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Vom Wandel des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche im Kanton Zürich

Im Dokument Religionsunterricht im Kanton Zürich (Seite 71-79)

BEGRIFFLICHE UND HISTORISCHE RAHMUNG

3 Die zürcherische Volksschule im Spannungsfeld zwischen Kirche und Staat

3.1 Vom Wandel des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche im Kanton Zürich

entwickelt hat, soll als Erstes die Veränderung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat im Kanton Zürich seit der Reformation in den Blick genommen wer-den (Unterkapitel 3.1). Als Zweites interessiert der Säkularisierungsprozess der Volksschule (Unterkapitel 3.2). Die Veränderung der Aufsicht über die Schule ist in diesem Zusammenhang ein zentraler Aspekt. Da im Fokus dieser Arbeit die Diskussion um den schulischen Religionsunterricht steht, soll als Drittes die Geschichte des schulischen Religionsunterrichts überblicksartig dargestellt werden (Unterkapitel 3.3).

3.1 Vom Wandel des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche im Kanton Zürich

Bis ins 19. Jahrhundert bestand im Kanton Zürich zwischen Kirche und Staat ein enges Verhältnis. Die Kirche wurde als Teil des Staates betrachtet. Kirchen- und Staatsbürgerschaft fielen zusammen und sowohl kirchliche als auch bürgerliche Gesetze wurden vom Staat erlassen. Der Rat bestimmte sowohl über Ordnung und Organisation der Kirche als auch über ihre Lehre. Gemäss Hans Heinrich Schmid schwebte Zwingli eine Art Theokratie vor, in dem Sinne, «dass letztlich das Wort Gottes den Staat leiten sollte».1 Den Pfarrern wies er das «Wächteramt»

1 Schmid 1994, 199.

zu. Sie hatten die Obrigkeit zu beraten und zu ermahnen und der Gemeinde anzuzeigen, wenn der Rat nicht gottgemäss handelte.2

Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts kann von einer Staatskirche gesprochen werden. Dies war nach Schmid die Folge einer Erstarrung der reformatorischen Bewegung. Die Haltung, dass der reformatorische Geist nur noch mit Zwangs-massnahmen bewahrt werden könne, führte «zu einem von Kirche und Staat gemeinsam getragenen aristokratischen Absolutismus. Die Gewalt der Regie-rung wurde beinahe schrankenlos, und die Kirche diente als deren Werkzeug zur Erhaltung des Gehorsams der Untertanen».3

Die Räte wurden auf die evangelische Lehre verpflichtet, es bestand ein Zwang zum Kirchenbesuch, die Zensur wurde eingeführt und Kirchen- und Sittenman-date erlassen. Innerkirchlich entstand eine geistig enge Orthodoxie und religiöse Intoleranz. Man sprach «von der alleinseligmachenden reformierten Kirche»4 und 1755 wurde ein Polizeimandat erlassen, demgemäss die Heirat mit einer Katholikin zum Verlust der bürgerlichen Rechte führte.5

Die Französische Revolution hatte auch Auswirkungen auf das Verhältnis zwi-schen Kirche und Staat im Kanton Zürich: Sowohl die Helvetische Verfassung als auch die darauf folgende Mediationsverfassung6 garantierten Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die Kirche aber blieb weiterhin der Obrigkeit unterstellt und besass nach wie vor die Aufsichtsfunktion über Sitte und Ehrbarkeit, Anstand beim Gottesdienst, die Sitten der Jugend und über die Schule. Neu aber war, dass man auch von Staatsbürgern ausging, die sich nicht zur reformierten Religion bekannten. So heisst es im Kirchengesetz von 1803 in Art. 1: «Der Canton Zürich, in wie weit er sich zur reformirten Religion bekennt, macht eine, unter einer Aufsicht stehende Kirche aus.»7 Gemäss Schmid ist dieser Artikel als ein erster Schritt zur Unterscheidung von Staat und Kirche zu verstehen. Dass über-haupt ein spezielles Kirchengesetz erlassen worden sei, deute darauf hin, dass die Zürcher Kirche «als Grösse eigenen Wesens und eigenen Rechts zu verstehen sei.

Die bisherige reine Staatskirche wandelt sich zur ‹Kirche im Staat›».8

Die erste liberale Zürcher Staatsverfassung von 1831, angestossen durch den Ustertag von 1830, tangierte auch das Verhältnis von Kirche und Staat. Es kam 2 Vgl. ebd.

3 Ebd., 200.

4 Ebd., 200.

5 Vgl. ebd.

6 In Art. 20 der Mediationsverfassung heisst es: «Die Verfassung sichert die Religionen, die im Kanton Zürich ausgeübt werden» (Mediationsverfassung von 1803, zit. in Schmid 1994, 202).

Gemäss Schmid nahm Art. 20 der Mediationsverfassung Bezug auf die Tatsache, dass das katholische Rheinau seit 1798 und das zum Teil katholische Dietikon seit 1803 zum Kanton gehörten (vgl. Schmid 1994, 202).

7 Kirchengesetz von 1803, Art. 1, zit. in Schmid 1994, 201.

8 Schmid 1994, 202.

zu einer deutlichen Unterscheidung, wenn auch nicht Trennung, von Kirche und Staat. So heisst es in Paragraph 1 des Kirchengesetzes von 1831: «Die Zürche rische vom Staat anerkannte Landeskirche ist die Gesammtheit aller zur christ lichen Religion nach dem evangelisch-reformirten Lehrbegriffe sich bekennenden Einwohner des Cantons.»9

Im Unterschied zum Kirchengesetz von 1803 sind es nun die reformierten Ein-wohner des Kantons, die die Kirche «ausmachen» und nicht mehr der Kanton, soweit «er sich zur reformirten Religion bekennt».10 Die Kirche wurde vom Staat in ihrer Existenz und ihrem Auftrag öffentlich anerkannt und war somit nicht mehr Staatskirche. Dennoch blieb die rechtliche Beziehung zwischen Staat und Kirche bestehen: «Die Zürcherische Kirche ist nach ihrem inneren Wesen und Wirken selbstständig, äusserlich aber dem Staat untergeordnet und steht unter seiner Aufsicht».11 Gemäss dem Staatskirchenrechtler Dieter Kraus wurde erstmals zwischen rein kirchlichen Angelegenheiten wie beispielsweise Gottesdienst, kirchlichem Religionsunterricht, Seelsorge oder Liturgie und äus-seren kirchlichen Angelegenheiten wie zum Beispiel die Kirchenorganisation unterschieden. Beschlüsse über innerkirchliche Angelegenheiten wurden von der Kirchensynode gefasst. Der eigentliche Rechtsetzungsakt konnte jedoch nur vom Grossen Rat vorgenommen werden, wobei Synodalbeschlüsse als bindend angeschaut wurden. Dies im Unterschied zu Gutachten der Synode zu äusseren Angelegenheiten. Den Inhalt dieser Gutachten konnte der Grosse Rat ignorieren.12

Im Zuge dieser Entflechtung zwischen Kirche und Staat wurde die Kirche von verschiedenen Verpflichtungen befreit, die sie bis anhin im Namen der staatlichen Obrigkeit ausgeübt hatte: Das Schul-, Armen- und Rechtswesen musste als staatliche Aufgabe neu organisiert werden. Die Kirche entzog sich deshalb aber nicht jeglicher Verantwortung gegenüber dem Staat.13 Es kam jedoch zu einer Ausdifferenzierung von politischer Gemeinde, Schulgemeinde und Kirchgemeinde. Zudem ermöglichte das Gesetz auch den Kirchenaustritt, ohne dass damit der Verlust der bürgerlichen Rechte einherging. Damit konnte die Glaubens- und Gewissensfreiheit gewährleistet werden.14 Gemäss Schmid waren damit «Kirche und Staat ihrem Auftrag und ihrem Bestand nach bereits

9 Zit. nach Schmid 1994, 204.

10 Kirchengesetz von 1803, Art. 1, zit. in Schmid 1994, 201.

11 Kirchengesetz von 1831, § 5, zit. in Schmid 1994, 204.

12 Vgl. Kraus 1993, 155.

13 Kirchengesetz von 1831, § 6: «Die Kirche befördert mit den ihr zu Gebote stehenden Mitteln die Wohlfahrt des Staates.» (Zit. in Schmid 1994, 205.)

14 Vgl. Schmid 1994, 204 f.

weitgehend getrennt, auch wenn sie in ihren Rechtsgrundlagen und ihren Orga-nisationsstrukturen weiterhin miteinander verbunden bleiben».15

Jakob Streuli betont in seiner Dissertation, dass die Entstehung des zürcheri-schen Rechtsstaates zu einem grossen Teil der Kirche zu verdanken sei. Sie habe mit der Erfassung der Bevölkerung nach allen juristischen Gesichtspunkten die Voraussetzungen für den Rechtsstaat geschaffen. Gemäss einer Verordnung aus dem Jahre 1862 führten die Pfarrer vier verschiedene Personenregister (Tauf- und Geburts-, Konfirmanden-, Ehe-, Totenregister), zwei Familienregister (Bürger und Niedergelassene wurden unterschieden), ein pfarramtliches Verzeichnis für Ehe- und Paternitätssachen sowie ein Katechumenenverzeichnis. Zudem hatten die Pfarrer auch Personalausweise auszustellen. Ab 1876 übernahmen Zivilstandsbeamte diese Aufgaben. Dem Stillstand (der Kirchenpflege) kam auch noch im liberalen Staat grössere Bedeutung zu als dem Gemeinderat: Er war Armen-, Waisen-, Vormundschaftsbehörde und Bestattungswesen, war verant-wortlich für den Bau und Unterhalt der Drittklassstrassen usw. Der Pfarrer war Präsident des Stillstandes. Ab 1830 war er kraft seines Amtes auch Vorsitzender der Schulpflege.16

1861 wurde für die reformierte Kirche ein neues Kirchengesetz17 erlassen, und dies zum Anlass genommen, auch die Verhältnisse der Katholiken erstmals gesetzlich zu ordnen. Inzwischen waren im Gebiet des Kantons Zürich vier ka-tholische Pfarreien zu verzeichnen (Rheinau, Dietikon, Zürich und Winterthur) und wegen der Niederlassungs-, Handels- und Gewerbefreiheit hatte die Zahl der Katholiken im Kanton zugenommen. 1862 wurde das Kloster Rheinau auf-gehoben. Aus dem Vermögen des Klosters wurde Geld für einen katholischen Kirchenfonds ausgeschieden, der den bestehenden Gemeinden zugutekommen sollte und vom Zürcher Staat verwaltet werden musste. Im «Gesetz betreffend das katholische Kirchenwesen» wurde festgeschrieben, dass aus den bisherigen vier Pfarreien (Rheinau, Dietikon, Zürich und Winterthur) vier öffentlich-recht-liche Kirchgemeinden mit Steuerrecht zu bilden seien. Wie das reformierte Ge-setz basierte auch das katholische auf dem Gemeindeprinzip. Da die katholische Kirche keinen Kirchenrat hatte, übernahm der Regierungsrat die Funktionen einer kantonalen Kirchenbehörde. Dem Bischof wurden im Gesetz keine Rechte 15 Schmid 1994, 205.

16 Streuli 1950, 57 f.

17 Gemäss Dieter Kraus erwies sich die am 20. August 1861 vorgenommene Revision des Kir-chengesetzes von 1831 als Rückschritt hinsichtlich der kantonalkirchlichen Autonomie. Der Grosse Rat sah sich angesichts einer weitgehenden Übereinstimmung von Kantons- und Kirchenvolk nicht bloss als Repräsentant der politischen Gemeinschaft, sondern auch der kirchlichen und beanspruchte deshalb wieder mehr Mitspracherecht auch in sogenannt inner-kirchlichen Belangen. Dieser «Rückschritt» wurde dann aber durch die Kantonsverfassung wieder aufgehoben (vgl. Kraus 1993, 155, Anm. 20).

zugesprochen, vor allem auch da Zürich seit 1814 nicht mehr zu einem regulären Bistumsverbund gehörte. Die öffentlich-rechtliche Anerkennung war auf die vier Gemeinden beschränkt und eine katholische Landeskirche gab es noch nicht. Aber ein erster Schritt in diese Richtung war getan.18

Die neue demokratische Zürcher Staatsverfassung von 1869 bekräftigte in Arti-kel 6319 die Glaubens-, Kultus- und Lehrfreiheit aller kirchlichen Gemeinschaf-ten und nicht nur der Landeskirche. Damit war gemäss Schmid der Übergang von der Staatskirche zur Landeskirche für die reformierte Zürcher Kirche vollzogen. Das frühere Staatskirchentum wurde zwar erneut und definitiv ab-gelehnt; zugleich wurde aber auch der Vorschlag abgelehnt, die Landeskirche den anderen kirchlichen Gemeinschaften gleichzustellen und alle Beziehungen zwischen Kirche und Staat aufzulösen (die sogenannte Trennung von Kirche und Staat). Im Unterschied zu den anderen kirchlichen Gemeinschaften wurde die evangelisch-reformierte Kirche weiterhin durch staatliches Gesetz geordnet.

Die Anerkennung als Landeskirche verlieh der reformierten Kirche zwar das Steuerrecht, doch war damit auch verbunden, dass sich der Staat hinsichtlich Organisation und Aufsicht über die Kirche gewisse Rechte vorbehielt.20 Indem die reformierte Kirche durch staatliches Gesetz geordnet blieb, verpflichtete der demokratische Staat die in sich selbstständige Kirche damit auf die Grund-elemente der Demokratie, was auch die innerkirchliche Gewährleistung der Glaubens- und Gewissensfreiheit zur Folge hatte. Schmid macht explizit darauf aufmerksam, dass die Forderung, Glaubens- und Gewissensfreiheit auch im innerkirchlichen Bereich einzuhalten, ein kirchenrechtliches Unikum sei. Die Anwendung dieser Bestimmung sei allerdings nur einmal eingefordert worden, und zwar bezüglich der Taufe in der Kirchenordnung von 1905.21

Nach Schmid spiegelt sich der Übergang von der Staatskirche zur Landeskirche innerkirchlich und theologisch im Aufkommen des von Schleiermacher gepräg-ten Begriffs der «Volkskirche».22 Der Grundgedanke, der sich in diesem Begriff ausdrückt, besagt, dass die Kirche grundsätzlich das gesamte Volk umfasst und 18 Vgl. Schmid 1994, 205 f.

19 Zürcher Staatsverfassung 1869, Art. 63: «Die Glaubens-, Kultus- und Lehrfreiheit ist ge-währleistet. Die bürgerlichen Rechte und Pflichten sind unabhängig vom Glaubensbekennt-nisse. Jeder Zwang gegen Gemeinden, Genossenschaften und Einzelne ist ausgeschlossen.

Die evangelische Landeskirche und die übrigen kirchlichen Genossenschaften ordnen ihre Kultusverhältnisse selbständig unter Oberaufsicht des Staates. Die Organisation der erstern, mit Ausschluss jedes Gewissenszwanges, bestimmt das Gesetz. Der Staat übernimmt im All-gemeinen die bisherigen Leistungen für kirchliche Bedürfnisse.» (Zit. in Kölz 2000, 87 f.; Hans Sträuli 1902, 233 f.)

20 Vgl. Schmid 1994, 209.

21 Dies wird weiter unten im Unterkapitel 7.1 auf S. 179 f. noch genauer erläutert; vgl. Schmid 1994, 207 f.

22 Vgl. Schmid 1994, 209.

die Kirche nicht von ihren Trägern (Staat bei Staatskirche oder Bekennende bei Bekenntniskirche) definiert wird, sondern von ihrem Auftrag her (Verkündi-gung und Spenden der Sakramente). Die Adressaten der Verkündi(Verkündi-gung sind potentiell alle Menschen. Die Kirche ist offen für das gesamte ‹Volk›. Die Kirche ist in dieser Sichtweise «weder eine Einrichtung des Staates noch ein privater Verein. Die Kirche ist vielmehr eine eigens gestiftete Grösse mit eigenem Auf-trag, einem öffentlichen AufAuf-trag, einem Auftrag am Volk, was dann auch dem Staat zugute kommt».23

Das Kirchenorganisationsgesetz von 1895 brachte einige Neuerungen: Es wurde eine gemischte Synode geschaffen, welche die bis anhin reine Geistlich-keitssynode ersetzte; Synodalbeschlüssen über innerkirchliche Belange wurde Rechtsverbindlichkeit zugestanden; die Synode erhielt das Vorschlagsrecht für Änderungen des Organisationsgesetzes und der Kantonsrat wurde verpflichtet, bei Gesetzesvorlagen, welche die Landeskirche betreffen, ein Synodalgutachten einzuholen. Die Synode erarbeitete auf dieser Grundlage einen Entwurf für ein neues Organisationsgesetz, das 1902 angenommen wurde. Innerhalb des Rah-mens dieses staatlichen Gesetzes erhielt die Kirche das Recht, innerkirchliche Angelegenheiten selbstständig zu ordnen und zu verwalten. Die detaillierten Bestimmungen zum staatlichen Kirchengesetz wurden von der Synode in der Kirchenordnung von 1905 erlassen, die bis 1967 Gültigkeit hatte.24 Diese Kir-chenordnung musste jedoch dem Regierungsrat zur Prüfung der Verfassungs- und Gesetzmässigkeit vorgelegt werden. Wie die regierungsrätliche Intervention hinsichtlich der Taufe in der Kirchenordnung von 1905 zeigte, war die Unter-scheidung zwischen inneren und äusseren Angelegenheiten der Kirche nicht sehr trennscharf (vgl. Unterkapitel 7.1, S. 179 f.). Sie verweist auch auf die bloss relative Autonomie der evangelischen Landeskirche und dass «ihr immer noch keine Rechtspersönlichkeit zukam».25 Dass zwei der sieben Kirchenräte noch bis 1963 durch den Kantonsrat gewählt werden mussten, war ebenso ein Indiz für die immer noch relativ starke Verflechtung von Kirche und Staat.26

1963 wurden nach jahrzehntelangen Vorarbeiten vom Zürcher Stimmvolk eine Ver-fassungsänderung27 sowie zwei neue Kirchengesetze – ein evangelisch- reformiertes28 23 Schmid 1994, 202.

24 Vgl. Kraus 1993, 155 f.

25 Famos 2007, 53.

26 Vgl. Kraus 1993, 161, Anm. 47.

27 Mit derselben Verfassungsänderung wurde auch das kirchliche Frauenstimmrecht eingeführt (vgl. Kraus 1993, 158).

28 Gestützt auf das neue evangelisch-reformierte Kirchengesetz von 1963 wurde 1967 eine voll-ständig überarbeitete evangelisch-reformierte Kirchenordnung vom Kirchenvolk angenom-men. Sie war massgeblich vom theologisch liberalen und in der Demokratischen Bewegung des 19. Jahrhunderts verwurzelten Pfarrer Gotthard Schmid geprägt (vgl. Hans Heinrich Schmid 1988).

und ein römisch-katholisches – angenommen.29 Mit Art. 64 der Verfassung von 1963 (Fassung vom 7. Juli) wurden die evangelisch-reformierte, die römisch-katho-lische sowie die christkathorömisch-katho-lische Kirche und ihre Gemeinden öffentlich-rechtlich anerkannt.30 Staatskirchenrechtlich gesehen kam nun diesen drei Kirchen dieselbe Stellung zu und alle drei verfügten über das Recht, Kirchensteuern zu erheben. Die anderen religiösen Gemeinschaften werden über das Privatrecht geregelt.31 Für die katholische Kirche kam mit dieser Verfassung ein langer Integrationsweg ins Zür-cher Staatswesen zum Abschluss. Denn mit dem Kirchengesetz von 1863 wurde den Katholiken zwar die freie Ausübung des katholischen Kultes garantiert und die ka-tholischen Kirchgemeinden Rheinau, Dietikon, Zürich und Winterthur anerkannt.

Damit verbunden war jedoch nicht die öffentlich-rechtliche Anerkennung der ka-tholischen Kirche. Die Folge war, dass Zürcher Katholiken mit ihren Staatssteuern indirekt das kirchliche Leben ihrer reformierten Mitbürger unterstützten, für ihr ei-genes kirchliches Leben aber von den Schweizer Katholiken abhängig waren.32 Dazu kam, dass nachdem 1870 im 1. Vatikanischen Konzil die Unfehlbarkeit des Papstes dogmatisch festgehalten worden war, 1873 sich die katholische Gemeinde Zürich von der römisch-katholischen Kirche löste und zur christkatholischen Gemeinde wurde. Da alle bisherigen Rechte der römisch-katholischen Gemeinde Zürichs an die christkatholische Gemeinde Zürich überging, war die römisch-katholische Kirche in Zürich eine Zeitlang offiziell nicht mehr vertreten bzw. organisierte sich privatrechtlich.33

1975 wurde eine «Kantonalzürcherische Volksinitiative für die Trennung von Staat und Kirche» lanciert, die aber 1977 in der Volksabstimmung durchfiel.

1991 wurde erneut eine Trennungsinitiative initiiert, die 1995 in der Volksab-stimmung ebenfalls abgelehnt wurde.34 1996 begann die gesetzgeberische Arbeit zur Neuregelung des Verhältnisses zwischen Kirchen und Staat. Sie mündete in die Abstimmung vom 30. November 2003, bei der die Stimmberechtigten im Kanton Zürich über drei kirchenpolitische Vorlagen abstimmen konnten: die Neuregelung des Verhältnisses zwischen Kirchen und Staat in der 29 Vgl. Famos 2007, 55. Diese Neuregelungen wurden von Freidenker-Kreisen beim

Bundes-gericht angefochten, aber ohne Erfolg (vgl. Kraus 1993, 158).

30 «[…] Die evangelisch-reformierte Landeskirche und ihre Kirchgemeinden, eingeschlossen die französischen Kirchgemeinschaften, die römisch-katholische Körperschaft und ihre Kirch-gemeinden sowie die christ-katholische Kirchgemeinde Zürich sind staatlich anerkannte Personen des öffentlichen Rechts. […]» (Zürcher Kantonsverfassung, Art. 64 in der Fassung vom 7. Juli 1963, zit. in Schmid 1994, 212).

31 «[…] Für die öffentlich-rechtlich nicht anerkannten religiösen Gemeinschaften gelten die Bestimmungen des Privatrechts» (Zürcher Kantonsverfassung, Art. 64 in der Fassung vom 7. Juli 1963, zit. in Schmid 1994, 213).

32 Vgl. Altermatt 1989, 188.

33 Vgl. Schmid 1994, 211; Kraus 1993, 157.

34 Vgl. Kraus 1993, 169.

fassung, eine Kirchengesetzvorlage, die primär die drei Zürcher Landeskirchen betraf, und das Gesetz über die Anerkennung von Religionsgemeinschaften (An-erkennungsgesetz). Alle drei Vorlagen wurden abgelehnt. Auf Verfassungs ebene ging es primär um drei Neuerungen. Zum einen hätten neben den drei Landes-kirchen auch weitere Religionsgemeinschaften öffentlich-rechtlich anerkannt werden sollen. Des Weiteren hätten alle anerkannten Religionsgemeinschaften weitreichende Autonomie erhalten, die insbesondere das Stimm- und Wahlrecht tangiert hätte. Die anerkannten Religionsgemeinschaften hätten beispielsweise das Stimmrecht ab einem Alter von sechzehn oder auch für Ausländer einführen können. Und als Drittes hätten die «historischen Rechtstitel» durch staatliche zweckgebundene Beiträge, zum Beispiel für Engagement im sozialen, kulturellen oder bildenden Bereich, ersetzt werden sollen. Diese Verfassungsänderung hätte die Grundlage für die beiden Gesetzesvorlagen (Kirchen- und Anerkennungs-gesetz) gebildet, die das Verhältnis zwischen den Religionsgemeinschaften und dem Staat im Detail hätten regeln sollen. Alle drei Vorlagen zielten darauf ab, die öffentlich-rechtlich anerkannten Religionsgemeinschaften und die bisher nicht öffentlich-rechtlich anerkannten Religionsgemeinschaften – lutherische, serbisch-, griechisch- und russisch-orthodoxe Kirche, die jüdische und die mus-limische Religionsgemeinschaft – gleich zu behandeln.35

Im Februar 2005 haben die Zürcher Stimmberechtigten die vollständig revidierte Kantonsverfassung angenommen, die diejenige von 1869 ersetzte. Die staatskir-chenrechtlichen Bestimmungen sind im 10. Kapitel geregelt.36 Darin wird das Ergebnis der Volksabstimmung vom 30. November 2003 berücksichtigt, in der sowohl auf Verfassungs- als auch auf Gesetzesebene die Neuregelung des Ver-hältnisses zwischen Staat und Kirchen bzw. weiteren Religionsgemeinschaften verworfen wurde. Gemäss Röhl liegt mit dieser Verfassung hinsichtlich des Ver-hältnisses von Staat und Kirchen bzw. weiteren Religionsgemeinschaften keine Neuregelung vor, sondern «eine Fortentwicklung des heutigen Zustands».37 Wie bis anhin sind die kirchlichen Körperschaften bloss im Rahmen des kantonalen Rechts autonom. Die Kirchgemeinden hingegen leiten ihre Autonomie nicht aus der Kantonsverfassung, sondern aus dem Kirchengesetz und insbesondere aus den Kirchenordnungen ab. Neu sind jedoch die kantonalen kirchlichen Körper-schaften in zwei Bereichen unmittelbar auf Grund der Verfassung autonom: zum einen hinsichtlich der Regelung des Stimm- und Wahlrechts in innerkirchlichen 35 Vgl. Zurlinden 2015, 78.

36 Die neue Kantonsverfassung von 2005 enthält drei Bestimmungen, die das Verhältnis zwi-schen Staat und Kirchen bzw. weiteren Religionsgemeinschaften unmittelbar regeln: Art. 130 KV betrifft die kirchlichen Körperschaften, Art. 131 KV betrifft die weiteren Religions-gemeinschaften und Art. 145 KV betrifft den Übergang vom bisherigen zum neuen Recht (vgl.

Röhl 2006, 202).

37 Röhl 2006, 208.

Belangen; zum andern hinsichtlich der Festlegung der Zuständigkeit für die Neubildung, den Zusammenschluss und die Auflösung von Kirchgemeinden.38 Während der zweite Punkt auf dem Hintergrund der Entflechtung von Kirche und Staat folgerichtig erscheint und unbestritten war, erstaunt, gemäss Röhl, die den kirchlichen Körperschaften eingeräumte Stimm- und Wahlrechtsautonomie.

Denn im Vorfeld der Abstimmung von 2003 wurde argumentiert, dass diese ein Türöffner für das allgemeine Ausländerstimmrecht sei.39 Art. 130 Abs. 4 KV ermöglicht neu, einen Teil der Steuererträge einer negativen Zweckbindung zu unterstellen. Damit sind die Steuererträge der juristischen Personen gemeint, womit verhindert werden soll, dass deren Steuereinnahmen für kultische Zwe-cke verwendet werden.40 Art. 131 KV trägt die Überschrift «Weitere Religions-gemeinschaften». Da 2003 insbesondere der Widerstand gegen das Anerken-nungsgesetz zum Scheitern der drei Kirchenvorlagen geführt hat, wurde dieses Abstimmungsergebnis in der neuen Kantonsverfassung insofern berücksichtigt, als die Anerkennung auf zwei (kleine) jüdische Gemeinden beschränkt wurde:

die Israelitische Kultusgemeinde und die Jüdische Liberale Gemeinde. Die Anerkennung dieser zwei jüdischen Gemeinden in Art. 131 hat jedoch nicht die-selbe Rechtswirkung wie die Anerkennung der drei kirchlichen Körperschaften in Art. 130. So werden die beiden jüdischen Gemeinden keine Körperschaften öffentlichen Rechts, sondern behalten ihren Status als privatrechtliche Vereine.

Im Dokument Religionsunterricht im Kanton Zürich (Seite 71-79)