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Archiv "Arzneimittelversorgung: „Aus Opfern sollen Täter gemacht werden“" (11.06.1999)

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ellende Pfiffe und langanhal- tende Buh-Rufe. So heftig wie auf keinen anderen Vor- wurf der Politik an den Kassenärzten reagierten die Delegierten auf eine

„infame Unterstellung“, die Dr. Win- fried Schorre in seinem Bericht zur Lage brandmarkte: Die Kassenärzte, zitierte er Anschuldigungen von Poli- tikern, würden das Arzneimittelbud- get durch Mehrverordnungen „be- wußt gegen die Wand fahren lassen“.

Ein Vorwurf, den die Delegierten als schallende Ohrfeige empfanden.

„Hier wird ver- sucht, aus Opfern Täter zu ma- chen“, empörte sich Dr. med. Jür- gen Bausch, das für Arzneimittel- fragen zuständige Vorstandsmit- glied der KBV.

Bausch wies engagiert und überzeugend nach, daß keines- wegs eine „politi- sche Aktion“ der Kassenärzte für die zweistelligen Steigerungsraten bei den Arznei- mittelausgaben im ersten Quartal dieses Jahres ver- antwortlich ist.

Die Entwicklung beruht vielmehr auf statistischen, medizinischen und ver- sorgungsrelevanten Fakten. So wurde die Mehrwertsteuer 1998 um einen Prozentpunkt erhöht, die Zuzah- lungsabsenkung und die veränderte

Chronikerregelung ließen die Arznei- mittelausgaben um drei Prozentpunk- te ansteigen, und die Arzneimittel- preise legten um 0,9 Prozent zu.

Hochpreisige Spezialpräparate

Ferner muß für 1999 mit einer ho- hen Strukturkomponente für neue Präparate und Packungsgrößen ge- rechnet werden, die von der ABDA auf 5,5 Prozent geschätzt wird.

Schließlich waren von der europawei- ten Grippewelle in Deutschland etwa sieben Millionen Menschen betroffen, was zu einer deutlichen Mehrverord- nung von Arzneimitteln (etwa 5,5 Prozent) geführt hat.

Als entscheidenden Faktor für die wachsenden Verordnungszahlen nannte Bausch allerdings die milli- ardenschwere Ausgabenexplosion bei hochpreisigen Spezialpräparaten: „So viele Ginkgotropfen und Venensal- ben kann man gar nicht weglassen, um AIDS, Krebs, Transplantationsnach- sorge et cetera budgetneutral thera- pieren zu können.“ Hintergrund: In Deutschland werden derzeit pro Tag Spezialpräparate im Wert von mehr als sechs Millionen DM verschrieben – Tendenz steigend. Zu diesen „bud- getsprengenden“ Medikamenten ge- be es, so Bausch, keine therapeuti- schen Alternativen.

Hinzu komme, daß die Patienten in den Krankenhäusern oftmals auf die hochpreisigen Präparate einge- stellt würden und dann in den Praxen die gleichen Arzneimittel verschrie- ben werden müßten. „Mit der Budget- problematik lädt die Politik alle Last einzig und alleine den niedergelasse- nen Ärzten auf den Rücken, während zeitgleich im Krankenhaus die dort versorgten Patienten – offenbar von Budget und Wirtschaftlichkeit unge- hemmt – mit Medikamenten aller Art versorgt werden.“

Unverzichtbare Innovationen

Als weitere schwerwiegende Ur- sachen für den Ausgabenanstieg bei Arzneimitteln hat Bausch die Markt- entwicklung bei den wirklichen Inno- vationen sowie die größere Verord- nungstiefe zum Beispiel bei Diabetes, zur Schmerztherapie und zur Behand- lung von Ulzerationen im oberen Ga- A-1544

P O L I T I K

KASSENÄRZTLICHE BUNDESVEREINIGUNG

(28) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 23, 11. Juni 1999

Arzneimittelversorgung

„Aus Opfern sollen Täter gemacht werden“

Die Kassenärzte wehren sich vehement gegen Vorwürfe aus der Politik, wonach sie im 1. Quartal 1999 als Reaktion auf das Gesetzesvorhaben bewußt mehr Arzneimittel

als notwendig verordnet haben sollen.

G

Ein bemerkenswerter Vortrag vor der KBV-Vertreterversammlung: Dr. med. Jür- gen Bausch erläutert den Delegierten die Ergebnisse einer aktuellen Studie des In- stituts für medizinische Statistik (IMS), derzufolge statistische, medizinische und versorgungsrelevante Fakten für die drastische Steigerung der Arzneimittel- ausgaben verantwortlich sind. Anschuldigungen, wonach die Ärzte irrational oder gar politisch motiviert mehr Medikamente verschrieben hätten, sind somit haltlos.

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strointestinaltrakt ausgemacht. Dies sei Ausdruck einer ordnungsgemäßen und gewollten medizinischen Versor- gungsverbesserung der Bevölkerung.

„Wenn man die Versorgung schwer- kranker Patienten möchte, dann braucht man auch teure neue Arznei- mittel“, resümierte Bausch.

Ärzte haften bei einer Budgetüberschreitung

Angesichts dieser belegbaren Fakten weisen die Kassenärzte eine Verantwortung für den Ausgabenan- stieg bei der Arzneimittelversorgung von sich. Entsprechende Vorwürfe seien völlig „unqualifiziert“, weil es ja schließlich die Ärzte seien, die am Jahresende für den zu erwartenden Überschreitungsbetrag bis zu einer

Höhe von fünf Prozent des Arznei- mittelbudgets haften müßten. „Skan- dal ist eine milde Beurteilung für die- sen Vorgang“, kommentierte Bausch die unhaltbaren Anschuldigungen.

Ausschlaggebend für die jüng- sten Attacken auf die Ärzteschaft ist, zumindest nach Auffassung von Bausch, eine aufkommende Nervo- sität bei den Politikern, die ja schließ- lich für die Budgetvorgabe politisch verantwortlich seien. „Im Herbst wird in vielen KVen das Geld alle sein, und die fühlbare Rationalisierung wird al- len Patienten und Wählern klarma- chen, wohin eine planwirtschaftliche Budgetierungsvorgabe ohne Rück- sicht auf die gesundheitlichen Versor- gungsbedürfnisse der Kranken führt“, prognostizierte Bausch. Sein Fazit:

Die staatlich vorgegebenen Budgets werden – trotz aller Bemühungen der

Kassenärzte und Kassenärztlichen Vereinigungen um eine wirtschaftli- che Verordnungsweise – nicht ausrei- chen, um die Versorgung der Patien- ten mit Arznei- und Heilmitteln si- cherzustellen. Dies müsse die Politik endlich erkennen. Bausch unter dem Beifall der Delegierten: „Wir haben die Fakten auf den Tisch des Hauses gelegt. Die Diagnose steht fest: Das Arzneimittelbudget ist der falsche Ansatz. Es muß weg!“

Die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung hat ihre Kritikpunkte am Arznei- mittelbudget in der nachstehenden Resolution zusammengefaßt. Als Dis- kussionsgrundlage für eine Neuord- nung des GKV-Arzneimittelmarktes verabschiedeten die Delegierten dar- über hinaus ein Zehn-Punkte-Pro-

gramm. Jens Flintrop

A-1546

P O L I T I K

KASSENÄRZTLICHE BUNDESVEREINIGUNG

(30) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 23, 11. Juni 1999 Das sogenannte Solidaritätsstärkungsgesetz hat

für 1999 für die Versorgung mit Arzneimitteln und Heil- mitteln ein Budget auf der Grundlage der Versorgungs- verhältnisse des Jahres 1996 (!) festgesetzt.

Die Versorgung der Patienten mit Arzneimitteln weist im ersten Quartal 1999 gegenüber dem Vorjah- resquartal eine Entwicklung des Versorgungsbedarfs aus, die gleichmäßig zur Ausgabenentwicklung um rund 15 Prozent in allen Kassenärztlichen Vereinigun- gen geführt hat.

Die Gründe für diese Entwicklung liegen unter an- derem in:

c der Mehrwertsteuererhöhung um einen Pro- zentpunkt,

c dem Effekt der Zuzahlungsabsenkung und der veränderten Chronikerregelung von drei Prozent- punkten,

c den Arzneimittelpreiserhöhungen von 0,9 Prozentpunkten,

c der Strukturkomponente (Innovationen, Packungsgrößen) von 5,5 Prozentpunkten,

c der Grippewelle mit sieben Millionen Patien- ten und einer hieraus folgenden Mengenkomponente von 5,5 Prozentpunkten

c und einer milliardenschweren Ausgabenex- plosion bei den hochpreisigen Spezialpräparaten unter anderem zur Versorgung von AIDS-, Krebs-, Mukoviszi- dose- und Transplantationsnachsorgepatienten.

Daneben führen die gerichtlichen Aussetzungen der Arzneimittelrichtlinien und der Festbetragsabsen- kungen zu Ausgabensteuerungsausfällen von 1,5 Milli- arden DM.

Diese Gründe werden im Jahr 1999 dazu führen, daß die staatlich vorgegebenen Budgets trotz aller Bemühungen der Kassenärzte und Kassenärztlichen Vereinigungen um eine wirtschaftliche Verordnungswei- se nicht ausreichen, die Versorgung der Patienten mit Arznei- und Heilmitteln sicherzustellen. Deshalb

c lehnt die Vertreterversammlung Budgets und die Verantwortung für die Einhaltung der Budgets kate- gorisch ab,

c weist die Vertreterversammlung darauf hin, daß bei Fortsetzung der jetzigen Entwicklung die Ge- fahr besteht, daß die Budgets für die Versorgung der Patienten schon vor Jahresende ausgeschöpft sein werden,

c unterstützt die Vertreterversammlung Akti- vitäten, die Bevölkerung öffentlich über die Folgen der Rationierung nach Ausschöpfung der Versorgungsbud- gets zu informieren,

c fordert die Vertreterversammlung die Politik auf, das 10-Punkte-Programm der KBV zur Neuord- nung des Arzneimittelmarktes aufzugreifen und die je- weiligen Verantwortlichkeiten zu berücksichtigen.

Resolution der Vertreterversammlung zur Arzneimittelversorgung

1. Einführung einer Positivliste der verordnungs- fähigen Arzneimittel ohne Vorschriften zur „Sonderbe- handlung“ homöopathischer und anthroposophischer Arzneimittel.

2. Direkte Preisverhandlungen zwischen Kran- kenkassen und pharmazeutischer Industrie oder rechtli- che Absicherung und stringente Anwendung des Festbe- tragskonzeptes.

3. Herausnahme der freiverkäuflichen Arzneimit- tel aus der GKV-Leistungspflicht.

4. Halbierung der Mehrwertsteuer für Arzneimit- tel und damit Annäherung an das Niveau in der Eu- ropäischen Union.

5. Einbeziehung der Krankenhaus-Arzneimittel in die Arzneimittelpreisverordnung zur Verhinderung ko- stentreibender Marketingstrategien der pharmazeuti- schen Industrie.

6. Differenzierung der Zuzahlungsgrenzen, ins- besondere zwischen N2- und N3-Packungen zur Ver- meidung mengensteigernder und zu Arzneimittelmüll führender Versichertenanreize.

7. Ermöglichung der Auseinzelung von Arznei- mitteln durch den Arzt bei Ein- und Umstellungen der Arzneimitteltherapie zum Zweck der Kostensenkung und der Vermeidung von Arzneimittelmüll.

8. Verpflichtung der Krankenkassen zur regel- mäßigen Information der Versicherten über die lei- stungsrechtlichen Einschränkungen in der Arzneimittel- versorgung.

9. Verbesserung der Rechtsgrundlagen für die Arzneimittel-Richtlinien des Bundesausschusses.

10. Ablösung der Arzneimittelbudgets durch re- gional definierte Praxis-Richtgrößen für Arzneimittel außerhalb der unverzichtbaren Arzneimittel.

10-Punkte-Programm für die Neuordnung

des GKV-Arzneimittelmarktes

Referenzen

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