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3.3 Open Access und Wissenschaftliche Bibliotheken

3.3.1 Umsetzungsmöglichkeiten und -praxis

3.3.3.2 Wahrnehmung von Open-Access-Publikationsformen durch Autoren

Die Einschätzungen von wissenschaftlichen Autoren zu den Möglichkeiten von OA-Publikationen wurden intensiv empirisch erforscht (siehe z. B. die quantitativen Befragungen im Auftrag des Verlages Taylor und Francis in den Jahren 2013 (14.700 Autoren) (Frass et al., 2013) und 2014 (7.963 Autoren) (Frass et al., 2014); qualitativ (20 Teilnehmer) Nariani et al., 2012).

Eine Befragung von 154 Autoren, die 2003 bereits in einer OA-Zeitschrift veröffentlicht hat-ten, ergab, dass 70 Prozent wieder diesen Publikationsweg wählen würden. Nur 3 Prozent lehnen es ab eine Zweitveröffentlichung in einem (institutionellen) Repositorium zugänglich zu machen, wenn es der Arbeit- oder Geldgeber verlangen würde. (Brown et al., 2004, S.

70ff)

Mit 38.358 Teilnehmern konnte im Rahmen des Projektes „Study of Open Access Publishing (SOAP)“ im Jahr 2011 die bislang größte Anzahl von Autoren befragt werden. Wesentliche Ergebnisse der Auswertung waren, dass zwar 90 Prozent der Befragten OA-Publikationen begrüßten und als eine Verbesserung für die Wissenschaftskommunikation empfanden, jedoch nur 8 bis 10 Prozent tatsächlich bereits in OA-Zeitschriften veröffentlicht hatten. Die Bereit-schaft OA zu publizieren scheint sich seit 2003 nicht drastisch verändert zu haben. Dies wurde damit begründet, dass trotz der bereitgestellten Fördergelder keine ausreichende Finanzierung vorhanden sei bzw. Bedenken bezüglich der Qualität von OA-Zeitschriften in vielen Fachbe-reichen bestehe. (Dallmeier-Thiessen et al., 2011, S. 10) Zudem sahen nur 10 Prozent der Be-fragten in einer OA-Publikation individuelle Vorteile. (Dallmeier-Thiessen et al., 2011, S. 5) Hybride Publikation werden noch wesentlich seltener in Anspruch genommen und machen nach Verlagsangaben im Schnitt ein Prozent aller Artikel aus. (Inger et al., 2013, S. 34)

Die Vorteile für Autoren, die gesamte Wissenschaftskommunikation und ein Grund für die breite Akzeptanz der OA-Idee könnten in der größeren Sichtbarkeit und damit einhergehend einer höheren Anzahl und Reichweite an Zitationen bei OA-Publikationen bestehen. Durch diese Steigerung der Bekanntheit der Autoren würde auch die Reputation der jeweiligen

Insti-tution gefördert. (Johnston, 2009, S. 28)

Problematisch sei jedoch, dass bei einem autorenfinanzierten Gebührenmodell nur Wissen-schaftler mit einer ausreichenden Förderung veröffentlichen. Die Wissenschaftskommunikati-on könnte dadurch, so der ehemalige CEO vWissenschaftskommunikati-on Elsevier und jetziger Professor für Wissen-schaftskommunikation an der Long Island University (LIU) John J. Regazzi, unfrei und weni-ger transparent werden. (Regazzi, 2015, S. 200) Häufiweni-ger als Vorbehalte gegenüber Publikati-onsgebühren wurden in Befragungen von Wissenschaftlern Bedenken zur Qualität (Existenz und Art des Peer Review) von OA-Zeitschriften oder aber der Einhaltung des Urheberrechts ermittelt. (Johnston, 2009, S. 30) Das Vertrauen in die Qualität von Open-Access-Zeitschriften scheint jedoch zuzunehmen. In der jährlichen Autorenbefragung (7.477 Teil-nehmer im Jahr 2015) der Nature Publishing Group konnte ermittelt werden, dass Zweifel an der Qualität einer OA-Publikation vor allem bei Geisteswissenschaftlern zwar der Hauptgrund gegen eine OA-Veröffentlichung ist, diese würden jedoch von Jahr zu Jahr geringer. (Natur Publishing Group, 2015, S. 11) Müller führte in seiner Studie zur Qualitätssicherung von OA-Zeitschriften aus, dass die Bedenken zur Qualität konzeptionell ungerechtfertigt waren und sind. Ein entscheidender Vorteil dieser Erscheinungsweise ist der Verbleib der Verwendungs-rechte beim Autor. Weiter erhöhe die Trennung von wirtschaftlichen Interessen und der Aus-wahl von Beiträgen die Wahrscheinlichkeit für die Veröffentlichung von Arbeiten mit unkon-ventionellen Ansätzen und damit für die Qualität der Wissenschaftskommunikation. (Müller, 2008, S. 57f)

Die Entscheidung darüber, ob ein Autor OA veröffentlicht oder nicht, scheint jedoch, deutlich vor den bereits genannten Aspekten, vom Publikationsmotiv des einzelnen Autors abzuhän-gen. (Weishaupt, 2009, S. 222f) Kommunikation durch das Teilen von wissenschaftlichen Erkenntnissen ist, so das Ergebnis einer Befragung von über 3.000 Autoren durch die Associa-tion of Learned and Professional Society Publisher, in manchen Fällen nur vordergründig die Motivation. Karrierevorteile durch die Veröffentlichung in einer Zeitschrift mit einer hohen Reputation, häufig gleichgesetzt mit dem JIF, sind ebenfalls ausschlaggeben. (The Association of Learned and Professional Society Publisher, 1999, S. 12, S. 40)

Die Akzeptanz und Bereitschaft der Autoren OA zu publizieren unterscheidet sich, wie auch das generelle Publikations- und Leseverhalten, je nach Fachgebiet. Der Anteil an Gold-OA-Publikationen ist z. B. in medizinischen Fächern, in denen auch der Journal-Impact-Factor sehr hoch ist, besonders ausgeprägt. (Althouse et al., 2009, S. 31) Björk ermittelt im Jahr 2010 generell große Unterschiede in der Nutzung der Publikationsform „Open Access“ zwischen den Fachbereichen. Er prüft die Zugänglichkeit von wissenschaftlichen OA-Publikationen aus

dem Jahr 2008, die in der Datenbank Scopus enthalten sind, über die freie Google-Suche. Da-bei ermittelt er, ob der Zugang über Gold OA und Green OA hergestellt worden war. Es zeig-ten sich unterschiedliche Verteilungen in der Wahl des OA-Modells je nach Fachgebiet. Wäh-rend in Physik und Geologie mehr Green OA genutzt wird, sind es in der Medizin oder der Biologie eher OA-Zeitschriften (siehe Abbildung 8). (Bjork et al., 2010)

Abbildung 8: Open-Access-Verfügbarkeit nach Fachbereich. Abbildung von (Bjork et al., 2010).

Unterschiede in der Publikationsweise und –kultur der verschiedenen Fachbereiche sind in der Wissenschaftsforschung, nicht erst seit dem Aufkommen der OA-Initiative ein vielbeobachte-tes Phänomen. Becher und Trowler entwickelten auf Basis einer erstmals 1989 erschienenen und 2001 aktualisierten, vielfach zitierten Langzeitstudie48 vier Dimensionen, um die Unter-schiede zwischen Fachdisziplinen zu beschreiben. Es wurden zunächst zwei sog. kognitive Dimensionen benannt: der Grad des Anwendungsbezugs („pure / applied“) sowie des Ergeb-nisanspruchs („hard / soft“) einer Disziplin. „Pure“ Wissenschaften beschäftigen sich vor al-lem mit theoretischen Fragestellen, angewandte Wissenschaften dagegen mit der Kombination aus theoretischen Erkenntnissen und praktischen Fragestellungen. „Harte“ Wissenschaften sind geprägt von weitentwickelten Theorien, eindeutigen Definitionen, klaren methodischen Vorgaben und präzisen Ergebnissen. In den angewandten „harten“ Wissenschaften werden Produkte und Werkzeuge als Ergebnisse geschaffen. Die Wissenschaftler in diesen Bereichen

48 Becher und Trowler führten zu diesem Zweck in drei Langzeitstudien mit knapp 300 Wissenschaftler aus bis zu 30 Disziplinen qualitative Tiefeninterviews (Becher et al., 2001, S. 25f)

werden häufig Spezialisten für einen klar umrissenen Themenkomplex. „Weiche“ Wissen-schaften dagegen lassen sich schwer voneinander abgrenzen. Es existiert häufig eine Vielzahl von Definitionen und Sachverhalte werden von vielen wiederholt bearbeitet. Die Wissensge-winnung erfolgt durch Wiederholung und damit Bestätigung von Ergebnissen. Die Wahl der Methode, Beschreibung des Untersuchungsgegenstandes und Interpretation der Ergebnisse müssen daher ausführlicher beschrieben werden. (Lovitts, 2007, S. 60f)

Neben den kognitiven Dimensionen, wurden sog. soziale Kategorien (Grad der Standardisie-rung („convergent / divergent“), Grad der Abhängigkeit von Infrastrukturen („urban / rural“)) als Beschreibungsmerkmal für die Unterschiede zwischen Fachdisziplinen entwickelt. Kon-vergente Wissenschaftsbereiche werden bestimmt durch Standards und einer Vielzahl von etablierten Forschern. Als divergent werden Disziplinen bezeichnet, in denen kontroverse An-sichten üblich sind und Standards ständig durch neue Erkenntnisse verändert werden. (Becher et al., 2001, S. 36f) „Städtisch“ sind Fachdisziplinen, in denen sich eine Vielzahl von For-schern mit einer Problemstellung beschäftigen (muss) wie z. B. in der Hochenergieforschung.

Diese entsprechen, der Metapher folgend, einer städtischen Umgebung: ein hohes, zum Teil turbulentes Tempo, viele gemeinsame Aktivitäten, großer Wettbewerb um Platz und Ressour-cen und ein schnelles und viel genutztes Informationsnetzwerk. Gegenteilig werden „ländli-che“ Fächer wie die moderne Linguistik eingeordnet, in welchen eher isoliert geforscht wird und persönlicher Austausch nur zu bestimmten Anlässen stattfindet. Becher und Trowler be-zeichnen die „städtisch“ orientierten Fachgebiete als wettbewerbsorientierter, kommunikativer und schneller in der Veröffentlichung von Ergebnissen. Wohingegen die „ländlichen“ Fächer eher in klar begrenzten Forschungsthemen arbeitsteilig vorgehen, jedoch auch offener sind im Austausch von (unveröffentlichten) Ideen und Entwürfen. (Becher et al., 2001, S. 106ff) Demnach haben die Erkenntnisstrukturen und der Grad des Ressourcenbedarfs einen großen Einfluss auf die Art und Intensität der (Wissenschafts-)Kommunikation und damit auch die Anzahl und Auswahl der Lektüre. In der Anwendung der Theorien haben sich die Kategorie bei der Detailanalyse jedes Fachbereiches als etwas zu grob und ungenau erweisen, jedoch waren die Beschreibungen für die groben Unterschiede zwischen den Fachdisziplinen zutref-fend. (Lovitts, 2007, S. 61)

Die oben beschriebenen Ergebnisse der Studien von Althouse und Björk, nach der besonders bei medizinischen Fächern viele Gold-OA-Publikationen erscheinen, könnte nach dieser The-orie wie folgt hergeleitet werden:

Medizin ist eine harte, eher pure (und teilweise angewandte) sowie konvergente und urbane Wissenschaft. „Harte“ Wissenschaften arbeiten präzise, so dass kurze Publikationsformen wie

Zeitschriftenartikel gut geeignet sind. In puren Wissenschaften findet besonders viel Aus-tausch statt, da durch die Vielzahl an etablierten Theorien ein breites Verständnis zwischen den Wissenschaftlern besteht, d. h. es wird viel publiziert und viel gelesen. Diese Eigenschaf-ten sind eine gute Grundlage für die Wahl OA zu publizieren. Die für die unerlässliche Quali-tätsprüfung erforderliche Standardisierung (Konvergenz) eines Publikationsmediums in der Medizin führt jedoch zu einer geringen Offenheit für neue Formate. Dieses Merkmal wird in der Regel für Zeitschriften, jedoch eher selten für Repositorien angenommen. Medizinische Forschung findet meist in Universitätskliniken satt und ist in den allermeisten Fällen urban, das heißt abhängig von teilweise kostenintensiven Infrastrukturen. Offener und direkter Aus-tausch ist für Mediziner damit die Regel, gleichzeitig müssen für die Bereitstellung der erfor-derlichen Ressourcen häufig Ansehen und Glaubwürdigkeit für Außenstehende nachgewiesen werden. Denn diese Ressourcen werden, im Gegensatz zu anderen experimentellen Fächern wie Physik, häufig in Kombination mit industrieller Förderung ermöglicht, so dass gerade hier ein Interesse bestehen könnte, die Ergebnisse werbewirksam zu veröffentlichen. Dafür wird auch die Reputation des Publikationsmediums wichtig. Die häufige Wahl von Gold OA als offene, gleichzeitig standardisierte und meist qualitätsgeprüfte Publikationsform scheint vor den genannten Faktoren erklärbar.

Vor allem die sog. sozialen Dimensionen nach Becher und Trowler könnten eine Erklärung und auch Voraussage von Unterschieden im OA-Publikationsverhalten ermöglichen. Der Grad der Abhängigkeit von Infrastrukturen einer Disziplin könnte ein guter Indikator generell für die Offenheit zur Publikation mit freiem Zugang sein, der Grad der Standardisierung der Wis-sensgenerierung für die Wahl zwischen Green und Gold OA. Ein hoher JIF von Subskripti-onszeitschriften könnte dabei ein weiteres Indiz für die Neigung, Gold OA zu publizieren, sein.

Die kognitiven Dimensionen wären eher für die Beschreibung des generellen Publikations-verhaltens und grundsätzlichen „Eignung“ der jeweiligen Fachdisziplinen für das Format

„Open Access“ geeignet: In puren Wissenschaften wird tendenziell mehr publiziert, in wei-chen Fachbereiwei-chen eher in längeren Publikationsformen d. h. meist Monografien, so dass eine Transformation der Veröffentlichungen in den puren Wissenschaften, wie den meisten Naturwissenschaften, generell leichter zu verwirklichen scheint.

Für die Prüfung, ob die Theorie von Becher und Trowler trotz oder auch durch ihre starke Verallgemeinerung das Publikationsverhalten in Bezug auf OA tatsächlich umfassend erklären und auch prognostizieren kann, wären weiterführende Forschungen notwendig.

Allerdings kann die Beobachtung und Kategorisierung des Publikationsverhaltens nach

Fach-disziplinen für die Entwicklung von differenzierten OA-Strategien im Zeitschriftenmanage-ment Wissenschaftlicher Bibliotheken eine Option sein.