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3. Teil: Weg nach Indien

3.2. Fahrten nach Westbengal

Rund ein Jahr nach dem ersten Besuch folgte von Bangalore aus ein weiterer in den Norden nach Westbengal. Bischof Alphonse D’Souza gab Sr Hemma und ihrer Begleiterin Fr Romus, einen Priester der Diözese, der auch Professor am regionalen Seminar Morning Star College362 war, an die Seite.363 Dieser wiederum stellte den Kontakt zu dem Professorenkollegen Fr Horen her, der auch in der Pastoralplanung der Erzdiözese Kolkata364 mitarbeitete.

Fr Horen überzeugte sich persönlich von Lebensstil und Einstellung der Schwestern im Häuschen des DLTBs und war sowohl von ihrer Schlichtheit als auch von ihrem Charisma beeindruckt. Er konnte sie bei der Pastoralplanung nur empfehlen.

In Fr Horens Begleitung folgten mehrere Fahrten in die Dörfer von Westbengals Diözesen Krishnagar und Baruipur, jedoch keineswegs per Auto, sondern dicht gedrängt per Lokalzug oder auf der Plattform einer Fahrrad-Güter-Rikscha und zu Fuß. Da in den Dörfern von erwachsenen Frauen Saris als Kleidung erwartet werden, hatten die Schwestern das gar nicht so einfache Wickeln derselben schnell im DLTB erlernt. Zum Teil fiel der Besuch der Dörfer in die Regenzeit, was bedeutete, barfuß durch den aufgeweichten Lehmboden zu waten, da jedes Schuhwerk steckenbleibt. Im Dorf angekommen musste man schnell den nassen Sari gegen Reservekleidung wechseln. Fr

360 „[…] Wir bemühen uns, durch unsere Präsenz und durch Tätigkeiten auf medizinisch-sozialem oder erzieherischem Gebiet auf die Nöte jener einzugehen, die körperlich leiden oder in ihrer Menschenwürde verletzt sind. […]“, ebd., Artikel 13, 14. „Wir entscheiden uns hauptsächlich für jene, die man vergißt [sic!], die in ihrer Menschenwürde verletzt sind […].“, ebd., Artikel 29, 19.

361 Vgl. Interview Sr Hemma, Z128-135 und Z148f, S112.

362 Das Morning Star College in Barrackpore, Kolkata ist die gemeinsame Theologische Hochschule und das Priesterseminar der acht Diözesen von Westbengal, vgl. Kapitel 7.4. Bildmaterial, Abb. 29.

363 Vgl. FN Fr John Romus in Kapitel 5.1. Inkulturation, Interkulturation, Inkarnation

364 Im Bundesstaat Westbengal gehören zur Erzdiözese Kolkata sieben weitere Diözesen: Asansol, Bagdogra, Baruipur, Darjeeling, Jalpaiguri, Krishnagar und Raiganj, vgl. TGB HF, 29.07.2016, S210: Plan der Diözesen im Eingangsbereich des St. John Vianney Seminarys in Barasat, überprüft durch die Internetseite: https://www.archdioceseofcalcutta.in/ [abgerufen am 19.12.2019].

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Horen testete ganz offensichtlich die Strapazfähigkeit der Schwestern. Es ging ihm auch darum, spürbar zu machen, wie sich die Situation der Dorfmädchen bezüglich Ausbildung und höherer Schulbildung anfühlt. Die entlegenen Dörfer sind nicht mit einem Bus zu erreichen. Die Schulen im Umkreis gehen nur bis zur 10. Klasse. Mit 16 oder 17 Jahren haben Mädchen keine Möglichkeiten mehr, eine 11. oder 12. Klasse zu besuchen, schon gar nicht zur Regenzeit. Geht die Ausbildung nicht weiter, werden die Mädchen von den Eltern schnell verheiratet. Heranwachsende ledige Mädchen sind im Dorf vielen Gefahren ausgesetzt.365

Fr Horen hatte von Ortspfarrern auch eine Liste von Mädchen erhalten, die an religiösem Leben interessiert waren. Er sorgte für die Möglichkeit, diese persönlich zu treffen und mit ihnen zu sprechen. Auch die junge Tamilin366, die bedauerte, nicht gleich Helferin werden zu können, war aus Bangalore mitgekommen und hatte so Gelegenheit, sich mit den Mädchen der Dörfer zu unterhalten.367

Mit Fr Romus folgten viele Diskussionen, welchen Sinn das Helferinnen-Charisma speziell für Indien haben könnte.

Fußend auf den gemachten Erfahrungen und ganz den Konstitutionen368 entsprechend, wurde eine kreative Lösung in Form eines Studyhouses gefunden: Die Mädchen der Dörfer sollten in Schulnähe einen Ort zur Verfügung haben, an dem sie zusammen mit Schwestern wohnen, so ihre Schulbildung abschließen können und in dieser Zeit schulisch und persönlich beim Erwachsenwerden begleitet werden.369

365 Vgl. Interview Sr Hemma, Z140-183, S112f.

366 Die Situation der Tamilin war nicht einfach. Ihr Vater verlangte eine baldige Entscheidung, da sie die älteste der Töchter war. Sie könne nicht ewig warten und trage Verantwortung gegenüber den jüngeren Schwestern. Bevor sie ihren Weg nicht gefunden habe, könne er die nächste Tochter nicht verheiraten, vgl.

Interview Sr Hemma, Z242-245, S115.

367 Vgl. Interview Sr Hemma, Z264f, S116.

368 „Wir wollen den Gründungseingebungen Marias von der Vorsehung treu sein und darauf achten, den Reichtum, der in ihnen liegt, zu entfalten, indem wir durch eine schöpferische Antwort auf die Nöte unserer Zeit eingehen.“, Konstitutionen, Artikel 14, 14.

369 Vgl. Interview Sr Hemma, Z191-198, S114.

89 3.3. Aus für Indien?

Die Kontakte in den Norden mit der Erzdiözese Kolkata waren geknüpft. Die Planungskommission des Pastoralplanes war sehr daran interessiert, in Form eines Studyhouses eine sinnvolle Unterstützung durch Helferinnen für Mädchen in das Vikariat Barasat North zu bekommen. Jedoch entwickelte sich die kleine Helferinnen-Gemeinschaft in Bangalores Whitefield wegen verschiedener Blickrichtungen, die zu persönlichen Spannungen führten, auseinander.

Für Nathi war es undenkbar geworden, ihre verantwortungsvolle Stellung im DLTB aufzugeben. Sie konnte und wollte nicht mehr verstehen, dass darüber hinaus neue Verbindungen hergestellt werden sollten. Sie wollte schon Helferin werden, aber zu ihren eigenen Vorstellungen, da sie ihre persönliche Berufung ausschließlich im DLTB sah.370 Für das Generalat in Paris war es wiederum nicht denkbar, aus Europa Schwestern zu entsenden, damit diese in einer Blindeninstitution mitarbeiten. Die Vorstellungen der Helferinnen waren mit den Bedürfnissen des DLTBs nicht vereinbar.

Nathi zog Konsequenzen und erneuerte ihre Gelübde nicht. Auf das hin entschied die Generaloberin Sr Silvia, die kleine Gemeinschaft in Bangalore wieder zu schließen, die Schwestern nach Europa zurückzuholen und den Versuch Mission Auxiliatrice en Inde zu beenden.371

3.4. Tamilin appelliert an Charisma

Vor der Abreise aus Bangalore gab es einen letzten Einkehrtag. So ein stiller Tag hatte regelmäßig einmal im Monat stattgefunden. Er diente dazu, das eigene Leben der letzten Wochen reflektiert zu betrachten.

Als Verantwortliche für die kleine Gemeinschaft tauschte sich Sr Hemma am Ende dieses Einkehrtages intensiv mit der Tamilin aus.372 Es kam zu einem Gespräch, das Sr Hemma tief berührte. Selbst in unsicherer Situation373 hatte die junge Frau Mut, Offenheit und

370 Vgl. Interview Sr Hemma, Z216-221, S114f.

371 Vgl. Interview Sr Hemma, Z230-232, S115.

372 Vgl. Interview Sr Hemma, Z254-259, S116.

373 Sr Hemma war gerade dabei ihr zu helfen, als Ersatz für die Kongregation der Helferinnen eine passende Ordensgemeinschaft zu finden, bei der sie eine Kandidatur in Indien beginnen könne, vgl. Interview Sr Hemma, Z252f, S116.

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einen mitfühlenden Blick für andere.374 Die Tamilin drückte in aller Schlichtheit ihre Gedanken aus. Sie hatte aus Briefen und Gesprächen mit den besuchten Mädchen verstanden, dass diese nicht irgendeine Ordensgemeinschaft suchen, sondern Helferinnen. Sie selbst wolle auch das Charisma der Helferinnen leben, sich selbst in diesem Charisma für Menschen einsetzen, die etwas brauchen, was immer es auch sei.375 In den kontaktierten Mädchen Westbengals waren Hoffnungen erweckt worden. Sie meinten, bei und mit den Schwestern Begleitung und Schutz für ihre Zukunft zu finden und würden nun einfach abgewiesen.376

Mit ihren Aussagen sprach die junge Tamilin den Kern des Helferinnen-Charismas an.

Kurzentschlossen verfasste Sr Hemma ein Fax377 nach Wien, gerichtet an ihre Oberin Sr Brigitta und die Provinzoberin Sr Karla, in dem sie offen und ehrlich vom Gespräch mit der Tamilin berichtete und ihre eigene Sicht der Lage darstellte.378 Aus Gehorsam werde sie Indien verlassen.379 Aber es bleibe ein bitterer Nachgeschmack. Eine Entscheidung werde den Betroffenen vorgesetzt, ohne sie anzuhören. Sr Hemma wolle noch einmal nach Kolkata fahren, um den Mädchen, die die Konsequenzen einer Schließung zu spüren bekommen sollten, die Chance zu einem Gespräch zu geben.380

Sr Hemma warf auch die Frage der Internationalität des Institutes auf, die sich das bevorstehende Generalkapitel ernsthaft stellen müsse. So, wie es im Augenblick aussehe, würden die Helferinnen nicht hinter der Einpflanzung in neue Kulturen stehen und sich damit begnügen, sicher zu verwalten, was es schon gebe.381

374 Vgl. Fax Sr Hemma vom 03.01.1995, Z39-42, S292.

375 Vgl. Fax Sr Hemma vom 03.01.1995, Z14-25, S291.

376 Vgl. Fax Sr Hemma vom 03.01.1995, Z52-54, S292.

377 In Zeiten ohne Computer und Möglichkeit eines Mailverkehrs war das Fax der schnellste Weg zur Kommunikation. Für Sr Hemma bedeutete das, ungefähr eine halbe Stunde auf der Landstraße in das nächste Dorf mit Telefonbude und Faxgerät zu gehen, vgl. Interview Sr Hemma, Z274-276, S116.

378 Vgl. Interview Sr Hemma, Z267-273, S116.

379 „Seit wir zurückgekommen sind, stört es mich, daß [sic!] wir, die wir Gelübde leben wollen, zwar mit schwerem Herzen u. aus Gehorsam weggehen – aber doch in eine Sicherheit(,) die (I)hresgleichen sucht:

unsere Provinz(,) in der wir aufgenommen u. akzeptiert sind, unsere Heimat(,) in der wir uns wohlfühlen können, wo unsere Familien nahe sind, eine schöne Planung mit lockeren, sinnvollen Aufgaben…, während wir gleichzeitig diese Mädchen, die bei uns Modell u. Weg für ihr Leben zu finden meinten, total in die Wüste schicken. Da stimmt doch etwas nicht!“, Fax Sr Hemma vom 03.01.1995, Z43-55, S292.

380 Vgl. Fax Sr Hemma vom 03.01.1995, Z62-77, S293.

381 Vgl. Fax Sr Hemma vom 03.01.1995, Z113-118, S294.

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Dann formulierte sie noch einen konkreten Vorschlag: „Wir müssen uns noch einmal überlegen, ob wir nicht doch für 2 Jahre nach Calcutta gehen. Nicht mit dem Ziel der Ausbildung, sondern als eine Art „Platzhalter“. Es wäre die Möglichkeit, daß [sic!] diese 6 Mädchen ihre XI. + XII. Klasse in unserem „study house“ machen (mit dem klaren Wissen, daß [sic!] das keinerlei Versprechen auf eine Aufnahme als Helferin ist, einfach als Möglichkeit, ihre Schule abzuschließen). Also ein ganz u. gar selbstloser, missionarischer Dienst, entsprechend unserem Charisma.“382 Sie schrieb weiter, zwei Jahre wären eine klare und überschaubare Zeit mit für alle klar definiertem Ziel.383 Die Entscheidung dafür käme der Provinz Mitteleuropa und nicht dem Generalat in Paris zu.384 Zur Bekräftigung formulierte Sr Hemma abschließend, sie bevorzuge ein Institut, welches lebt und sich bewegt, wie alles Lebendige neue Zellen formt und wachsen lässt, gerade dann, wenn sich alte zurückbilden.385

Das Schreiben verfehlte seine Wirkung nicht. Die Antwort erfolgte, ebenfalls per Fax, postwendend. Sr Brigitta und Sr Karla, beide betrübt wegen des verordneten Aus für Indien, waren erfreut über das Schreiben und ermutigten Sr Hemma, in der von ihr eingeschlagenen Richtung weiterzudenken. Vor dem gebuchten Rückflug im Februar 1995 solle sie noch Kolkata besuchen und einen Plan für das kommende Schuljahr konkretisieren. Sie solle sich auch überlegen, eine GCL-Gemeinschaft386 als Vorstufe zu

382 Fax Sr Hemma vom 03.01.1995, Z79-90, S293.

383 Vgl. Fax Sr Hemma vom 03.01.1995, Z106-108, S294.

384 „Wir bekommen unsere Sendung von der Generaloberin oder von der Provinzoberin. In gemeinsamer Treue zur Berufung des Institutes unterwerfen sich die Schwester, die sendet, und die Schwester, die gehorcht, gemeinsam dem Hl. Geist. Eine Sendung anvertrauen heißt, die verantwortungsbewußte [sic!]

Eigeninitiative anzuerkennen, die daraus entsteht“, Konstitutionen, Artikel 65, 34.

385 Vgl. Fax Sr Hemma vom 03.01.1995, Z119-122, S294.

386 Vgl. FN GCL - Gemeinschaft Christlichen Lebens - im Vorwort. Tatsächlich ermöglichten die bereits 1995 von Sr Hemma gestarteten GCL-Gruppen auch in den folgenden Jahren für die Beteiligten positive Erfahrungen. Die Gruppenstunden im Ignatianischen Sinn waren regelmäßig, meist wöchentlich, abgehalten worden. Monatlich gab es das Angebot eines Einkehrtages mit Beichtmöglichkeit und persönlicher Aussprache. In Barasat und Bolpur wurden und werden bei den GCL-Treffen mit den Studyhouse Mädchen auch Gruppenspiele angeboten. Durch Zeichnen und Schreiben zu gewissen Themen werden Erfahrungen ausgetauscht, vgl. Sr Regina im Gespräch mit Sr Luisa und Sr Gouri, in: Studyhouse Newsletter Barasat und Bolpur 2012/13, S4 und S10. Das Angebot wird gerne angenommen. Ein indisches Mädchen formulierte: „Das Hauptziel der GCL ist es, uns zu ermutigen, aus unserem Kokon herauszukommen und uns auf verschiedene Weise auszudrücken, wie Briefe schreiben, zeichnen, malen

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gründen. Zusätzlich kamen Informationen, wie sehr die Mitschwestern mitfühlen und eine Novene387 begonnen hätten, um betend eine Weiterentwicklung in Indien zu unterstützen.388

3.4.1. Das apostolische Projekt

Das Antwortschreiben gab Sr Hemma die Erlaubnis, vor ihrer Rückreise nach Europa den Kontakt mit Kolkata weiter zu führen. Als die Provinzoberin Sr Karla im Jänner 1995 zur Schließung nach Indien kam, besuchten die Schwestern zum Abschied gemeinsam den Generalvikar Msgr. Francis Gomes in Kolkata, der sich völlig unerschüttert zeigte: Er war es gewohnt, dass Anfänge so vor sich gehen und riet, einfach abzuwarten.389

Nach längerem Abwägen gestattete das Pariser Generalat tatsächlich ein zweijähriges apostolisches Projekt, um die indischen Mädchen nicht im Stich zu lassen, jedoch keine Niederlassung. Zweijährig deshalb, damit die Chance bestehe, die 11. und 12. Klasse zu absolvieren, die mit dem Higher Secondary Exam, welches Matura oder Abitur entspricht, abschließt.

usw... Nach einiger Zeit werden wir gefragt zu erklären, was wir fühlen und was wir gelernt haben. Wenn wir öffentlich sprechen, sind wir immer ein wenig ängstlich. Unsere Gespräche helfen uns auch, einander kennen zu lernen. Das ermöglicht mir, meine Komplexe und Schuldgefühle zu verlieren und ein glückliches Gemeinschaftsleben zu erfahren“, Pinki, in Studyhouse Newsletter Barasat und Bolpur 2014, S5.

387 Die Wiener Schwestern verfolgten jeden Schritt Indien betreffend aufmerksam mit: „Die Gemeinschaft ist ein Ort, wo wir miteinander den Willen Gottes suchen. Da wir den Wunsch haben, mit ihm in unserem Tun verbunden zu sein und ihn in allem zu suchen, versuchen wir, die Ereignisse und vernommenen Anrufe im Glauben zu erwägen“, Konstitutionen, Artikel 79, 38. Sie waren betroffen, als das Generalat das Aus für Indien erklärte, vgl. Interview Sr Ernestine, Z69ff, S122. Das Generalkapitel stand noch bevor. Die Wiener Helferinnen beschlossen, durch eine Novene gegen die endgültige Schließung Indiens zu steuern, vgl. Interview Sr Ernestine, Z76ff, 122. Die Novene wurde auch im Sinne der Konstitutionen gebetet: „Es besteht ein sehr enger Zusammenhang zwischen unserem Gemeinschaftsleben, unserem Gebet und unserer Sendung“, Konstitutionen, Artikel 91, 42.

388 Vgl. Fax Sr Brigitta vom 03.01.1995, Z3-10 und Z17-18, S295.

389 Vgl. Interview Sr Hemma, Z300-303, S117.

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Für das Studyhouse-Projekt der Erzdiözese Kolkata war grünes Licht gegeben.390 Die Chance für eine weitere Entwicklung in Indien war eröffnet.391

3.4.2. Erstes Studyhouse im Lahiri-Haus

Die Erzdiözese wusste genau, wo das Zweijahresprojekt des Studyhouses platziert sein sollte, nämlich in Kolkatas Vorort Barasat. Es war auch die Erzdiözese, die dafür ein Stockwerk des Hauses eines Mr Lahiri ausfindig machte.392

Im Mai 1995 landete Sr Hemma in Begleitung einer europäischen Novizin am Flughafen von Kolkata. Den ersten Monat verbrachten sie im Morning Star College393 als Gäste, währenddessen die Wohnung mittels Raumteilungsmauern adaptiert und die Fußböden gegossen wurden. Die hohe Luftfeuchtigkeit erlaubt keine Holzböden.394

Die Wartezeit395 nutzten die beiden Frauen unter anderem damit, sich mit der Bengalischen Sprache auseinander zu setzen.396 Sie absolvierten auch einen „informellen Höflichkeitsbesuch“ beim Erzbischof Henry D’Souza397 und wurden herzlich empfangen.

Der Erzbischof sprach bei der Gelegenheit von einem Grundstück in Barasat, das in näherer Zukunft für die Helferinnen vorgesehen sei. Generalvikar Msgr Gomes nahm sich des aktuellen Wohnungsvertrages an, brachte konkrete Vorschläge für Studiertische und Betten für die Mädchen und sicherte Stühle aus dem Bischofshaus zu. Außerdem war von ihm aus eine Ausschreibung samt Anmeldeformular für interessierte Mädchen an

390 Vgl. Interview Sr Brigitta, Z138-141, S131.

391 Sr Ernestine bezeichnete das bewilligte apostolische Projekt mit Weitblick als Tor, durch das Helferinnen in Indien doch noch richtige Wurzeln fassen könnten, vgl. Interview Sr Ernestine, Z54-58, S122.

392 Vgl. Interview Sr Hemma, Z312-319, S117f.

393 Vgl. FN Morning Star College in Kapitel 3.2. Fahrten nach Westbengal

394 Vgl. Interview Sr Hemma, Z349-353, S118f.

395 Vgl. Interview Sr Hemma, Z363f, S119.

396 Der Unterricht beim betagten Professor Fr Moses erfolgte in Riesenschritten: In der ersten Stunde wurde das ganze Alphabet, das elf Vokale kennt, inklusive Schrift, welche ein Mittelding aus Alphabet und Silbenschrift basierend auf Sanskrit ist, durchgenommen. In der zweiten Einheit folgte Dichtung auf Bengali, nämlich ein Liedtext von Rabindranath Tagore. In der dritten Stunde kam Fr Moses mit einer Bengali-Zeitung, die gelesen und verstanden werden sollte. Somit war die Überforderung vollkommen, vgl.

Interview Sr Hemma, Z367-375, S119.

397 Vgl. FN D’Souza in Kapitel 5.1. Inkulturation, Interkulturation, Inkarnation

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verschiedene Pfarren ergangen, um den Start des Studyhouses der Helferinnen bekannt zu machen.398

Die Arbeiten in der Mietwohnung des Lahiri-Hauses schritten voran. Der Einzugstermin Mitte Juni 1995 war realistisch. Vereinzelt trafen Briefe von Mädchen, die kommen wollten, ein. Der Erzbischof plante eine Haussegnung im kleinen Kreis und versprach Utensilien für eine Hauskapelle, wie einen kleinen Altar und einen Tabernakel. Kreuze kamen aus Wien, ein Kelch wurde von Fr William, dem Pfarrer der Wohnpfarre, geliehen.

Matten und Hocker wurden gekauft. Messgewänder und Stolen sollten mit der Zeit angeschafft werden.

Zum weltlichen Existieren wurde Gas zum Kochen angemeldet, ein Zähler für Elektrizität montiert und auch ein Kühlschrank besorgt. Um vom Weltgeschehen nicht abgeschnitten zu sein, sollte ein TV-Gerät in die Wohnung kommen, je eine Zeitung in Bengali und Englisch wurden bestellt.399

Ab dem 8. Juni 1995 trafen die ersten Mädchen ein.400 Das Studyhouse wurde immer belebter. Ein Mädchen wurde, wie vereinbart, von den Schwestern aus dem Heimatdorf abgeholt.401

Das gemeinsame Leben im Studyhouse nahm mehr und mehr Gestalt an. Englisch-Konversation spielte dabei eine große Rolle. Ein Stundenplan und ein Plan zur Arbeitsteilung wurden erstellt. Das Kochen erfolgte abwechselnd, wobei die Mädchen von Anfang an involviert waren. Die Schwestern kümmerten sich zusätzlich um Schulzulassungen, diverse Stempel und Formalitäten und notwendige Arztbesuche.

Glatte Tagesabläufe waren selten, denn Strom402 und Wasser403 fielen immer wieder aus.

398 Vgl. TGB1, 22.05.1995 und 23.05.1995, S219.

399 Vgl. TGB1, 01.06.1995 und 05.06.1995, S223f.

400 Vgl.TGB1, 07.06.1995 bis 09.06.1995, S224 und 23.06.1995, S225.

401 Vgl. TGB1, 29.06.1995 und 01.07.1995, S225.

402 Vor Wahlen in Kolkata gibt und gab es verlässlich Strom. Sind die Wahlen vorbei, fällt der Strom täglich mindestens einmal aus, vgl. TGB1, 26.07.1995, S228.

403 Mit Wasser musste trotz reichlichen Grundwassers, vgl. TGB1, 18.08.1995, S231. sparsam umgegangen werden, da der Tank nur zweimal pro Tag gefüllt wurde. Fällt der Strom aus, kann nichts nachgepumpt werden. Die Schwestern sammelten Regenwasser, um Haare oder Wäsche damit zu waschen, vgl. TGB1, 01.08.1995, S229. Bei längerem Stromausfall rann das Abtauwasser des Kühlschrankes immer wieder unter die Betten, vgl. TGB1, 29.07.1995, S228.

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Um die Mädchen für den Schulalltag zu unterstützen, wurde eine Bengalin als Englisch- und Bengali-Lehrerin engagiert. Sie kam regelmäßig in das Lahiri-Haus, um Unterricht zu erteilen.404 Im September 1995 wurde auch ein Ehepaar für Musik- und Tanzunterricht ausfindig gemacht.405

Nach und nach kamen immer mehr für die Feier der Messe verwendbare Dinge ins Haus.

Ein Pfarrer, der Mädchen aus seiner Pfarre zu den Helferinnen vermittelt hatte, brachte ein weißes Messgewand als Geschenk; ein grünes und ein rotes wurden bei Karmelitinnen gekauft. Somit waren nach kurzer Zeit fast alle liturgischen Farben vorhanden. Auch ein Ciborium – eine Hostienschale mit Deckel – wurde besorgt.406 Zur Vervollständigung wurden ein Messbuch in Bengali und vier Liederbücher bei den St. Paul Sisters407 in Kolkata erstanden.408

Mitte August 1995 brachte ein Brief des Erzbischofs die Erlaubnis, das Allerheiligste in der Kapelle aufzubewahren.409 Der Generalvikar Msgr. Gomes nahm bei einer Messe die Einweihung des Tabernakels vor.410

Ein Tagebucheintrag Ende September 1995 vermerkte voll Freude, dass ein Telefonkabel von der Straße her über den Balkon als Freiluftleitung direkt auf Sr Hemmas Schreibtisch verlegt wurde. Der erfolgreiche Testanruf nach Wien wurde mit Resten von altem Messwein gefeiert.411

Anfang Oktober 1995 neigten sich die ersten Studienmonate im Studyhouse mit allen alltäglichen Freuden und Problemen dem Ende zu. Weder Lernschwierigkeiten, noch Konflikte zwischen den Mädchen waren ausgeblieben. Die Schwestern hatten sich intensiv mit den ihnen anvertrauten Mädchen auseinandergesetzt, sie beim Studieren, Selbständig-Werden, in Reifungs- und Glaubensprozessen begleitet. Nun reisten die Mädchen der Reihe nach ab zu ihren Familien. Die Matratzen im Schlafsaal wurden mit Zeitungspapier bedeckt, die gewaschenen Vorhänge und Moskitonetze im Kasten

Anfang Oktober 1995 neigten sich die ersten Studienmonate im Studyhouse mit allen alltäglichen Freuden und Problemen dem Ende zu. Weder Lernschwierigkeiten, noch Konflikte zwischen den Mädchen waren ausgeblieben. Die Schwestern hatten sich intensiv mit den ihnen anvertrauten Mädchen auseinandergesetzt, sie beim Studieren, Selbständig-Werden, in Reifungs- und Glaubensprozessen begleitet. Nun reisten die Mädchen der Reihe nach ab zu ihren Familien. Die Matratzen im Schlafsaal wurden mit Zeitungspapier bedeckt, die gewaschenen Vorhänge und Moskitonetze im Kasten