die ganzen Klischees einmal herunterrasseln, dann ist es natürlich ein Männerfach, natürlich. Weiß ich nicht, und auch von der Hierarchie her, ich glaube schon, wenn ich meine Freunde, die ich so kenne, die Geschichte oder Deutsch studiert haben, das ist eben locker. Schafft man seine Hausarbeit nicht, dann geht man zu dem Professor und sagt: ‚Ach, tut mir leid, ich hatte da so eine tolle Party und mein Hund ist krank und mein Goldfisch auch. Kann ich es vier Wochen später abgeben?‘ und dann sagt der: ‚Ja, klar‘. Es ist in der Elektrotechnik nicht so. Also da gibt es keine Kompromisse. Also das ist einfach, glaube ich schon, einfach härter als jetzt ‐ also von der Form her ‐ als Geschich‐
te zum Beispiel. Ich glaube, dass ist einfach weicher, lockerer. Keine Ahnung, das ist so ein Gefühl. Ich weiß nicht, das ist auch viel arbeitsintensiver als Ge‐
schichte, was ich so mitbekommen habe.“ (Elektrotechnik)
Somit lässt sich auch dieser Dialog argumentativ anschließen. Weniger geht es konkret um die Technik, ihren Einsatz und Verwendungsgebiete, die Verände‐
rung gesellschaftlicher Verhältnisse, die durch Technik bedingt sein können oder den Einfluss gesellschaftlicher Gruppen auf die Gestaltung von Technik, sondern präsent ist eine Vorstellung vom sozialen Feld der wissenschaftlichen Disziplin und Klischees über den Zugang von Frauen und Männern zu Technik.
Gerade für das genannte Beispiel Maschinenbau sind Bilder von großen Ma‐
schinen in Fabrikhallen oder die Eisenbahn markant. Wer bedient die Maschi‐
nen, wer hat Gesicht und Hände voller Ruß im Steuerwagen der Lok? Männer!
Konnte Casja weniger Beispiele nennen, was konkret die Inhalte der Elektro‐
technik ausmacht, zeigt eine Sammlung der in den Interviews gefundenen Bei‐
spiele, dass diese oft aus männlichen Interessensfeldern stammen: Autorenn‐
spiel, Drehen der Planeten, Motoren, Pokerspiel, u.a. Insgesamt fiel es schwer Beispiele zu finden, die deutlich der weiblichen Lebenswelt zugeordnet werden können. Ein Dialog mit Nele zeigt allerdings, dass weitestgehend geschlechtlich festgelegte Themenbereich durchaus einem Wandel der Zuschreibungen unter‐
liegen. Aspekte von Status oder auch Funktionalität können neue Zuschreibun‐
gen bedingen, wie sich am Beispiel ‚Frauenautos‘ herausstellt.
Nele: „(…), aber es gibt einfach trotzdem Autos ‐ also, meine Mutti fährt einen Nis‐
san Micra, das ist ein Frauen‐Auto. Jede Werbung, die ist mit einer Frau. Dieses