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Ordenswunsch: „In meinem Herzen war es immer, eine Schwester zu werden!“

3. Teil: Weg nach Indien

4.3. Entscheidungen und Reaktionen

4.3.1. Ordenswunsch: „In meinem Herzen war es immer, eine Schwester zu werden!“

Den befragten Schwestern schien ein geistliches Leben in christlicher Gemeinschaft bereits im Teenageralter als gangbarer Weg und als gutes Modell weiblicher Lebensgestaltung. Inwieweit der Ordenswunsch aus einem Nichtwollen eines anderen Lebens hervorging oder auf echter Gottessehnsucht beruhte, war nicht klar erkennbar.

Fast alle Schwestern orteten den Wunsch zum Eintritt in ihrem Inneren551 und in ihrem Herzen.552 Ganz klassisch lokalisierten sie ihr Verlangen nach dem Schritt im angenommenen Sitz der Seele, im Herzen, tief im Gefühlsbereich. Nur zwei Schwestern antworteten, allerdings durch die Formulierung der Fragestellung provoziert, dass der Ordenswunsch im Kopf und in den Gedanken, also im intellektuellen Bereich aufgetaucht wäre.553

Sr Gouri, deren Mutter sich schon während der Schwangerschaft eine Ordensschwester gewünscht hatte554, folgte einer klaren Zukunftsvision: „Ich hatte den Wunsch seit der 8.

Klasse, etwas Frommes zu tun. Auf verschiedenen Wegen suchte ich Gott. Ja, das war mein sehnsüchtiger Wunsch, eine Schwester zu werden und mich zu Gott zu erheben.“555 Sie hielt gezielt Ausschau nach einer Kongregation, die ihren Vorstellungen entsprach.556 Sr Gouris Geschwister sind alle verheiratet – ein Weg, der für sie selbst undenkbar gewesen war.557 Auf die Frage, ob jemals der Gedanke hochgekommen sei, die Kongregation wieder zu verlassen, erzählte sie von Zweifeln in der Zeit vor ihren ersten Gelübden und einem Brief an die Eltern mit der Aufforderung: „Kommt und holt mich!“558 Als die Eltern tatsächlich kamen, um sie abzuholen, war es, als habe sie in dem Moment ihre eigene, ganz persönliche Entscheidung getroffen und nicht mehr, wohl

550 I1, Babita, Z21, S4.

551 Vgl. I3, Lucy, Z20, S37; I8, Marsa, Z30, S89; I4, Sushmita, Z22, S45; I6, Gouri, Z33, S65.

552 Vgl. I1, Babita, Z21, S4; I2, Sangeeta, Z26, S30.

553 Vgl. I5, Nimanti, Z37f, S54; I7, Luisa, Z75f, S75.

554 Vgl. I6, Gouri, Z82-84, S66.

555 I6, Gouri, Z33-36, S65.

556 Vgl. I6, Gouri, Z32f, S65.

557 Vgl. I6, Gouri, Z69, S66.

558 I6, Gouri, Z98, S67.

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unbewusst, versucht, den Wunsch der Mutter zu erfüllen. Sie antwortete vehement: „No, no, no, ich will bei der Kongregation bleiben!“559

Auch Sr Babita spürte das Sich-Hingezogen-Fühlen zum Ordensleben deutlich in sich:

„In meinem Herzen war es immer, eine Schwester zu werden, das war mein Wunsch.!“560 Da sie ihren Schulabschluss schon hinter sich hatte, begab sie sich bei den Helferinnen gleich in das Formationhouse, das Ausbildungshaus.561 Ihre ältere Schwester ist verheiratet, der jüngere Bruder noch nicht.562 Eine Heirat war für Sr Babita keine Option.

Sr Marsa besuchte gemeinsam mir Sr Nimanti und Sr Sushmita die 11. und 12. Klasse in Odisha. Die drei jungen Frauen hatten gleiche Pläne: „Wir machten das Examen und sprachen, dass wir irgendwo eintreten wollten.“563. Eine jüngere Schwester Sr Marsas trug ähnliche Absichten in sich und trat bei den Sacred Heart Sisters ein.564 Sr Marsa hatte nie ernsthaft erwogen, die Helferinnen wieder zu verlassen, obwohl sie ihre Position als Ordensschwester nicht ganz klar sah: „Ja, als ich dort war, war ich am Anfang ein bisschen verwirrt, ob ich bleiben will oder nicht bleiben will. Aber nach einiger Zeit fand ich, ja, es ist gut. Denn ich fand, überall kämpft man um Anerkennung in der Familie, das ist überall, vielleicht ist das das Gute für mich. Dann begann ich mein Noviziat.“565 Und:

„Ob ich zu Hause bin oder hier: Es werden Probleme kommen. Ich habe sie zu bewältigen, egal ob in der Familie oder im Orden.“566

Sr Sushmita war, wie oben erwähnt, gemeinsam mit Sr Nimanti und Sr Marsa in den letzten Schulklassen und mit dem Gedanken beschäftigt, in eine Kongregation einzutreten.567 Der Wunsch, das zu tun, bestand schon sehr früh: „Es war von meiner

559 Vgl. I6, Gouri, Z89-108, S66f und I6, Gouri, Z108, S67.

560 I1, Babita, Z21f, S4.

561 Vgl. I1, Babita, Z22, S4.

562 Vgl. I1, Babita, Z26f, S4 und Z50, S55.

563 I8, Marsa, Z30, S89 und vgl. I8, Marsa, Z73f, S90.

564 Die Sacred Heart Congregation, die Kongregation der Schwestern vom Heiligsten Herzen Jesu, wurde 1910 auf Initiative von Fr Matthew Kadalikkattil (1872-1935) im indischen Bundesstaat Kerala gegründet.

Der neue Frauenorden wuchs schnell und verbreitete sich an vielen Orten Südindiens. Die Schwestern stehen im Dienst der Alten, Kranken und Armen. Als Herz Jesu Schwestern sind sie über die Grenzen Indiens hinweg bekannt. Mehr als 100 Schwestern sind beispielsweise in deutschen Krankenhäusern, Kliniken und Sozialstationen tätig, vgl. https://www.vko-neuwied.org [abgerufen am 21.08.2018].

565 I8, Marsa, Z67-70, S90.

566 I8, Marsa, Z108f, S91.

567 I4, Sushmita, Z11-15, S45.

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Kindheit an in mir, eine Nonne zu werden, aber ich hatte kein Wissen über eine Nonne.“568 Sie begann ihre Schulzeit bei Schwestern, erlebte, wie die MC-Sisters569 täglich die von ihnen betreuten Kinder in eben diese Schule brachten: „Das war der Startpunkt, an dem ich die Inspiration erhielt, ein Nonne zu werden. Da war ich sechs oder sieben Jahre alt.“570

Die dritte der drei Schulkameradinnen, die einen Eintritt erwog, war Sr Nimanti. Ihr war von vornherein klar, dass die örtliche Nähe ihres familiären Umfeldes nicht in Frage käme: „Ich wollte weit weggehen, denn ich möchte nicht immer meine Familie sehen, denn, wenn es einmal Probleme gebe, würden sie zu meiner Familie kommen.“571 Möglicherweise war die Aussage einer Bekannten aus dem Heimatdorf zu der damals Dreizehnjährigen: „Wenn du eintreten würdest, Nonne werden würdest, wäre das für dich sehr gut“572, der allererste Anstoß in Richtung Ordensleben? Immerhin erinnert sich Sr Nimanti noch heute an diese Worte.573.

Alle Geschwister Sr Nimantis, drei Schwestern und beide Brüder, wählten das Eheleben.

Das hatte sie niemals im Sinn.574 Allerdings tauchte der Gedanke, die Kongregation zu verlassen, während einer schweren Erkrankung auf, wobei sich Sr Nimanti für ein Gottesurteil entschied. Sie betete zur Heiligen Maria und zur Ordensgründerin, sollte sie genesen, wäre das das Zeichen, sie sei als Helferin erwünscht, wenn nicht, werde sie die Gemeinschaft verlassen. Sie wurde gesund und blieb.575

568 I4, Sushmita, Z22f, S45.

569 Die MC-Sisters, Missionaries of Charity, Missionarinnen der Nächstenliebe, ident mit den MT-Sisters, Mother Teresa Sisters, sind eine Ordensgemeinschaft, die den „Ärmsten der Armen von ganzem Herzen ohne Gegenleistung“ dient. Die erste Schwestergemeinschaft wurde im Oktober 1950 von Mutter Teresa, einer gebürtigen Albanerin mit dem bürgerlichen Namen Anjezë Gonxha Bojaxhiu (1910-1997) in Kolkata gegründet. 1979 erhielt sie für ihr Wirken den Friedensnobelpreis, 2003 wurde sie von Papst Johannes Paul II. selig- und 2016 von Papst Franziskus heiliggesprochen, vgl. https://www.katholisch.at>2017/09/04 [abgerufen am 22.08.2018].

570 I4, Sushmita, Z26-28, S46 und vgl. I4, Sushmita, Z50-52, S46.

571 I5, Nimanti, Z32-34, S54.

572 I5, Nimanti, Z39f, S55.

573 Vgl. I5, Nimanti, Z38-40, S55.

574 Vgl. I5, Nimanti, Z269, S61.

575 Vgl. I5, Nimanti, Z256-262, S61.

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Sr Sangeeta fühlte sich durch die Schwestern ihrer Schule, die Handmaids of Mary576 zum Ordensdasein inspiriert: „Da kam mir die Inspiration, ich könnte eine Schwester werden.“577 Die Gangrichtung war ihr demnach klar. Es galt aber, die passende Gemeinschaft zu finden. Sr Sangeetas Mutter hätte ihre Tochter, gleich deren Brüdern, gerne verheiratet gesehen.578 Als Heranwachsende kannte die junge Inderin das Gefühl des Verliebtseins und hatte auch eine fertige Berufsausbildung. Hätte sie nicht ihre Kongregation gefunden, wäre sie Englischlehrerin geworden und hätte vielleicht etwas ohne Charity gemacht.579 Bei den Helferinnen ist sie davon überzeugt: „Ich bin auf dem richtigen Weg.“580 „Da gab es viele typische Probleme in meinem Leben, Hochs und Tiefs.“581 Aber, da war immer die Gewissheit, die Kongregation nie mehr zu verlassen.“582

Sr Luisas Ordenswunsch wurde durch das Beispiel der Jesuiten in ihrer heimatlichen Pfarre geweckt. Nach der 10. Klasse ging sie probeweise zu einer von ihr nicht namentlich näher bezeichneten Kongregation, die ihren Wunsch weiter zu studieren aber nicht unterstützte. Bei den Helferinnen fand sie zu ihrer Freude ignatianische Spiritualität und Förderung bei der Weiterbildung, was sie mit: „Da sprang ich glücklich!“583 kommentierte.584 Auf die Frage, ob sie als Jugendliche auch an Heirat gedacht hätte, antwortete sie: „Ich erinnere mich nicht, aber: Nicht wirklich.“585. Beim Gespräch schien das Leben außerhalb der Kongregation für Sr Luisa, die zur Zeit der Interviews auch die Aufgabe der Oberin in Bolpur erfüllte, innerlich und zeitlich weit in der Ferne zu liegen.586

576 Vgl. FN Handmaids of Mary in Kapitel 4.2.4. Gewachsenes Vertrauen ins Christentum und in christliche Institutionen: „…so war ich von ihrem Leben inspiriert!“

577 I2, Sangeeta, Z42f, S30.

578 Vgl. I2, Sangeeta, Z63-70, S31.

579 Vgl. I2, Sangeeta, Z152-158, S33f.

580 I2, Sangeeta, Z154, S33.

581 I2, Sangeeta, Z164f, S34.

582 Vgl. I2, Sangeeta, Z167f, S34.

583 I7, Luisa, Z91, S76. Originalton: „So I jumped happily!“

584 Vgl. I7, Luisa, Z75-79, S75 und Z85-88, S76.

585 I7, Luisa, Z104, S76.

586 Vgl. I7, Luisa, Z227f, S80.

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Sr Lucy zweifelte ernsthaft an der Möglichkeit einer Realisierung ihres Wunsches nach Leben in einem Orden: „Ich möchte eine Nonne werden, aber ich habe keine Idee, welcher Orden mich akzeptieren würde, denn ich bin behindert.“587 Eine Ehe wäre für sie nie in Frage gekommen. Diese Vorstellung wies sie mit Bestimmtheit von sich: „Niemals, niemals! Ich wollte Nonne werden, die Helferinnen akzeptieren mich, wenn nicht, wollte ich keine andere Kongregation versuchen.“588 Wäre der Ordenswunsch unerfüllt geblieben, wäre sie nicht bei der Mutter geblieben, sondern hätte ihr eigenes Leben geführt. Die Voraussetzungen dafür hatte sie, denn sie hat Handel studiert und hätte sich um einen Marketing- oder Bank-Job bemüht.589 Einer ihrer älteren Brüder trat in die St.

Patricks Kongregation590 ein, verließ diese jedoch wieder. Jetzt sind beide Brüder verheiratet.