• Keine Ergebnisse gefunden

Ebene der epistemischen Praktiken in den Ingenieurwissenschaften

3.  Die disziplinären Kulturen der Ingenieurwissenschaften

3.2  Ebene der epistemischen Praktiken in den Ingenieurwissenschaften

 mathematisch‐naturwissenschaftliche Grundlagen 

 technologische Grundlagen 

 normative Grundlagen für Produkte und Dienstleistungen  

 

Abbildung 1: Der grundlegende Aufbau der Ingenieurwissenschaften: Eigene Darstellung.53  

Mit kritischem Blick kann folgendes Bild zusammengefasst werden: Die Ingenieur‐

wissenschaften wirken auf der Basis objektiver Verfahren und Methoden positiv und 

„heilsbringend“ auf die Lebensbedingungen der Menschen. Es wird nicht davon aus‐

gegangen, dass die gesellschaftliche Umwelt und die Menschen Einfluss auf die Ar‐

beit und Sichtweisen der Ingenieure und Ingenieurinnen haben. Ingenieurwissen‐

schaftliches Handeln ist das „Forschen und Konstruieren unter Anwendung natur‐

wissenschaftlicher Erkenntnisse“ der Prämisse folgend, das menschliche Leben in ei‐

ner angepassten Umwelt zu gestalten (Hahn 2008, S. 104).  

Die mathematisch‐naturwissenschaftliche Fundierung und auch die Nutzung techno‐

logischer Grundlagen lassen darauf schließen, dass das Labor der zentrale Ort inge‐

nieurwissenschaftlicher Arbeit ist. Das Forschen und Konstruieren findet meist in  Laboren statt, Prototypen werden dort entwickelt und getestet. Umweltgegebenhei‐

ten werden im Modell miniaturisiert und simuliert (vgl. Abbildung 2). 

      

53  Quelle: Czichos & Hennecke 2004, vorderer Umschlag. 

  Abbildung 2: IngenieurInnen und das Labor.54 

Das Verhältnis wissenschaftlich und praxisorientierter Wissensbestände und  

‐vermittlung 

Die Herstellung von „objektivem“ Wissen ist diesem Verständnis nach Handlungs‐ 

und Denkmaßstab. Dem innerkulturellen Selbstbild, den Prozesse zur Konstruktion  von Objektivität, wird von Tanja Paulitz (2008a; 2008b; 2007; Paulitz 2005) und  Wendy Faulkner (2008) z.T. historisch nachgegangen. Dort werden die Konstruktio‐

nen des Bildes „Ingenieur“ und die damit verbundenen Vorstellungen von Männlich‐

keit, aber vielmehr noch die Brüche bzw. Einverleibungen weiblich zugeschriebener  Fähigkeitsdomänen, aufgeschlüsselt. So wird z. B. für den Bereich Maschinenbau ein  Spannungsfeld zwischen  Praktiken,  die  wissenschaftlicher  Methodik  folgen,  und  Praktiken, die künstlerisch‐handwerkliches Schaffen ausdrücken, oder auch des Ra‐

tionalen im Gegensatz zum Nicht‐Rationalen beschrieben. Begriffsfelder wie Intuiti‐

on, Gefühl und Phantasie, die sich in der praktischen Tätigkeit entfalten und elemen‐

tar für künstlerisches Schaffen sind, korrespondieren nicht mit den geistigen Fähig‐

keiten beim Ausfindigmachen von „Regeln und Gesetzen“. Durch die Zusammenfüh‐

rung mit Begriffen wie Willen und Kraft werden die weiblich konnotierten Begriffs‐

felder „einverleibt“ und „Kreativität“ wird sogar zu einer männlichen Ressource  (Paulitz 2008a). In dieser Widersprüchlichkeit offenbart die historische Betrachtung 

      

54  Quellen: Bild 1 (links): Studierende bei Versuchen an der Synchronmaschine, im Praktikum zu  Grundlagen  der  Elektrotechnik  III  –  Elektrische  Energiesysteme.  TU  Berlin/Dahl,  in: 

http://www.pressestelle.tu‐berlin.de/fileadmin/a70100710/Fotos/  Pressestellenarchiv/TUB‐

PraktElekEnergiesysteme_58.jpg (21.09.2010); Bild 2 (rechts): Prozessierung einer Halbleiter‐

probe Reinstraum‐Labor,  Institut  für Festkörperphysik  der TU Berlin. TU Berlin/Dahl, in: 

http://www.pressestelle.tu‐berlin.de/fileadmin/a7010  0710/Fotos/Pressestellenarchiv/TU‐

Nanophotonik_262.jpg (21.09.2010). 

der Ingenieurwissenschaften, dass diese selbst diverse Männlichkeitskonzepte zu  verhandeln hatten und haben (Paulitz 2008a). Das Rationale steht weiterhin im Vor‐

dergrund. Für Studierende bedeutet das Erlernen der „hoch standardisierten“ Ver‐

fahren und Methoden vor allem den Ausschluss von Emotionalität und Sozialität. So  findet eine Abgrenzung der naturhaft und emotional gedachten Praxis gegenüber  der wissenschaftlichen Ingenieurtätigkeit statt, und das durchaus elementare impli‐

zite und inkorporierte Erfahrungswissen, z.B. im Konstruieren (Ferguson 1992 in: 

Paulitz 2005; vgl. auch Knorr Cetina 1998), ist mit diesem Bild nicht vereinbar. 

„Das Selbstverständnis von Ingenieuren und Ingenieurinnen sowie ihr Blick auf Technik ist  hochgradig emotional. Es geht dabei nicht ausschließlich um das Lösen technischer Prob‐

leme, sondern um Schöpfung, (Gestaltungs‐) Macht und Schönheit. Die Emotionalität wird  durch die vordergründige Betonung von Sachlichkeit, Problemorientierung und Pragma‐

tismus verschleiert“, 

wie Susanne Ihsen betont (2006, S. 106). Faulkner weist hin auf das Spannungsver‐

hältnis  zwischen  den genuin  ingenieurwissenschaftlichen  Tätigkeiten  als  Techni‐

ker(in) oder Konstrukteur(in), dem „männlichen“ Kern der Ingenieurwissenschaft,  und den modernen Tätigkeiten‐ und Anforderungsprofilen des Organisierens und  Managements (Faulkner 2008). 

Nicht nur für das Verhältnis zwischen Praxis und wissenschaftlich‐geistiger Arbeit  hat diese Trennung Konsequenzen, sondern auch für die Position der Ingenieurwis‐

senschaften gegenüber der Gesellschaft. Schon 1898 wird von Riedler harsche Kritik  an dieser eindimensionalen Ingenieurausbildung vor allem in Bezug auf die gesell‐

schaftliche Einbettung geäußert: 

„Auch die Naturwissenschaften führen die Anfänger weder in der Vorbildung noch an der  Hochschule in die großen Reiche des Abhängigen, Wahrscheinlichen, Unsicheren hinein. 

Sie zergliedern, vereinfachen und ‚abstrahieren‘… Die Lernenden glauben aber, das Ver‐

einfachte, Losgelöste sei allgemeingültig; sie wenden Teilgesetze einseitig und beliebig an,  sie wissen nicht, daß die bei den Versuchen ausgeschlossenen Ursachen in der Wirklichkeit  mitgebieten. Sie glauben insbesondere an ‚exakte Wissenschaften und Methoden‘ und  halten alle ihre Ergebnisse und ‚Lehrsätze‘ für eindeutig, für bedingungsfrei, urteilen und  rechnen dann nach Formeln, nach Wortbegriffen, die sie für ‚exakt‘ und allgemeingültig  halten…“ (Kritik Riedler 1898 in: Neef 1982, S. S. 227)  

 

Die Konstruktion des wissenschaftlichen Ideals auf der Ebene der epistemischen  Praktiken schließt somit an ein dualistisches Weltbild an, in dem Objektivität gegen‐

über Subjektivität, Natur gegenüber Kultur und Männlichkeit gegenüber Weiblich‐

keit (dichotom) abgegrenzt werden. Überdeutlich wird dabei auch der Ausdruck von  Allmächtigkeit, die Verknüpfung von Autorität mit Männlichkeit.  

Allerdings zeigt ein genauer Blick in die Ingenieurwissenschaften und ihre zum Teil  interdisziplinären  Fachgebiete,  dass  der  objektive  Charakter  des  Wissens  nicht  durchgängig gehalten wird. Ist objektives Wissen mit Reinheit und klarer Grenzzie‐

hung zu anderen Wissensbeständen assoziiert, zeigen einige Befunde, dass die oft  geforderten  interdisziplinären und  anwendungsbezogenen  Wissensbestände vor‐

handen sind. So weist Gilbert für die Werkstoffwissenschaften z.B. nach, dass deren  Grenzziehung zwischen Fach‐ und Alltagswissen weicher sind (Gilbert 2008), so dass  für die Studierenden mehr Möglichkeiten bestehen alltagsweltliche Bezüge herzu‐

stellen, was dem Interessenspektrum von Frauen entgegen kommt, aber auch für  Männer einen großen Motivationsfaktor darstellt (Helmus & Schwarze 2008). Auch  für das Beispiel Wirtschaftsmathematik ist ein höherer Frauenanteil festzustellen,  weil sich dieses Fach durch seinen stärkeren AnwendungsBezug auszeichnet (Blunck 

& Mischau 2006). Auf der anderen Seite beschreiben sowohl Frauen als auch Män‐

ner ihr Interesse an der Mathematik darin, dass sie mathematisches Wissen für  streng logisch, intellektuell herausfordernd und eindeutig halten (vgl. Abbildung 3). 

Beschrieben wird von den Studierenden ein stereotypes Bild der epistemischen  Grundlagenoperationen und des Selbstverständnisses der Mathematik, das an das  objektive Ideal anknüpft und auf die dem Mann zugeschriebene geistige Domäne  verweist. 

 

 

Abbildung 3:  "Ich  finde  Mathematik  interessant,  weil..."  Zusammengefasst sind  Werte für 

"stimme voll und ganz zu" und "stimme eher zu". Eigene Darstellung.55 

Blunck und Mischau können in ihrer Untersuchung nicht feststellen, dass das Ge‐

schlecht für diese stereotype Beurteilung ausschlaggebend ist, sondern vielmehr das  Studienfach. So kommen sie zunächst zu folgendem Resümee: 

„Lehramtsstudierende stimmen der Aussage, dass sie Mathematik interessant finden, weil  diese streng logisch aufgebaut‘ ist und weil diese, klar und eindeutig‘ ist, weniger stark zu  als Studierende der Wirtschaftsmathematik oder des Diplomstudiengangs Mathematik. 

Studierende der Wirtschaftsmathematik hingegen finden stärker als die Studierenden der  beiden anderen Studiengänge, dass Mathematik interessant ist, weil sie viele wichtige  Anwendungsgebiete hat und weil sie Wissenschaft und Praxis optimal verbindet.“ (Blunck 

& Mischau, 2006 S. 50) 

Deutlich wird hier, dass der objektive Charakter des Wissens Ergebnis der wissen‐

schaftsinternen Konstruktionen ist und eine Kontextualisierung sich nur abzeichnet,  wenn das Anwendungsgebiet in die Disziplin inkludiert ist. Außerdem zeigt sich, dass  die Inszenierung des objektiven Ideals fachkulturell unterschiedlich stark ausgeprägt  sein muss. Differenzen in der Fokussierung des Kernthemas, Struktur sowie Reprä‐

sentation in Studieninhalten des Studienfaches haben somit Wirkung auf die vermit‐

telten epistemischen Praktiken, über die sich das disziplinäre Selbstbild in Hinblick  auf das Objektivitätsideal ausdrückt. 

      

55  Quelle: Blunck & Mischau 2005: S. 50. 

Bewertung der Wissensbestände im Professionalisierungsprozess 

Untersuchungen zur Informatik zeigen deutlich wie stark die benannten Abgrenzun‐

gen mit dem Prozess der Professionalisierung einer Wissenschaft bzw. Etablierung  als (Ingenieur‐)Wissenschaft zusammenhängen.56 Den Kern der epistemischen Prak‐

tiken der Informatik stellen die Grundoperationen der Formalisierung, Logik und  Algorithmisierung dar (Schinzel 2001; 2004). Sie sind Ausdruck der Konstruktion ei‐

nes objektivierten Weltbildes, das man mittels dieser Verfahren abbilden könne. Die  genannten Operationen führen aber zu einem beschränkten und kaum vollständigen  Abbild der Wirklichkeit, denn die Reduktion und wissenschaftliche Abstraktion be‐

deutet vielmehr das Ausblenden des Kontextes. Die Anwendung, in denen die Pro‐

dukte der Informatik implementiert werden, sind ohne ihren Kontext im Grunde  nicht zu denken57, insbesondere weil sie das gesamte gesellschaftliche Leben durch‐

drungen haben (Kommunikationsmedien, Internet, Automobil, Kühlschrank,…). Inso‐

fern ist zu fragen, welchen Sinn diese Mechanismen erfüllen, indem sie eine solche  methodische und inhaltliche Grenzziehung vorzunehmen. Die Auswahl und Definiti‐

on eines methodischen Repertoires und spezifischer Forschungsgegenstände bedeu‐

tet für eine wissenschaftliche Disziplin, das Herstellen einer „Identität“, sie bietet  Orientierung und Stabilität. Am Beispiel der Informatik zeigt sich allerdings die Kon‐

sequenz der in Form der Auslagerung von Fachbereichen wie Medieninformatik,  Grafikdesign o. ä., in denen die Frauenanteile deutlich höher sind. Der Einbezug an‐

wendungsrelevanter Themenfelder in das methodische und inhaltliche Repertoire  gefährdet die Einzigartigkeit und den objektiven Status der Disziplin. Für Mädchen  und junge Frauen ist eine rein naturwissenschaftlich‐technische Ausrichtung jedoch  weniger ansprechend; sie stellen ihr Wissen stärker als Jungen und junge Männer  kontextuell her (mit Blick auf Anwendung, Nutzer/innen, gesellschaftliche und öko‐

      

56  Es lässt sich belegen, dass der Frauenanteil in jungen wissenschaftlichen Disziplinen zumeist  sehr hoch ist (Costas et al. 2000), gleiches gilt insbesondere für die Informatik. Im Prozess der  Professionalisierung scheinen Mechanismen zu wirken, die sich negativ auf die Beteiligung  von Frauen auswirken (Schinzel 2004; Schelhowe 2006). 

57   Schinzel verweist auch explizit darauf, dass die Informatik durch ihre starke Durchdringung  der Gesellschaft und ihrer Technologien gar keinen festgelegten Forschungsgegenstand hat  (Schinzel 2001). 

logische Konsequenzen).58 Das Bemühen der Informatik, sich als Ingenieurwissen‐

schaft zu etablieren, geht demnach einher mit der Auslagerung tendenziell weiblich  konnotierter Fachbereiche und Methoden und versperrt somit den Zugang für Frau‐

en (Schinzel 2001; Kittlaus 2003). Deutlich wird dies am Wandel des informatori‐

schen Selbstverständnisses59 und seiner Definitionen. Wird heute mit Fokus auf die  möglichen Verfahren und Methoden verstärkt die Frage gestellt „Was kann effizient  automatisiert werden?“, gab es vormals Definitionen, die den Kontext der Automa‐

tisierung im Blick hatten: „…les supports des connaissances humaines et des com‐

munications dans les domaines technique, économique et social“ (Schinzel 2001, S. 

3; Herv. im Original). Folge sind geschlechtliche Zuordnungen z.B. für Software und  Hardware als Forschungsobjekte. So fällt die Herstellung von Software heute nicht  mehr in das Kernfeld der Informatik und ist stark mit der Nutzung und somit mit  Weiblichkeit assoziiert. Mit Beginn der Automatisierung mittels Rechnern wurde die  Eingabe der Rechencodes nämlich von Frauen übernommen, während die Konstruk‐

tion der Hardware als die eigentliche geistige Tätigkeit galt und somit dem „genialen  männlichen Geist“ entsprang (Heintz 1993a; Schinzel 2001). Weitergeführt in der  theoretischen Informatik wird die geistige Arbeit als statushöchste betrachtet, dem  die Entwicklung von Software von untergeordnet ist. 

Das ingenieurwissenschaftliche Curriculum 

Auch in Bezug auf das Curriculum werden die dargestellten Abgrenzungsmechanis‐

men deutlich. Wird von externer Stelle (Akkreditierungsagenturen, VDI60, Politik,  Wirtschaft,…) auf das vielfältige Arbeits‐ und Forschungsfeld von Ingenieur/innen  und ihrer Bedeutung als elementarer Baustein der gesellschaftlichen Entwicklung  hingewiesen, verbleiben die Lehrkräfte inhaltlich in alten Mustern. 

      

58  Die Untersuchung von Wolffram, Derboven und Winker (2009) von Studienabbrecherinnen in  den Ingenieurwissenschaften benennt ganz deutlich, dass diese den hohen Abstraktionsgrad  der Inhalte bemängeln. Sie fühlen sich in ihrem Lernprozess beeinträchtigt, weil die inhaltli‐

che Struktur und Didaktik verhindert, Fragen überhaupt zu formulieren, deren Antworten  zum Verständnis beitragen würde.  

59  Zum Selbstverständnis der Informatik sowie dem historischen Ursprung (Alan Turing), vgl. 

Schelhowe 2006. 

60  Verein Deutscher Ingenieure. 

„So schätzt ein Großteil des Lehrpersonals die Möglichkeit einer höheren Interdisziplinari‐

tät als gering und problematisch ein, da der Umfang „unverzichtbarer“ technischer Grund‐

lagenfächer gekürzt werden müsste und dies wiederum mit einem Prestigeverlust dieser  Fächer einhergehen würde. Genderrelevante Themen in Studieninhalten sind nicht zu fin‐

den, diese könnten jedoch einen wichtigen Beitrag zur Erhöhung der Gendersensibilität  darstellen.“ (Sagebiel & Dahmen, 2008, S. 18) 

Gehmlich stellt in einer Tagung der ASIIN61 für das Beispiel der Wirtschaftsinformatik  fest, dass die Hochschulen ihre Lehre nach unterschiedlichen Profilen gestalten, die  der Technik‐, Grundlagen‐ oder interdisziplinären Ausbildung unterschiedliches Ge‐

wicht verleihen. Seiner Ansicht nach wäre ein „Fokusprofil, das die breiteste Ausprä‐

gung in allen erforderlichen Kompetenzbereichen bereithält“ am besten geeignet, 

„den  sich  wandelnden  Anforderung  an  Ingenieur/innen  gerecht  zu  werden“ 

(Schwarze 2008, S. 67; Hervorh. im Original).62  Fachsprache 

Auf Ebene der epistemischen Praktiken stellt die Fachsprache der Ingenieurwissen‐

schaften einen weiteren wichtig Aspekt dar, den ich hier kurz anreißen möchte. All‐

gemein zeichnet sich Fachsprache nach Göpferich (1998) durch „[...] Eigenschaften  wie  Präzision,  Differenziertheit,  Sprachökonomie,  Allgemeingültigkeit,  expressive  Neutralität, Erwartbarkeit und Folgerichtigkeit“ aus (ebenda: S. 552, in: Hahn 2008,  S. 145). Fachsprache lässt sich somit sehr gut mit dem Objektivitätsideal assoziieren,  sie wird zu einem Abgrenzungskriterium gegenüber anderen Disziplinen (Weinreich  1994). Trotz dieser Definition kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass wis‐

senschaftliche Sprache vollständig gelöst von ihrem gesamtkulturellen Kontext ist. 

Sie greift auf alltagssprachliche Ausdrücke zurück, die anderen gesellschaftlichen  Kontexten entstammen und dort verknüpfte Assoziationen mitbringen. In der In‐

formatik  wird  so  von  „Bäumen“,  dem  „Motherboard“  oder  dem  „Vater‐Sohn‐

Prinzip“ gesprochen, letztere deutlich assoziiert mit familiären, aber auch hierarchi‐

      

61  ASIIN e. V. führt Akkreditierungsverfahren für Studiengänge der Ingenieur‐ und der Naturwis‐

senschaften, der Informatik und der Mathematik sowie für Qualitätsmanagementsysteme im  Bereich Studium und Lehre durch: http://www.asiin.de/ (16.07.2009). 

62  Das dort verzeichnete Vortragsdokument von Volker Gehmlich: „Denken in Kompetenzen. 

Mode oder Qualitätssteigerung? Präsentation auf der ASIIN‐Informations‐ und Schulungsver‐

anstaltung vom 12. und 13. November 2007“ steht unter der angegebenen Internetadresse  nicht mehr zur Verfügung. 

schen Beziehungen. Auch der zunächst  neutral  erscheinende Begriff „Software“ 

kann mit Bildern in Verbindung gebracht werden, die wiederum geschlechtliche  Konnotationen hervorrufen. Das „Schreiben“ von Software erinnert an 

„ein(en) Schriftsteller, also ein(en) Kreativen, ein(en) Künstler, nur sich selbst verantwort‐

lich, autonom. Der Adressatenkreis der Entwickler fand diesen Zusammenhang überwie‐

gend positiv, schmeichelhaft, treffend. (…) Die Adressatenkreise der verantwortlichen  Manager bzw. Auftraggeber hingegen verbanden dies (Schreiben) mit Unkalkulierbarkeit  und Chaos. (…). (D)er Entwicklungsprozess als kreativer chaotischer Prozess entzog sich  der technisch‐wissenschaftlichen Betrachtung, und mit Psychologen oder Sozialwissen‐

schaftlern wollte man sich damals noch nicht an einen Tisch setzen.“ (Kittlaus 2003, S. 9) 

Die Analyse von Symbolen und Methaphern kann Aufschluss über die Mechanismen  geben, die das Objektivitätsideal stützen. Wie am Beispiel der „Software“ demons‐

triert,  können  die  Konsequenzen  für  die  Positionen  der  wissenschaftlichen  Ak‐

teur/innen in und außerhalb der disziplinären Kultur abgeleitet werden. 

Insgesamt zeichnen sich technikwissenschaftliche Fachsprachen durch Visualisierung  (Skizzen, Modelle, technische Zeichnungen) und Sprachökonomie (Abkürzungen) aus  (Hanna 2003; Hahn 2008, S. 145ff). Es handelt sich um sprachliche Stile und Kom‐

munikationsformen, die das Objektivitätsideal und die starken wissenschaftlichen  Abstraktion widerspiegeln. 

Außerdem gibt es Belege, die unterschiedliches Sprachnutzung und Sprechverhalten  feststellen;  demnach  würden  zum  Beispiel  weibliche  Lehrende  öfter  eine  ge‐

schlechtsneutrale oder  ‐spezifische Sprache vor allem in der direkten Interaktion  benutzen (Viebahn 2007, S. 20; vgl. auch Schaeper 2008). 

Da „Fachsprache (…) die Denkelemente des Faches, die in den Fachtermini bestehen  (und) die Denkstrukturen des Faches, die Mitteilungsstrukturen, die im Fach üblich  sind“, enthält (Buhlmann 2000, S. 13 in: Hahn, 2008, S. 145), kann ihr Gebrauch und  die Art und Weise ihrer Nutzung den Grad der Sozialisation ihres Sprechers/ihrer  Sprecherin bzw. des Schreibers/der Schreiberin in der disziplinären Kultur beschrei‐

ben. 

   

Inszenierung des Objektivitätsideals in der Lehrstruktur 

Das ingenieurwissenschaftliche epistemische Selbstverständnis drückt sich zudem  auf struktureller Ebene aus. Die Struktur der Lehre teilt sich auf in Vorlesung und  Übung. In der Vorlesung hält der Professor (selten die Professorin) einen monoto‐

nen,  gleichförmig  strukturierten  Frontalunterricht  ab  und  stellt  die  Inhalte  in  sequentierter Form und häufig zu schnell dar. Studierende beurteilen Vorlesungen  als kognitiv nicht verstehbar (Wolffram & Winker 2005; Wolffram, Derboven, & 

Winker, 2009). Die Übungen dienen dann unter Anleitung von Tutor/innen oder wis‐

senschaftlichen Mitarbeiter/innen der Umsetzung und Vertiefung der zumeist rech‐

nerisch zu lösenden Aufgaben. Aber auch hier findet sich oft ein Modell des Frontal‐

unterrichts und den Studierenden wird nicht hinreichend Raum gegeben, „alle“ Fra‐

gen  zu  stellen (Wolffram  et  al.  2009).  Im Grundstudium  werden  ausschließlich  Grundlagen gelehrt, weitere  Bezüge  oder Anwendungskontexte werden  erst im  Hauptstudium  thematisiert.  Die  Überforderung  in  Bezug  auf  Stofffülle,  Klausurendichte und das Prinzip des „Aussiebens“ erzeugt für alle Studierenden da‐

rüber hinaus demotivierenden Druck und stellt sich als Belastung dar (vgl. Engler & 

Faulstich‐Wieland 1995, S. 111f; Wolffram 2002; Gilbert, 3/2004 u.a.). 

In der Lehrstruktur kann somit das objektiven Selbstverständnis gezeigt werden: Zu‐

nächst gilt es, die Studierenden in das positivistische Verständnis der Wissenschaft  einzuführen, sie mit den nötigen Idealen und Denkstrukturen vertraut zu machen,  ihnen das “elementare“ Grundwissen zu vermitteln. Zum Beispiel werden in der In‐

formatik Themen wie „Formale Sprachen“ und „Berechenbarkeit“ hochgehalten,  (obwohl) 

„Fakt ist, dass mindestens 90% der Informatikstudenten63 nach ihrem Abschluss nie wieder  mit diesen Themen oder der höheren Mathematik in Berührung kommen. Ein Informatiker  kann XML oder Programmiersprachen höchst produktiv praktisch verwenden, ohne die  geringsten Kenntnisse über formale Sprachen zu haben.“ (Kittlaus 2003, S. 10f) 

Eine Distanzierung vom Studienfach der Ingenieurwissenschaften oder ein möglicher  Abbruch ist insofern mit der fehlenden Verbindung zur eigenen und später berufli‐

chen Lebenswelt verbunden (Engler & Faulstich‐Wieland 1995). 

      

63  Der Autor nutzt die gendersensitive Sprache nicht. 

Lernstile und Diversity der Studierendenschaft 

Zudem werden durch diese strukturelle Spaltung der Inhalte nur bestimmte Lernty‐

pen angesprochen. „Der erste ist regelbasiert, sequentiell, funktional. Die Studie‐

renden folgen den Regeln, zunächst ohne zu verstehen, warum die Regeln gültig  sind. (…)“ (Schinzel 1993 in: Ratzer, Hnilica, Knoll & Szalai 2006, S. 84). Dieser Typus  verzichtet tendenziell auf Kontextwissen und bevorzugt eine faktenorientierte Wis‐

sensaufnahme, die er repetitiv wiedergeben kann. Im Grundstudium wird dieser  Lerntypus bevorzugt angesprochen (durch Auswendiglernen, Wissensabfrage in ei‐

ner großen Zahl an Klausuren). Ein umfassenderes Verständnis kommt erst mit dem  Verstehen von Zusammenhängen durch 

„Erfahrung und Experiment (…), d.h. durch unbeabsichtigtes Verletzen der Regeln und  Entdecken der Konsequenzen dieser Verletzungen (zustande). Lernen und Problemlösen  sind so durch Versuch und Irrtum gesteuert und sind eher dynamisch als uniform. (Erst  hier stehen) Handlungen und die erwünschte Funktion (…) im Vordergrund und Beziehun‐

gen zwischen den Objekten des Wissensbereichs werden durch Prozesse hergestellt. (…)  Der andere Denk‐ und Lernstil ist der begriffliche, prädikative, holistische Denk‐ und  Lernstil, bei dem erst ein generelles Verständnis erreicht werden muss, bevor detaillierte  Regeln angegeben werden können. Der ganzheitliche Lernstil verwendet das allgemeine  Verständnis, um einen Rahmen herzustellen, innerhalb dessen die Regeln organisiert wer‐

den können. Dabei ist das Verständnis des Zusammenhangs, in dem die verschiedenen  Komponenten miteinander in Beziehung stehen, und der Art, wie sie zu einer Problemlö‐

sung beitragen, notwendig, bevor die einzelnen Regeln gelernt werden können. Beziehun‐

gen stehen im Vordergrund und Handlungen werden durch die Zustände Vorher ‐ Nachher  definiert.“ (Ebenda, S. 84). 

Letzterer kommt demnach eher im Hauptstudium zum Tragen und erst dort werden  die Zusammenhänge für die Studierenden ersichtlich. Die Darstellung dieser Lernsti‐

le verweist auf das didaktische Vorgehen in den Ingenieurwissenschaften. Die Tren‐

nung von Grund‐ und Hauptstudium macht sich die Abgrenzung von Lerntypen zu  Nutze und geht über eine relativ einfache Erkenntnis hinweg: Kein Lernstil tritt in  Reinform auf, und für Frauen ist nachgewiesen, dass sie visuelle, haptische und  kommunikative, holistische Lernkonzepte bevorzugen, die in den Ingenieurwissen‐

schaften fast gar nicht bedient werden (Ratzer et al. 2006; Weiss Sampietro & Ram‐

sauer 2008).64 In diesem Zusammenhang veranschaulichen Helmus und Schwarze  die unterschiedlichen Herangehensweisen von Frauen und Männern an mathema‐

tisch‐physikalische Aufgaben (vgl. Abbildung 4). Vorab zu betonen ist, dass beide  Studierenden zum gleichen Ergebnis kommen und daraus kein dichotomes Zuord‐

nen von Lernstilen abzuleiten ist.  

  Abbildung  4:  Unterschiedliche  Lösungsstile  von  Frau  und  Mann  bei  einer  mathematisch‐

physikalischen Aufgabe.65  

Helmus und Schwarze beschreiben, dass die Studentin kreativer vorgeht, ihre Bear‐

beitung aber auch ein formales und an der Formelsammlung orientiertes Vorgehen  auszeichnet. Darüber hinaus ist ihre Darstellung sauberer und übersichtlicher. Der  Student hingegen zeigt seine kreative Seite bei der Lösung und drückt so sein physi‐

kalisches Verständnis aus (Helmus & Schwarze 2008, S. 80ff).  

Ein Beispiel aus der Berufspraxis der Informatik bringen Schinzel und Kleinn, die in  einer qualitativen Studie belegen, dass Software‐Entwicklerinnen und Entwickler als  wichtige  Aufgaben  die  Benutzerorientierung  (Anwendungsfreundlichkeit,  War‐

      

64  Offensichtlich zeigen auch Hochschullehrer und Hochschullehrerinnen unterschiedliche didak‐

tische Kommunikationsformen, die in den Ingenieurwissenschaften ihren Niederschlag finden. 

Viebahn nennt Ergebnisse, nach denen Hochschullehrerinnen weniger frontales Vortragsver‐

halten zeigen und mehr Fragen stellen, aktiv und persönlich auf die Studierenden eingehen  und zur Beteiligung auffordern und somit ein dialogisches Setting aufbauen (Viebahn 2007, S. 

21). Schaper weist allerdings darauf hin, dass daraus keine pauschale Forderung nach mehr  weiblichen Lehrkräften generiert werden darf, denn dies würde abermals geschlechtsstereo‐

type Zuschreibungen reproduzieren (Schaeper 2008, S. 210). 

65  Quelle: Helmus & Schwarze 2008, S. 81f.. 

tung,…) betrachten, dies bei den Frauen aber tendenziell etwas stärker ausgeprägt  ist und umgekehrt Männer die technische Seite tendenziell stärker betonen (Kleinn 

& Schinzel 2001). 

Aus den Beispielen lässt sich folgern, dass die fehlende Einsicht in die Diversity der  Studierendenschaft und das fortwährende Beziehen auf markierbare Differenzen  zwischen Individuen, zwischen Männern und Frauen in Bezug auf ihr Lernverhalten  und ihre kognitiven Fähigkeiten zu Antizipationen schon bei Schüler/innen führt, die  die Schülerinnen sich selbst als Studienanwärterinnen ingenieurwissenschaftlicher  Fachbereiche ausschließen lässt.