3. Die disziplinären Kulturen der Ingenieurwissenschaften
3.4 Wissenschaft und Gesellschaft
ressant sind Ergebnisse, die sich auf die Befähigung bzw. das Leistungspotential von Frauen beziehen. Männer werden im Allgemeinen als begabter für Mathematik be‐
urteilt, Frauen liegt analytisches Denken weniger und sie interessieren sich stärker für Sprachen. Daraus speist sich die Beobachtung, dass Frauen sich “unter Wert“
verkaufen, was der These der geringeren Selbstwirksamkeitsüberzeugung entspricht (vgl. Kapitel 4?). Diese Beurteilung wird nach Einschätzung der Studierenden wohl auch von den Lehrenden geteilt, so dass sie den Eindruck haben, Beiträge von Stu‐
dentinnen werden weniger ernst genommen (Mischau 2007). Zusammengefasst stellt sich die Kommunikationskultur in den Ingenieurwissenschaften als eine dar, die stark vom männlichen Kommunikationsgebaren geprägt ist und in der Männer die Beurteilungsmacht über die Fähigkeiten von Frauen und Männern innehaben.
Studenten, Studentinnen und Lehrkräfte reproduzieren regelmäßig Stereotype und Vorurteile in ihren sozialen Praktiken – selbst wenn sie sie, wie manche Studentin‐
nen ins Scherzhafte wenden – und ziehen biologistische Argumentationen für die Begründung von Geschlechtsunterschieden heran. Differenz‐ und Distanzthesen, nach denen Mädchen und Frauen weniger Zugang zu Technik haben, die erforderli‐
chen Fähigkeiten und Interessen für Mathematik, Physik und ähnliches nicht ausrei‐
chend entwickelt haben und dem Konkurrenzdruck, der in diesen Fächern herrscht, nicht gewachsen seien, sind hier besonders prominent und wirkmächtig.
rung weiterhin noch einen sehr guten Ruf (Himmel 2006, S. 8). Dabei verweist der WR für den Maschinenbau auch auf die Notwendigkeit interdisziplinären Zusammenarbeitens und Forschens:
„Dem modernen Maschinenbau wächst heute die Systemverantwortung für neue Produk‐
te zu, die sich aus der interdisziplinären Entwicklungstätigkeit insbesondere in Zusammen‐
arbeit mit der Elektrotechnik und der Informationstechnik sowie den Naturwissenschaften ergeben.“ (Wissenschaftsrat 2004, S. 7)
Diese starke Relevanz der Ingenieurwissenschaften für die gesellschaftliche Entwick‐
lung wird vor allem daran gemessen, inwieweit ihre Arbeit nutzbare Produkte und Dienstleistungen für Wirtschaft und Industrie hervorbringen. Der Bildungsauftrag der Hochschulen für die Ingenieurwissenschaften ist damit besonderen Anforderun‐
gen ausgesetzt, die die Beziehung von Wissenschaft und Gesellschaft in besonderem Maße und auch ihre Stellung innerhalb des Wissenschaftssystems definieren. In en‐
ger Bindung an die Industrie folgen die Studienordnungen der Ingenieurwissenschaf‐
ten meist dem Konzept der „Ausbildung“, dem Erlernen und Beherrschen bestimm‐
ter Fähigkeiten und Fertigkeiten für den Beruf. Das universitäre Ideal verfolgt ur‐
sprünglich das Konzept der „Bildung“, das das intellektuelle Wachstum des Men‐
schen in Bezug auf seine „geistig‐seelische“ Entwicklung verfolgt. Zwar sieht das Hochschulrahmengesetz beide Konzepte als Zielstellung vor, doch die ingenieurwis‐
senschaftliche Ausbildung erscheint auch durch Vertretergremien wie den VDI und ihre interne Lernstruktur verstärkt das Ziel der Ausbildung zu verfolgen und so die Bildung vor allem in Bezug auf interdisziplinäre, gesellschaftliche und ökologische Zusammenhänge, Gender und Multikulturalität zu vernachlässigen (Himmel 2006;
Schwarze 2008). Auf der anderen Seite ist der „Aufgaben‐ und Funktionskatalog“ der Hochschule durch die Forschung definiert. Hier ist die „ingenieurwissenschaftliche Fachkultur elementar mit ökonomischer Kapitalakkumulation verknüpft und (…) ihr (wird) eine wichtige Schlüsselposition bei der Qualität gesellschaftlichen Wohlstands zugeschrieben (…)“ (Hahn 2008, S. 135).
Stereotype Bilder der Ingenieurwissenschaften
Das Bild der ingenieurwissenschaftlichen Ausbildung und des typischen Ingenieurs in der Öffentlichkeit erweist sich als sehr stabil und wird durch die Medien z.T. nur
noch verstärkt.69 Z.B. gilt für die Mathematik weiterhin das Stereotyp des männli‐
chen, wenig kommunikativen oder auch „leicht verschrobenen“ Wissenschaftlers (Mischau, 2007; Blunck, 2008), und der Ingenieurwissenschaftler ist ein „weißer Mann“ (Himmel 2006, S. 8f.). Mathematik (als Grundlagenfach der Ingenieurwissen‐
schaften) wird „(…) nicht nur von Frauen, sondern von der gesamten Gesellschaft – tendenziell als sehr strenge, logische, abstrakte Disziplin angesehen, die wenig mit dem wirklichen Leben zu tun hat“ und ein „Paukfach“ ist (Blunck 2008). Geschürt werden trotz aller Bemühungen der Gender‐Studies und den Diversity‐Ansätzen dem etwas entgegenzusetzen, stereotype Bilder, wie Schäfer mit leicht sarkasti‐
schem Unterton zusammenfasst:
„Zahlreiche Firmen suchen händeringend nach Arbeitskräften, da darf es auch gern mal eine Frau sein – jedenfalls wenn es nach den Statements von Personalverantwortlichen geht. Realiter erscheinen auf den Stellenanzeigen aber dann doch ganz überwiegend junge Männer, und der Energiekonzern EON wirbt, seine Bemühungen um Ingenieurinnen kon‐
terkarierend, mit einer Anzeige, in der ein ca. 10‐jähriger Junge oberhalb eines gleichaltri‐
gen Mädchens die Arme in guter alter patriarchaler Tradition um sie legt und sinniert:
‚Wird noch genügend Energie da sein, wenn wir heiraten?‘ Der jungen Dame jedenfalls ist genügend Energie zu wünschen, um sich aus der Umklammerung ihres Altersgenossen zu befreien und eine Laufbahn als Ingenieurin ins Auge zu fassen, damit sie dann auch mal selber sprechen darf. Bei der Stellenanzeige von ‚Bosch und Siemens Hausgeräte‘ darf dann eine junge Frau, unscharf fotografiert im Hintergrund, den ‚On‘‐Knopf drücken, ne‐
ben Piktogrammen von Kaffeemaschine, Handwäsche, Uhrzeit, Mikrowelle und Geschirr‐
spüler. Das Motto darunter lautet: ‚Check in für Innovation‘ Nun ja. (in: VDI: Chancen im Ingenieurberuf. Das Bewerbungshandbuch 2008, S. 159) Dazu passt, dass in Spielzeugkata‐
logen auf den Seiten für Minihaushaltsgeräte unter dem Motto ‚Haushalten wird zum Kin‐
derspiel‘ zwei Mädchen zu sehen sind. Der Junge auf der Seite darf den Saftautomaten bedienen, Achtung, Technik! (in: Walz Kizz. Weihnachten 2008, S. 37). Auf Seite 55 heißt es dann: ‚In jedem Kind steckt ein Baumeister!‘ fotografisch repräsentiert durch einen Jungen“ (Schäfer 29.10.2008).
Die Dynamisierung der Märkte und die Globalisierung erfordert von IngenieurInnen ein Kompetenzprofil, das um einiges vielfältiger ist und Verschiebungen erlebt, die im gesellschaftlichen Diskurs noch wenig präsent erscheinen. Ingenieur/innen benö‐
tigen zunehmend soziale und kommunikative Kompetenzen, die es ihnen ermög‐
69 Dieser Problematik entgegenzuwirken versucht auch das internationale Projekt
„MOTIVATION“: Promoting positive Images of SET (Science an d Technology) in young people und gender perspektive: http://www.motivation‐project.com/ (11.07.2009)
licht, als Vermittler/innen zwischen Kunde und Unternehmen als Manager/innen und als Teamleiter/innen o. ä. auftreten zu können (Paulitz 2008a; Schwarze 2008).
Seitens der Ingenieurwissenschaften fällt es offensichtlich noch schwer, diese Kom‐
petenzbereiche in ihrem Profil zu verankern und zum integralen Bestandteil ihrer
„nuts and bolts“‐ Identität (Faulkner 2008) zu machen. Kommunikation, Teamorien‐
tierung und Managementaufgaben gehören nicht zum technischen Kern der Ingeni‐
eurwissenschaften (vgl. Wächter 2003; Hahn 2008 u.a.) und sind weiblich konno‐
tiert. Der gesellschaftliche Diskurs wiederum scheint dichotom zu verlaufen. Auf der einen Seite wird ein Ingenieur/innenmangel beklagt und die abwechslungsreichen Tätigkeiten beworben, auf der anderen Seite bleibt das Bild des techniklastigen und mathelastigen Ingenieurstudiums vorherrschend.
Technik in alltagsweltlichen Bezügen
Vorstellungen von den Ingenieurwissenschaften und ihrer Tätigkeiten werden auch durch die Produkte der Ingenieurwissenschaften geprägt. Dabei ist zweierlei vorzu‐
finden: Zum einen werden diese Produkte als Meisterwerke der Ingenieurkunst ver‐
kauft, die das innovative Potential Deutschlands als Industrieland bestimmen. Zum anderen werden Techniken, die von Ingenieuren stammen, zuweilen gar nicht als Technik wahrgenommen, und dies geschieht besonders häufig dann, wenn sie im alltäglichen Umfeld von Frauen (oder welches als solches präsentiert wird) platziert sind. Zu solchen Techniken zählen fast alle Haushaltsgeräte und inzwischen auch der Computer, der Hilfsmittel oder Medium zur Kommunikation und Datenverwaltung für die Bürokauffrau ist. Hochtechnisierte Geräte in unserem Alltag, wie Laptop, Handy und Co. zeichnen sich durch das Verbergen ihres technischen Kerns aus, sie werden zu konsumtiven Technologien. Für die Marketingstrategen sind hier ziel‐
gruppenspezifische Gestaltung und Ansprache der Kundschaft von besonderer Be‐
deutung, denn Männer mit „Bastlerherz“ können mit diesen Produkten kaum noch erreicht werden. Die zielgruppenspezifische Gestaltung betrifft dann die Funktion, noch offensichtlicher jedoch das Design. Produkte, die individuellen ästhetischen Wünschen angepasst werden können, bergen besonders die Gefahr der Reprodukti‐
on geschlechtlicher Konnotationen vor allem durch farbliche Codierungen (vgl. Ab‐
bildung 6).
Abbildung 6: Gendersensitive Technikgestaltung?70
Die Beispiele in Abbildung 6 verweisen mit ihren verschiedenen Bildern und Grafiken auf das Spektrum von Reproduktion geschlechtlicher Konnotationen und Ansprache einer verschiedener Gruppe von Techniknutzer/innen.71
Eine funktionen‐ oder nutzenorientierte Assoziation der Technik oder der Aufgaben ihrer Hersteller/innen findet nicht statt, vielmehr werden sogar konterkarierend so‐
ziale Eigenschaften wie eben das Geschlecht zur Erklärung der Konstruktion heran‐
gezogen: So kursieren zum Beispiel zur Zeit der Entwicklung der Schreibmaschine Bilder von der Unvereinbarkeit „großbusiger“, attraktiver Frauen und der kompeten‐
ten Nutzung von Technik ebenso wie das Stereotyp „langer Fingernägel“ der Frauen, für die „man(n)“ die Tastatur eben entsprechend angepasst konstruieren müsste (Buhr 1996). Auch in vermeintlich positiver Absicht werden Staubsauger‐Robots (Bath & Weber 2002) mit weiblichen Attributen ausgestattet, weil davon ausgegan‐
gen wird, dass sie so vertrauenserweckender wirken würden. Deutliche Bespiele für die durchgreifenden Konsequenzen auf größere gesellschaftliche Zusammenhänge illustriert Wajcman in der historischen Betrachtung des Feldes Architektur. Nicht nur, dass „(d)ie physische Form von Gebäuden (…) normalerweise als das unver‐
meidliche Ergebnis technischer Fortschritte gesehen (wird); Beton und Stahl zum Beispiel haben uns modernisierte Hochhäuser beschert“ (Wajcman 1994, S. S. 138), sondern sie können auch als Ausdruck männlicher Potenz und Macht interpretiert werden. Mit Blick auf die Entwicklungen von Wohnraum – vom viktorianischen Rep‐
70 Quellen: Bild 1 und 3 (links/rechts): device‐outfit.com (13.09.2010) ; Bild 2 (Mitte): I Pod Shuffle. Apple inc. in: http://www.apple.com/pr/products/ipod/shuffle.html (13.09.2010)
71 Beispiele für typische männlich konnotierte Designs ließen sich übrigens weniger einfach fin‐
den (Google‐Recherche).
räsentationsstil bis hin zum Einfamilienhaus im Vorort – weist Wajcman darauf hin, dass die familiäre und berufliche Entfaltung der Frau durchgängig in klaren Grenzen gehalten wurde. Beispielsweise sind Frauen tendenziell gezwungen, nur schlechter bezahlte und weniger angesehene Bürotätigkeiten in der Stadt halbtags anzuneh‐
men, weil sie wegen der Fahrtzeiten zwischen Wohnung und Arbeitsplatz mit einer Vollzeitstelle Familie und Kinder nicht hinreichend versorgen könnten. Der von In‐
genieuren und Technik beeinflusste Wandel hat demnach immer auch Konsequen‐
zen für gesellschaftliche Rollenbilder von Mann und Frau und ist interpretativ in ei‐
ner ko‐Konstruktivistischen Perspektive zugänglich. Positive Beispiele nennt jedoch Andrea Blunck einmal für den Bereich Mathematik: Je größer in einem Land die Gleichstellung sei, desto besser schnitten Mädchen in Mathematik ab (Blunck 2008).