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Inderinnen als Helferinnen der Seelen im Fegfeuer

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Academic year: 2022

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Zeichen von Hoffnung

„von den Tiefen des Fegfeuers bis an die äußersten Grenzen der Erde“

(Konstitutionen Artikel 7 und 93)

Inderinnen als Helferinnen der Seelen im Fegfeuer

Dissertation

zur Erlangung des akademischen Grades einer Doktorin der Religionswissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät

der Karl-Franzens-Universität Graz

eingereicht von

Hildegard Frühwirth BA MA

am

Institut für Religionswissenschaft bei

Univ. Prof.

in

Dr.

in

Ulrike Bechmann

Graz, 2021

Erstbegutachterin: Univ. Prof.

in

Dr.

in

Ulrike Bechmann

Zweitbegutachterin: ao. Univ. Prof.

in

Dr.

in

Maria Elisabeth Aigner

(2)

2

Ehrenwörtliche Erklärung

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende wissenschaftliche Arbeit selbstständig verfasst habe und alle unmittelbar damit verbundenen Tätigkeiten selbst erbracht habe. Ich habe nur die angeführten Quellen benutzt und mich auch sonst keiner unerlaubten Hilfsmittel bedient.

Diese Dissertation wurde keiner anderen Prüfungsbehörde, weder im In- noch im Ausland, in irgendeiner Form als wissenschaftliche Arbeit vorgelegt und ist bisher auch nicht veröffentlicht worden.

Die Arbeit wurde in gedruckter und elektronischer Form eingereicht.

Ich bestätige, dass der Inhalt der digitalen Version vollständig mit dem der gedruckten Version übereinstimmt.

Graz, Februar 2021

(3)

3

Inhalt

Vorworte ... 7

Danksagungen ... 7

Kurzfassung ... 9

Abstract ... 10

Persönlicher Bezug und wissenschaftliche Verortung ... 11

Einleitung ... 13

1. Teil: Entstehungsgeschichte der Kongregation bis zur Gegenwart ... 15

1.1. Ordensfrühling im 19. Jahrhundert ... 15

1.2. Hagiographische Quellenlage ... 21

1.2.1. Verwendung der zitierten Namen und Bezeichnungen ... 25

1.3. Kindheit und Jugendjahre der Gründerin ... 26

1.4. Wer war Eugénie Smet? ... 28

1.5. Von Eugénie Smet zum Wirken Marias von der Vorsehung ... 33

1.5.1. Fünf Beweise ... 34

1.5.2. Die Rolle des Pfarrers von Ars ... 35

1.5.3. Entwicklung in Paris ... 39

1.6. Konstitutionen ... 44

1.6.1. Blick in die Konstitutionen ... 47

1.6.1.1. Zentrale Leitung ... 51

1.6.1.2. Werdegang einer Helferin ... 53

1.6.1.3. Gehorsam und Armut ... 56

1.6.1.4. Schulung zur Hilfe durch Werke der Barmherzigkeit ... 57

1.6.1.5. Gottesmutter Maria als Unsere Liebe Frau von der Vorsehung ... 58

1.7. Ausbreitung bis China ... 62

1.8. Tod und Seligsprechung Marias von der Vorsehung ... 67

1.8.1. Äußere Zeichen von Verbindung und Hoffnung am Ausgangspunkt Paris .. 71

(4)

4

1.9. Kongregation der Helferinnen aktuell ... 73

2. Teil: Empirische Sozialforschung ... 75

2.1. Forschungsfrage – Forschungsstand ... 75

2.2. Forschungsdesign - Planungsprozesse – Umsetzung ... 76

2.2.1. Qualitative Forschung ... 76

2.2.2. Auswahl der Methoden und Herstellung der Daten ... 77

2.2.2.1. Sampling ... 77

2.2.2.2. Planung – Feld – Durchführung – Transkription ... 78

2.2.2.3. Auswertung – Analyse ... 79

2.2.2.4. Triangulation ... 80

2.3. Orientierungs-Legende zu den Kapiteln ... 81

3. Teil: Weg nach Indien ... 83

3.1. Einladungen nach Bangalore ... 84

3.2. Fahrten nach Westbengal ... 87

3.3. Aus für Indien? ... 89

3.4. Tamilin appelliert an Charisma ... 89

3.4.1. Das apostolische Projekt ... 92

3.4.2. Erstes Studyhouse im Lahiri-Haus ... 93

3.5. Lichtblicke ... 96

3.5.1. Progoti und Oikatan –Wohnung und Haus in Kolkata ... 101

3.5.2. Bolpur – Chance für Stammesmädchen ... 101

4.Teil: Indische Frauen als Helferinnen ... 104

4.1. Rahmenbedingungen und persönlicher Kontakt zu den Schwestern ... 105

4.2. Hintergrunderfahrungen und Prägungen ... 108

4.2.1. Herkunft: „Ich bin Bengalin!“ ... 108

4.2.2. Herkunftsreligion: „Wenn ich sterbe, lass meine Kinder taufen – ihr könnt sonst nicht überleben.“ ... 111

(5)

5

4.2.3. Schlüsselfiguren und Brücken auf dem Weg zu den Helferinnen: „Das ist der

richtige Platz für dich!“ ... 113

4.2.4. Gewachsenes Vertrauen zum Christentum und zu christlichen Institutionen: „… so war ich von ihrem Leben inspiriert!“ ... 117

4.3. Entscheidungen und Reaktionen ... 119

4.3.1. Ordenswunsch: „In meinem Herzen war es immer, eine Schwester zu werden!“ ... 120

4.3.2. Familiäre Reaktionen: „Ruf sie nicht an. Sie ist am richtigen Ort!“ ... 124

4.4. Eine Kongregation für Seelen im Fegfeuer? ... 127

4.4.1. Wer hatte Kenntnis vom Dienst an den Armen Seelen?: „Nein, nein, ich wusste das alles nicht.“ ... 128

4.4.2. Aspekte der Freiheit: „Wir konnten wählen.“ ... 132

4.5. Empfangene Liebe als Quelle ... 135

4.5.1. Weitergabe der Liebe: „Ich fühle, dass ich unser Charisma lebe.“ ... 135

5. Teil. Europäische Kongregation im indischen Kontext ... 145

5.1. Inkulturation, Interkulturation, Inkarnation ... 148

5.2. Apostolische Tätigkeit ... 151

5.3. Interkulturelle Gestaltung von Gebetsräumen ... 153

5.3.1. Kapellen und Oratorien ... 154

5.3.2. Gottesmutter Maria als Inderin ... 159

5.4. Interkulturelle Gestaltung von Gottesdiensten ... 162

5.4.1. Sprache – Musik - Instrumente ... 165

5.4.2. Friedensgruß – Namaste ... 169

5.4.3. Verehrung als Arati ... 171

5.4.4. Tanz in der Liturgie ... 174

5.4.5. Namensgebet – Namajapa ... 178

5.4.6. Ein Punkt mit Sandelholzpaste ... 182

5.4.7. Indian Rite Mass mit Bhajan-Gesängen ... 184

(6)

6

5.5. Multi- und interreligiöses Geschehen ... 188

5.5.1. Dritter Raum ... 190

5.5.2. Auseinandersetzung mit Schriften der Hindus ... 191

5.5.3. Kontakt mit Festen der Hindus ... 192

6. Teil: Resümee ... 199

7. Teil: Anhänge ... 204

7.1. Fragen der Leitfaden-Interviews ... 204

7.2. Literatur ... 206

7.2.1. Primärliteratur ... 206

7.2.2. Sekundärliteratur ... 209

7.3. Internetquellen ... 226

7.4. Bildmaterial ... 227

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7

Vorworte

Danksagungen

Diese Arbeit ist der Kongregation der Helferinnen zugeeignet.

Ich bedanke mich bei jeder namentlich in alphabetischer Reihenfolge angeführten Schwester der Helferinnen, die geduldig meine Fragen beantwortete, mir Schriftstücke zu Verfügung stellte, mich freundlich im In- und Ausland aufnahm oder zu einem Interview bereit war:

Sr Babita Baidaya, Barasat Sr Lucy Besra, Barasat Sr Gudrun Bohle, Paris Sr Marsa Ekka, Bolpur Sr Katharina Fuchs, Salzburg

Sr Karla Hasiba, Graz Sr Brigitta Kasper, Wien

Sr Luisa Kujur, Kolkata Sr Sangeeta Lakra, Barasat Sr Nimanti Majhi, Kolkata Sr Regina Mair, Barasat Sr Sushmita Majhi, Barasat

Sr Marika Mihaly, Barasat Sr Hemma Muschick, Paris Sr Elisabeth Pamperl, Graz Sr Margarete Pieber, Wien

Sr Gouri Sadar, Kolkata Sr Clare Wilson, Paris Sr Ernestine Zajic, Graz

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8

Ebenso bedanke ich mich, in alphabetischer Reihenfolge, bei allen Personen, die mir im Vorfeld meiner Forschungsreise nach Indien, direkt in Indien und danach wertvolle Informationen gegeben haben:

Dr. Sebastian Athappily, Graz Dr.in Anneliese Felber, Graz Bandana-Françoise Jalais, Kolkata

Flore de Javel, Paris Dr.in Isabelle Jonveaux, Graz Dr. John Romus, Barrackpore Dr.in MichaelaSohn-Kronthaler, Graz

Mein ganz besonderer Dank gilt Frau Univ.-Prof.in Dr.in Ulrike Bechmann für die hervorragende Betreuung und Unterstützung bei der Erstellung dieser Dissertation.

Ebenso ein herzliches Dankeschön an Frau Univ.-Prof.in Dr.in Maria Elisabeth Aigner für die Einführung in die Welt der Methode des wissenschaftlichen Arbeitens und die Zweitbegutachtung der Dissertation.

Bei meinem Sohn Mag. Thomas Frühwirth bedanke ich mich dafür, dass er mich auf das Studium Religionswissenschaft aufmerksam gemacht hat.

Bei meiner Tochter Clara Frühwirth BA MA bedanke ich mich dafür, dass sie dazu bereit war, jeweils zu Beginn der Interviews mit den indischen Schwestern zu fotografieren.

Mein Dank geht auch an Dr.in Eva Ruderer-Paula für das Korrekturlesen des Geschriebenen.

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Kurzfassung

Die vorliegende Arbeit ist der empirischen und historischen Religionswissenschaft zuzuordnen. Sie behandelt einen klar eingegrenzten bisher unerforschten Bereich, indem sie sich die Frage nach der Motivation für indische Frauen stellt, der in Frankreich entstandenen Kongregation der Helferinnen der Seelen im Fegfeuer beizutreten.

Die Beantwortung verlangte einen qualitativen Forschungsansatz. Als Methode Daten zu generieren dienten hauptsächlich episodische und narrative Interviews, deren Analyse folgendes Ergebnis brachte: Nicht die Sorge um Arme Seelen im Fegefeuer oder das Bestreben, die Erinnerung an Verstorbene wachzuhalten, waren für den Ordenseintritt ausschlaggebend. Es war schlicht die Möglichkeit, helfendes Handeln und tätige Nächstenliebe in dieser christlichen Gemeinschaft zu leben.

Der erste Teil der Arbeit gibt Einblick in Entstehungszeit und Geschichte der Kongregation in der Mitte des 19. Jahrhunderts, beleuchtet die spezielle Rolle Jean-Marie Vianneys bei der Gründung, zeigt den Wandel der jungen Französin Eugénie Smet zu Marie de la Providence und das schrittweise Werden bis zur erfolgreichen Gründung ihres Institutes 1856, das durch Übernahme der Konstitutionen des Ignatius von Loyola eine bereits erprobte Basis erhielt.

Die Ausbreitung der heute auf vier Kontinenten beheimateten Kongregation begann bereits 1867, als die Schwestern einem Ruf nach China folgten. Die Helferinnen blieben allerorts ihrem Charisma, bei allem Guten zu helfen, was immer es auch sei und der Tradition, keine Leitung von Institutionen zu übernehmen, um ungebunden auf Not reagieren zu können, stets treu.

Das Leben einer europäischen Kongregation - hier im indischen Kontext - ist von lebhaftem Austausch, von Inkulturation und noch mehr Interkulturation geprägt. Dadurch entsteht Neues, ein zuvor nicht vorhandener Dritter Raum, der im gelebten religiösen Alltag erfahrbar wird.

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Abstract

The present thesis belongs to the empirical and historical religious studies. It deals with a clearly defined so far unexplored area by questioning the motivation for Indian women to join the Congregation of the Helpers of Souls in Purgatory, which was founded in France.

Answering demanded a qualitative research design. Episodic and narrative interviews served as method to generate data. Their analysis yielded the following result: It was not worry about poor souls in purgatory or the desire to keep alive the memory of the deceased that was the deciding factor for joining the order. It was simply the possibility to live helping acts and active charity in this special Christian community.

The first part of the work gives insight into the time of origin and history of the Congregation in the middle of the 19th century, illuminates the special role of Jean-Marie Vianney in the foundation, shows the change of the young Frenchwoman Eugénie Smet to Marie de la Providence and the gradual becoming up to the successful foundation of her institute in 1856, which was given an already tested basis by accepting the Constitutions of Ignatius of Loyola.

The expansion of the Congregation, which today is located on four continents, began already in 1867, when the Sisters followed a call to China. The Helper Sisters always remained faithful to their charisma of helping with all good things, whatever it might be, and to the tradition of not taking over the leadership of institutions in order to be able to react to need in an unbound way.

The life of an European congregation in the Indian context is characterized by lively exchange, by inculturation and even more by interculturation. This brings something new into being, a previously non-existent Third Space, which can be experienced in everyday religious life.

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Persönlicher Bezug und wissenschaftliche Verortung

Im Jahr 1980 erfuhr ich erstmals von der Existenz einer Kongregation, die sich Helferinnen der Seelen im Fegfeuer1 nennt. Hier beginnt mein persönlicher Bezug zur Thematik: Ein nahes Familienmitglied erklärte, für alle Angehörigen überraschend, ein Noviziat bei den Helferinnen beginnen zu wollen. Die junge Frau war seit Jahren Mitglied einer GCL-Gruppe2. Sie hatte so individuell begleitete Ignatianische Exerzitien kennen und schätzen gelernt. Als eine Kollegin ihrer GCL-Gruppe in nähere Beziehung mit den Helferinnen trat, war der Kontakt zur Kongregation hergestellt.

Jahre später, bereits als Schwester mit ewigen Gelübden, gab sie auf die Frage nach dem Warum des Eintritts an, sich beim Kontakt mit Helferinnen gleich geistlich zu Hause gefühlt zu haben. In ihrer Lebensgestaltung war das Dasein als Ordensfrau in genau dieser Kongregation die entsprechende Art und Weise, Leben und Glauben zu verbinden.

In einer Zeit, in der Mail- oder WhatsApp-Kommunikation noch kein Thema war, erfuhr ich über Briefe und beigelegte Fotografien vom gelungenen Miteinander der Helferinnen in Indien mit anderen Kulturen und Religionen. Die gegenseitigen Kontaktaufnahmen

1 Zwei Bezeichnungen sind möglich: Häufiger wirdFegefeuer verwendet, Fegfeuer kommt seltener vor, vgl. Kunkel-Razum, Duden. 559.

2GCL steht für Gemeinschaft Christlichen Lebens. Sie hat eine lange Tradition. 1563 rief der Jesuit Jan Leunis die Marianische Kongregation ins Leben. Ab 1967 wurden mehrere Marianische Kongregationen in der Gemeinschaft Christlichen Lebens weitergeführt, deren Ursprung auf jene Laiengruppe zurückgeht, die nach 1540 in verschiedenen Teilen der Welt durch die Initiative des Ignatius von Loyola und seiner Gefährten entstanden war. Ausdruck der Wertschätzung der Vereinigung sind die von Papst Gregor XIII.

ausgestellte Bulle Omnipotentis Dei (5. Dezember 1584) und die Apostolische Konstitution Bis Saeculari (27. November 1948) von Papst Pius XII. Männer, Frauen, Erwachsene und Jugendliche aus allen Bereichen der Gesellschaft engagieren sich bis heute in der Nachfolge Christi. Die Statuten der Internationalen Katholischen Organisation wurden nach dreijähriger Probezeit am 31. Mai 1971 vom Heiligen Stuhl gebilligt. Am 3. Dezember 1990 bestätigte der Päpstliche Rat für die Laien die GCL als internationale öffentliche Vereinigung von Gläubigen päpstlichen Rechts und anerkannte ihre Grundsätze, vgl. Dekret 1620/90/AIC-50, in: Ertl, Grundsätze, 5f.

Die geistliche Quelle der Gemeinschaften sind die Exerzitien des Ignatius von Loyola. Die Mitglieder versuchen, Gott in allem zu suchen und zu finden. Gebet, Unterscheidung, tägliche Auswertung und geistliche Begleitung werden als besonders wichtige Mittel betrachtet, vgl. ebd., AG 5, 12.

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schienen mehr als Anstandsbesuche zu sein und die gemeinsam gefeierten religiösen Feste von Offenheit und gegenseitigem Respekt geprägt. Zusätzlich zeigten junge Inderinnen ernsthaftes Interesse am Eintritt in die Kongregation der Helferinnen. Somit war mein Forschungsinteresse geweckt. Es führte letztlich zum Verfassen dieser Arbeit, die ihren Platz in der empirischen und historischen Religionswissenschaft hat. Nach der Darstellung der Spiritualitätsgeschichte der Kongregation wurde mit den Methoden der empirischen Sozialforschung, die sich keineswegs auf Spekulationen, sondern auf minutiöse Verarbeitung gesammelter Daten verlässt, auf die Forschungsfrage nach der Anziehungskraft für indische Frauen, den Helferinnen der Seelen im Fegfeuer anzugehören, eingegangen. Um eine Antwort zu erhalten, musste das hier als Materialsammlung bezeichnete Quellenmaterial erst erstellt werden.

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Einleitung

Auf eine Frauenkongregation für Seelen im Fegefeuer wird unweigerlich mit Verwunderung reagiert. In der Fragestellung nach der Anziehungskraft einer Gemeinschaft zur Hilfe dieser Seelen, ist der Umgang des Wachhaltens der Erinnerung an Verstorbene impliziert. Die vorliegende Arbeit wendet sich diesbezüglich an den klar abgegrenzten, bisher unerforschten Bereich der indischen Helferinnen.

Der Beginn wirft einen Blick zu den Ursprüngen zurück. Im 19. Jahrhundert eine Kongregation zu gründen, war keine Besonderheit. Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten schienen danach zu verlangen, diese Art von religiös motivierten Gemeinschaften besonders unter jüngeren Frauen aus gutem Hause sprießen zu lassen. Das Kapitel 1.1. geht darauf ein.

Die Sekundärquellen sprechen im Frömmigkeitsvokabular des Jahrhunderts, hagiographisch und schönend. Im Kapitel 1.2. wird darauf Bezug genommen und gleichzeitig darauf hingewiesen, welche Primärquellen, wie Briefe und Tagebuchnotizen zu Rate gezogen wurden, um sich dem verklärenden Blick anderer zu entziehen und durch Selbstzeugnisse möglichst direkt an die hauptsächlich Agierenden heranzukommen.

Die in der hagiographischen Quellenlage erwähnte Primär- und Sekundärliteratur bildete das Ausgangsmaterial für die Kapitel und Unterkapitel 1.3. bis 1.8.

Den von der Gründerin herbeigesehnten Konstitutionen ist das Kapitel 1.6. gewidmet.

Die speziell für die Kongregation der Helferinnen umgearbeiteten Regeln des Heiligen Ignatius von Loyola bilden den tragfähigen Sockel des Instituts. Da diese Primärquellen in Erstfassung und nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil und dem Aufruf zur zeitgemäßen Erneuerung in verschlankter überarbeiteter Version existieren, wird im Sinne einer Entstehungsgeschichte auf beide Bezug genommen.

Die Unterkapitel zu 1.6.1. greifen Schwerpunkte heraus. Zuerst werden Einblicke in die Bedeutung der Generaloberin und der Oberinnen gegeben (1.6.1.1.), darauffolgend wird auf die Phasen der Ausbildung der jungen Interessentinnen an der Kongregation eingegangen (1.6.1.2.).

Da in den Konstitutionen dem Gehorsam und der Armut mehr Beachtung geschenkt wird als dem Gelöbnis der Ehelosigkeit und Keuschheit, geht das Unterkapitel 1.6.1.3. nur darauf ein.

Das angestrebte Helfen durch Werke der Barmherzigkeit bedarf einer Einübung. Darüber ist im Unterkapitel 1.6.1.4. zu lesen.

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14

Da die Gottesmutter Maria als Unsere Liebe Frau von der Vorsehung in der Existenz der Kongregation als eigentliche Oberin eine wichtige Rolle spielt, ist ihr das Unterkapitel 1.6.1.5. gewidmet.

Die Helferinnen sind eine Kongregation päpstlichen Rechts. Die Achse zum Heiligen Stuhl wird in dieser Arbeit bewusst in der Art und Weise gehalten, dass für das Institut bedeutende Päpste genannt, Dekrete und Breve zitiert und Schreiben des Zweiten Vatikanischen Konzils erwähnt werden.

Den Abschluss des historischen ersten Teiles bildet das Kapitel 1.9., Kongregation der Helferinnen aktuell. Es ist ein jäher Sprung in die Gegenwart. Die weltweiten Zahlen von Novizinnen und Schwestern mit Gelübden spiegeln die Größenordnung numerisch wider, sagen aber nichts über die tatsächliche Bedeutung der Kongregation aus.

Der zweite, dritte, vierte und fünfte Teil dieser Arbeit widmet sich dem Entstehen von Niederlassungen in Indien, der Situation der dortigen Helferinnen und ihrem Leben im soziokulturellen Kontext und beantwortet im sechsten Teil als Resümee die gestellte Forschungsfrage.

Der nun unmittelbar folgende erste Teil zeigt die Grundlagen und Voraussetzungen dafür, dass eine Ausbreitung vom Frankreich des 19. Jahrhunderts nach Indien im 21.

Jahrhundert stattfinden konnte.

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1. Teil: Entstehungsgeschichte der Kongregation bis zur Gegenwart

1.1. Ordensfrühling im 19. Jahrhundert

Die Bezeichnung „Frühling“ weist darauf hin, dass das Entstehen der Orden im 19.

Jahrhundert kein einzigartiges Phänomen war, sondern wie Jahreszeiten in der Kirchen- und Ordensgeschichte wiederkehrt. Nach einer ersten Zeit des Werdens, gefolgt von weiterer Entwicklung und Festigung, kommt meist ein Stillstand mit Rückbildung. Es kann ein vollkommener oder auch nur teilweiser Niedergang erfolgen. Durchschnittlich existiert eine Ordensgemeinschaft für eine Zeitspanne von 250 bis 350 Jahren. Andere Zeiten, veränderte Bedürfnisse und Herausforderungen können wieder neue Orden entstehen lassen.3

Im 19. Jahrhundert erlebten Kongregationen einen nie gekannten blühenden Aufschwung. Es wurden nicht weniger als 571 Institute weltweit päpstlich anerkannt.4 Als die junge Französin Eugénie Smet im Jahr 1856 in Paris die Kongregation der Helferinnen aufbaute, fiel das genau in diese für Gründungen fruchtbare Periode. Die Motive zum Aufblühen dieser Art christlichen Gemeinschaftsleben waren vielschichtig.

Die Industrialisierung, die eine Umstellung von Heimgewerbe zur Fabriksproduktion mit sich brachte, verursachte einen großflächigen Wandel der Arbeits- und Lebenswelten. Als negative Folgeerscheinung nahm die Verstädterung mit bedrückenden Wohnverhältnissen, schlechtesten Arbeitsbedingungen, Armut und Elend in großem Ausmaß zu.5

Genauer betrachtet war das in vielen europäischen Ländern als Ordensfrühling bezeichnete Entstehen zahlreicher katholischer Gemeinschaften ein Frauenkongregationsfrühling6, denn es waren vor allem die Frauen, die sich dazu aufgerufen fühlten, in der herrschenden sozialen Not tätig zu werden. Durch das Abwandern von Land und Kleinstadt in die Großstädte kam es zu Entwurzelungen, da

3 Vgl. Ganz, Kreativität, 45f.

4 Vgl. Meiwes, Arbeiterinnen, 73.

5Vgl. Sohn-Kronthaler, Frauen, 20.

6 Vgl. ebd., 94.

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stabile familiäre und auch kirchliche Verhältnisse verloren gegangen waren. Den weiblichen Teil der Abgewanderten traf diese Situation besonders hart, da Frauen häufig geringe Schul- und keine Ausbildung7 besaßen. Sind wiederum Mütter am Rand der Gesellschaft gehen Kinderschicksale damit Hand in Hand. Natürlich unterstützten die neuen Kongregationen durch ihre Tätigkeiten in den Bereichen Bildung, Kranken-, Armen- und Altenpflege sehr oft, aber nicht nur, Frauen.8

Nicht allein die Industrialisierung mit der damit verbundenen Not, auch die Zeit der Religionskritik und Säkularisierung motivierte von eigener christlicher Basis getragene Frauen durch kreatives und tatkräftiges Handeln beim Erneuern und Erstarken der katholischen Kirche mitzuwirken. Die Anstöße zum Neuaufbau gingen primär von privaten katholischen Kreisen und nicht vom Klerus aus. Frauen waren an praktischer Religionsausübung interessiert. Selbstheiligung, Evangelisation und Seelenrettung waren die Wege der Frauen, die durch Hinwendung an Arme, Schwache und Kranke zu Gott führen sollten.9 Im Alltag suchten die Schwestern Gott zu erfahren. Die Mystik des Alltäglichen – eine sehr weltliche Mystik – erlebten sie als Chance, Gott in allem zu finden.10 Frauen mussten in ihren Verhaltensweisen weniger als Männer erlernen, ihre Gefühle zu verdrängen. Sie ließen sich, empfänglich für Leid, von Hunger, Unterdrückung und anderen Ungerechtigkeiten tief bewegen und versuchten all das nicht nur auszuhalten, sondern Kräfte zu entwickeln, die ein entsprechendes Handeln ermöglichten.11

Es war anziehend und angesehen als Schwester gemeinsam mit Gleichgesinnten aktiv zu werden und so folgten zahlreiche junge Frauen12 diesem Ruf. Die Vorschriften der

7 Armut ist nicht nur ein Mangel an Einkommen, sondern auch ein Mangel an Lebensmöglichkeiten und Verwirklichungschancen, etwa durch erschwerten Zugang zu Bildung, vgl. Bechmann, Armut weiblich, 146.

8 Vgl. Sohn-Kronthaler, Frauen 100f.

9 Vgl. Ganz, Kreativität, 48.

10Vgl. Hintersberger, Elemente, 21f.

11 Vgl. ebd., 27f.

12 Die Entscheidung zum Eintritt in eine religiöse Gemeinschaft bedeutete für die Katholikinnen einen alternativen Lebensentwurf zu wählen, der gleichberechtigt neben Ehe und Familie stand. Die Kongregationen wünschten sich ein Eintrittsalter zwischen dem 17. und 26. Lebensjahr. In Ausnahmefällen war auch ein Beitritt mit 30 Jahren noch möglich. Das allgemeine Durchschnittsalter betrug 24 Jahre, vgl.

Meiwes, Arbeiterinnen, 125ff.

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Kongregationen waren lockerer als die traditioneller Orden. Im Jahr 1834 war ihre Rechtsform von Papst Gregor XVI. ausdrücklich gebilligt worden.13

Die Wurzeln des Erblühens von Kongregationen im 19. Jahrhundert reichten weit in die Vergangenheit zurück, in der ein Klostereintritt ein hoch anerkanntes Lebensmodell war.

Selbst die Säkularisation konnte das Bedürfnis nach dieser Lebensform nicht auflösen.

Das Entstehen neuer Gemeinschaften kann vielmehr als Wiederentdeckung und Wiederzulassung eines bewährten weiblichen Lebensstiles betrachtet werden. Die Schwestern waren im 19. Jahrhundert nicht mehr hinter Klostermauern verborgen, sondern durch ihre Tätigkeiten sichtbar. Öffentlichkeit als Raum der Männer und Privatheit als der der Frauen galten nicht mehr.14

Wenn sich eine Kongregation neu formierte, befasste sich Rom nicht sofort damit. Es bedurfte zuerst der Genehmigung des Diözesanbischofs, welcher Lebensweise, Verfassung oder Konstitutionen approbierte. Diese Diözesankongregation unterstand der Jurisdiktion des Bischofs. Nach mehrjähriger Tätigkeit und Ausbreitung konnte der Antrag auf päpstliche Anerkennung gestellt werden. Die Anerkennung erfolgte in den vier Stufen Belobigungsdekret, Approbation des Institutes, Gutheißen der Konstitutionen und definitive Approbation der Kongregation als solche päpstlichen Rechts. Sie untersteht dann weiterhin dem Bischof, doch müssen alle Veränderungen, wie die Gründung einer neuen Niederlassung oder Veränderungen in den Konstitutionen, vom Papst genehmigt werden.15

Ab 1850 stieg der weibliche Anteil an Personal der katholischen Kirche sprunghaft an.

Die Frauen traten mehr und mehr aus dem Schatten des nur von Männern repräsentierten Klerus.16 Die damit in direktem Zusammenhang stehende These von einer

„Feminisierung der Religion“ hat ihren Ursprung in den USA.17 Unter dieser These wird allgemein die Beteiligung und das Mitwirken von Frauen an religiösen Vorgängen, Organisationen und Institutionen verstanden. Der zahlenmäßige Anteil, gemessen an der

13 Vgl. Sohn-Kronthaler, Frauen, 94.

14 Vgl. Muschiol, Dienste, 45f.

15 Vgl. Meiwes, Arbeiterinnen, 59f.

16 Vgl. ebd., 261ff.

17 Die Feminisierungsthese basiert auf Barbara Welters 1976 verfasstem Beitrag „The Feminization of American Religion, 1800-1860“, vgl. Sohn-Kronthaler, Relevanz der These, 45.

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Bevölkerung und an Christinnen und Christen, wurde als sehr hoch betrachtet. Folglich wurde ein weibliches Übergewicht im kirchlichen Leben diagnostiziert.18

Verfechterinnen und Verfechter der Feminisierungsthese gehen bis zu der Behauptung, Verkündigung und religiöse Praxis seien weiblich geworden. Doch verfügt diese These über mangelnde Absicherung durch Quellenbelege, ist also nicht unangefochten. Eine universelle Gültigkeit der These ist ebenso in Frage gestellt, denn Konfessionen sollten getrennt diskutiert und nicht pauschal beurteilt werden. Auch könne ein Aufblühen weiblicher Frömmigkeit nicht männlichem Unglauben und Rückzug aus dem kirchlichen Leben entgegengestellt werden. Feminisierung von Religion im 19. Jahrhundert sollte vielmehr auf Teilbereiche, wie kirchliche Caritas oder religiöse Erziehung, angewandt werden.19

Freiwillige Ehelosigkeit und Gemeinschaftsleben waren angestrebte Ausgangsposition für ein selbstloses Dasein für Marginalisierte. Unterstützt durch laufend organisierte Spendenaktionen wurden Kranke gepflegt, Kinder unterrichtet und Suppenküchen für Bedürftige eingerichtet. Aktive und kontemplative Elemente wurden verbunden.20 Die Caritas erhielt dadurch ein weibliches Gesicht. In dem Bereich kann durchaus von einer Feminisierung des Katholizismus gesprochen werden.21

Eine vermeintliche Feminisierung von Gruppen und Institutionen kann auch primär als gesellschaftliches Phänomen gewertet werden. Um griffige Aussagen treffen zu können, müssten historisch-soziologische Zusammenhänge analysiert werden.22

In der Debatte stellt sich auch die Frage, ob Begriffe rund um den Feminismus in Bezug auf religiöse Frauen anwendbar oder nur in Verbindung mit Säkularem angebracht sind.23 Eines hat die debattierte Feminisierungsthese mit Bestimmtheit bewirkt: Sie veränderte den Blick auf das 19. Jahrhundert, denn es erschien nicht mehr als säkular, sondern als religiös. Durch ihr engagiertes Tun erlebten Frauen Aufwertung. Doch ist es wiederum zu wenig, Frauen im 19. und 20. Jahrhundert allein durch ihre religiösen Tätigkeiten zu beschreiben, ohne gesellschaftliche und politische Kontexte zu berücksichtigen.24

18 Vgl. Sohn-Kronthaler, Relevanz der These, 45.

19 Vgl. ebd., 46f.

20 Vgl. Ganz, Kreativität, 48f.

21Vgl. Schneider, Feminisierung, 13.

22Vgl. Muschiol, Dienste, 42.

23 Vgl. Bechmann, Frauenbewegungen, 223.

24 Vgl. ebd., 217.

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Ein wesentlicher Unterschied zwischen Kongregation und Orden findet sich in der Art und Weise der Leitung. Orden, Klöster bilden selbständige Einheiten, doch bei Kongregationen erfolgen Leitung und Organisation der Arbeit zentral. Das Generalat, die Generaloberin mit Assistentinnen, steht an der Spitze. Dem Generalat untergeordnet sind die Provinzoberinnen mit deren Assistentinnen. Jede einzelne Niederlassung hat an Ort und Stelle eine Lokaloberin. Seit 1860 werden nach päpstlicher Anordnung sowohl Generaloberin als auch deren Assistentinnen von Mitgliedern gewählt und nicht mehr vom Bischof bestimmt. Die untergeordneten Oberinnen werden wiederum von der Generaloberin ernannt. Die Verfahrensweisen sind in den jeweiligen Konstitutionen festgelegt.

Das Generalat hat Ausbildungsfunktion, verwaltet das Vermögen und gleicht finanziell zwischen den Niederlassungen aus. Das Generalat-Mutterhaus hat aber auch darauf zu achten, den Geist der Kongregation zu bewahren und zu starker Verweltlichung entgegenzuwirken.

In letzter Instanz haben sich Kongregationen päpstlichen Rechts an die Weisungen von Rom zu halten.25

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die spirituellen Beweggründe für Neugründungen immer eigenständiger und spezieller. Dahinter stand meist die geistliche Partnerschaft zweier Personen, nämlich die einer stark religiös inspirierten, charismatischen26, tatkräftigen Frauenpersönlichkeit und die eines in derselben Richtung engagierten Priesters. Frömmigkeit allein reichte für eine erfolgreiche Gründung nicht aus. Qualifikationen sowohl in religiösen als auch profanen Belangen bildeten die Voraussetzungen. Erfahrung, solide Bildung, Selbständigkeit und besonders Organisationsfähigkeit waren erforderlich. Die Mehrzahl der Gründerinnen entstammte

25 Vgl. Meiwes, Arbeiterinnen, 63-66.

26 Charisma ist an außergewöhnliche Leistungen einer bestimmten Person gebunden. Es muss von Anhängerinnen und Anhängern als solches erfahren werden. Dadurch wird eine charismatische Person durch ihre Macht über eine Gruppe definiert. Der Soziologe Max Weber (1864-1920) sieht Charisma nicht als angeborene Eigenschaft, sondern als Ergebnis eines Prozesses zwischen einem bemerkenswerten Individuum und seinen Anhängern, vgl. Osselaer, Charismatic women, 5.

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gutbürgerlichen Kreisen.27 Viele der Gründerinnen wurden für ihre Beispielgebung und ihr Wirken selig- oder heiliggesprochen.,28

Für Frauen in einer patriarchalischen Kirche war deren Unabhängigkeit nach Gründung und Ordenseintritt nur relativ. Zwar hatten sich die Schwestern der Kongregationen durch die Entscheidung zu jungfräulichem Leben und Ehelosigkeit einem Familienoberhaupt entzogen, doch waren sie nun an ihre geistlichen Begleiter, Beichtväter und Seelenführer gebunden. Sie waren den Pfarrern, Bischöfen und letztlich dem Papst unterstellt.29 Trotz der Mehrheit an weiblichem kirchlichen Personal änderte sich die patriarchale Struktur der Kirche nicht. Die Schwestern waren dem Klerus untergeordnet30, der verantwortungs- oder machtbewusst agierte.31

Durch die Selbstverwaltung der Kongregationen mit der Generaloberin als gewählte höchste Autorität einerseits und die Einreihung und Unterordnung in die kirchliche Hierarchie mit Bischof und Papst andererseits, lebten die Schwestern unter doppelter Hierarchie. Durch päpstliche Approbation war den Kongregationen allerdings die Hoffnung auf Unabhängigkeit von der Ortskirche gegeben.

Als Abschluss des Kapitels Ordensfrühling im 19. Jahrhundert sei erwähnt, dass nach den Säkularisierungsmaßnahmen in Frankreich gegen Ende des 18. Jahrhunderts von ebendort die Erneuerungsbewegungen im 19. Jahrhundert ihren Anfang nahmen.

Von Frankreich ausgehend breitete sich der Frauenkongregationsfrühling ab 1832 zuerst in Deutschland aus und verzweigte sich dann weiter in den Westen Europas.32

27 Vgl. Meiwes, Arbeiterinnen, 85.

28 Zu den ersten der zahlreich entstandenen weiblichen Kongregationen in Frankreich gehörten die von Rose-Virginie Pelletier 1835 in Angers gegründeten Guten Hirtinnen. Als Sr Maria Euphrasia nahm sich die Gründerin mit ihren Gefährtinnen der Mädchen und Frauen aus trostlosen sozialen Verhältnissen an. Sr Maria Euphrasia lebte von 1796 bis 1868. Sie wurde 1933 selig- und 1940 heiliggesprochen, vgl. Sohn- Kronthaler, Frauen, 94f.

29 Vgl. Ganz, Kreativität, 50f.

30 Die Kongregationsgründerin der Helferinnen Eugénie Smet erlebte kein Einzelschicksal. In ihrem Tagebuch notierte sie immer wieder, dass die strikte Führung ihres geistlichen Begleiters, des Priesters Basuiau, sie zerbreche: „Le Père m‘ étudie pourme briser“, Marie de la Providence, Journal Spirituel. 47.

31Vgl. Ganz, Kreativität, 56.

32 Vgl. ebd., 57ff.

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21 1.2. Hagiographische Quellenlage

Um das Leben der Gründerin Eugénie Smet und die Entstehungsgeschichte ihrer Kongregation darzustellen, wurden Primär- und Sekundärquellen verwendet. Zu den Primärquellen zählt auch von der Ordensgründerin selbst Geschriebenes oder Diktiertes.

Dietrich Korsch sieht in der Darstellung der Biographie einer Person einen typischen Fall von Narration. Die Erzählung aus unterschiedlichen Perspektiven, aus der Ich- und Du- Perspektive, lässt den individuellen Menschen erstehen, einerseits fiktiv, andererseits real.33 Volker Leppin weist auf die moderne Psychologie hin, die ein Selbstbild nur als ein mögliches Bild sieht und nicht „als unmittelbaren Ausdruck einer ontologisierbaren Wirklichkeit des Selbst.“34 Was eine Person über sich verbalisiert, verfolgt stets besondere Interessen. Wirken Selbst- und Fremdbeschreibung zusammen, bedarf es gegenüber der Selbstdarstellung kritischer Distanz, so sie biographisch verwendet werden soll.35 Korsch charakterisiert Fremdaussagen als Quellen, die von außen auf ein Individuum blicken. Sie beschreiben den Zusammenhang zwischen dem Individuum und seiner Umwelt, blicken vom Gemeinsamen zum Besonderen. Dagegen gehen Selbstquellen von sich selber aus und haben die Tendenz, das Individuelle zu verallgemeinern.36 Für Korsch stellen religiöse Biographien äußerst interessante Narrationen dar, „die zum Vollzug eigenen individuellen Lebens anregen.“37

Das persönlichste in dieser Arbeit verwendete Dokument ist das Petit Livre genannte spirituelle Tagebuch Eugénie Smets. Es enthält Eintragungen aus den Jahren 1848 bis 1859. Die erste Abschrift des spirituellen Tagebuches, das Notizen über das religiöse Leben Eugénie Smets enthält und den allgemeinen, täglich geführten Heften entnommen ist, wurde 1926 angefertigt. Kirchliche Notare bestätigten die Übereinstimmung mit dem Original. Im Jänner 1960 wurden die etwas mehr als 80 getippten Seiten zum internen Gebrauch vervielfältigt und gebunden.38

33 Vgl. Korsch, Individualität, 1.

34 Leppin, Biographie, 317.

35 Vgl. ebd., 316f.

36 Vgl. Korsch, Individualität, 3.

37 Ebd., 7.

38 Vgl. Marie de la Providence, Journal Spirituel, Introduction, 5.

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Für die Gründung von Bedeutung ist der indirekte Briefwechsel zwischen dem Pfarrer von Ars, Jean-Marie Vianney39, und Eugénie Smet. Die Korrespondenz wurde indirekt geführt, da Kaplan Joseph Toccanier die Gedanken und Formulierungen Vianneys in dessen Auftrag an Eugénie Smet übermittelte. Diese Schreiben wurden 1959 anlässlich des hundertjährigen Todesjahres Vianneys von den Helferinnen in Maschinenschrift übertragen und zum internen Gebrauch vervielfältigt.40 Die Sammlung der Briefe existiert in zwei Teilen. Das erste Heft mit mehr als 60 Seiten enthält Briefe der Jahre 1855 bis 1859. Der zweite mit 96 Seiten etwas umfangreichere Teil enthält die Schreiben nach Vianneys Tod von 1860 bis 1871. Der gesamte Briefwechsel wurde auch in die Geschichte der Kongregation Histoire de la Société eingefügt.

Diese soeben genannte Entstehungsgeschichte wurde von Eugénie Smet eigenhändig begonnen. Ab Jahresbeginn 1861 war sie mehrmals mit Nachdruck von ihrem geistlichen Begleiter Hippolyte Basuiau41 SJ dazu aufgefordert worden, für die Nachwelt in allen Einzelheiten schriftlich zu berichten. Für die Gründerin bedeutete das eine große Herausforderung und Mühe. Sie war jedoch bestrebt, diesen Auftrag gehorsam zu erfüllen. Mit fortschreitender Erkrankung schrieb sie nicht mehr selbst, sondern diktierte ihre Erinnerungen einer Mitschwester.42 Die ursprünglichen Bände wurden als Livre Bleu

39 Jean-Marie Vianney wurde am 8. Mai 1786 als Sohn einer einfachen Bauernfamilie in Dardilly bei Lyon geboren. Ein Pfarrer der Gegend namens Balley bereitete ihn auf ein Priesterdasein vor. Trotz Lernschwierigkeiten, vor allem im Lateinunterricht, somit ohne Abschluss des Priesterseminars, wurde er auf Empfehlung Balleys zum Priester geweiht. Vianney wurde die Pfarre Ars-sur-Formans zugeteilt, die wegen ihrer verwahrlosten Gemeinde unter Priestern gefürchtet war. Vianney suchte viermal um Versetzung an, die vom Erzbischof von Lyon auch jedes Mal gewährt wurde. Sie konnte jedoch nie durchgeführt werden, da Vianney entweder von Hochwasser oder der Gemeinde zurückgehalten wurde.

Seine tiefe Frömmigkeit, sein reiches Gebetsleben mit Büßen und Fasten und sein praktischer Einsatz für die Gemeinde zogen Menschen aus nah und fern an. Man sprach ihm die Gabe der Prophezeiung und der Krankenheilung zu. Mehrmals schwer erkrankt, überarbeitet und von Verzweiflungsanfällen geplagt, stellte man ihm im Jahr 1853 den Priester Joseph Toccanier (1822-1883) als Kaplan zu Seite. Vianney starb erschöpft und ausgezehrt am 4. August 1859. Er wurde 1904 selig- und 1952 heiliggesprochen. Ihm zu Ehren wurde in Ars anstelle der Pfarrkirche eine mächtige Basilika erbaut. Schon zu Lebzeiten als Volksheiliger betrachtet, gilt Vianney als Schutzpatron der Pfarrer, vgl. Rode, Jahresbuch, 538ff.

40 Vgl. Partie (Première), 1.

41 Hippolyte Basuiau SJ (1824-1886) lebte von 1857 bis 1865 in Paris im Jesuitenkloster in der Rue de Sèvres, unweit der Helferinnen. 1865 führte ihn die Missionstätigkeit nach China. Er starb 1886 in Shangai, vgl. Gardey de Soos, Eugénie Smet, 95.

42 Vgl. Histoire de la Société I, 2f.

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bezeichnet. Später verfügte die Gründerin, diese Erstbezeichnung durchzustreichen und die Schriften mit Histoire de la Société zu betiteln. Die Darstellung der Entstehung erschien in sechs Faszikeln, wurde 1998/99 von Österreichischen Helferinnen ins Deutsche übertragen und wird ungebunden in drei Ringmappen verwahrt.

Für biographische Schilderungen hat zeitlich nahe am Geschehenen Geschriebenes einen besonderen Wert.43 In diesem Sinn ist die wahrscheinlich älteste, vom Jesuiten Révérend Père Blot verfasste Beschreibung von Bedeutung. Sein Büchlein Les Auxiliatrices du Purgatoire erschien 1863. Père Blot war weder Beichtvater, noch geistlicher Begleiter der Frauen der sich formierenden Kongregation. Seine genaue Kenntnis der Situationen lässt den Rückschluss zu, dass das Geschick der Helferinnen in der Jesuitengemeinschaft Gesprächsthema war.

Auguste Hamon, ebenfalls Jesuit, verfasste zwei Bücher über die Helferinnen. Das erste hat das Leben der Gründerin und somit ersten Oberin zum Inhalt, das zweite berichtet von den Nachfolgerinnen Marie du Sacré Coeur und Marie de la Miséricorde. Die Bücher erschienen 1919 und 1921.

Die 1907 erschienene Notice sur la révérende Mère ist von Mère de Borgia verfasst. Als Schwester der Kongregation bewegen sich ihre Notizen zwischen Fremd- und Selbstbild.

Jahrzehnte später schrieb Sr Hermana unter ihrem weltlichen Namen Thérèse Gardey de Soos ein Buch über die Gründerin ihrer Kongregation, das 1996 unter dem Titel Eugénie Smet. Bienheureuse Marie de la Providence erschien. Dieses Buch wurde ein Jahr später von der Helferin Sr Sigrid Spannagel ins Deutsche übersetzt.

Sr Chantal de Seyssel, die den Ordensnamen Marie de Sales angenommen hatte, vermisste in Artikeln und Biographien eine zusammenfassende Studie der Spiritualität ihrer Kongregationsgründerin. Sie machte sich 1960 selbst mit „größtmöglicher Objektivität“44 ans Werk. In ihrer Schrift Leitfaden durch die Spiritualität Marias von der Vorsehung, wollte sie „die Dynamik eines geistlichen Lebens enthüllen und sein ständiges Vorwärtsschreiten unter dem Wirken Gottes.“45

Einzig die französische Schriftstellerin Marie René-Bazin – ihr Buch über Eugénie Smet Sie lebte ihren Namen wurde 1950 veröffentlicht – war keine Ordensfrau. Da sie die

43 Vgl. Leppin, Biographie, 317.

44 Seyssel de, Leitfaden, Vorwort ohne Seitenangabe.

45 Vgl. ebd.

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Helferinnen-Thematik in ihren Schriften öfter behandelt, muss sie eine starke Nähe zur Kongregation gehabt haben.

Von der erwähnten Korrespondenz und dem Tagebuch abgesehen ist das Quellenmaterial hagiographisch46 orientiert. Es erhebt nicht den Anspruch historisch und wissenschaftlich zu sein und war nicht für eine anonyme Schar von Lesenden, sondern für den internen Gebrauch der Gemeinschaft gedacht. Für hagiographisches Quellenmaterial, bei dem es nicht um Historizität geht, wählte Leppin die Worte, die Berichte würden aussagekräftig gleichsam von „theologischen Überzeugungen übermalt.“47

Hagiographische Texte tauchen in allgemeine Zeitverhältnisse und das soziale Umfeld ein und sollen helfen, Handlungen und Motive der beschriebenen Person nachvollziehen zu können und sie als nachahmenswertes Vorbild zu betrachten.48

Die Schilderung untypischer Kindheitsjahre ist in diesen Quellen nicht zu übersehen. Der Topos des puer senex49, hier vielmehr der puella senex, findet ausreichend Raum. Auch andere Merkmale, wie Schilderungen von Bekehrungserlebnissen, Lebensführung mit hervorstechendem Charisma und schlussendlich leidvollem Sterben sind in der Literatur zu finden.50 In hagiographischen Quellen unterstreichen Leiden und Martyrium die starke Beziehung zu Jesus Christus. Oftmals wird darauf hingewiesen, dass große Schmerzen nur durch den innigen Bezug auf Christus zu ertragen waren.51

Ohne das glaubwürdige Darstellen postmortaler Wunder, die Gottes Großtaten an einem Menschen zeigen und durch übernatürliche Vorgänge seine Anwesenheit offenbaren

46 Zur Gattung Hagiographie gehören Viten, die Lebensbeschreibungen Heiliger, die Mirakelberichte genannten Wundererzählungen, Translationsberichte, die Übertragungen von Reliquien oder Körpern Heiliger dokumentieren und Heiligenverzeichnisse. Autorin und Autor sind in Hagiographien gefordert, Menschliches für Göttliches transparent werden zu lassen, ohne dass sich das Menschliche verflüchtigt.

Hagiographien sind keine Biographien, so wie Heiligenbilder keine Portraits sind, vgl. Kranz, Heiligenleben, 41f.

47 Leppin, Stigmata, 150f.

48 Vgl. Nahmer, Heiligenvita, 57.

49 Puer senex bezeichnet das Herz eines weisen alten Menschen von Kindheit an. Zum Klischee der Kinder- und Jugendjahre gehört auch das durch aufmerksames Zuhören in der Kirche geprägte Verhalten, die jugendliche Ernsthaftigkeit und frühe Entscheidungsreife, vgl. ebd., 156ff.

50 Vgl. Kranz, Heiligenleben, 52.

51 Vgl. Leppin, Stigmata, 142f. Schon die Legenda aurea unterstreicht als eine der zentralen hagiographischen Quellen des Mittelalters die Christusnähe heiliger Frauen und Männer mittels Erduldung großer Schmerzen oder sogar eines Martyriums, vgl. Leppin, Stigmata, 144.

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sollen, hätte es keine Heilig- oder Seligsprechungen gegeben.52 Der Jesuit Ludwig Maria Hertling berichtete in seinem 1929 erschienenen Buch, Eugénie Smet, Maria von der Vorsehung, Gründerin der Gesellschaft der Trösterinnen der Armen Seelen von mehreren, aus medizinischer Sicht unerklärbaren Heilungen, die für den Seligsprechungsprozess herangezogen wurden. Diese Hagiographie diente im Kapitel über Tod und Seligsprechung als Hauptquelle.

Für die Darstellung der Lebensgeschichte der Gründerin und der Entstehung ihrer Kongregation wurde hauptsächlich aus dem soeben aufgezeigten Quellenmaterial geschöpft. Eckpfeiler wie Geburt, Approbationen, Tod oder Seligsprechung sind unverrückbar durch Urkunden zu belegen. Die gelebte Zeit dazwischen ließ sich durch Selbstquellen und Fremdinformationen zusammensetzen. Die Selbstquellen sind oftmals mit Datum und Ortsangabe versehen, was ein zeitliches und örtliches Mitverfolgen erlaubte. Beim Lesen der schönenden Fremdinformationen war und ist die auch von Leppin angesprochene kritische Distanz erforderlich.53

1.2.1. Verwendung der zitierten Namen und Bezeichnungen

In den folgenden Kapiteln wird die Gründerin Eugénie Smet bis zu dem Zeitpunkt, da sie ihren Ordensnamen zugeteilt bekommt, mit ihrem Mädchennamen benannt. Dieselbe Frau erhält als Ordensschwester in den Texten den Namen Maria von der Vorsehung, Marie de la Providence.

Die Mitbegründerin Eugénie Lardin heißt ab der Namenszuteilung durch Abbé Gabriel Maria vom Heiligsten Herzen, Marie du Sacré-Coeur.

Erhaltene Ordensnamen sind, wie die Bezeichnung Helferinnen als Kongregation, kursiv gesetzt. Auch die alten, heute nicht mehr für die Gemeinschaft verwendeten Namen, wie Armenseelenschwestern oder Trösterinnen der Armen Seelen, werden bei ihrem Vorkommen kursiv gesetzt.

Ebenso kursiv geschrieben sind die zahlreich vorkommenden speziellen Bezeichnungen, hinter denen sich eine hintergründige Information verbirgt.

Für die Entstehung des Ordens bedeutende Geistliche werden bei ihrer ersten Nennung durch Zusatzinformationen als Fußnote vorgestellt. Erstmals erwähnt tragen sie ihren

52 Vgl. Kranz, Heiligenleben, 52.

53 Vgl. Leppin, Biographie, 317.

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vollständigen Namen inklusive Zusatz ihres kirchlichen Ranges. Ab dem zweiten Mal ist die Nennung vereinfacht:

Der Heilige Pfarrer von Ars Jean-Marie Vianney wird zu Vianney.

Der Heilige Ignatius von Loyola wird zu Ignatius oder zu Heiliger Ignatius.

Hippolyte Basuiau SJ wird zu Basuiau.

Kaplan Joseph Toccanier wird zu Toccanier.

Pierre Olivaint SJ wird zu Olivaint.

Abbé Gabriel bleibt Abbé Gabriel.

Die Bezeichnungen Papst, Kardinal, Erzbischof oder Bischof bleiben bei jeder Nennung dem Namen vorangestellt.

1.3. Kindheit und Jugendjahre der Gründerin

Eugénie-Marie-Joseph Smet wurde am 25.3.1825 in Lille geboren und noch am selben Tag in der Maria und Joseph geweihten Kirche St. Maurice getauft. Sie war das dritte Kind der wohlhabenden Eltern Henri Smet (1791-1870) und Pauline Taverne de Mondhiver (1796-1872). Von den zahlreichen Geschwistern Laura, Marie, Emma, Ernst und Juliette wird sich Emma später der von ihrer älteren Schwester gegründeten Kongregation anschließen.

Die Zeiten waren vorerst ruhig. Die Eltern Smet konnten sich ausgiebig ihren Kindern widmen und das Gesellschaftsleben genießen.

Die Julirevolution von 1830 veranlasste die Familie dazu, auf das Land in das 3 km von Lille entfernte Loos zu ziehen. Hier besaß sie ein kleines Gut mit schlichtem Haus. Ohne das Gefühl von Einschränkung wurde dort der Lebensstil stark vereinfacht.54

Mutter Pauline war zutiefst gläubig. Die Vorstellung von leidenden Seelen im Fegefeuer bedrückte sie. Sie erzog ihre Kinder christlich und vermittelte ihnen traditionelle Werte, zu denen auch Dienst- und Opferbereitschaft zählten.55 René-Bazins Schilderungen nach fühlte Eugénie schon als Kind mit den Seelen Verstorbener. Beim Hören der Totenglocke unterbrach sie regelmäßig ihr Spiel, um ein Gebet zu sprechen.

54 Vgl. René-Bazin, Lebte Namen, 2ff.

55 Vgl. Gardey de Soos, Eugénie Smet, 10f.

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Wegen ihrer Reife wurde sie schon mit neun Jahren zur Firmung zugelassen. Ein Jahr später, am 7.4.1835, empfing sie die Erste Kommunion. An dem Tag weihte sie sich Gott und bat ihn erstmals, sie ins Ordensleben zu berufen.56

Ab Herbst 1836 besuchte Eugénie sieben Jahre lang das Pensionat der Sacré-Coeur Schwestern in Lille. Sie war sehr beliebt, intelligent und lebhaft. Außerdem hatte sie die Fähigkeit, andere zu begeistern und mitzureißen.57

Das Jahr 1842 betrachtete Eugénie nach tiefgreifenden Exerzitien beim Jesuiten Père Sellier als Jahr ihrer Bekehrung. Sie gelobte, Gott kein Opfer zu verweigern.58

1843 verließ sie das Sacré-Coeur in der festen Überzeugung, bald als Ordensfrau zurückzukehren. Aber ihre Eltern stellten sich diesem Wunsch wegen ihrer zarten Gesundheit entschieden entgegen.59

Zurück in Loos lebte Eugénie glücklich das Familienleben mit, spürte aber gleichzeitig viel Elend ihrer Umgebung auf. Loos, ursprünglich ein Wallfahrtsort mit langer marianischer Tradition, wuchs rasch, als Fabriken für chemische Produkte und Hopfenverwertung gebaut wurden.60

Die Industrielle Revolution kannte keinen Schutz der Arbeiter durch soziale Gesetzgebung. Missernten verschärften den Konkurrenzkampf der Spinnereien Nordfrankreichs. Die Zahl der Arbeitslosen und das Elend stiegen an.61 Eugénie verwertete Fallobst aus dem Garten, kochte Suppen für die Armen, nähte und flickte warme Kleidung. Während dieser gemeinsamen Tätigkeiten mit Familienmitgliedern und Freundinnen wurden nach René-Bazins Angaben gerne fromme Lieder gesungen.62 Eugénie verpackte ihre Gaben und legte die schriftliche Bitte: „Betet für die Seelen im Fegefeuer!“ bei, bevor sie die Pakete, möglichst persönlich, zu den Bedürftigen brachte.63

56 Vgl. René-Bazin, Lebte Namen, 6f.

57 Vgl. ebd., 9ff.

58 Vgl. ebd., 14.

59 Vgl. ebd., 15 und 30.

60 Vgl. ebd., 20f.

61 Vgl. Gardey de Soos, Eugénie Smet, 15ff.

62 Von Frömmigkeit durchdrungener Alltag, wie er sich etwa durch Gebet und Gesänge bei Handarbeit zeigt, weist hagiographisch in Richtung gottgeweihtes Leben, vgl. Leppin, Christentum, 425.

63 Vgl. René-Bazin, Lebte Namen, 19.

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Die Kirche versuchte Not mit seelsorglichen Projekten zu mildern, in denen „gute Werke“

eine wesentliche Rolle spielten. Diese zu tun verfolgte Eugénie laut Gardey de Soos mit großem Eifer.64

Innerhalb kürzester Zeit wurde Eugénie Mitglied zahlreicher wohltätiger Vereinigungen.

Im Beschaffen von Geld war sie ausgesprochen kreativ. Sie verfasste Litaneien, ließ sie vom Erzbischof von Cambrai approbieren, vervielfältigte sie und verkaufte sie an der Kirchentüre. Sie machte auch Aufzeichnungen von Predigten zu Geld oder veranstaltete wiederholt Lotterien65, um junge Afrikanerinnen loszukaufen, Waisenkinder in Hongkong zu bedenken oder Kirchendächer zu renovieren. Nicht von ungefähr wurde sie die „Goldgrube von Lille“ genannt.66

1.4. Wer war Eugénie Smet?

Das Lesen des Petit Livre, das Eugénie Smet zwischen ihrem 23. und 34. Lebensjahr täglich führte, gewährt Einsicht in ihre Persönlichkeit und ihr Glaubensleben. Die zukünftige Ordensgründerin stellte ihre Einträge unter den Schutz der Gottesmutter Maria und vermerkte eingangs: „Petit Livre, mis sous la protection de ma bonne et tendre Mère“.67

Das Tagebuch erstreckt sich vom Jahr 1848 bis zum Jänner 1859. Das Journal Spirituel bringt Auszüge daraus. Die Auswahl des Geschriebenen hat die Kongregation selbst getroffen. Tägliche Eintragungen wurden nur ab dem 22. Dezember 1858 bis zum 29.

Jänner 1859 übernommen.68

64 Vgl. Gardey de Soos, Eugénie Smet, 38.

65 Im Pariser Generalat hängt am Gang, welcher zu den zwei original erhaltenen Privatzimmern der Ordensgründerin führt, ein Ölgemälde. Es zeigt die elegant gekleidete 26-Jährige mit bemerkenswertem Detail, das bildlich Aussagen über ihren Charakter trifft: Eugénie hält das Manuskript einer Lotterie in der Hand, vgl. Kapitel 7.4. Bildmaterial, Abb. 13.

66 Vgl. René-Bazin, Lebte Namen, 20.

67Marie de la Providence, Journal Spirituel, 3.

68 Vgl. ebd., 3.

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Die ersten zwei Jahre sind auf 14 Seiten zusammengefasst, auf denen minutiöse Tagesplanung69, täglich gesprochene Gebete70, absolvierte Exerzitien71, erlangte Teilablässe72 und vollkommene Ablässe73 und Intentionen des Kommunionempfanges74 vermerkt wurden. Zwei Seiten widmen sich glücklichen Erinnerungen.75

Auf einem Blatt sind alle zwanzig Organisationen aufgelistet, denen sie „das Glück hatte anzugehören“76. Mit den Kindern Mariens oder dem Heiligen Kindheitswerk sollen hier nur zwei namentlich genannt werden.77

Eugénie formulierte im Petit Livre auch ihre persönlichen Entschlüsse und Vorsätze. Das brennende Anliegen, jedes Bemühen möge dazu dienen, Gott Seelen zurückzubringen, ist immer wieder notiert.78

Von großer Bedeutung für Eugénie Smet war der Rückblick auf die Spanne vom 23. bis zum 26. Jänner 1842, die Tage der Exerzitien mit Père Sellier SJ, die sie als Zeit ihrer Bekehrung einordnete. Unmittelbar danach folgte der Entschluss zur Ehelosigkeit und die an Gott gerichtete Bitte um Berufung zum Ordensleben.79

Am 1. Mai 1851 gelobte sie für ein Jahr jungfräulich zu leben. Zu ihrer großen Freude wurde ihr von Bischof Chalandon und ihrem geistlichen Begleiter ein Jahr später die ewige Jungfernweihe gestattet.80

Speziell der 25. Jänner 1854 hatte für Eugénie Smet zeitlebens eine große Bedeutung. Es war der Tag, an dem sie gelobte, sowohl ihr Tun als auch ihre Gedanken in den Dienst der Linderung der Qualen der Seelen im Fegefeuer81 zu stellen. Sie hatte klare

69 Vgl. ebd., 7.

70 Vgl. ebd., 10.

71 Vgl. ebd., 11.

72 Vgl. ebd., 12f.

73 Vgl. ebd., 14.

74 Vgl. ebd., 15.

75 Vgl. ebd., 16f.

76 Ebd., 15.

77 Vgl. ebd., 15.

78 Vgl. ebd., 18.

79 Vgl. ebd., 11 und 41.

80 Vgl. ebd., 31.

81 Die katholische Kirche verstand zu Eugénie Smets Zeiten unter Fegefeuer nicht einen Ort der Strafe, sondern einen Ort der Läuterung, an dem die im Zustand der Gnade und Freundschaft Gottes Verstorbenen ihre zeitlichen Sündenstrafen, das heißt ihre Sündenfolgen aus ihrer zeitlichen Existenz, abbüßen sollten.

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Vorstellungen davon, wie die Not der Seelen zu lindern und ihre Reinigung voranzutreiben wären. Die Hilfe sollte einerseits durch den Heroischen Liebesakt und andererseits durch leibliche und geistliche Werke der Barmherzigkeit geschehen.82 Eugénie Smet lebte in der Hoffnung, dass eine durch sie befreite Seele an ihrer Stelle Gott lobe und preise, bis sie selber in die Ewigkeit eingehen werde.83 Sie versprach auch, die Zahl derer mit all ihren Kräften zu vergrößern, die ihr bei der Seelenrettung beistehen.

Die Seelen sollten auf Erden eine Vertretung haben, die verhindert, dass sie vergessen werden.84

In Eugénie Smet machte sich immer wieder eine Leere breit. Sie hatte Angst, nicht genug Kraft und Energie aufbringen zu können, um ihre Vorhaben gut zu leben und umzusetzen.

Sie litt körperlich und seelisch, hatte Nervenschmerzen von Kopf bis Fuß und wurde häufig von Schlaflosigkeit gequält.85 Sie fühlte sich durch die strikte Führung ihres

Das Fegefeuer sei nicht der „Ort“ oder „Zustand“, an dem zwischen ewiger Seligkeit, dem Himmel, und ewiger Verdammnis, der Hölle, entschieden würde: der Himmel sei den Verstorbenen schon gewiss, doch könne nur eine reine Seele, eine Seele im Zustand der Vollkommenheit, in ihn eintreten, vgl. Journet, Fegefeuer, 7.

82 Heroischer Liebesakt und Werke der Barmherzigkeit waren im späten 18. und im 19. Jahrhundert gängige Begriffe. Dahinter stand die Vorstellung, dass man sich durch gute Taten im Diesseits einen Schatz im Himmel anlegen kann. Der kostbare Schatz sollte gleichsam ein Vorrat an guten Werken für die eigene Seele sein. Dieses sogenannte „Seelgerät“, wobei „Gerät“ in der alten Bedeutung für Vorrat oder Ausrüstung zu verstehen ist, möge einem nach dem eigenen Tod die Leidenszeit im Feuer verkürzen. Beim Heroischen Liebesakt verzichtet man auf diesen Vorrat, auf die Genugtuungswerte der eigenen guten Taten und wendet sie den Verstorbenen zu, übergibt sie Gott zugunsten der leidenden Seelen. Durch den Verzicht kommen die Verdienste einem selber nicht mehr zugute, vgl. Wegmann, Weg zum Himmel, 207f. Die zweite definierte Möglichkeit den Seelen zu helfen, war das Vollbringen von Werken der Barmherzigkeit.

Zu den leiblichen Werken zählt es die Hungernden zu speisen, die Dürstenden zu tränken, die Nackten zu bekleiden, die Fremden aufzunehmen, die Kranken zu pflegen, die Gefangenen zu besuchen und die Toten zu bestatten, vgl. Mt 25,35-36. Die geistlichen Werke umfassen es Unwissende zu belehren, Zweifelnden zu raten, Trauernde zu trösten, Sünder zurechtzuweisen, dem Beleidiger zu verzeihen, Unrecht zu ertragen und für Lebende und Tote zu beten. Die Werke beziehen sich auf die Endzeitrede Jesu, auf die Worte vom Weltgericht, vgl. Mt 25,31-46. Gegen Ende der Rede spricht Jesus: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“, Mt 25,40. Die angeführten Bibelzitate beziehen sich auf die Einheitsübersetzung, Herder 1980.

83 Vgl. Marie de la Providence, Journal Spirituel, 32.

84 Vgl. ebd., 5. Oktober 1855, 33f.

85 Vgl. ebd., 13. Jänner 1859, 73f.

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geistlichen Begleiters Basuiau gebrochen. Er gab ihr Anweisungen zur Entsagung, verglich eine Gemeinschaft mit einem großen Friedhof, in dem es kleine und große Kreuze und einen Kalvarienberg gebe. Die Oberin repräsentiere den Kalvarienberg und habe das größte Kreuz zu tragen.86

Eugénie Smet musste Basuiau auch alle Opfer mitteilen, die sie glaubte machen zu müssen, damit sie sich nicht selber täusche und verirre.87 Er gab ihr den Rat, sich in ihrem spirituellen Leben wie auf einer Reise zu fühlen, mit hellen, windigen oder regnerischen Tagen. Allein Ziel und Zweck der Reise wären von Bedeutung.88

Eugénie war vom Gedanken an die göttliche Vorsehung durchdrungen. Darunter verstand sie alles, was Gott ihr an Gutem zukommen ließ. Sie lebte in der Überzeugung, dass der Schöpfer mit unendlicher Güte ihr Leben Schritt für Schritt begleite, sie sein über alles geliebtes Kind sei, er ihr alles gebe und sie sich mit jeder Bitte an ihn wenden könne. Sie sah in allem, was ihr widerfuhr, Zeichen der Liebe Gottes. Ihre charakteristische Haltung wird sie zu ihrem Ordensnamen Maria von der Vorsehung, Marie de la Providence, führen.

Aus der Vorstellung der Vorsehung wuchs ihr Bedürfnis, Gott zu beschenken. Sie suchte Wege und fand eine Lösung: Gott liebe zwar die Seelen im Fegefeuer sehr, doch seine Gerechtigkeit hindere ihn daran, sie zu befreien. Eugénie wollte ihm Seelen zukommen lassen, gleichsam zurückgeben und auch andere dazu animieren, Gott durch Gebete und Opfer Seelen zu schenken.89 Sie wollte die Vorsehung der Vorsehung sein. Sogar in Briefen erinnerte sie Freundinnen regelmäßig daran, Litaneien und andere Gebete für Lebende und Verstorbene zu sprechen.90

Sr Maria vom Kreuz beschrieb als damalige Generaloberin im August 1963 in der Einleitung zu Sr Chantals Leitfaden durch die Spiritualität Leben und Wirken der Gründerin mit den Worten: „Sie war gedrängt vom Durst, Gott zu lieben, der für sie den Namen der Vorsehung trägt. Sie war entflammt vom Wunsch, IHM Gutes zu tun. So

86 Vgl. ebd., 47ff.

87 Vgl. ebd., 30. Dezember 1858, 68.

88 Vgl. ebd., 31. Dezember 1858, 69f.

89 Vgl. Histoire de la Société I, 5f.

90 Nach Eugénies Tod wurden ihre Briefe an Freundin Mathilde aus Lauvain an die Kongregation zur Verwendung zurückgegeben. In den in die Histoire de la Société aufgenommenen Briefen ermutigt Eugénie zum Beten von Litaneien, zu Gottesdienstbesuch und Beichte. Die Erleichterung der Seelen im Fegefeuer war ihr großes Anliegen, vgl. ebd., 12-24.

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