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Gottesmutter Maria als Unsere Liebe Frau von der Vorsehung

1. Teil: Entstehungsgeschichte der Kongregation bis zur Gegenwart

1.6. Konstitutionen

1.6.1. Blick in die Konstitutionen

1.6.1.5. Gottesmutter Maria als Unsere Liebe Frau von der Vorsehung

In den Gründungstexten ist vermerkt, dass die Helferinnen ihr Tun unter den Schutz der Unbefleckten Jungfrau stellen, die sie als ihre Mutter und Vorbild betrachten. Wie Maria es tat, übergeben sie sich der göttlichen Vorsehung.245

Marias Beispiel nacheifernd, sollen solide Tugenden, wie Glaube, Hoffnung, Liebe, Reinheit, Gehorsam, Armut, Demut und Liebe zum Leiden erlernt und ausgeübt werden.246

Die Konstitutionen 1984 widmen Maria, die als Unsere Liebe Frau von der Vorsehung angerufen wird, einen Artikel.247 Ebenso in den Konstitutionen ist für alle Helferinnen

241 Vgl. ebd., Artikel 7, 8.

242 Vgl. Gründungstext III, Teil 4, 2. Kapitel, Artikel 1, 175.

243 Vgl. ebd., Artikel 2,3, und 6, 175f.

244 Vgl. ebd., 3. Kapitel, Artikel 1 und 2, 179.

245 Vgl. Gründungstext II, Das Ziel der Gesellschaft, Artikel XIV und XV, 19.

246 Vgl. ebd., Die Mittel, die die Gesellschaft anwendet, um ihr Ziel zu erreichen, Artikel XIX, 21.

247 „Die Jungfrau Maria, die wir als Unsere Liebe Frau von der Vorsehung anrufen, ist ein Zeichen der Hoffnung im Leben des Instituts und des Volkes, dem wir dienen. Offen für den Hl. Geist, nimmt sie das Wort Gottes bedingungslos an. Sie stimmt prophetisch das Lied vom Kommen des Gottesreiches an, und ihr Sohn läßt [sic!] sie am Werk unserer Erlösung mitwirken. Ihr gelten unsere Liebe und unsere

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festgehalten, dass sie im Vertrauen auf die Gottesmutter Freude und Hilfe finden: Sie lernen von ihr, in Einfachheit alles von Gott zu erwarten.248

Schon seit dem 4. Jahrhundert und Kirchenvater Ambrosius (+379) bestand der unverrückbare Glaube, Maria sei Typus und Urbild der Kirche.249 Maria wurde sowohl als Mutter der Kirche als auch der Menschen betrachtet. Auf ihre bedeutende Rolle im Christusgeschehen weist das Neue Testament durch die Schilderung ihrer vollkommenen Hingabe an Gottes Willen,250 was der Theologe Wolfgang Beinert in folgende Worte fasste: „An ihr zeigt sich exemplarisch das Sein des Christen in Christus.“251

In der dritten Konzilsrunde des Zweiten Vatikanischen Konzils bekräftigte Papst Paul VI.

am 21.11.1964 Maria als Mutter der Kirche. Wie Maria in ihrer vorbildlichen Ganzhingabe, solle die Kirche hingebend an Christus sein Leben und Wirken in der Welt weiterführen bis zur Vollendung. Maria wurde zur Mitwirkerin am Heil der Welt erhoben, zur Vermittlerin von Gnaden und Mittlerin des Heils für die gesamte Menschheit. Maria stehe zwar unter Christus, sei aber als seine Mutter mit ihm direkt verbunden.252 Was das Zweite Vatikanische Konzil bezüglich der Gottesmutter erarbeitet hatte, betrachtete Beinert als „heilsame Wende“, da die Übertreibungen in der Marienverehrung in den Zeiten zuvor den Forderungen des Konzils entsprechend einer Rückkehr zu den Glaubensquellen gewichen waren. Marias heilsgeschichtliche Aufgabe und nicht ihre Verherrlichung standen nun wieder im Vordergrund.253

Der prominente Platz, den Maria im Leben der Ordensgründerin Eugénie Smet und besonders in den Anfangszeiten der Kongregation einnahm, liegt in der religiösen Erziehung des 19. Jahrhunderts begründet. Marienerscheinungen als Momente der Präsenz des Göttlichen und Begegnungsstätte zwischen menschlicher und himmlischer Sphäre, waren für die Zeit charakteristisch. In vorausgegangenen Perioden waren es Erwachsene und hauptsächlich Männer, denen sich als Seher Göttliches offenbarte. Im 19. Jahrhundert erlebten Frauen und Kinder das Geschehen vorerst für sich und wurden

Dankbarkeit für ihre lebendige und auf die Nöte der Menschen aufmerksame Gegenwart“, Konstitutionen, Artikel 33, 21.

248 Vgl. ebd., Artikel 91, 42.

249 Vgl. Scheffczyk, Mariengestalt, 154.

250 Vgl. Beinert, Heute Maria, 38f.

251 Ebd., 40.

252 Vgl. Scheffczyk, Mariengestalt, 154ff.

253 Vgl. Beinert, Heute Maria, 60.

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in der Folge Vermittlerinnen himmlischer Botschaften an Mitmenschen, - besonders an den Klerus.254 Die Bewertung der Erscheinungen stellte die Kirche vor zusätzliche Aufgaben.255

Von Frankreich ausgehend wurde von zahlreichen Marienerscheinungen berichtet. Vor allem Kinder, und von denen wiederum die Mädchen, erzählten von solch überirdischen Erlebnissen. Im Jahr 1830 erklärte Cathérine Labouré von der Jungfrau persönlich eine Medaille empfangen zu haben.256 Mit den Visionen in La Salette 1846 und Lourdes 1858 sollen hier zwei weitere konkret genannt werden. Marienverehrungen intensivierten sich mehr und mehr. Gerade in Frauenkongregationen bildeten sie eine beliebte feminine Praktik.257

Die Belebung der marianischen Frömmigkeit war auch eine Folge der Renouveau Catholique, der Katholischen Erneuerung Frankreichs. Laut Paul Schmidt SJ benötigt gerade Marienverehrung eine enge Wechselwirkung von Praxis, Frömmigkeit, Reflexion und Theologie, um nicht ins rein Gefühlsmäßige abzugleiten.258

Als Papst Pius IX. im Jahr 1854 Conceptio Immaculata, das Dogma der Unbefleckten Empfängnis Mariens, das die Freiheit von der Erbsünde vom Moment der Zeugung an beinhaltet, verkündete259, löste das eine weitere starke Welle von Marienverehrung aus.

254Vgl. Schneider, Feminisierung, 11-41, 19.

255 Durch die Vermittlung ihrer durch Marienerscheinungen empfangenen Botschaften gewannen die Seherinnen und auch Seher an einer Bedeutung, die von der Kirche offiziell nicht vorgesehen war. Die Erscheinungen sollten amtlich-hierarchisch kanalisiert werden. Priester hatten für korrekte Interpretationen und Organisation der Gnadenstätten zu sorgen. Der Klerus entschied über himmlischen und teuflischen Ursprung. Ein Anerkennungsverfahren sollte zur Entscheidung führen, vgl. ebd., 20.

256 Vgl. Beinert, Heute Maria, 49.

257 Vgl. Meiwes, Arbeiterinnen, 226f.

258 Vgl. Schmidt, Maria Modell, 14.

259 Papst Pius IX. definierte in der Bulle Ineffabilis Deus vom 08.12.1854, dass „die allerseligste Jungfrau im ersten Augenblick ihrer Empfängnis aufgrund einer besonderen Gnade und Auszeichnung vonseiten des allmächtigen Gottes im Hinblick auf die Verdienste Jesu Christi, des Erlösers des menschlichen Geschlechts, von jedem Makel der Erbsünde bewahrt blieb“, Scheffczyk, Mariengestalt, 166. Der Dogmatiker Scheffczyk äußerte auch bezüglich der Dogmaverkündigung, dass keine Glaubenswahrheit ein isoliertes Dasein führe, sondern aus der Einsicht in den Zusammenhang derselben entstehe und den Glauben verständlicher machen solle. Das Dogma von der Unbefleckten Empfängnis erhöhe Maria, erweitere zeitlich die Wirkkraft der Erlösung Christi und habe „den Christusglauben erhellende und ihn verstärkende Funktion“, ebd., 159.

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Für katholische Ordensschwestern war die Verschmelzung von Jungfrau- und Mutterideal bedeutsam. Durch die wertgeschätzte Jungfräulichkeit erhielt die Frau abseits von Ehe und Mutterschaft ihre eigene Würde.260

Jahrzehnte später, im Jahr 1974, setzte Papst Paul VI. mit seinem Apostolischen Schreiben Marialis Cultus die Würde der Frau betreffend einen neuen Akzent. Das Bestreben war, die Linie der Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils fortzusetzen und die konziliaren und nachkonziliaren Äußerungen zum Thema Marienverehrung zusammenzufassen und zu erläutern.261 Dem Papst war es ein Anliegen, dass marianische Frömmigkeit den anthropologischen Daten gerecht werde.262 Damit sprach er die Emanzipation der Frau an, was großen Widerhall hervorrief. Paul VI. lehnte die zurückgezogene Stellung der Frau ab und bejahte die moderne Frau263, denn nicht Marias kultureller Rahmen264 diene als Beispiel, sondern sie als Glaubende und Christusverbundene, die beides in ihrer speziellen Situation zu leben verstand.265 Maria sei „neue Frau und vollkommene Christin.“266

260 Vgl. Götz von Olenhusen, Frauen, 15.

261 Vgl. Beinert, Einführung, 10ff.

262 Vgl. ebd., 19.

263 „Im Marienkult muß [sic!] man auch den sicheren und bewiesenen Ergebnissen der Humanwissenschaften aufmerksam Beachtung schenken. Dies wird nämlich mit dazu beitragen, einen der Gründe für das Unbehagen zu beseitigen, das man im Bereich des Kultes der Mutter des Herrn antrifft: der Unterschied zwischen einigen seiner Inhalte und den heutigen anthropologischen Anschauungen sowie der tiefgreifend veränderten psychologisch-sozialen Wirklichkeit, in der die Menschen unserer Zeit leben und wirken. Man stellt fest, daß [sic!] es wirklich schwierig ist, das Bild von der Jungfrau, wie es in einer bestimmten Andachtsliturgie zu finden ist, in die Lebensbedingungen der heutigen Gesellschaft und insbesondere die der Frau einzuordnen“, Paul VI., Marialis Cultus, 2. Teil, 2. Abschnitt, Artikel 34, 74.

264 „Die Jungfrau Maria ist von der Kirche den Gläubigen nicht wegen der Art des Lebens, das sie geführt hat, zur Nachahmung empfohlen worden und noch weniger wegen der soziologisch-kulturellen Umgebung, in der es sich zugetragen hat und die heute fast überall überholt ist, sondern vielmehr stets deswegen, weil sie in ihren konkreten Lebensbedingungen vorbehaltlos und verantwortungsbewußt [sic!] dem Willen Gottes Folge geleistet hat (vgl. Lk 1,38); weil sie von ihm das Wort entgegennahm und in die Praxis umsetzte; weil ihr Handeln von der Liebe und der Bereitschaft zum Dienen beseelt war; weil sie die erste vollkommenste Jüngerin Christi gewesen ist, was einen universalen und bleibenden vorbildlichen Wert besitzt“, ebd., Artikel 35, 75f.

265 Vgl. Beinert, Einführung, 19f.

266 Paul VI., Marialis Cultus, 2. Teil, 2. Abschnitt, Artikel 36, 76.

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Die Entwicklungen in der Mariologie waren in der Anfangszeit der Kongregation nicht vorauszuahnen, berühren aber die nachfolgenden Schwestern der Helferinnen.

Zurück in den April des Jahres 1853 hatte Eugénie Smet den sehnlichen Wunsch nach einer bestimmten Marienstaue. Zu ihrer großen Freude erhielt sie eben diese Figur von einer Freundin als Geschenk. Maria hält beide Arme über der Brust gekreuzt, als wolle sie einen Schatz umschließen. Eugénie Smet nannte die Dargestellte in ihrem starken Glauben an die göttliche Vorsehung Unsere Liebe Frau von der Vorsehung.267

Als im August 1856 die provisorische Kapelle in der Rue de la Barouillère eingeweiht wurde, fand die Statue ihren Platz in der Nähe des Tabernakels.

Am 8. November 1856 vollzog die Gründerin eine symbolische Handlung, die Maria als wahre Oberin der Gemeinschaft festigte: Sie legte zwei mit einer zarten Kette verbundene Schlüssel zu ihren Füßen nieder.268 Der eine Schlüssel sollte Sinnbild für das Öffnen des Hauses, der zweite für das der Herzen sein.269

Der 8. November ist der Tag geblieben, an dem in jeder Niederlassung das Versprechen erneuert wird, Maria als Unsere Liebe Frau von der Vorsehung als erste und immerwährende Oberin des Institutes anzuerkennen.270