2. Theoretische Grundlagen zur Wissensproduktion – die antipositivistische
2.3 Von Fächern, Disziplinen und Kultur
2.3.1 Disziplinäre Kulturen
Die Debatten nach der antipositivistische Wende führten zu der Einsicht, dass Wis‐
sen und die Wissensproduktion als „sozial konditioniert“ (Heintz et al. 2004, S. 21) zu verstehen sind. Dennoch bleibt festzustellen, dass einzelne Bereiche im wissen‐
schaftlichen System und in der gesellschaftlichen Wahrnehmung, insbesondere in Bezug auf ihren Objektivitätsgrad, unterschiedlich eingestuft werden können. Klassi‐
scher Beleg für die differente Wahrnehmung ist die Zwei‐Kulturen‐Debatte um den Ansatz von Charles P. Snow, der immense Differenzen und fast feindselige Stim‐
mung zwischen Vertreter/innen der Natur‐ und Geisteswissenschaften (Snow [1959]
46 Bei Steffanie Engler werden diese Merkmale der „studentischen Kultur“ zugeordnet. Sie nennt weiterhin Lebensstil, alltagskulturelle Praxen, Wohnformen, Körper, Ernährung, Auto und Computer usw. und erfasst diese in ihrer empirischen Untersuchung. Weitere Kulturen sind bei Engler die „(antizipierte) Berufskultur“ und die „studentische Herkunftskultur“. Für den hier betrachteten Kontext ist noch die akademische Fachkultur als Begriff zu nennen (vgl.
Engler 1993).
1967) beschreibt (vgl. Lepenies 1985, S. 185).47 Der epistemische Sonderstatus wis‐
senschaftlichen Wissens scheint damit weiter erklärungsbedürftig. Heintz, Merz, &
Schumacher erklären dazu:
„Die epistemische Besonderheit, die die Wissenschaft für sich beansprucht, gründet nicht auf ihren spezifischen Erkenntnis‐ und Begründungsverfahren, sondern ist das Produkt ei‐
ner kulturellen Zuschreibung, d. h. das Resultat einer erfolgreichen Distinktions‐ und Diffu‐
sionspolitik.“ (Heintz et al. 2004, S. 22)
Insofern ist zu fragen, an welchen Merkmalen sich die wissenschaftlichen Disziplinen klassifizieren lassen und wie sie ihre „Distinktionen“ und „Diffusionen“ stabilisieren.
Das Konzept Kultur48 bietet sich hier als geeignetes Raster an. „‚Kultur‘ ist […] eine mit anderen geteilte Art, die Welt zu sehen bzw. mit ihr umzugehen; die durch ver‐
schiedene Techniken der Einübung, Weitergabe und Erinnerung gesellschaftlich sta‐
bilisiert wird“ (Arnold & Fischer 2004, S. 22). Wie meist im Kontext genderbezogener Untersuchungen bietet sich darüber hinaus auch hier der Hinweis auf Bourdieus Konzeption von Kultur an. Die Erklärung sozialer Ungleichheiten, die Kultur zu einer negativ machtvollen Sphäre macht (Bourdieu 1983; 1991), wird aufgegriffen, weil sie in diesem Sinne die Ungleichheit der Geschlechter (in der Wissenschaft) problemati‐
siert. An Bourdieus Konzept angelehnt werfen Huber (1991), Schaeper (1997 u.a.) den Blick auf die sozialen Praxen, die durch das Befolgen von Regeln unterschiedli‐
che Individuen zu Angehörigen einer Gruppe formen. Das Konzept ist insofern auf die Disziplinen anzuwenden, weil kulturelle Praktiken strukturbildend und struktur‐
abhängig zugleich sind. Mit diesem Verständnis können die identifizierten ge‐
schlechtlichen Konnotationen verortet und ihre Beeinflussbarkeit beurteilt werden.
Die kulturelle Einheit einer Disziplin entsteht aus dem Zusammenspiel der epistemi‐
schen Praktiken, der Formen der Kommunikation in der Scientific Community und
47 Willems zeichnet überblicksartig die zeitgenössische Debatte über Snow nach. Ferner weist sie darauf hin, dass bis 1918 an den Philosophischen Fakultäten sowohl naturwissenschaftli‐
che als auch Sprachen und geisteswissenschaftliche Fächer unterrichtet wurden. Erst danach wurden eigene mathematisch‐naturwissenschaftliche Fakultäten eingerichtet (Huerkamp 1996: 92ff in: Willems 2007), die bis heute weitgehend die dichotome Teilung wissenschaftli‐
cher Disziplinen prägen.
48 Für den Begriff der Kultur kann eine enorm große Zahl von Definitionen vorgelegt werden.
Der vorliegenden Studie wurden diejenigen zugrunde gelegt, die zur Analyse wissenschafts‐
kultureller Prozesse geeignet sind. Für einen zusammenfassenden Überblick im Kontext der hochschulischen Fachkulturen eignet sich Multrus (2004, S. 8ff).
den spezifischen Grenzziehungen zur gesellschaftlichen Umwelt, deren Merkmale im Folgenden näher vorgestellt werden.
Dimension der epistemischen Praktiken
Die epistemischen Praktiken der Disziplinen sind Ausdruck der spezifischen Erkennt‐
nisweisen und Wissensstrukturen der Wissenschaften sowie ihr Blick auf ihre Ge‐
genstände. Sie tragen insofern bereits immer auch kulturelle Momente in Form von Hintergrundüberzeugungen, in diesem Fall Vorstellungen von Wissen, in sich (Detel 2003). Die am „Laboratorisierungsgrad“ (Heintz et al. 2004) illustrierbaren Unter‐
scheidungen epistemischer Praktiken verweisen auf die Bedeutung sozialer Prakti‐
ken zur „Herstellung von Wissen, Wissensansprüchen oder Wissensprodukten“
(Detel 2003, S. 120). In der gesellschaftlichen Wahrnehmung werden insbesondere Fächer, die Experimente unter stark kontrollierten Bedingungen in Laboren durch‐
führen, als Wissenschaft par excellence betrachtet. Sie zählen zu den „harten“ und
„reinen“ Wissenschaften. Als Beispiele können hier die Physik, Chemie oder Moleku‐
larbiologie genannt werden. Ihre Methoden und Modelle unterliegen einem hohen Standardisierungsgrad und sind stark mit Objektivität attribuiert. Der Gruppe der
„weichen“ und „angewandten“ Disziplinen sind die sogenannten „Feldwissenschaf‐
ten“ wie Geologie, Architektur und Ethnologie zuzuordnen. Diese zeichnen sich nach Heintz dadurch aus, dass ihr epistemischer Raum weniger klar abgegrenzt ist und ih‐
re Grenzen nach außen durchlässiger sind. Konkret meint das den Eintritt anderer als wissenschaftlicher Akteur/innen und ein weniger standardisiertes Repertoire an Datenerhebungs‐ und Auswertungsmethoden (vgl. Heintz et al. 2004, S. 15). Zudem gilt für die klassischen Laborwissenschaften die grundsätzliche Wiederholbarkeit der Beobachtungen, was im Feld definitiv ausgeschlossen ist. Daneben gibt es eine im‐
mer größer werdende Gruppe von Fächern mit hybriden Status wie die Zoologie, Meterologie oder Botanik. Dies hängt insbesondere mit dem zunehmenden interdis‐
ziplinären Charakter der Wissenschaften im Forschungssystem zusammen. Klassi‐
scherweise sind die Ingenieur‐ und Technikwissenschaften der Gruppe
„hart/angewandt“ zuzuordnen. Über ihre Methoden im Vergleich zu den anderen scheint ist bisher weniger bekannt zu sein (Paulitz 2007, S.31), so dass sie zum Bei‐
spiel bei Heintz et al. (2004) nicht aufgeführt werden.
Die Klassifizierung der Wissenschaften beinhaltet Wertungen, die die Hierarchie der Disziplinen unterstreicht. Unter Bezug auf das Clustering von „hart/rein“ nach
„weich/angewandt“, das auf Tony Becher (1987) zurückgeht, stellt Hildegard Schaeper fest, dass die epistemologischen Klassifikationskriterien verschiedene Wis‐
sensstrukturen und Erkenntnisformen nicht wertneutral kennzeichnen, „sondern ei‐
ne evaluative Komponente enthalten und eine von ‚hart’ nach ‚weich’ und von ‚rein’
nach ‚angewandt’ verlaufende Rangordnung implizieren […]“ (Schaeper 1997, S.75).
Begründet wird diese Festlegung durch die Hintergrundüberzeugungen der Mitglie‐
der einer disziplinären Kultur. Sie sind bspw. bestrebt, als Mitglieder einer wissen‐
schaftlichen Disziplin bestimmte wissenschaftliche Praktiken zu verbreiten und zu tradieren, was vor allem auch immer einen Machtanspruch impliziert (Detel 2003).
Wird dies verknüpft mit einer hohen Wertigkeit, ist die Überzeugungskraft höher, so dass die Wissensträger, z.B. Professor/innen und Hochschullehrer/innen eine „regu‐
lative Macht“ (Detel 2003, S. 120) an den Studierenden ausüben können, um sie in die wissenschaftliche Gemeinde einzuführen.
Dimension der Arbeitsteilung, Kommunikation und soziales Klima
Neben den differenten Formen der Beobachtung (Labor‐ vs. Feldwissenschaft) ist ein Blick auf die Formen der „Schriftlichkeit“ interessant, um disziplinkulturelle Un‐
terschiede festzustellen. Die Formen der „Schriftlichkeit“ verschiedener Wissen‐
schaften unterscheiden sich deutlich voneinander. In der Physik sind Tafelbilder, in der Biologie Bilder oder Dias, in den Literaturwissenschaften der Text und in den Ge‐
schichtswissenschaften Quellen Grundlage der Kommunikation sowie des Lehr‐ und Lernprozesses (Arnold & Fischer 2004). Die angemessene Interpretation der Zeichen und Symbole, die Ausdruck der epistemischen Vorgehensweisen sind, bildet die Grundlage gemeinsamer Kommunikation. Sie ist kulturelles Gut der wissenschaftli‐
chen Gemeinde, dessen Nutzung von den Studierenden im Studium erlernt werden muss (Arnold & Fischer 2004, S.24ff). Da dies den „richtigen“ Umgang mit den Zei‐
chen und Symbolen, deren Interpretation, den „angemessenen“ Umgang mit ver‐
schiedenen Erinnerungstechniken (z.B. Lehrbücher) und auch die überzeugende Darstellung und Interpretation wissenschaftlicher Inhalte umfasst gemeint sind, werde ich dafür im Folgenden den umfasserenden Begriff der Medien verwenden. In
diesem Sinne sind Medien jeglicher Form vom gesprochenen Wort bis hin zum Film mögliche Mittler in der wissenschaftlichen Kommunikation. Sie zu erlernen und sinnvoll einzusetzen, ist ein wesentliches Moment der Sozialisation junger Studie‐
render in die paradigmatischen Modelle einer Disziplin hinein (Arnold & Fischer 2004). In diesem Sinne meint „Wissenschaftskultur“ zu erkennen, welches Wissen (Methoden und Modelle) Gültigkeit haben kann, wie unsicher und wie viel Konflikt darin verborgen sein darf (Arnold & Fischer 2004, S.20). Es wird erlernt, wie „objek‐
tives“, wissenschaftliches Wissen dargestellt werden kann (Formeln, Modelle, Messergebnisse in Form von Zahlen,…) und welche Erkenntnisformen Argumentati‐
onsbasis sind: Ist der Prozess der Ergebnisproduktion in aller Genauigkeit darzustel‐
len oder zählt nur das Ergebnis?
Anschließen lässt sich das Klassifikationssystem nach Richard Whitley. Unter dem Begriff „task uncertainty“ (Whitley 1982, in: Heintz et al. 2004, S. 46) wird auf den Grad der Übereinstimmung in Bezug auf wissenschaftliche Methoden und Modelle, also auf die paradigmatische Übereinstimmung oder den kognitiven Konsens, ver‐
wiesen (vgl. Heintz et al. 2004; Willems 2007, S. 38f). Gemessen an den Rückwei‐
sungsraten wissenschaftlicher Artikel in Zeitschriften wird davon ausgegangen, dass die geringeren Raten in den Geisteswissenschaften für eine geringere Notwendigkeit der Übereinstimmung in ihrer Scientific Community sprechen. In den Naturwissen‐
schaften hingegen liegen diese Raten höher, was für einen höheren Standardisie‐
rungsgrad der Problemlösungsstrategien spricht (Heintz et al. 2004, S. 46). Die un‐
terschiedlichen epistemischen Zugangsweisen spiegeln sich auch in der Kommunika‐
tion zwischen den Disziplinen wieder. So erachtet die Mathematik die kulturellen Werte wie Genauigkeit, Erkenntnis‐ statt Publikationsorientierung, Präzision und Gründlichkeit als wesentlich bedeutsamer als die Theoretische Physik und wirft die‐
ser Ungenauigkeit vor (vgl. Heintz et al. 2004, S. 45). Als weiteres Kriterium nennt Whitley „mutual dependance“ (Whitley 1982 in: Heintz et al. 2004, S. 46), was die Form der Arbeitsorganisation und Kommunikation beschreibt (vgl. Heintz et al.
2004). Kontrastiert werden hier Team‐ und Einzelarbeit. Die unterschiedlichen Gra‐
de der Kooperation haben Auswirkungen auf die Teilung von Ansichten über Me‐
thoden und Modelle bzw. epistemische Herangehensweisen. Im Feld der Kommuni‐
kation sind zudem unterschiedliche Formen der Publikations‐ und Reputationsme‐
chanismen als Ausdruck disziplinärer Kulturen heranzuziehen. In Bezug auf die Kon‐
sequenzen für die Geschlechterordnung in der Wissenschaft haben Studien belegt, dass Frauen zum einen weniger publizieren und zum anderen bei gleicher Publikati‐
onsleistung schlechtere Karrierechancen in der Wissenschaft haben (vgl. Heintz et al. 2004, S. 60ff). Darüber hinaus unterscheidet sich die Anzahl der an einer Publika‐
tion beteiligten Autoren und Autorinnen zum Teil beträchtlich, so dass individuelle Leistungszuschreibungen von sehr unterschiedlichem Gewicht sind (vgl. Heintz et al.
2004, S. 44). Unter dem Stichwort Leistung sind auch die Befunde von Beaufaÿs und Krais zu nennen. Sie stellen fest, dass Leistungsbeurteilungen der Hochschulleh‐
rer/innen weniger fachbezogen sind, sich also auf „Merkmale des Könnens“ bezie‐
hen und stärker personenbezogen („Merkmale des Seins“) vorgenommen werden und somit ein bedeutendes Einfallstor für geschlechtliche Konnotationen darstellen.
Als solche Merkmale werden aufgerührt: Ausdauer, Disziplin, Frustrationstoleranz und Einsatzbereitschaft (Beaufays & Krais 2005, S. 88ff).
Wurden bisher vorrangig wissenschaftsinterne Kriterien genannt, nach denen die Disziplinen ihre kulturellen Unterschiede darstellen, soll im Folgenden die Grenze zur gesellschaftlichen Außenwelt näher betrachtet werden.
Wissenschaft und Gesellschaft
Für die verschiedenen Disziplinen kann ein unterschiedlicher Grad der Professions‐
orientierung festgestellt werden. Ist für Medizinstudierende relativ klar, dass sie Ärzt/innen werden, so stellt sich für Soziologiestudierende und ihre Angehörigen häufig die Frage, wie sich der berufliche Werdegang gestalten soll. Dem zu Grunde liegt der unterschiedliche Anspruch der Disziplinen, wissenschaftsintern in Professi‐
onen oder wissenschaftsextern in Berufe hinein auszubilden. Eine starke Orientie‐
rung auf den Verbleib in der Wissenschaft und somit eine geringere Zahl von Reprä‐
sentant/innen in anderen gesellschaftlichen Bereichen weisen zum Beispiel die Ma‐
thematik und Soziologie auf. Während hier die Selektionskriterien wissenschaftsin‐
tern festgelegt werden, gilt für Disziplinen wie die Medizin oder den Rechtswissen‐
schaften eine Orientierung an externen Standards (Arnold & Fischer 2004; Heintz et al. 2004).
Auch Markus Arnold fragt nach den Umwelten der Scientific Community. Er stellt fest:
„Der Blick allein auf die Wissenschaftler reicht nicht aus, um die kulturelle Dynamik einer Wissenschaft zu verstehen. Die ‚Wissenschaftskultur‘ einer Disziplin wird nicht allein durch die interne Fachkultur der Scientific Community bestimmt, sondern wird mindestens ebenso geprägt durch den Stellenwert ihrer Praktiken innerhalb der Gesellschaft.“ (Arnold
& Fischer 2004, S. 39)
Diese Beziehung ist mehrfach bedeutsam. Zunächst wird der Blick auf die soziale Stellung der verschiedenen Disziplinen gerichtet. Welches Ansehen genießt eine Dis‐
ziplin? Welchen Beitrag liefert sie zu aktuellen gesellschaftlichen Konflikten?49 Sol‐
che Bilder haben wiederum Wirkung auf Studierende und ihre Fachwahl. Handelt es sich um eine Disziplin, die aus dem Fächerkanon der Schule bekannt zu sein scheint, werden spezielle Vorstellungen über die Methoden und Relevanz dieser Disziplin geweckt.50 Darüber hinaus wirkt das gesellschaftliche Ansehen auch auf die Kultur einer Wissenschaft oder Disziplin, insbesondere ihr Selbstverständnis. Beispielswei‐
se kann der Ruf der Geisteswissenschaften nach ihrem Erhalt durch eine institutio‐
nalisierte Selbstdarstellung, die sich durch fehlende Fachvertreter/innen außerhalb der Wissenschaft begründet, erklärt werden (Arnold & Fischer 2004, S. 41).
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die beschriebenen Merkmale Ausdruck wis‐
senschaftlicher Kultur sind, die in einer Disziplin vorherrscht. Kultur ist in diesem Sinne den Wissenschaften also auch nichts Äußerliches bzw. zur Wissenschaft Ge‐
gensätzliches. „Das ‚Kulturelle’ sollte daher nicht erst in den Auswirkungen der Wis‐
senschaften, sondern bereits in der Produktion des Wissens gesucht werden (…)“
(Arnold & Fischer 2004, S. 35). Standards wie beispielsweise Objektivität, Formen der Reputation und Art der Publikation sind im Habitus verankert, der dazu führt, dass man in dem jeweiligen Feld, in dem er erzeugt wurde, „richtig“ handelt. Das Konzept des Fachhabitus geht dabei ebenso auf Bourdieu und die an ihn anschlie‐
ßende Fachkulturforschung zurück (vgl. Multrus 2004; Schaeper 1997; Engler 1993)
49 Diese Fragen stehen dann auch in direktem Zusammenhang mit der Wahrnehmung der epi‐
stemischen Praktiken und ihrer vermeintlichen Objektivität in der Gesellschaft. Dies habe ich bereits dargestellt, vgl. S. 43.
50 Oft klaffen die tatsächlichen Inhalte und Methoden der Disziplin und Vorstellungen der Schü‐
ler/innen bzw. Studienanfänger/innen weit auseinander (vgl. Kapitel 4).
und ist ein wesentliches Moment zur Ausbildung und Aufrechterhaltung der diszipli‐
nären Kultur. Über den Habitus wird die Klassenlage (soziale Lage bzw. Zugehörig‐
keit zu einem sozialen Feld51) ausgedrückt und bestimmt. Weil der Habitus die aktive Präsenz früherer Erfahrungen in der Gegenwart bereitstellt, indem er „ein subjekti‐
ves, aber nichtindividuelles System verinnerlichter Strukturen, gemeinsamer Wahr‐
nehmungs‐, Denk‐, und Handlungsschemata bereitstellt“ (Bourdieu 1987, S. 112;
auch vgl. Arnold & Fischer 2004), ist er auch das Moment, das die disziplinären Kul‐
turen für ihre Akteure stabilisiert und Orientierung bietet. Die benannten Schemata werden durch „Praxen der Lebensführung“ aufrechterhalten und fungieren als strukturierte und strukturierende Dispositionen im Handeln der Akteur/innen (Bourdieu, 1987, S. 98). Der Habitus ist nicht auf Dauer feststehend, er kann Verän‐
derungen erfahren, die auf ihn selbst und das soziale Feld wirken können. Verände‐
rungen sind dann möglich, wenn
„die objektive Wahrscheinlichkeit (des Wandels ‐ z.B. des Aufstiegs in der Klasse oder in der Hierarchie der disziplinären Kultur) (…) ‚kausal‘ wirkt, indem sie einen Habitus hervor‐
bringt, der die ‚wahrscheinliche Zukunft antizipiert und entsprechendes Handeln gene‐
riert.“ (Krais & Gebauer, 2002, S. 46)
Umgekehrt führt eben genau die permanente Reproduktion der sozialen Praxen auch zu Barrieren für die Möglichkeiten des Wandels. Institutionen wie Universitä‐
ten werden ebenso vom Habitus aufrechterhalten, so dass Frauen hier größere Hemmnisse entgegen stehen als Möglichkeiten ihren Habitus anzupassen, was meist Konflikte mit ihren Selbstkonzepten bedeutet.