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Weitergabe der Liebe: „Ich fühle, dass ich unser Charisma lebe.“

3. Teil: Weg nach Indien

4.5. Empfangene Liebe als Quelle

4.5.1. Weitergabe der Liebe: „Ich fühle, dass ich unser Charisma lebe.“

Sr Babita fühlte sich durch ihr warmherziges Zuhause nie in ihrem Lebensweg gebremst:

„Sie stoppten mich nicht.“680 Da es immer in ihr war, „den Menschen zu helfen, die es brauchen, den Armen, den Kranken“681,kam sie zu den Helferinnen. Wenn sie Not sieht, reagiert sie682: „Mein großer Wunsch ist es zu helfen, denen, die in Not sind. Denen, die innerhalb und außerhalb unseres Heimes sind. Helfen ist das Wichtigste.“683 Sr Babita unterstützt tatkräftig die Come and See684 Mädchen und gibt ihnen täglich intensiven

679 I6 Gouri, Z157, S69.

680 I1, Babita, Z43, S5.

681 I1, Babita, Z88f, S6.

682 Vgl. I1, Babita, Z128, S7.

683 I1, Babita, Z165f, S8.

684 Die Bezeichnung Come and Sees für die Mädchen, die probeweise mehrere Monate zu den Helferinnen nach Barasat kommen, um zu erfahren, wie sich Leben und Miteinander dort abspielen, ist wohl überlegt und hat sich im Laufe der Jahre als am treffendsten erwiesen. Come and See enthält doppelt Einladendes, durch den Ruf Come auf die Helferinnen zuzugehen und durch die Ermutigung See eine Aufforderung, einen persönlichen Eindruck zu gewinnen. Die Mädchen haben ihre 10. Klasse in ihrer Heimat abgeschlossen, sind um die 16 Jahre alt und tragen mehr oder weniger den Wunsch in sich, Kandidatinnen in einem Orden zu werden. Sie kommen meist aus sehr einfachen Verhältnissen und möchten gerne die 11.

und 12. Klasse abschließen, vgl. Interview Sr Marika, Z415-427, S21f.

Wenn sie bleiben möchten und sich auf Grund der Englischkenntnisse in der Lage dazu sehen, ins Studyhouse der Helferinnen zu wechseln, um eben die 11. und 12. Klasse zu absolvieren, erhalten sie weitere Unterstützung. Im Studyhouse wird den Mädchen auch in allen Belangen beigestanden, wenn sie

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Englischunterricht, um auf die englischsprachigen Schulen in Kolkata vorbereitet zu sein.685 In den Unterrichtsstunden in Barasatspielen lautes Vor- und Nachsprechen eine wesentliche Rolle. Das Lernen wird durch regelmäßiges Singen englischsprachiger Lieder unterstützt. Bei den auf Englisch gelesenen Messen und gemeinsamen Tischgebeten sind die Come and Sees durch Vortragen der Lesung oder Vorbeten englischsprachig aktiv.686 Diese Mädchen bekommen neben Englischunterricht auch Glaubensunterweisung von den Schwestern. Außerdem wird ihnen alltägliches Planen, Wirtschaften, Kochen und gezielte Gartenarbeit vermittelt. Der Tagesablauf ist straff und hängt als Wochenplan im Speiseraum. An einem Donnerstag ist zum Beispiel zu lesen:

5:45 Meditation, 6:30 Mass, 7:15 Breakfast, 7:30 Cleaning, 8:00 1st Class, 9:00 2nd Class, 10:00 Tea-break, 10:30 Cooking, Computer Class, 11:45 Studytime, 12:15 Angelus, 12:30 Lunch, 2:30 Singing-practice, 3:30 Games, 4:30 Bath, 5:15 Tea, 5:30 Rosary, 6:00 Studytime, 7:30 Prayer, 8:00 Supper, 9:00 News Review, 9:30 Lights off.687 Wie ernst es den Come and Sees mit dem Ordenswunsch ist, kristallisiert sich schnell heraus; bei vielen ist er echt. Die Mädchen haben in ihren Dörfern meist viel Not und Elend erlebt und tragen den Wunsch in sich, irgendetwas für andere zur Linderung zu tun.

Die Helferinnen möchten diesen Mädchen die Chance geben, menschlich und im Glauben zu wachsen, damit sie sich später in Freiheit entscheiden können, was sie aus ihrem Leben machen wollen, sei es Ordenseintritt, Studium, Ehe oder Familie.688

keinerlei Ordenswunsch äußern, sondern nur den höheren Schulabschluss machen möchten: Das Studyhouse ist für alle offen.

Wie können Come and Sees und Studyhouse finanziert werden? Welchen Beitrag die Angehörigen der Mädchen leisten, ist individuell verschieden und hängt von den jeweiligen Möglichkeiten ab. Die Helferinnen wollen nicht, dass die Familien gar nichts geben, da nicht der Eindruck entstehen soll, alles sei gratis. Die Unterstützung kann minimal sein, auch in Form von Naturalien wie Reis, wenn zum Beispiel zu Hause ein Reisfeld existiert, vgl. Interview Sr Marika, Z322-335, S18f. Wenn es die Familien der Mädchen schaffen, etwas Geld, vielleicht 300 Rupien monatlich zu geben, (1 Rupie = 0,012€, vgl.

https://www.xe.com>currencyconvert [abgerufen am 2.10.2018].), ist das sehr willkommen. Hauptsächlich finanzieren sich Studyhouse und Come and Sees jedoch aus Spendengeldern aus Deutschland und Österreich, vgl. Interview Sr Marika, Z535-541, S25.

685 Vgl. Kapitel 7.4. Abb. 47.

686 Vgl. TGB HF, 17.07.2016, S180.

687 Vgl. TGB HF, 14.07.2016, S175.

688 Vgl. Interview Sr Marika, Z511-530, S24f.

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In Sr Sangeeta war Helfen-Wollen und Verfügbarkeit für andere zu leben besonders stark verankert: „Ich hatte tief in meinem Herzen, ich wollte etwas für den Herrn tun, das war tief in meinem Herzen.“689 Deshalb fühlte sie sich von dem Artikel in einem Magazin690 die Helferinnen betreffend dazu gedrängt, umgehend zu reagieren, einer klassischen Berufung ähnlich: „Als ich diese Überschrift sah, berührte es mich so sehr. Ich sah Helferinnen und dachte: Lass mich gehen und meine Familie verlassen.“691 Sr Sangeeta ortete in sich selbst die Beweggründe Eugénie Smets zur Ordensgründung. Ab der Zeit des Noviziats erfuhren ihre Empfindungen Vertiefung: „Als ich zu den Helferinnen wollte, war tief in mir selbst dieser Geist der Maria von der Vorsehung. Im Noviziat lernte ich dann, was es ist damit, ich lernte die Geschichte, die Spiritualität. Ich erfuhr von Maria von der Vorsehung. Ich lernte die Schwestern kennen, die dort arbeiteten. Ich lernte, was das Leben einer Helferin ist. Unser Charisma zu helfen, auch zu beten, wenn jemand stirbt, ist jetzt tiefer in mir.“692

Sr Sangeetas aktuelles Helfen entspricht dem, was der Großteil der interviewten Schwestern lebt: Sie stellt sich in den Dienst der Mädchen, die in Barasat bei ihnen wohnen,693 umsorgt sie umfassend und gibt wie Sr Babita den Come and Sees täglich Englischunterricht.694

Sr Sushmita, bei den Großeltern, die die Enkelin gerne an der Seite eines Mannes gesehen hätten, herangewachsen, sprach so mit ihnen: „Ich sagte ihnen, dass ich nicht heiraten möchte, dass ich Menschen helfen möchte. So wie ihr auf mich geschaut habt, so will ich eine Nonne werden und mich um andere kümmern.“695 Diese Erklärung konnten die Großeltern akzeptieren.696 Konkret hat Sr Sushmita derzeit die Aufgabe übernommen, die Kommunikation nach außen durch Berichte und Artikel über die Gemeinschaft zu pflegen. Doch in erster Linie stellt sie sich den Mädchen im Studyhouse zur Verfügung.

Sie gibt Englischstunden und hilft bei den Hausaufgaben, wenn in der Schule etwas nicht

689 I2, Sangeeta, Z151f, S33.

690 Vgl. I2, Sangeeta, Z23-26, S30.

691 I2, Sangeeta, Z45f, S30.

692 I2, Sangeeta, Z138-143, S33.

693 Vgl. I2, Sangeeta, Z169-171, S34.

694 Vgl. Kapitel 7.4. Bildmaterial, Abb. 46.

695 I4, Sushmita, Z111-113, S48.

696 Vgl. I4, Sushmita, Z109-114, S48.

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verstanden wurde697: „So viel als möglich gebe ich mich selber, um den Menschen und den Mädchen zu dienen. Wenn ich gefragt werde, wenn ich es weiß, bin ich bereit zu sprechen, bin ich bereit, ihnen zu helfen.“698 Sr Sushmita ist es ein Anliegen, ihre Erkenntnisse weiter zu geben, ihre Inspirationen besonders mit der jungen Generation zu teilen.699 Sie zitiert sinngemäß ein ignatianisches Gebet700: „Alles, was ich erhalten habe, gebe ich Dir, Gott, zurück.“701 Dieses Versprechen hat für Sr Sushmita große Bedeutung und ist ihr stets gegenwärtig: „Ich erinnere mich immer an diese Worte, was ich empfangen habe, den anderen zu geben. Den anderen zu dienen.“702 Das Lesen der Konstitutionen ruft es ihr zusätzlich ins Bewusstsein.703 Sr Sushmita sieht auch ganz klar, dass durch den Einsatz der Helferinnen das Leben der ihnen anvertrauten Mädchen an Qualität zunimmt: Sie haben nicht nur viel Schulisches gelernt, sondern auch Selbstvertrauen gewonnen und Ideen bekommen, wie sie sich noch weiter entwickeln können. Viele bekommen einen Job und müssen nicht als billige Arbeitskraft ausgenützt auf einem Reisfeld tätig sein.704

Die im Babyalter an Kinderlähmung erkrankte Sr Lucy benötigte besondere liebevolle Aufmerksamkeit. Sie erfuhr sie in erster Linie von Missionaren der Jesuiten und Krankenschwestern im Spital705: „Sie halfen unserer Familie sehr. Als ich begriff, dass

697 Vgl. I4, Sushmita, Z200-207, S51.

698 I4, Sushmita, Z207-209, S51.

699 Vgl. I4, Sushmita, Z209-212, S51.

700 Bei dem hier angesprochenen Gebet handelt es sich um das Suscipe aus dem Exerzitienbuch, Betrachtung, um Liebe zu erlangen, EB 234: „Nehmt, Herr, und empfangt meine ganze Freiheit, mein Gedächtnis, meinen Verstand und meinen ganzen Willen, all mein Haben und mein Besitzen. Ihr habt es mir gegeben; euch, Herr, gebe ich es zurück. Alles ist euer, verfügt nach eurem ganzen Willen. Gebt mir eure Liebe und Gnade, denn diese genügt mir“, Ignatius, Geistliche Übungen, 100f.

701 I4, Sushmita, Z212f, S51.

702 I4, Sushmita, Z213-215, S51.

703 Dazu ist in den Konstitutionen zu lesen: „Die Liebe Gottes, die wir durch nichts verdient haben, ist eine Frohe Botschaft, die in uns den Wunsch nach totaler Hingabe weckt. Wenn wir Jesus Christus nachfolgen, lernen wir, zutiefst in unserem Herzen diese Liebe anzunehmen. Sie ist eine verwandelnde Kraft, die uns für die Vereinigung mit Gott und mit den Menschen öffnet und uns befreit zum Dienen“, Konstitutionen, Artikel 35, 25.

704 Vgl. I4, Sushmita, Z229-244, S52.

705 Vgl. I3, Lucy, Z199-203, S43.

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diese Menschen ihre Heimat verlassen hatten und uns so viel halfen, begriff ich, dass Gott so groß ist und unserer Familie half. Er half durch diese Menschen.“706 So war in Sr Lucy der Wunsch, erfahrene Zuwendung weiterzugeben, stets präsent: „Als ich zu den Helferinnen kam, als ich eine Nonne werden wollte, wollte ich zurückgeben, was ich erhalten hatte. Als ich zu den Schwestern kam, als ich eintreten wollte, wollte ich geben, was ich kann. Als ich die Schwestern fragte, wollte ich geben, was immer ich habe, im Studyhouse, in der Gemeinschaft.“707 Sr Lucy ist nun engagierte Leiterin des Studyhouses in Barasat. Andere zu lieben, ist für sie vorrangig: „Für mich als Helferin, was ich fühle und was ich zu leben versuche, ist es wichtig, dass ich mit Gott verbunden bin, dass ich Liebe gebe.“708

Sr Luisa lebt als Oberin der Gemeinschaft in Bolpur, Santiniketan709, 136 km nordwestlich von Kolkata gelegen und von dort in zweieinhalb Stunden per Zug710 zu

706 I3, Lucy, Z205-207, S43.

707 I3, Lucy, Z210-214, S43.

708 I3, Lucy, Z236f, S44.

709 In Bolpur / Santiniketan spielt der Name Rabindranath Tagore (1861-1941) eine bedeutende Rolle.

Tagores Familie war seit der Gründung des Stützpunktes in Kolkata 1690 mit der East Indian Company verbunden und sein Großvater der größte einheimische Geschäftsmann British Indiens. Tagore kam früh mit der europäischen Kultur und Gesellschaft in Berührung, war in der Folge nie stark antiwestlich eingestellt, ging aber auf Distanz zu seinem geschäftstüchtigen Großvater. Der Denker, bengalische Dichter und erste asiatische Nobelpreisträger (für Literatur, 1913) liebte die Natur Bengalens und hatte einen Blick für Alltägliches, Häusliches und Fragmentarisches. Er war von der moralischen Überlegenheit der vorindustriellen gegenüber der modernen Zivilisation überzeugt, vgl. Pankaj, Ruinen des Empires, 270-275. Im Jahr 1901 gründete er auf dem Familiensitz Santiniketan bei Bolpur eine Versuchsschule.

Santiniketan bedeutet Ort des Friedens. Tagores Ziel war es, das Beste der bengalischen Kultur zu fördern und sich vom britischen Schulsystem zu lösen. Tagores Schulbücher auf Bengali finden noch immer Verwendung. Aus der Versuchsschule entwickelte sich die Geisteswissenschaftliche Universität Vishwa Bharati, vgl. Abram/Edwards, Indien Norden, 856.

Ist von Santiniketan die Rede, müssen auch Baul-Sänger erwähnt werden. Die als Troubadoure von Bengalen bezeichneten Männer halten umherziehend das regionale Liedgut lebendig, vgl. ebd., 819 und 856. Diese Sänger lernen ihre nasale Gesangstechnik von einem Meister. Sie haben beschlossen, ihr Leben singend Gott zu weihen. Sie begleiten sich selber auf dem einsaitigen Instrument, ektara, das mit einem Plektron geschlagen wird. Der Korpus ist ein ausgehöhlter, mit Ziegenhaut bespannter Kürbis, vgl. TGB HF, 25.07.2016, S198.

710 So sieht die Lebensrealität vieler aus, die nicht in der Stadt beheimatet sind: Die Zugsschienen führen durch weite Ebenen mit unendlich vielen Reisfeldern. Bauern führen zur Anbauzeit jeweils zwei Zebus, die indischen Buckelrinder, unter einem Joch zum Ziehen der Furchen durch die überfluteten Felder. Selten

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erreichen. Wie schon im Kapitel 3.5.2., Bolpur – Chance für Stammesmädchen, berichtet, wurde auf Anfrage der dortigen Diözese Asansol im Jahr 2010 in der von Santaldörfern umgebenen Kleinstadt ein zweites Studyhouse speziell für die als Scheduled Tribes711 erfassten Santalmädchen eingerichtet. Die Verwirklichung Sr Luisas Charismas bedeutet für sie, unaufdringlich ganz für diese Mädchen da zu sein: „In meiner Arbeit, im Studyhouse mit den Mädchen, weil es dort so klein ist, ist es mühsam, aber niemand sieht es.“712 Um das Studyhouse zu realisieren, wurde nach kurzer Wohnzeit bei den ortsansässigen Jesuiten ein Einfamilienhaus gemietet, das aber bald zu wenig Platz bot.

Um die Mädchen unterzubringen, teilen sich drei Helferinnen ein Zimmer. Die Mädchen schlafen in Räumen mit Stockbetten. Gelernt und gegessen wird auf dem Boden sitzend.

Es wurde bereits ein Grundstück angekauft, um darauf einen geräumigeren Neubau zu errichten und auch ein Brunnen gegraben. Eine Mauer schützt vor fremder Besiedelung, doch lässt die Baubewilligung auf sich warten. Die Nachfrage der Santals nach einer Möglichkeit, ins Studyhouse Bolpur713 zu kommen, ist sehr groß. Mädchen haben noch

ist ein alter Traktor zu sehen, dessen Räder meist zur Hälfte im Schlamm versinken. Frauen stehen bis weit über die Knöchel im Wasser und sind mit dem Auseinandersetzen gebündelter Reispflanzen beschäftigt.

Die Samen wurden zuerst sehr dicht in der Erde angebaut. Haben die Pflänzchen eine Größe von ca 25cm erreicht, werden sie in 10cm Abstand auseinandergesetzt. Die schmalen Umrandungen der Reisfelder sind grasbewachsen. Auf ihnen suchen sich schwarze Ziegen oder Zebus ihr Futter. Einzeln verstreut liegen bengalische Dörfer mit Stroh oder Blech gedeckten Hausdächern, vgl. TGB HF, 25.07.2016, S197.

711 Santals gehören zu den „gelisteten Stammesvölkern“, den Scheduled Tribes. Die auf Chancengleichheit bedachte Verfassung Indiens stellte für unterprivilegierte Bevölkerungsgruppen Sonderrechte aus. Der 1949 verabschiedete und im Jänner 1950 in Kraft getretene Artikel 46 lautet: „Der Staat soll mit besonderer Sorgfalt die kulturellen und wirtschaftlichen Interessen der schwächeren Gruppen der Bevölkerung, insbesondere der im Anhang angeführten Kasten und Stämme, fördern; er soll sie vor sozialer Ungerechtigkeit und allen Formen der Ausbeutung schützen“, vgl. https://www.verfassungen.net [abgerufen am 27.07.2019]. Santals, als angeführter Stamm, sind, nach Antragstellung und Ausstellung eines Zertifikates durch die Behörde, zur bevorzugten Behandlung bei der Vergabe von staatlichen Stellen und - in unserem Fall - von Studienplätzen berechtigt. Zusätzlich engagiert sich die Diözese Asansol um Zugang zur Bildung für diese Mädchen, vgl. https://www.helferinnen.info/htm/studyhouse.htm [abgerufen am 24.01.2016] und vgl. FN Santals in Kapitel 4.2.1. Herkunft: „Ich bin Bengalin!“ Der konkrete Handlungsauftrag der Helferinnen sieht dabei so aus, dass sie sich rechtzeitig um die entsprechenden Anmeldeformulare zu kümmern haben, damit die Santalmädchen zu den ihnen zugesicherten Rechten auch kommen, vgl. TGB2, 12.07.1996, S263.

712 I7, Luisa, Z178f und Z183, S79.

713 Vgl. Kapitel 7.4. Bildmaterial, Abb. 44 und Abb. 45.

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immer wenig Chancen auf Bildung. Meist sind die Mädchen des Studyhouses die ersten Frauen ihrer Familie oder ihres Dorfes, die eine höhere Bildung erhalten. Die Helferinnen unterstützen beim Finden eines öffentlichen Schulplatzes, geben Sprachunterricht714 – in der Gegend von Bolpur ist die Unterrichtssprache Bengali715 -, helfen beim Umgang mit dem Computer und passen ihre Hilfestellungen an die jeweils neue Gruppe von Mädchen an. Der Haushalt mit Kochen, Putzen, Waschen, Einkaufen, die Gartenarbeit oder der Umgang mit Geld wird gemeinsam bewältigt und gibt Gelegenheit, Zusammenarbeit, Verlässlichkeit und Übernahme von Verantwortung einzuüben. Der Tagesplan ist ebenso straff wie in Barasat angelegt. Während der Schulzeit sieht er folgendermaßen aus: 5:00 Aufstehen, 6:00 Messe/Morgengebet, 6:45 Frühstück, 7:45-9:00 Studierzeit und Unterricht, 9:15 Duschen, 10:15 Zeit für die Schule, 12:30 In der Schule, 2:30 In der Schule, 5:00 Zurück von der Schule, 6:00 Rosenkranz, 6:30 -8:00 Studierzeit, 8:00 Abendessen, 8:30 Geschirrabwaschen, 9:00 Studierzeit, 10:00 Bettruhe.716 Die Mädchen bekommen, bevor sie zum Unterricht aufbrechen, etwas zu essen und gelangen dann mit Fahrrädern zu den Schulen. Im Studyhouse wird jede Einzelne beraten und begleitet und dazu ermutigt, ihr Leben mehr und mehr selber zu gestalten. Auf Ansuchen des Howrah South Point Zentrums717 wurden drei Mädchen mit leichter Körperbehinderung in das

714 Hier ein kleiner Eindruck der Sprachenvielfalt in Indien: Hindi als alleinige Amtssprache und Englisch im Rang einer offiziellen Sprache sind dominant. Hindi wird von 350 Millionen Menschen als Muttersprache gesprochen. Laut der Volkszählung 2001 existieren zusätzlich rund 1580 Sprachen und über 5000 Dialekte, vgl. Imhasly, Indien, 34ff. Die vier Hauptsprachfamilien in Indien sind Indo-Aryan, Dravidian, Tibeto-Burman und Austroasiatic. Hindi und Bengali gehören, wie die von zwei Helferinnen als Muttersprache gesprochene Stammessprache Sadani, zur Indo-Aryan Gruppe, vgl. Fürer-Haimendorf, Tribal Populations, 3. Santali, die Muttersprache der meisten Santalmädchen im Studyhouse Bolpur, gehört wiederum zur Mundasprache, einem Zweig der Familie, vgl. ebd., 109. Die Austroasiatic-Sprachen werden im Hochland von Odisha und den angrenzenden Regionen von Bihar gesprochen. Im Hügelland, das sich von der Westgrenze Odishas bis ins Innere der Halbinsel Indien zieht, ist die Heimat der Dravidischen Stammessprachen, vgl. ebd., 91.

715Bengali alsUnterrichtssprache ist ein aussagekräftiger Gegenpol zu den vorherrschenden Sprachen von Schulen und Universitäten, Hindi und Englisch. Letzteres diente der Vermittlung christlicher Moral und Sittlichkeit durch die Einführung des englischen Literaturunterrichtes in British India. Bildung und Erziehung waren primäre Instrumente der Konversion und Expansion, vgl. Do Mar Castro Varela, Maria / Dhawan, Nikita (Hg.): Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung, Bielefeld: transcript2 2015, 57f.

716 Vgl. Helper Sisters Meyera (Mädchen der Helferinnen), Rundbrief Dezember 2018, Seite 2.

717 Vgl. FN Howrah South Point in Kapitel 4.2.3. Schlüsselfiguren und Brücken auf dem Weg zu den Helferinnen: „Das ist der richtige Platz für dich!“

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Studyhouse Bolpur aufgenommen.718 Haben die Mädchen das Higher Secondary Exam, das Matura oder Abitur entspricht, geschafft, ist das der Ausgangspunkt für viele Berufsausbildungen. Sie können sich weiter als Lehrerinnen, Krankenschwestern, Physiotherapeutinnen, qualifizierte Sekretärinnen oder Ähnliches ausbilden lassen.

Manche beginnen ein Studium an einer Universität oder an einem College. Danach haben sie gute Chancen auf einen Berufseinstieg, der ihnen entspricht und auf einen eigenen Lebensunterhalt, der oft teilweise der ihrer Familie ist.719

Sr Luisa kennt die ihr anvertrauten Mädchen als fröhliche, lachende, Unfug treibende Gruppe, die aber sehr wohl beim Erwachsenwerden innere Kämpfe auszufechten hat. In dem Sinn begreift Sr Luisa ihre Santals als leidende Seelen: „Manchmal können sie sich nicht ausdrücken; manchmal haben sie die Möglichkeit, aber keiner versteht sie. So ist es ein innerer Kampf, durch den sie gehen.“720 Sr Luisa differenziert sehr genau: „Die Kämpfe sind da, aber es ist wichtig, wie man hindurchgeht, wie man sich selbst reinigt.“721 Hier setzt sie ihre Feinfühligkeit ein: „Wenn ich da bin, bin ich da und höre.

Ich sehe und ich verstehe. Ich kann sehen und etwas tun, das ihr Leben verbessert.722 Ich denke, es ist wichtig, den lebenden Seelen, mit denen ich lebe, bei denen ich bin, denen zu helfen,723 das Ziel ihrer Schöpfung zu erreichen.“724

Sr Luisas Eltern waren der Tochter stets mit großem Respekt vor deren Fähigkeiten und Entscheidungen begegnet. Sie machten aus nichts ein Problem und hatten sie nie zu etwas gedrängt.725 Diese Behutsamkeit gibt sie im Umgang mit anderen weiter.726

Ebenso in der Gemeinschaft in Bolpur lebt Sr Marsa. Vor ihrer Zeit mit den Santalmädchen war sie in Barasat im Formationhouse, dem Ausbildungshaus, tätig, gab

718 Vgl. Bericht Sr Hemma, in: Studyhouse Newsletter 2017 Barasat und Bolpur, S3f.

719 Vgl. Studyhouse Newsletter 2015/16 Barasat und Bolpur, S1.

720 I7, Luisa, Z185-187, S79.

721 I7, Luisa, Z189f, S79.

722 „[…] Wir geben für alle, die im Diesseits und im Jenseits auf dem Weg der Läuterung sind, alles hin, was wir haben und was wir sind. […]“, Konstitutionen, Artikel 21, 16.

723 I7, Luisa, Z195-198, S79.

724 Sr Luisa zitiert hier aus den Konstitutionen den Artikel, in dem die Ordensgründerin den Schwestern empfiehlt. „[…] in Einfachheit, Hingabe und Freude […] zu handeln und den Menschen dadurch zu helfen, das Ziel ihrer Erschaffung zu erreichen“, vgl. Konstitutionen, Artikel 6, 8.

725 Vgl. I7, Luisa, Z211-213, S79f.

726 Vgl. I7, Luisa, Z424-432, S87.

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dort Englischunterricht727, stand ihnen in vielen Situationen bei und „war mit ihnen.“728

dort Englischunterricht727, stand ihnen in vielen Situationen bei und „war mit ihnen.“728