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1. Teil: Entstehungsgeschichte der Kongregation bis zur Gegenwart

1.6. Konstitutionen

1.6.1. Blick in die Konstitutionen

1.6.1.2. Werdegang einer Helferin

Möchte eine junge Frau der Kongregation beitreten, erbittet sie die Aufnahme. Sie wird daraufhin mindestens drei Monate lang Postulantin, Kandidatin sein 206 und zeitlebens der Provinz, Vizeprovinz oder Häusergruppe angehören, die sie zum Noviziat zugelassen hat.207

Die Sendung als Helferin erfordert eine Ausbildung, die mit den Grundanliegen des Instituts übereinstimmt und diese stärkt.208 Die Schwestern fühlen sich gerufen, Leidenden nahe zu sein, deshalb soll die Ausbildung auf Zeichen der Hoffnung in unserer Welt lenken.209

202 Vgl. ebd., Artikel 196, 82f.

203 Vgl. ebd., Artikel 181, 78.

204 Vgl. ebd., Artikel 208, 87.

205 Vgl. ebd., Artikel 237, 96.

206 Vgl. Gründungstext III, 1. Kapitel, Artikel 12, 35.

207 Vgl. Konstitutionen, Artikel 184, 79.

208 Vgl. ebd., Artikel 92, 43ff.

209 Vgl. ebd., Artikel 93, 45.

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Die Sendung führt auch zur Begegnung mit Völkern unterschiedlicher Kulturen. So bereitet die Ausbildung darauf vor, ihre Werte zu achten.210

Im Mittelpunkt stehen die Geistlichen Übungen des Heiligen Ignatius.211

Um den immer neuen Anforderungen der Welt auf geeignete Weise zu entsprechen, muss die Ausbildung und Entwicklung das ganze Leben hindurch weitergehen und den Anforderungen der jeweiligen apostolischen Einsätze entsprechen. Für Mittel und nötige Zeit zur Ausbildung hat die Oberin zu sorgen.212

Frauen, die Gewohnheiten und Charakterzüge haben, die mit den Forderungen der Sendung unvereinbar sind, können nicht aufgenommen werden.213

Die Provinzoberin hat die Aufgabe, mit Zustimmung des Provinzrates zum Noviziat zuzulassen.214 Vorher vergewissert man sich, ob die Kandidatin eine Anzahl von guten Voraussetzungen mitbringt oder sie erwerben kann. Dazu zählen vorrangig geistliche Erfahrung, Fähigkeit zur Ausbildung und Gemeinschaft, Offenheit für andere Kulturen und gesundes und offenes Urteilsvermögen.215

Der Eintritt ins Noviziat setzt einen inneren Bruch mit gewohnter Umgebung voraus, mit Familie, Freunden und Arbeit.216 Die vorgeschlagenen Hilfen zur geistlichen Unterscheidung, zur Selbsterkenntnis und zum inneren Bruch sind regelmäßige Gebetszeiten, Erfahrung der Großen Exerzitien des Hl. Ignatius, persönliche Beziehung zur Verantwortlichen des Noviziats, Erfahrung des Lebens gemäß der Gelübde, Studium der Gründungstexte, der Konstitutionen und der Tradition des Instituts.217

Das Noviziat dauert zwei Jahre. Damit es gültig ist, muss die Novizin mindestens zwölf Monate ständig in der Noviziatsgemeinschaft gelebt haben.218

210 Vgl. ebd., Artikel 94, 45.

211 „In ihnen machen wir eine persönliche Erfahrung von innerer Befreiung. Dadurch werden wir fähig, den Ruf zum Dienen zu hören, und bekommen den Mut, freudig auf diesen Ruf einzugehen. Diese Erfahrung wird im Lauf des Lebens immer wieder gemacht und auf viele verschiedene Arten erneuert“, ebd., Artikel 96, 46.

212 Vgl. ebd., Artikel 99, 47.

213 Vgl. ebd., Artikel 102, 48f.

214 Vgl. ebd., Artikel 105, 50.

215 Vgl. ebd., Artikel 104, 49.

216 Vgl. ebd., Artikel 107, 50.

217 Vgl. ebd., Artikel 108, 50f.

218 Vgl. ebd., Artikel 115, 53.

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Vor den ersten Gelübden vergewissert sich die Provinzoberin, ob die Erfahrungen des Noviziats entsprechende Ergebnisse gebracht haben, wie Vertiefung der lebendigen Beziehung zu Gott, Hineinwachsen in die Gemeinschaft und Finden eines Platzes, Entfaltung menschlicher und geistlicher Persönlichkeit, Unterscheidung der Geister, Wachsen innerer Freiheit und Bestätigung der apostolischen Berufung.219

Am Ende des Noviziats geloben die Frauen bei ihren zeitlichen Gelübden Keuschheit, Armut und Gehorsam gemäß den Konstitutionen für ein, zwei oder drei Jahre. Die zeitlichen Gelübde können erneuert werden.220

Die gesamte Dauer der zeitlichen Gelübde darf nicht weniger als drei und nicht mehr als neun Jahre betragen.221

Anfang und Ende der Gelübdeformel der zeitlichen Profess können frei formuliert werden. Die Novizin erwähnt mit eigenen Worten die totale Hingabe ihres Lebens gemäß den Zielen des Instituts.222

In der Gelübdeformel der Konstitutionen von 1873 ist neben dem Gelöbnis von Armut, Keuschheit und Gehorsam zusätzlich der vollständige Verzicht auf alle Fürbitten und geistlichen Gaben zugunsten der Seelen im Fegfeuer enthalten.223

Nach Ablauf der zeitlichen Gelübde kann die Schwester von ihrer Seite aus das Institut verlassen. Bei gerechtfertigten Gründen kann die Provinzoberin andererseits mit Stellungnahme des Provinzrates die Erneuerung der Gelübde ablehnen.224

Die Zulassung zur ewigen Profess erteilt die Generaloberin mit Zustimmung des Generalrates.225

Das Terziat, ein weiteres Ausbildungsjahr, kann nach mehreren Jahren im apostolischen Einsatz und in Gemeinschaft vor oder nach der ewigen Profess absolviert werden. Es dient zur Vertiefung der Verbundenheit mit Christus und der Entfaltung des kontemplativen Blicks.226

219 Vgl. ebd., Artikel 119, 54.

220 Vgl. ebd., Artikel 120, 55.

221 Vgl. ebd., Artikel 126, 58.

222 Vgl. ebd., Artikel 123, 56.

223 Vgl. Gründungstext III, Teil 5, 3. Kapitel, Artikel 2, 196.

224 Vgl. Konstitutionen, Artikel 127, 58.

225 Vgl. ebd., Artikel 132, 59.

226 Vgl. ebd., Artikel 136 und Artikel 137, 60f.

56 1.6.1.3. Gehorsam und Armut

Die drei in den Gelübden versprochenen evangelischen Räte, Keuschheit, Gehorsam und Armut, werden von Christinnen und Christen als Ratschläge Jesu betrachtet und sind hier als Fußnote aus der Einheitsübersetzung der Bibel, Matthäus-Evangelium, angeführt.227 Das Zweite Vatikanische Konzil nimmt in der Dogmatischen Konstitution über die Kirche, Lumen Gentium, im sechsten, die Ordensleute betreffenden Kapitel darauf Bezug.228

Die Gründungstexte halten das Gelübde der Keuschheit für sich selbst erklärend, beleuchten aber Gehorsam und Armut näher.

Die Schwestern der Helferinnen mögen ihren Gehorsam nicht nur in den verpflichtenden Dingen vervollkommnen, sondern auch, wenn nur ein Anzeichen des Willens der Oberin bemerkbar wird.229

In den Konstitutionen 1984 verpflichten sie sich mit dem Gehorsamsgelübde, den Oberinnen in allem, was diese im Rahmen der Konstitutionen entscheiden können, zu gehorchen, um ihren Auftrag kreativ zu erfüllen.230 Auf Erkennen der verantwortungsbewussten Eigeninitiative, die im Zusammenhang mit einer der Helferin anvertrauten Sendung notwendig ist, wird großer Wert gelegt.231

Die Entsendung der Schwestern wird von der Oberin nicht über die Köpfe hinweg entschieden. Jedem Auftrag zur Sendung geht ein Dialog voraus, in den Lokaloberinnen,

227 Keuschheit: „Denn es ist so: Manche sind von Geburt an zur Ehe unfähig, manche sind von den Menschen dazu gemacht, und manche haben sich selbst dazu gemacht – um des Himmelsreiches willen.

Wer das erfassen kann, der erfasse es“, Mt 19,12.

Gehorsam: „Da rief Jesus sie zu sich und sagte: Ihr wißt [sic!], daß [sic!] die Herrscher ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen mißbrauchen [sic!]“, Mt 20,25. „Bei euch soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein“, Mt 20,26.

Armut: „Jesus antwortete ihm: Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib das Geld den Armen: so wirst du einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach“, Mt 19,21. Alle Zitate sind der Einheitsübersetzung der Bibel, Herder 1980, entnommen.

228„Die evangelischen Räte der Gott geweihten Keuschheit, der Armut und des Gehorsams sind, in Wort und Beispiel des Herrn begründet und von den Aposteln und den Vätern wie auch den Lehrern und Hirten der Kirche empfohlen, eine göttliche Gabe, welche die Kirche von ihrem Herrn empfangen hat und in seiner Gnade immer bewahrt“, Zweites Vatikanisches Konzil, Lumen Gentium, 6. Kapitel, Nr. 43, 52.

229 Vgl. Gründungstext III, Teil 6, 1. Kapitel, Artikel 1, 207f.

230 Vgl. Konstitutionen, Artikel 64, 33f.

231 Vgl. ebd., Artikel 65, 34.

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die betroffenen Gemeinschaften und Personen und auch die Gruppen einbezogen werden, zu denen gesendet wird.232

Zum Gehorsam gehört auch der gute Kontakt und die gute Übereinstimmung der Oberinnen. Die Oberinnen der Häuser sollen sich oft an die Provinzoberinnen wenden und nach deren Rat handeln. Die Provinzoberinnen sollen es gegenüber der Generaloberin ebenso halten. So werde die Einheit, die durch Unterordnung aufrecht erhalten wird, bewahrt.233

Den Gründungstexten erscheint das Versprechen zur Armut so wertvoll, dass sie formulieren, keine Schwester solle etwas dazu tun, das in den Konstitutionen Neuerungen bezüglich der Armut einführe – außer, es sei sehr tief in Gott erwogen.234

Nichts solle als persönliches Eigentum betrachtet werden.235 Dinge, die mit der Armut unvereinbar sind, wie Luxusuhren oder wertvolle Bilder, sind nicht gestattet.236

Die Schwestern verpflichten sich, im Gebrauch materieller Güter von den Oberinnen abhängig zu sein. Was durch Arbeit oder auf Grund von Renten, Unterstützung oder Versicherung auf sie zukommt, gehört dem Institut.237

Vor der ewigen Profess wird ein zivilrechtliches Testament verfasst, in dem auch über Vermögen verfügt wird, das die Schwester erst in Zukunft bekommen könnte.238 Dieses Vermächtnis kann nur mit Erlaubnis der Generaloberin oder deren Vertretung abgeändert werden.239

1.6.1.4. Schulung zur Hilfe durch Werke der Barmherzigkeit

Der Dienst der Schwestern an Marginalisierten der diesseitigen und jenseitigen Welt vollzieht sich durch Werke der Barmherzigkeit.240

232 Vgl. ebd., Artikel 67, 35.

233 Vgl. Gründungstext III, Teil 8, 1. Kapitel, Artikel 4, 265f.

234 Vgl. ebd., Teil 6, 2. Kapitel, Artikel 1, 211f.

235 Vgl. ebd., Artikel 2, 212.

236 Vgl. ebd., Artikel 10, 214.

237 Vgl. Konstitutionen, Artikel 49, 29.

238 Vgl. ebd., Artikel 60, 32.

239 Vgl. ebd., Artikel 61, 32.

240 Vgl. ebd., Artikel 5, 8.

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Ungeplant begann die Unterstützung durch Helferinnen anfangs durch den Dienst an kranken Armen.241 Um entsprechend gerüstet zu sein, ist dafür ein Maß an Ausbildung notwendig.

Die Hilfe durch geistliche Werke erfordert eine Auseinandersetzung mit der Glaubenslehre. Was in anderen Bereichen der Bildung fehlt, sollte ausgeglichen werden.

Auch die Sprachen und kulturellen Eigenheiten der Länder, in die Schwestern gesendet werden, benötigen intensive Beschäftigung.242

Die Belehrung darüber, wie man Kranke tröstet und Gott näherbringt, ist ebenso hilfreich.

Die Helferinnen sollten Menschen auf den Empfang der Sakramente vorbereiten und in christlicher Lehre unterweisen können. Besonders wertvoll ist das Verhalten, wenn Sterbenden beigestanden werden soll.243

Sich Fertigkeiten und Fähigkeiten anzueignen, die in körperlichen Nöten helfen, wie das Verbinden von Wunden und die Krankenpflege im allgemeinen, ist erstrebenswert.244

1.6.1.5. Gottesmutter Maria als Unsere Liebe Frau von der Vorsehung

In den Gründungstexten ist vermerkt, dass die Helferinnen ihr Tun unter den Schutz der Unbefleckten Jungfrau stellen, die sie als ihre Mutter und Vorbild betrachten. Wie Maria es tat, übergeben sie sich der göttlichen Vorsehung.245

Marias Beispiel nacheifernd, sollen solide Tugenden, wie Glaube, Hoffnung, Liebe, Reinheit, Gehorsam, Armut, Demut und Liebe zum Leiden erlernt und ausgeübt werden.246

Die Konstitutionen 1984 widmen Maria, die als Unsere Liebe Frau von der Vorsehung angerufen wird, einen Artikel.247 Ebenso in den Konstitutionen ist für alle Helferinnen

241 Vgl. ebd., Artikel 7, 8.

242 Vgl. Gründungstext III, Teil 4, 2. Kapitel, Artikel 1, 175.

243 Vgl. ebd., Artikel 2,3, und 6, 175f.

244 Vgl. ebd., 3. Kapitel, Artikel 1 und 2, 179.

245 Vgl. Gründungstext II, Das Ziel der Gesellschaft, Artikel XIV und XV, 19.

246 Vgl. ebd., Die Mittel, die die Gesellschaft anwendet, um ihr Ziel zu erreichen, Artikel XIX, 21.

247 „Die Jungfrau Maria, die wir als Unsere Liebe Frau von der Vorsehung anrufen, ist ein Zeichen der Hoffnung im Leben des Instituts und des Volkes, dem wir dienen. Offen für den Hl. Geist, nimmt sie das Wort Gottes bedingungslos an. Sie stimmt prophetisch das Lied vom Kommen des Gottesreiches an, und ihr Sohn läßt [sic!] sie am Werk unserer Erlösung mitwirken. Ihr gelten unsere Liebe und unsere

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festgehalten, dass sie im Vertrauen auf die Gottesmutter Freude und Hilfe finden: Sie lernen von ihr, in Einfachheit alles von Gott zu erwarten.248

Schon seit dem 4. Jahrhundert und Kirchenvater Ambrosius (+379) bestand der unverrückbare Glaube, Maria sei Typus und Urbild der Kirche.249 Maria wurde sowohl als Mutter der Kirche als auch der Menschen betrachtet. Auf ihre bedeutende Rolle im Christusgeschehen weist das Neue Testament durch die Schilderung ihrer vollkommenen Hingabe an Gottes Willen,250 was der Theologe Wolfgang Beinert in folgende Worte fasste: „An ihr zeigt sich exemplarisch das Sein des Christen in Christus.“251

In der dritten Konzilsrunde des Zweiten Vatikanischen Konzils bekräftigte Papst Paul VI.

am 21.11.1964 Maria als Mutter der Kirche. Wie Maria in ihrer vorbildlichen Ganzhingabe, solle die Kirche hingebend an Christus sein Leben und Wirken in der Welt weiterführen bis zur Vollendung. Maria wurde zur Mitwirkerin am Heil der Welt erhoben, zur Vermittlerin von Gnaden und Mittlerin des Heils für die gesamte Menschheit. Maria stehe zwar unter Christus, sei aber als seine Mutter mit ihm direkt verbunden.252 Was das Zweite Vatikanische Konzil bezüglich der Gottesmutter erarbeitet hatte, betrachtete Beinert als „heilsame Wende“, da die Übertreibungen in der Marienverehrung in den Zeiten zuvor den Forderungen des Konzils entsprechend einer Rückkehr zu den Glaubensquellen gewichen waren. Marias heilsgeschichtliche Aufgabe und nicht ihre Verherrlichung standen nun wieder im Vordergrund.253

Der prominente Platz, den Maria im Leben der Ordensgründerin Eugénie Smet und besonders in den Anfangszeiten der Kongregation einnahm, liegt in der religiösen Erziehung des 19. Jahrhunderts begründet. Marienerscheinungen als Momente der Präsenz des Göttlichen und Begegnungsstätte zwischen menschlicher und himmlischer Sphäre, waren für die Zeit charakteristisch. In vorausgegangenen Perioden waren es Erwachsene und hauptsächlich Männer, denen sich als Seher Göttliches offenbarte. Im 19. Jahrhundert erlebten Frauen und Kinder das Geschehen vorerst für sich und wurden

Dankbarkeit für ihre lebendige und auf die Nöte der Menschen aufmerksame Gegenwart“, Konstitutionen, Artikel 33, 21.

248 Vgl. ebd., Artikel 91, 42.

249 Vgl. Scheffczyk, Mariengestalt, 154.

250 Vgl. Beinert, Heute Maria, 38f.

251 Ebd., 40.

252 Vgl. Scheffczyk, Mariengestalt, 154ff.

253 Vgl. Beinert, Heute Maria, 60.

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in der Folge Vermittlerinnen himmlischer Botschaften an Mitmenschen, - besonders an den Klerus.254 Die Bewertung der Erscheinungen stellte die Kirche vor zusätzliche Aufgaben.255

Von Frankreich ausgehend wurde von zahlreichen Marienerscheinungen berichtet. Vor allem Kinder, und von denen wiederum die Mädchen, erzählten von solch überirdischen Erlebnissen. Im Jahr 1830 erklärte Cathérine Labouré von der Jungfrau persönlich eine Medaille empfangen zu haben.256 Mit den Visionen in La Salette 1846 und Lourdes 1858 sollen hier zwei weitere konkret genannt werden. Marienverehrungen intensivierten sich mehr und mehr. Gerade in Frauenkongregationen bildeten sie eine beliebte feminine Praktik.257

Die Belebung der marianischen Frömmigkeit war auch eine Folge der Renouveau Catholique, der Katholischen Erneuerung Frankreichs. Laut Paul Schmidt SJ benötigt gerade Marienverehrung eine enge Wechselwirkung von Praxis, Frömmigkeit, Reflexion und Theologie, um nicht ins rein Gefühlsmäßige abzugleiten.258

Als Papst Pius IX. im Jahr 1854 Conceptio Immaculata, das Dogma der Unbefleckten Empfängnis Mariens, das die Freiheit von der Erbsünde vom Moment der Zeugung an beinhaltet, verkündete259, löste das eine weitere starke Welle von Marienverehrung aus.

254Vgl. Schneider, Feminisierung, 11-41, 19.

255 Durch die Vermittlung ihrer durch Marienerscheinungen empfangenen Botschaften gewannen die Seherinnen und auch Seher an einer Bedeutung, die von der Kirche offiziell nicht vorgesehen war. Die Erscheinungen sollten amtlich-hierarchisch kanalisiert werden. Priester hatten für korrekte Interpretationen und Organisation der Gnadenstätten zu sorgen. Der Klerus entschied über himmlischen und teuflischen Ursprung. Ein Anerkennungsverfahren sollte zur Entscheidung führen, vgl. ebd., 20.

256 Vgl. Beinert, Heute Maria, 49.

257 Vgl. Meiwes, Arbeiterinnen, 226f.

258 Vgl. Schmidt, Maria Modell, 14.

259 Papst Pius IX. definierte in der Bulle Ineffabilis Deus vom 08.12.1854, dass „die allerseligste Jungfrau im ersten Augenblick ihrer Empfängnis aufgrund einer besonderen Gnade und Auszeichnung vonseiten des allmächtigen Gottes im Hinblick auf die Verdienste Jesu Christi, des Erlösers des menschlichen Geschlechts, von jedem Makel der Erbsünde bewahrt blieb“, Scheffczyk, Mariengestalt, 166. Der Dogmatiker Scheffczyk äußerte auch bezüglich der Dogmaverkündigung, dass keine Glaubenswahrheit ein isoliertes Dasein führe, sondern aus der Einsicht in den Zusammenhang derselben entstehe und den Glauben verständlicher machen solle. Das Dogma von der Unbefleckten Empfängnis erhöhe Maria, erweitere zeitlich die Wirkkraft der Erlösung Christi und habe „den Christusglauben erhellende und ihn verstärkende Funktion“, ebd., 159.

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Für katholische Ordensschwestern war die Verschmelzung von Jungfrau- und Mutterideal bedeutsam. Durch die wertgeschätzte Jungfräulichkeit erhielt die Frau abseits von Ehe und Mutterschaft ihre eigene Würde.260

Jahrzehnte später, im Jahr 1974, setzte Papst Paul VI. mit seinem Apostolischen Schreiben Marialis Cultus die Würde der Frau betreffend einen neuen Akzent. Das Bestreben war, die Linie der Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils fortzusetzen und die konziliaren und nachkonziliaren Äußerungen zum Thema Marienverehrung zusammenzufassen und zu erläutern.261 Dem Papst war es ein Anliegen, dass marianische Frömmigkeit den anthropologischen Daten gerecht werde.262 Damit sprach er die Emanzipation der Frau an, was großen Widerhall hervorrief. Paul VI. lehnte die zurückgezogene Stellung der Frau ab und bejahte die moderne Frau263, denn nicht Marias kultureller Rahmen264 diene als Beispiel, sondern sie als Glaubende und Christusverbundene, die beides in ihrer speziellen Situation zu leben verstand.265 Maria sei „neue Frau und vollkommene Christin.“266

260 Vgl. Götz von Olenhusen, Frauen, 15.

261 Vgl. Beinert, Einführung, 10ff.

262 Vgl. ebd., 19.

263 „Im Marienkult muß [sic!] man auch den sicheren und bewiesenen Ergebnissen der Humanwissenschaften aufmerksam Beachtung schenken. Dies wird nämlich mit dazu beitragen, einen der Gründe für das Unbehagen zu beseitigen, das man im Bereich des Kultes der Mutter des Herrn antrifft: der Unterschied zwischen einigen seiner Inhalte und den heutigen anthropologischen Anschauungen sowie der tiefgreifend veränderten psychologisch-sozialen Wirklichkeit, in der die Menschen unserer Zeit leben und wirken. Man stellt fest, daß [sic!] es wirklich schwierig ist, das Bild von der Jungfrau, wie es in einer bestimmten Andachtsliturgie zu finden ist, in die Lebensbedingungen der heutigen Gesellschaft und insbesondere die der Frau einzuordnen“, Paul VI., Marialis Cultus, 2. Teil, 2. Abschnitt, Artikel 34, 74.

264 „Die Jungfrau Maria ist von der Kirche den Gläubigen nicht wegen der Art des Lebens, das sie geführt hat, zur Nachahmung empfohlen worden und noch weniger wegen der soziologisch-kulturellen Umgebung, in der es sich zugetragen hat und die heute fast überall überholt ist, sondern vielmehr stets deswegen, weil sie in ihren konkreten Lebensbedingungen vorbehaltlos und verantwortungsbewußt [sic!] dem Willen Gottes Folge geleistet hat (vgl. Lk 1,38); weil sie von ihm das Wort entgegennahm und in die Praxis umsetzte; weil ihr Handeln von der Liebe und der Bereitschaft zum Dienen beseelt war; weil sie die erste vollkommenste Jüngerin Christi gewesen ist, was einen universalen und bleibenden vorbildlichen Wert besitzt“, ebd., Artikel 35, 75f.

265 Vgl. Beinert, Einführung, 19f.

266 Paul VI., Marialis Cultus, 2. Teil, 2. Abschnitt, Artikel 36, 76.

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Die Entwicklungen in der Mariologie waren in der Anfangszeit der Kongregation nicht vorauszuahnen, berühren aber die nachfolgenden Schwestern der Helferinnen.

Zurück in den April des Jahres 1853 hatte Eugénie Smet den sehnlichen Wunsch nach einer bestimmten Marienstaue. Zu ihrer großen Freude erhielt sie eben diese Figur von einer Freundin als Geschenk. Maria hält beide Arme über der Brust gekreuzt, als wolle sie einen Schatz umschließen. Eugénie Smet nannte die Dargestellte in ihrem starken Glauben an die göttliche Vorsehung Unsere Liebe Frau von der Vorsehung.267

Als im August 1856 die provisorische Kapelle in der Rue de la Barouillère eingeweiht wurde, fand die Statue ihren Platz in der Nähe des Tabernakels.

Am 8. November 1856 vollzog die Gründerin eine symbolische Handlung, die Maria als wahre Oberin der Gemeinschaft festigte: Sie legte zwei mit einer zarten Kette verbundene Schlüssel zu ihren Füßen nieder.268 Der eine Schlüssel sollte Sinnbild für das Öffnen des Hauses, der zweite für das der Herzen sein.269

Der 8. November ist der Tag geblieben, an dem in jeder Niederlassung das Versprechen erneuert wird, Maria als Unsere Liebe Frau von der Vorsehung als erste und immerwährende Oberin des Institutes anzuerkennen.270

1.7. Ausbreitung bis China

In den ersten zehn Jahren des Bestehens der Kongregation kamen zahlreiche Anfragen, Niederlassungen zu gründen. Marie de la Providence war nicht gleich dazu bereit, da sie zuerst die Wurzeln ihres Institutes stärken wollte.271

267 Vgl. Gardey de Soos, Eugénie Smet, 45.

268 Vgl. René-Bazin, Lebte Namen, 103.

269 Die beschriebene Staue mit den zwei Schlüsseln zu Füßen ist noch heute in der Kapelle des Mutterhauses in Paris aufgestellt, vgl. Kapitel 7.4. Bildmaterial, Abb. 8 und Abb. 9. Selbst in der Helferinnen-Gemeinschaft in Barasat, Indien, steht im Eingangsbereich in einer Nische eine Marienstaue mit der typischen Geste der Arme. Zu Füßen Marias liegen zwei verbundene Schlüssel. Den Hintergrund mit

269 Die beschriebene Staue mit den zwei Schlüsseln zu Füßen ist noch heute in der Kapelle des Mutterhauses in Paris aufgestellt, vgl. Kapitel 7.4. Bildmaterial, Abb. 8 und Abb. 9. Selbst in der Helferinnen-Gemeinschaft in Barasat, Indien, steht im Eingangsbereich in einer Nische eine Marienstaue mit der typischen Geste der Arme. Zu Füßen Marias liegen zwei verbundene Schlüssel. Den Hintergrund mit