5. Methoden
5.2 Auswertungsmethoden
5.2.2 Das Auswertungsverfahren
Die Auswertung der Interviews erfolgt im Rahmen der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring. Die qualitative Inhaltsanalyse ist ein hinreichend strukturiertes Ver‐
fahren zur qualitativen Auswertung verschiedener Textsorten. Sie folgt einigen grundlegenden Prinzipien, die im Folgenden für den Zusammenhang dieser Untersu‐
chung erläutert werden.
Einbettung des Materials in den Kommunikationszusammenhang
Die Einbettung in den Kommunikationszusammenhang macht die äußeren Umstän‐
de sowie das konkrete Kommunikationssetting deutlich. Die Interviews werden in ihren sozial‐kulturellen Kontext eingeordnet, so dass entsprechende Einflüsse identi‐
fizierbar werden. Außerdem wird erkennbar, aus welcher „Richtung“ etwas über den Gegenstand erfahrbar wird und in welchen Dimensionen über den Kommunika‐
tionspartner etwas in Bezug auf den Gegenstand erfahren werden kann (vgl. Abbil‐
dung 9).
Abbildung 9: Kommunikationsmodell der qualitativen Inhaltsanalyse.97
Die Interviews ebenso wie die Fragestellung nehmen Bezug auf das soziale Feld der Hochschule mit besonderem Blick auf die Ingenieurwissenschaften. Aufgrund der Tatsache, dass Frauen in diesem Setting quantitativ selten anzutreffen sind, ist zu vermuten, dass sie ein bestimmtes Verhaltensmuster ausbilden, um sich in der Hochschule und in der spezifischen Fachkultur zu bewegen. In Tabelle 4 ist aufge‐
schlüsselt, welche Fragen auf den emotionalen, kognitiven und Handlungshinter‐
grund zielen.
emotionaler Hintergrund
emotionaler Zustand Zeigt die Studentin dem Themenkomplex Gender und geschl. Konnotationen gegen‐
über auffälligen emotionalen Reaktionen?
(sachlich, berührt, freudig, traurig,…)
emotionale Beziehung zu Interagierenden Drückt die Studentin in Bezug auf emotiona‐
le Situationen mit anderen im Kontext von Gender und geschl. Konnotationen (Diskri‐
minierungen,…) auffällige emotionale Reak‐
tionen aus?
emotionaler Bezug zum Gegenstand Hat die Studentin eine emotionale Verbin‐
dung zum Thema Gender und geschl. Konno‐
tationen?
97 Quelle: Mayring 2003, S. 51.
kognitiver Hintergrund
Bedeutungshintergrund Welche Bedeutung misst die Studentin be‐
wussten oder unbewussten geschl. Konnota‐
tionen bei (z.B. Reaktion auf stereotype Bil‐
der, Diskriminierungen, …)?
Wissenshintergrund Wie erklärt die Studentin bewusste oder un‐
bewusste Situationen, in denen Gender und geschl. Konnotationen eine Rolle spie‐
len/welches Diskurswissen zieht sie heran (biolog. Erklärungen, Differenz‐, oder Dis‐
tanzthesen,…)?
Erwartungen, Interessen, Einstellungen Wie positioniert die Studentin sich (beein‐
flusst durch Bedeutungs‐ und kognitiven Hintergrund) in Situationen in denen Gender und geschl. Konnotationen eine Rolle spie‐
len? Gibt es Wirkung auf ihre Erwartungen, Interessen und Einstellungen
Handlungshintergrund
Intention, Pläne Spielen die kognitiven Hintergründe eine wesentliche Rolle bei der Gestaltung von Studium und Beruf im Kontext von Gender und geschl. Konnotationen?
Machtressourcen Wird im Kontext von Gender und geschl.
Konnotationen versucht die Machtressour‐
cen auszubauen, zu verringern oder spielen sie keine Rolle?
bisherige Handlungen, auf Gegenstand und Interagierende bezogen
Welche Verhaltensweisen hat die Studentin in Situationen in denen Gender und geschl.
Konnotationen relevant waren bis jetzt ge‐
zeigt?
Tabelle 4: Fragestellungen an die Interviewpartnerin auf Basis eines Kommunikationsmodells.
Theoriegeleitetheit der Analyse
Grundsätzlich diskutiert wird in der qualitativen Sozialforschung die Frage, inwieweit eine Analyse theoriegeleitet erfolgen sollte. Wurde in der Grounded Theory (Glaser
& Strauss 2005; Flick 2007) ehemals vollständig Abstand genommen davon, Theorie als Basis einer Untersuchung zu setzen – sie verstand sich als theorieentdeckendes Verfahren – wird heute ein offeneres und wechselseitiges Verständnis angenom‐
men. Niemand, ob Forscher/in oder Laie, blickt ohne ein gewisses Theoriesetting auf
den eigenen Alltag. Denn „begreift man (…) Theorie als ein System allgemeiner Sätze über den zu untersuchenden Gegenstand, so stellt sie nichts anderes als die gewon‐
nenen Erfahrungen anderer über diesen Gegenstand dar. Theoriegeleitetheit heißt nun, an diese Erfahrungen anzuknüpfen, um einen Erkenntnisfortschritt zu errei‐
chen.“ (Mayring 2003, S. 52).
Aus diesem Grund werden die klassischen Ansätze der Genderforschung (Differenz, Distanz,…) aufgenommen, da diese in Alltagstheorien Eingang gefunden haben und sowohl von den befragten Studentinnen als Erklärungen herangezogen werden wie auch meinen Blick auf den Forschungsgegenstand mitbestimmen. Als Forscherin bin ich daher in besonderer Weise gefordert, sie im Forschungsprozess zu reflektieren.
Kategorienbildung
Wesentliches Instrument für die Inhaltsanalyse ist die Bildung von Kategorien (Mayring 2003, S. 43). Die Inhaltsanalyse lässt dazu zwei Verfahren zu, die, dem Ge‐
genstand angemessen, in unterschiedlicher Priorität eingesetzt werden können. Die deduktive Kategorienbildung findet dabei auf Basis der theoretischen Vorüberlegun‐
gen sowie des theoretisch‐empirischen Materials und Kenntnisstandes statt. Die in‐
duktive Kategorienbildung arbeitet direkt aus dem Material Kategorien heraus und verbleibt somit sehr nah an den Sinnstrukturen der erhobenen Quellen ohne sie durch theoretische Konzepte zu verzerren (Mayring 2003, S. 74ff.). Ich wende beide Methoden an. Zunächst habe ich ein deduktives Kategoriensystem erarbeitet, das die drei Dimensionen der disziplinären Kultur zum Ausgangspunkt nimmt und ihnen dann die theoretischen und empirischen Befunde in Form von Kategorien zuordnet (vgl. v.a. Kapitel. 3).
Die induktive Kategorienbildung erweist sich in diesem Kontext als sinnvoll, um neue Kategorien, die möglicherweise im deduktiven Kategoriensystem zunächst nicht enthalten waren, zu entschlüsseln. So wird danach gefragt, welche Erklärungsmus‐
ter und Phänomene im Kontext von geschlechtlichen Konnotationen identifiziert werden können. Ein Ausschnitt des Kategoriensystems ist in Tabelle 5 dargestellt.
106 Viola Bösebeck epistemische PraktikenArbeitsorganisation und soziales Klima Wissenschaft und Gesellschaft geistige Tätigkeiten (Ingenieur = Denker) praktische Tätigkeiten Verhältnis geistige vs. praktische Tätigkei‐ ten Verhältnis zum Anwendungskontext vor‐ handen Verhältnis zum Anwendungskontext nicht vorhanden Lerntyp: regelbasiert, sequentiell, funktio‐ nal Lerntyp: Verstehen durch Erfahrung und Experiment Lerntyp: haptisch o. visuell Lerntyp: begrifflich, prädikativ, holistisch Bild der Technik: technisch; emotional; sachlich; männlich; weiblich Fachsprache Ausdruck von objektiven Selbstverständnis (Abstraktion, Rationalität) in Inhalten, Me‐ thoden, Lehrstruktur Grundlagen = „Handwerk“ Anforderung an Leistungsfähigkeit (sozial, emotional o. körperlich) weibl. konnotierte Technik Selbstbild der Wissenschaft
sozial induzierte Arbeitsteilung (Team‐ /Gruppenarbeit) „Verbrüderung“ (Stabilisierung der Män‐ nergruppe) „Verschwesterung“ (Stabilisierung der Frauengruppe) technisch induzierte Teamarbeit Leistungszuschreibung Lehrende: Lob Leistungszuschreibung Lehrende: Ignoranz Leistungszuschreibung Lehrende: „Helfer‐ syndrom“ Leistungszuschreibung Studenten: Lob Leistungszuschreibung Studenten: Ignoranz Leistungszuschreibung Studenten: „Helfer‐ syndrom“ eigene Leistungszuschreibung; „Pionierin“‘; „verkaufen unter Wert“‘ Selbstkritik …
Technik im Anwendungsbereich von en Bedeutung/Funktion von Technik im Bild des Ingenieurs: ‚“Nerd“ Bild des Ingenieur: weiß, männlich Bild des Ingenieurs: männlich, innovativ Bild des Ingenieur weiblich, innovativ Rollenbild durch Technik Selbstbild Wissenschaft Arbeitsfelder: interdisz. Themen weiblich konnotiert ges. Bild: Status/Prestige der Wissenschaft; Berufsaussichten Zuschreibung Berufschancen nach Ge schlecht
Methoden Selbstverständnis des Ingenieurwissen‐ schaftlers/in = Techniker; Kreativer; Künst‐ ler Didaktik Tabelle 5: Darstellung des Kategoriensystems
Gegenstandsbezug statt Technik
Der in dieser Studie gewählte Weg der Interpretation ist angelehnt an alltägli‐
ches Umgehen mit Text und dadurch besonders gut intersubjektiv nachvoll‐
ziehbar (Mayring 2003, S. 44). Zu seinen Verfahren zählen die Zusammenfas‐
sung, die Explikation und die Strukturierung, mit denen der Text aufgeschlüs‐
selt und mit verschiedenen Foki der Interpretation geordnet wird (Mayring 2003, 58ff).
Zusammenfassung: Das Material wird soweit zusammengefasst, dass die wesentlichen Inhalte erhalten bleiben. Je nach Abstraktionsniveau wer‐
den Paraphrasen ausgegliedert und der Text mehrfach reduziert.98
Explikation: Bei der Explikation werden unklare Textstellen (Begriffe, Passagen der Erzählung,…) durch Heranziehen weiteren Materials analy‐
siert und erklärt.
Strukturierung: Nach einem vorher festgelegten Themenfokus wird das Textmaterial auf die relevanten Textstellen hin untersucht. Es entsteht ein „Querschnitt“ durch das Material.