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Schulischer Religionsunterricht

Im Dokument Religionsunterricht im Kanton Zürich (Seite 31-37)

1.6 Stand der Forschung

1.6.2 Schulischer Religionsunterricht

Einen guten Überblick über die Geschichte des Verhältnisses der Zürcher Volksschule zur Religion bietet der Beitrag von Urs Hardegger (2008b) im Band Zukunft bilden. Die Geschichte der modernen Zürcher Volksschule.54 Hardegger spannt den Bogen von 1830 bis in die Gegenwart. Zudem widmet er ein Kapitel auch einem in Zürich bisher eher vernachlässigten Thema: Dem «Verhältnis der Volksschule zur katholischen Kirche».55 Alexandra Bloch (1999) skizziert

«Gründe und Weg der Entstehung des ab 1831 praktizierten laizistischen Un-terrichts» im Kanton Zürich sowie die «Stellung des Religionsunterrichts in der Volksschule im 19. Jahrhundert»56 in ihrem Beitrag für den Sammelband Eine Schule für die Demokratie. Zur Entwicklung der Volksschule in der Schweiz im 19. Jahrhundert. Zur Ausführung ihrer These, dass sich ein laizistischer Unterricht ab 1831 «ziemlich reibungslos» durchsetzen liess, weil «er in Grund-zügen bereits bekannt» war, beschäftigt sich Bloch auch mit «der Veränderung der Methodik des Religionsunterrichts».57 Dies ermöglicht ebenfalls einen ers-ten kleinen Einblick in den Katechismusunterricht des 18. Jahrhunderts. Eine ausführliche Darstellung der Unterrichtspraktiken des ausgehenden 18. und 54 Die Publikation dieses Sammelbandes zur Geschichte der Zürcher Volksschule war von den

Vorbereitungen zur 175-Jahr-Feier der ersten modernen Schulgesetzgebung von 1832 moti-viert.

55 Zu dieser Thematik existiert vom selben Autor auch eine an der Universität Zürich im Jahr 2005 eingereichte unveröffentlichte Lizentiatsarbeit mit dem Titel Katholizismus und Zürcher Volksschule am Beispiel der Auseinandersetzung um das Fach Biblische Geschichte und Sitten-lehre nach 1900.

56 Bloch 1999, 143.

57 Ebd.

beginnenden 19. Jahrhunderts findet sich in der Dissertation von Andrea De Vincenti (2015). Interessant ist die im Kapitel 2 über die «Lernbereiche» er-folgende Problematisierung De Vincentis der «Versuche, Schule überhaupt als Religionsunterricht zu fassen».58 De Vincenti bestreitet nicht, dass das primäre Bildungs- und Erziehungsziel die Vermittlung sittlich-religiöser Lerninhalte war, doch berge diese «schnelle Etikettierung» die Gefahr, dass Lesen, Schreiben oder Rechnen zu wenig als eigenständige Lernbereiche wahrgenommen würden, die auch mit anderen Inhalten – nicht bloss religiösen – gelehrt und gelernt werden konnten. De Vincenti untersucht Religion in ihrer Studie jedoch nicht als ausdifferenzierten Lernbereich, «weil er in den Quellen für den untersuchten Zeitraum noch kaum als solcher in Erscheinung trat».59

Mit der Geschichte des schulischen Religionsunterrichts in der Schweiz im 19.

und 20. Jahrhundert hat sich insbesondere Martina Späni befasst. Zu dieser Thematik existieren von ihr in verschiedenen Sammelbänden kurze Aufsätze.

Die konfessionelle Prägung der öffentlichen Schule und die unterschiedlichen Entwicklungen in den verschiedenen Kantonen sind schlaglichtartig Thema eines kurzen Aufsatzes im Sammelband Geschichte der Erziehung und Schule in der Schweiz im 19. und 20. Jahrhundert (Späni 1997). Die Entkonfessionali-sierung der Volksschulen in der Schweiz im 19. Jahrhundert thematisiert Späni (1999) in ihrem Beitrag im Sammelband Eine Schule für die Demokratie. In ihrem neusten Aufsatz zu dieser Thematik – erschienen in einem Band über Augustin Keller – beschäftigt sich Späni (2005) mit der Frage, was unter Säku-larisierung im Zusammenhang mit Schule zu verstehen sei. Nach einer kurzen Annäherung an den Begriff Säkularisierung fasst sie die Charakteristika des Säkularisierungsprozesses der Schulen in zwei Punkten grob zusammen. 1) Die Veränderung des Verständnisses und der Inhalte öffentlicher Erziehung: «Der

‹alte› religiös-moralische Schulzweck und die Lerninhalte wurden relativiert, reformiert und diversifiziert. Es wurde ein neues Verständnis öffentlicher Erzie-hung etabliert». 2) Die staatliche Monopolisierung der Aufsicht und Leitung der Schulen, wodurch «die Schulleitungs- und Schulaufsichtsfunktionen der Kirche gänzlich»60 zurückgedrängt wurden. Späni betont jedoch, dass diese beiden Merkmale «nicht den vollständigen Ausschluss von Religion und Kirche aus dem öffentlichen Bildungswesen mit sich»61 brachten.

Ansgar Jödicke und Andrea Rota (2010) befassen sich aus religionswissen-schaftlicher Perspektive mit dem schulischen Religionsunterricht, und zwar in einer vom Schweizerischen Nationalfond unterstützten Studie mit dem Titel 58 De Vincenti 2015, 68.

59 Ebd.

60 Späni 2005, 43 f.

61 Ebd., 44.

Unterricht zum Thema Religion an der öffentlichen Schule. Jödicke und Rota beschäftigen sich in diesem Projekt «mit den jüngsten Reformen des ‹Religions-unterrichts› in der Schweiz». Trotz dem föderalistischen System in der Schweiz erkennen sie in den Reformen überkantonale Tendenzen. Relevant für die vorlie-gende Arbeit ist Jödicke und Rotas Befund, der sich auf eine vergleichende Stu-die von Fallanalysen stützt, dass der offizielle Einfluss der grossen christlichen Kirchen zurückgehe, «auch wenn Ideen der liberalen christlichen Theologie wirksam bleiben».62 Aus historischer Perspektive komme ich in dieser Arbeit zu einem ähnlichen Resultat (vgl. Unterkapitel 10.6). Von aktueller Bedeutung ist ebenfalls die von Andrea Rota und Stefan Müller (2015) initiierte Artikelserie, in der die Entwicklung des Religionsunterrichts in der Schweiz während des 19. und 20. Jahrhunderts untersucht werden soll. «Mittels einer diachronen Per-spektive» streben Rota und Müller «die Situierung sowohl jüngster Reformen des Religionsunterrichts als auch der sie begleitenden Debatten in einem breite-ren historischen Kontext» an. Dies soll auch «die Identifizierung von Brüchen und Kontinuitäten in diesem Unterrichtsbereich»63 ermöglichen.

Aus juristischer Perspektive ist auf die jüngst erschienene Habilitationsschrift von Lorenz Engi (2017) Die religiöse und ethische Neutralität des Staates zu verweisen. In Paragraph 12 dieses umfangreichen Werks mit dem Titel

«Neutralität und Bildung» ist ein Kapitel dem Religionsunterricht gewidmet.

Sowohl der konfessionelle wie auch der religionskundliche Unterricht, der im Rahmen der Schule erteilt wird, werden auf die Vereinbarkeit mit dem staat-lichen Neutralitätsgebot überprüft.64 Auf diesem Hintergrund unterstreicht Engi im Hinblick auf den konfessionellen Unterricht die Freiwilligkeit. Die Anfragen von anderen als christlichen Religionsgemeinschaften, ebenfalls einen konfessionellen Religionsunterricht in der Schule anbieten zu können, beurteilt Engi skeptisch. Er tendiert zu einer «Neutralisierung des schulischen Bereichs gegenüber konfessionellen Einflüssen».65 Hinsichtlich eines religionskundlichen 62 Jödicke/Rota 2010, 2.

63 Rota/Müller 2015, 27.

64 In der Bundesverfassung tritt der Ausdruck religiöse Neutralität nicht auf. Dieser Ausdruck wird jedoch in der Rechtssprechung verwendet. Gemäss Engi «bündelt das Neutralitätsgebot objektive Gehalte des Grundrechts» (Engi 2017, 175) wie beispielsweise die Glaubens- und Gewissensfreiheit oder Rechtsgleichheit und Diskriminierungsverbot. Auf kantonaler Ebene hingegen ist die Pflicht zur Neutralität des Schulwesens «verfassungs- und gesetzesrechtlich ausdrücklich verankert» (ebd., 268). So heisst es in Art. 116 Abs. 2 folgendermassen: «Diese [die öffentlichen Schulen – Verf.] sind den Grundwerten des demokratischen Staatswesens verpflichtet. Sie sind konfessionell und politisch neutral.»

65 Engi 2017, 281. Der Begriff der Neutralisierung bedürfte einer weiteren Klärung. Die un-reflektierte Parallelisierung von Neutralität und Neutralisierung ist zumindest fragwürdig.

Denn staatliche Neutralität kann nicht die Neutralisierung weltanschaulich-religiöser Über-zeugungen – verstanden im Sinne einer Entleerung von bestimmten Positionen – zum Ziel haben, ohne sowohl die positive Religionsfreiheit als auch den Bildungsanspruch zu verletzen.

Unterrichts verweist Engi darauf, dass nicht vollständig klar sei, ob dieser «dem verfassungsrechtlichen Verbot des obligatorischen religiösen Unterrichts zu entsprechen vermag».66 Er erachtet einen «strikt religionsneutral»67 gestalteten Unterricht jedoch als mit Art. 15 Abs. 4 der Bundesverfassung vereinbar.

Engis Werk gibt in juristischer Hinsicht einen sehr guten Überblick über die gesamtschweizerische Situation und Diskussion. Die Möglichkeit eines strikt weltanschaulich-religiös neutralen Unterrichts wird jedoch eher als Desiderat vorausgesetzt als real aufgewiesen.

Eine Darstellung zu aktuellen Entwicklungen des schulischen Religionsunter-richts im Kanton Zürich findet sich in der Dissertation von Karin Furer (2012).

Furer beschäftigt sich explizit nicht mit der Frage, «welchen Platz Religion an den öffentlichen Schulen einnehmen darf und was insbesondere religionskundliche Bildung leisten kann und was nicht».68 Vielmehr interessiert sie im Vergleich zwischen dem «separierten Modell» im Kanton Zürich und dem im Grossteil Frankreichs bekannten «integrierten Modell»69 die Art und Weise, «wie über ein entsprechendes Modell religionskundlicher Bildung verhandelt wird».70 Der Ausarbeitungsprozess des Faches «Religion und Kultur» im Kanton Zürich wird hier genaustens nachgezeichnet.

Der zum Untersuchungszeitpunkt dieser Arbeit erreichte Diskussionsstand über das Unterrichtsfach Religion und Kultur ist in dem von Ralph Kunz, Matthias Pfeiffer, Katharina Frank-Spörri, Jozsef Fuisz (2005) herausgegebenen Sammel-band Religion und Kultur – Ein Schulfach für alle? zu finden. Diese Publikation versammelt Überlegungen, die im Jahre 2004 anlässlich einer von der Pädagogi-schen Hochschule Zürich und der Universität Zürich organisierten Tagung zu ebendieser Thematik vorgetragen worden sind. Nebst den Herausgebenden fin-den sich darin Beiträge des Erziehungswissenschaftlers Jürgen Oelkers, der Reli-gionspädagogen Karl Ernst Nipkow und Friedrich Schweitzer,71 des Religionswis-senschaftlers Ansgar Jödicke und des Theologen und Kirchenrechtlers Cla Reto Famos u. a. Acht Jahre nach dieser Tagung erschien unter der Leitung von Charles Landert (2012) ein Bericht über die Evaluation der Einführungsphase des neuen 66 Ebd., 286.

67 Ebd.

68 Furer 2012, 1.

69 Furer spricht für den Grossteil Frankreichs von einem «integrierten Modell», weil «religions-kundliche Aspekte in vorhandene Fächer integriert wurden», während im Kanton Zürich «ein eigenes ‹separates› Fach geschaffen wurde» (Ebd., 3).

70 Ebd., 4.

71 Interessant ist der Hinweis von Schweitzer (2005b), dass auch im laizistischen Frankreich, das in den staatlichen Schulen keinen Religionsunterricht kennt, Veränderungen im Tun sind. So werde zunehmend erkannt, «dass Friede und Toleranz ohne religiöse Bildung nicht erreichbar sind, weshalb nun Wege gesucht werden, wie eine solche religiöse Bildung in anderen Fächern gewährleistet werden kann» (Schweitzer 2005b, 164).

Unterrichtsfaches Religion und Kultur. Die wissenschaftliche Evaluation wurde vom Bildungsrat in Auftrag gegeben. Der ebenfalls von der Bildungsdirektion erteilte Auftrag für ein «Obergutachten zur fachwissenschaftlichen Überprüfung der Evaluation von Landert Partner»72 erging an die beiden Erziehungswissen-schaftler Dietrich Benner und Roumiana Nikolova (2013). Benner und Nikolova problematisieren in ihrem Gutachten die Grundentscheidungen des Evaluatoren-teams von Landert Partner. Eine dieser Grundentscheidungen besagt, dass von den drei Lern- und Lehrformen (learning/teaching in religion, from religion und about religion) an der öffentlichen Schule bloss ein learning/teaching about religion legitim sei. Eine Zusammenfassung dieses Obergutachtens findet sich in Form eines Vortrags, den Benner im November 2013 vor dem Bildungsrat gehalten hat, abgedruckt in Benner (2014) Bildung und Religion. Dieser Band beinhaltet eine Zusammenstellung von verschiedenen Beiträgen Benners zu dieser Thematik; so zum Beispiel auch eine Stellungnahme zum brandenburgischen Unterrichtsfach LER (Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde), in dem sich Benner mit der erziehungs- und bildungstheoretischen Legitimationsproblematik von Schule und Unterricht beschäftigt und die heiklen Erwartungen an dieses Fach unter anderem am Begriff der «Lebensgestaltung» zur Disposition stellt: «Pädagogisch zu verant-wortender Unterricht soll einen Beitrag zur Urteilskraftbildung leisten, nicht aber direkten Einfluss auf die Lebensgestaltung der Schülerinnen und Schüler nehmen […] Niemand kann von sich unter demokratischen Bedingungen sagen, er sei kundig in Fragen der praktischen Lebensführung eines Andern».73

Der Erziehungswissenschaftler Johannes Bellmann (2006) spitzt die Problema-tik des Pflichtfachs LER noch zu, wenn er in seiner Diskussion unterschiedlicher Begründungsfiguren religiöser Bildung an öffentlichen Schulen LER als Beispiel für die «zivilreligiöse Instrumentalisierung von Religion als Orientierungshilfe im Dienste des Gemeinsinns»74 anführt.

1.6.3 Zivilreligion

Bellmann beruft sich dabei auf den Theologen Rolf Schieder (1997), der be-reits in den 1990er Jahren die Thematik Schule und Zivilreligion in einem äusserst aufschlussreichen Aufsatz diskutiert hat. Man erhält darin einen in-formationsreichen Einblick in die Geschichte der Zivilreligion in den USA und in Deutschland. In einer Fussnote erwähnt Schieder sogar die Wertedebatte in Deutschland, die er als «ein funktionales Äquivalent für die amerikanische Debatte über ‹civil religion / public philosophy›»75 bezeichnet. Ein Kapitel ist 72 Bildungsratsbeschluss vom 19. 12. 2013, 4.

73 Benner 2014, 103.

74 Bellmann 2006, 210.

75 Schieder 1997, 626, Anm. 6.

der Klärung des Säkularisierungsbegriffs sowie der Frage nach dem religiösen Element der Zivilreligion gewidmet. Zum Schluss problematisiert er am Beispiel des brandenburgischen Unterrichtsfachs LER (Lebensgestaltung – Ethik – Re-ligionskunde) einen staatlichen Zivilreligionsunterricht. Schieder plädiert «für Zurückhaltung und Besonnenheit auf dem Feld der Werteerziehung»76 und für einen rein religionskundlichen Unterricht. Letzteres wirkt angesichts der sonst sehr differenzierten Analyse jedoch etwas unterreflektiert, da hier nicht einmal mögliche Anfragen an einen solchen Unterricht aufgeworfen werden. Ebenfalls aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive bezieht sich Heinz-Elmar Tenorth (1999) in seinem Aufsatz Schule-Religion-Zivilreligion auf diesen Aufsatz von Schieder. Er konstatiert, dass Schieder zwar das Problem der Nähe von (pro-testantischer) Religion und Zivilreligion sehe, aber bloss «vor einer bestimmten Tendenz der Werterziehung»77 warne und nicht vor deren Gleichsetzung. Durch die Fokussierung auf einen wertreflektierenden anstatt wertvermittelnden Un-terricht angesichts der Pluralität von Wertvorstellungen verschärfe sich aber die durch die Nähe von (protestantischer) Religion und Zivilreligion entstandene Problemlage noch mehr. Tenorth interpretiert die Erwartungen der protestan-tischen Religionspädagogen etwas spitz, aber wohl nicht falsch: «Angesichts der Pluralität der Welt soll die Schule dennoch Universalismus und Konsens darstellen und thematisierbar halten, freilich im Medium des Pluralen und ohne Glaubenserziehung zu intendieren».78 Der Aufsatz endet mit einer Anprange-rung der übersteigerten Erwartungen an die Lehrpersonen, auf die die Spannung zwischen Bildung und Werteerziehung abgewälzt werde. Will man sich einen Überblick über die Väter (Mütter sind mir bisher keine begegnet) des Zivil-religionsbegriffs verschaffen, dann sei hier auf die von Heinz Kleger und Alois Müller (1986) herausgegebene Aufsatzsammlung verwiesen, in welche zentrale Aufsätze der Protagonisten dieser Diskussion wie Robert N. Bellah, Hermann Lübbe oder Niklas Luhmann Eingang gefunden haben.

76 Ebd., 640.

77 Tenorth 1999, 181.

78 Ebd.

TEIL 1

Im Dokument Religionsunterricht im Kanton Zürich (Seite 31-37)