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Erstes Studyhouse im Lahiri-Haus

3. Teil: Weg nach Indien

3.4. Tamilin appelliert an Charisma

3.4.2. Erstes Studyhouse im Lahiri-Haus

Die Erzdiözese wusste genau, wo das Zweijahresprojekt des Studyhouses platziert sein sollte, nämlich in Kolkatas Vorort Barasat. Es war auch die Erzdiözese, die dafür ein Stockwerk des Hauses eines Mr Lahiri ausfindig machte.392

Im Mai 1995 landete Sr Hemma in Begleitung einer europäischen Novizin am Flughafen von Kolkata. Den ersten Monat verbrachten sie im Morning Star College393 als Gäste, währenddessen die Wohnung mittels Raumteilungsmauern adaptiert und die Fußböden gegossen wurden. Die hohe Luftfeuchtigkeit erlaubt keine Holzböden.394

Die Wartezeit395 nutzten die beiden Frauen unter anderem damit, sich mit der Bengalischen Sprache auseinander zu setzen.396 Sie absolvierten auch einen „informellen Höflichkeitsbesuch“ beim Erzbischof Henry D’Souza397 und wurden herzlich empfangen.

Der Erzbischof sprach bei der Gelegenheit von einem Grundstück in Barasat, das in näherer Zukunft für die Helferinnen vorgesehen sei. Generalvikar Msgr Gomes nahm sich des aktuellen Wohnungsvertrages an, brachte konkrete Vorschläge für Studiertische und Betten für die Mädchen und sicherte Stühle aus dem Bischofshaus zu. Außerdem war von ihm aus eine Ausschreibung samt Anmeldeformular für interessierte Mädchen an

390 Vgl. Interview Sr Brigitta, Z138-141, S131.

391 Sr Ernestine bezeichnete das bewilligte apostolische Projekt mit Weitblick als Tor, durch das Helferinnen in Indien doch noch richtige Wurzeln fassen könnten, vgl. Interview Sr Ernestine, Z54-58, S122.

392 Vgl. Interview Sr Hemma, Z312-319, S117f.

393 Vgl. FN Morning Star College in Kapitel 3.2. Fahrten nach Westbengal

394 Vgl. Interview Sr Hemma, Z349-353, S118f.

395 Vgl. Interview Sr Hemma, Z363f, S119.

396 Der Unterricht beim betagten Professor Fr Moses erfolgte in Riesenschritten: In der ersten Stunde wurde das ganze Alphabet, das elf Vokale kennt, inklusive Schrift, welche ein Mittelding aus Alphabet und Silbenschrift basierend auf Sanskrit ist, durchgenommen. In der zweiten Einheit folgte Dichtung auf Bengali, nämlich ein Liedtext von Rabindranath Tagore. In der dritten Stunde kam Fr Moses mit einer Bengali-Zeitung, die gelesen und verstanden werden sollte. Somit war die Überforderung vollkommen, vgl.

Interview Sr Hemma, Z367-375, S119.

397 Vgl. FN D’Souza in Kapitel 5.1. Inkulturation, Interkulturation, Inkarnation

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verschiedene Pfarren ergangen, um den Start des Studyhouses der Helferinnen bekannt zu machen.398

Die Arbeiten in der Mietwohnung des Lahiri-Hauses schritten voran. Der Einzugstermin Mitte Juni 1995 war realistisch. Vereinzelt trafen Briefe von Mädchen, die kommen wollten, ein. Der Erzbischof plante eine Haussegnung im kleinen Kreis und versprach Utensilien für eine Hauskapelle, wie einen kleinen Altar und einen Tabernakel. Kreuze kamen aus Wien, ein Kelch wurde von Fr William, dem Pfarrer der Wohnpfarre, geliehen.

Matten und Hocker wurden gekauft. Messgewänder und Stolen sollten mit der Zeit angeschafft werden.

Zum weltlichen Existieren wurde Gas zum Kochen angemeldet, ein Zähler für Elektrizität montiert und auch ein Kühlschrank besorgt. Um vom Weltgeschehen nicht abgeschnitten zu sein, sollte ein TV-Gerät in die Wohnung kommen, je eine Zeitung in Bengali und Englisch wurden bestellt.399

Ab dem 8. Juni 1995 trafen die ersten Mädchen ein.400 Das Studyhouse wurde immer belebter. Ein Mädchen wurde, wie vereinbart, von den Schwestern aus dem Heimatdorf abgeholt.401

Das gemeinsame Leben im Studyhouse nahm mehr und mehr Gestalt an. Englisch-Konversation spielte dabei eine große Rolle. Ein Stundenplan und ein Plan zur Arbeitsteilung wurden erstellt. Das Kochen erfolgte abwechselnd, wobei die Mädchen von Anfang an involviert waren. Die Schwestern kümmerten sich zusätzlich um Schulzulassungen, diverse Stempel und Formalitäten und notwendige Arztbesuche.

Glatte Tagesabläufe waren selten, denn Strom402 und Wasser403 fielen immer wieder aus.

398 Vgl. TGB1, 22.05.1995 und 23.05.1995, S219.

399 Vgl. TGB1, 01.06.1995 und 05.06.1995, S223f.

400 Vgl.TGB1, 07.06.1995 bis 09.06.1995, S224 und 23.06.1995, S225.

401 Vgl. TGB1, 29.06.1995 und 01.07.1995, S225.

402 Vor Wahlen in Kolkata gibt und gab es verlässlich Strom. Sind die Wahlen vorbei, fällt der Strom täglich mindestens einmal aus, vgl. TGB1, 26.07.1995, S228.

403 Mit Wasser musste trotz reichlichen Grundwassers, vgl. TGB1, 18.08.1995, S231. sparsam umgegangen werden, da der Tank nur zweimal pro Tag gefüllt wurde. Fällt der Strom aus, kann nichts nachgepumpt werden. Die Schwestern sammelten Regenwasser, um Haare oder Wäsche damit zu waschen, vgl. TGB1, 01.08.1995, S229. Bei längerem Stromausfall rann das Abtauwasser des Kühlschrankes immer wieder unter die Betten, vgl. TGB1, 29.07.1995, S228.

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Um die Mädchen für den Schulalltag zu unterstützen, wurde eine Bengalin als Englisch- und Bengali-Lehrerin engagiert. Sie kam regelmäßig in das Lahiri-Haus, um Unterricht zu erteilen.404 Im September 1995 wurde auch ein Ehepaar für Musik- und Tanzunterricht ausfindig gemacht.405

Nach und nach kamen immer mehr für die Feier der Messe verwendbare Dinge ins Haus.

Ein Pfarrer, der Mädchen aus seiner Pfarre zu den Helferinnen vermittelt hatte, brachte ein weißes Messgewand als Geschenk; ein grünes und ein rotes wurden bei Karmelitinnen gekauft. Somit waren nach kurzer Zeit fast alle liturgischen Farben vorhanden. Auch ein Ciborium – eine Hostienschale mit Deckel – wurde besorgt.406 Zur Vervollständigung wurden ein Messbuch in Bengali und vier Liederbücher bei den St. Paul Sisters407 in Kolkata erstanden.408

Mitte August 1995 brachte ein Brief des Erzbischofs die Erlaubnis, das Allerheiligste in der Kapelle aufzubewahren.409 Der Generalvikar Msgr. Gomes nahm bei einer Messe die Einweihung des Tabernakels vor.410

Ein Tagebucheintrag Ende September 1995 vermerkte voll Freude, dass ein Telefonkabel von der Straße her über den Balkon als Freiluftleitung direkt auf Sr Hemmas Schreibtisch verlegt wurde. Der erfolgreiche Testanruf nach Wien wurde mit Resten von altem Messwein gefeiert.411

Anfang Oktober 1995 neigten sich die ersten Studienmonate im Studyhouse mit allen alltäglichen Freuden und Problemen dem Ende zu. Weder Lernschwierigkeiten, noch Konflikte zwischen den Mädchen waren ausgeblieben. Die Schwestern hatten sich intensiv mit den ihnen anvertrauten Mädchen auseinandergesetzt, sie beim Studieren, Selbständig-Werden, in Reifungs- und Glaubensprozessen begleitet. Nun reisten die Mädchen der Reihe nach ab zu ihren Familien. Die Matratzen im Schlafsaal wurden mit Zeitungspapier bedeckt, die gewaschenen Vorhänge und Moskitonetze im Kasten verstaut, damit sie nicht verstauben und die Fensterläden geschlossen. Die noch

404 Vgl. TGB1, 06.08.1995, S229.

405 Vgl. TGB1, 17.09.1995, S235.

406 Vgl. TGB1, 26.07.1995, S228.

407 Vgl. FN St. Paul Sisters in Kapitel 5.3.1. Kapellen und Oratorien

408 Vgl. TGB1, 24.08.1995, S232.

409 Vgl.TGB1, 14.08.1995, S230.

410 Vgl. TGB1, 22.08.1995, S232.

411 Vgl. TGB1, 22.09.1995, S236.

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anwesenden Schwestern genossen kurz ein leeres Haus und bereiteten sich ein Abendessen ohne Reis zu.412 Dann brachen auch sie Richtung Wien auf, um Ende Oktober wieder zu kommen und die zurückkehrenden Mädchen zu empfangen.413