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2.4 Prozesse des Zeitschriftenmanagements Wissenschaftlicher Bibliotheken

2.4.3 Externe Einflussfaktoren

2.4.3.2 Aufgaben von wissenschaftlichen Verlagen

Verlage und Bibliotheken übernehmen ergänzende Funktionen für verschiedene Aspekte der Wissenschaftskommunikation. Während Bibliotheken hauptsächlich zwischen den Anforde-rungen des Lesers und den Angeboten des Verlages agieren, findet das alltägliche Hauptge-schäft der Verlage zwischen den Manuskripteinreichungen der Autoren und den Nachfragen der Bibliotheken statt. Die Aufgaben der Verlage haben sich im Laufe der Entwicklung ge-meinsam mit der Wissenschaftskommunikation verändert. Von den Anfängen des Buchdrucks bis ins 17. Jahrhundert waren die Aufgaben von Verlagen, Druckereien und Buchhändlern in einer Institution vereint. Erst im 18. Jahrhundert etablierte sich aufgrund der steigenden Pro-duktionskosten für hochentwickelte Maschinen und den damit verbundenen, notwendigen Auftragsvolumen eine Arbeitsteilung.

Wissenschaftliche Verlage unterscheiden sich von anderen Verlagen dadurch, dass sie wissen-schaftliche Inhalte für eine wissenwissen-schaftliche Zielgruppe publizieren. Eine Voraussetzung für wissenschaftlichen Inhalt ist ein wissenschaftlicher Autor. (Ortelbach, 2007, S. 12ff) Wissen-schaftliche Verlage sind, aufgrund der disziplinspezifischen Unterschiede ihrer „Lieferanten“, der Autoren, meist auf einen Bereich besonders spezialisiert. Es haben sich daher die Segmen-te NaturwissenschafSegmen-ten (kurz STM (Science, Technology, Medicine), SozialwissenschafSegmen-ten und Geisteswissenschaften als Einteilung für wissenschaftliche Verlage etabliert. Die Haupt-produkte der wissenschaftlichen Verlagsbranche sind Zeitschriften und Bücher in gedruckter und elektronischer Form. Nach Schätzungen von Marktforschungsunternehmen aus dem Jahr 2004 liegt der Anteil des Umsatzes für Zeitschriften im naturwissenschaftlichen Bereich bei mind. 50 Prozent vor Datenbanken und Büchern. Für die anderen Bereiche sind aufgrund der Unterschiede in der Publikationsweise höhere Werte für Bücher zu erwarten. (Ortelbach, 2007, S. 91f)

Verlage sind in den meisten Fällen funktional gegliedert. Ein Kontakt mit Bibliotheken kommt nur im Bereich Vertrieb / Auslieferung vor, mit Autoren im Leistungsbereich Lektorat / Redaktion. Die übrigen Abteilungen Rechte, Herstellung und Marketing finden meist ohne externen Kundenkontakt statt. Diese Aufteilung wird bei Großverlagen häufig durch weitere Unterteilungen nach Regionen oder Fachbereichen ergänzt. (Ortelbach, 2007, S. 17f) Die einzelnen Prozesse zur Veröffentlichung von wissenschaftlichen Zeitschriften umfassen die Erstellung, Begutachtung, Bündelung und Verbreitung von Wissen bzw. Information in verschiedenen Formaten, die hauptsächlich durch Wissenschaftler genutzt werden. (McGu-igan et al., 2008, 7. Absatz) Morgan formuliert die Aufgaben genauer: Verleger managen

ei-nen komplexen Prozess der Begutachtung (Peer Review), einschließlich der Organisation und Verwaltung der Herausgebergemeinschaften (editoral boards). Sie erwerben ein professionel-les Redaktionssystem, treffen strategische Entscheidungen, editieren und formatieren für Print- und elektronische Ausgaben. Sie organisieren den Druck, den Vertrieb und den Service.

Für elektronische Ausgaben stellen sie Zusatzfunktionen wie Statistik- und Zitationsdaten zur Verfügung, entwickeln die Such- und Zugangsmöglichkeiten weiter und versuchen verschiede Plattformen zu integrieren bzw. die eigenen Datenbanken und Inhalte integrieren zu lassen.

Dazu kommen eine große Bandbreite von anderen Tätigkeiten wie Qualitäts- und Konsistenz-kontrolle, Verwaltung und der Schutz der Urheberrechte. (Morgan et al., 2012, S. 228f) Man-che dieser Tätigkeiten fallen einmalig, andere bei jeder Ausgabe eines Zeitschriftentitels an.

Als wichtigste Kostentreiber gelten nach empirischen Untersuchungen von Tenopir und King die Anzahl der eingegangenen Artikel, der Seitenumfang, die Anzahl der Ausgaben sowie die Anzahl der Subskriptionen. (Tenopir et al., 2000, S. 251ff) Gebündelt nach diesen Kostenein-flüssen ermittelte Ortelbach fünf Hauptprozesse für wissenschaftliche Zeitschriften in Verla-gen: Bearbeitung eines eingehenden Manuskriptes, Fertigstellung einer Seite, Fertigstellung eines zur Veröffentlichung angenommenen Artikel, Zusammenstellen einer Ausgabe und Be-treuung eines Abonnements. Die Interaktion mit Bibliotheken findet laut Ortelbach nur im letztgenannten Hauptprozess statt und je mehr einzelne Abonnenten d. h. Bibliotheken einen Zeitschriftentitel subskribieren, desto teurer würde der Prozess. Eine Bestätigung dieser An-nahme ist die derzeitige Entwicklung hin zu Konsortien und Paketlizenzierung, die von Verla-gen durch RabattierunVerla-gen gefördert wird, um Administrationskosten einzusparen. Nicht be-rücksichtigt sind in diesen Einteilungen jedoch die anfallenden operativen Prozesse für die Herstellung eines elektronischen Zugangs wie z. B. Verwaltung von IP-Adressen und deren Änderungen. (Ortelbach, 2007, S. 186f)

Verlage bewegen sich mit ihren Entscheidungen im Spannungsfeld zwischen wissenschaftli-chen und wirtschaftliwissenschaftli-chen Ansprüwissenschaftli-chen. Der Verlag ist in erster Linie ein Unternehmen, in dem wirtschaftliche Realitäten und Ziele vorherrschen. Der Verlag finanziert das Produkt „Zeit-schrift“ vor und ist damit der Träger des wirtschaftlichen Risikos (Seidenfaden, 2007, S. 24f).

Auf der anderen Seite ist der Verlag auch Teil der Wissenschaftskommunikation: Die Infra-struktur, die für die Produkte der Wissenschaft in Form von Publikationen benötigt wird, wird durch die Verlage bereitgestellt. Dies umfasst, neben technischen und administrativen Tätig-keiten vor allem auch Analysen der Entwicklung in einem Forschungsbereich und die Prü-fung, ob eine Vielzahl von hochqualitativen Beiträgen geliefert werden kann, um die Grün-dung einer neuen Zeitschrift und damit ggf. eines neuen Fachbereiches zu initiieren.

(Ortel-bach, 2007, S. 34) Sie sind damit ein wesentlicher organisatorischer, qualitätssichernder und programmatischer Faktor der Wissenschaftskommunikation und können auch vor dem Hin-tergrund einer globalen, durch das Internet verknüpften Wissenschaftsgemeinschaft nicht leicht oder ohne intensives Branchenwissen ersetzt werden. Gleichzeitig sind Verlage nur in wenigen Ausnahmen teilweise (z. B. in Lektoraten) an der Erstellung der Inhalte beteiligt.

Somit kann die Wissenschaftskommunikation zwar nicht leichtfertig ohne Verlage funktionie-ren, wissenschaftliche Verlage sind ohne Wissenschaft(ler) aber in jedem Fall ohne Funktion d.h. ohne Umsatz.

Schimank und Volkmann fassen dies wie folgt zusammen: „Um wirtschaftlich erfolgreich zu sein, müssen Wissenschaftsverlage bei ihren Publikationsentscheidungen den Kommunikati-onserfordernissen wissenschaftlicher Erkenntnisproduktion Rechnung tragen und sich dafür die Rationalität des Wissenschaftssystems in erheblichem Maße zu Eigen machen. Das Ent-scheidungshandeln der Verlage bewegt sich damit im Kräftefeld zweier Rationalitäten, und zwar dergestalt, dass die wissenschaftlichen Erfordernisse in die wirtschaftliche Rationalität eingelagert sind.“ (Schimank et al., 2012, S. 166)

Der Stellenwert der Verlagsaufgaben wird von Autoren und Lesern teilweise unterschiedlich bewertet. Der größte Wert wird von beiden Seiten eindeutig in der Organisation des Peer-Review-Prozesses gesehen. Leser bewerten die Rolle der Verlage in dieser Funktion jedoch als wesentlich unwichtiger als Autoren. (Swan et al., 2003, S. 32f) Außenstehende teilen die Einschätzung der Leser: McGuigan und Russell zitieren in ihrer Analyse des wissenschaftli-chen Zeitschriftenmarktes die Aussage einen Analysten der Deutswissenschaftli-chen Bank aus dem Jahr 2005 mit den Worten: „We believe the publisher adds relatively little value to the publishing process. We are not attempting to dismiss what 7,000 people at REL [Reed Elsevier] do for a living. We are simply observing that if the process really were as complex, costly and value-added as the publishers’ protest that it is, 40% margins wouldn’t be available.” (McGuigan et al., 2008, 18. Absatz) Für Bibliotheken und das Zeitschriftenmanagement bedeutet diese Aus-sage, dass bei Preisverhandlung noch viele Möglichkeiten bestehen. Gleichzeitig illustrieren diese Daten eindrucksvoll, wie gering die Reaktionsgeschwindigkeit der Nachfrageseite und wir stark die Gewinnmaximierung der Angebotsseite ausgeprägt ist.

Auch wenn die Bedeutung von Verlagen, zumindest außerhalb der Wissenschaftskommunika-tion, angezweifelt wird, erwirtschaftete alleine der naturwissenschaftliche Bereich des wissen-schaftlichen Zeitschriftenmarktes bereits 2007 weltweit einen Umsatz von über 19 Milliarden US-Dollar. Davon entfallen 43 Prozent des Umsatzes auf lediglich zehn Verleger. (McGuigan et al., 2008, 14. Absatz) Insgesamt erscheinen ca. 60 Prozent der 1,5 Millionen jährlich

publi-zierten Zeitschriftenartikel bei kommerziellen Verlagen, die 45 Prozent der Zeitschriftentitel selbst besitzen und 15 Prozent im Auftrag von öffentlichen Einrichtungen verlegen. Die restli-chen ca. 40 Prozent der Zeitschriftentitel werden von öffentlirestli-chen Einrichtungen und Institu-tionen selbst herausgegeben, in der Regel (zu 90 Prozent) jedoch nur ein Zeitschriftentitel pro Einrichtung. Dieser ist dabei durchschnittlich drei- bis fünffach günstiger als ein Titel von kommerziellen Anbietern. Allerdings führt die Abhängigkeit der Non-Profit-Organisationen von den Abonnenten eines einzelnen Titels dazu, dass diese Titel nach und nach vom Markt verschwinden oder von kommerziellen Anbietern aufgekauft werden. (Morgan et al., 2012, S.

5f)

Auf den ersten Blick ist die Verlagsbranche geprägt von wenigen Großverlagen, die durch den Kauf kleinerer Verlage oder der Publikation neuer Titel weiter wächst. (Henderson et al., 2014, S. 54) Betriebswirtschaftliche Analyse und Verfahren zur Messung der Konzentration zeigten jedoch zunächst nur geringe Konzentrationen. Aufgrund der Vielzahl an Kleinstverla-gen und der unterschiedlichen Ausrichtung der Verlage nach Fachbereichen, wird die auf den ersten Blick sichtbare Konzentration nach Umsatz oder Anzahl der Zeitschriftentitel abge-schwächt. (Ortelbach, 2007, S. 93ff) Der Verlagsmarkt ist nach betriebswirtschaftlichen Maß-stäben erst auf den zweiten Blick durch Monopolbildung geprägt. Eine Konzentration ist sichtbar, wenn die Zeitschriften, in ihrer Bedeutung mit dem Impact-Factor gewichtet, der einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen betrachtet werden. Denn Verlage haben die Mög-lichkeit ihr Angebot an Zeitschriftentiteln in zwei Bereichen zu differenzieren: Spezifizierung und Reputation. Somit ist es faktisch kaum möglich, eine Zeitschrift durch die andere auszu-tauschen und es „steht die Funktionsfähigkeit des marktlichen Wettbewerbs in Fra-ge.“(Bartscher et al., 2012, S. 27) Diese Konzentration ist in einzelnen naturwissenschaftli-chen Fächern wie z. b. der Astronomie besonders ausgeprägt. (Ortelbach, 2007, S. 104) Schi-mank kommt zu dem Schluss, dass insbesondere Großverlage gegenüber Autoren, Herausge-bern und Bibliotheken „eine erhebliche Markmacht zum Einsatz“ bringen. (Björk, 2004, S.

175)

In ihrem 2002 veröffentlichten Bericht über die wissenschaftliche Verlagslandschaft kommt die damalige Investmentbank Morgan Stanley zu dem Schluss, dass die hohen Gewinnmargen auf einen nicht funktionierenden Markt schließen lassen und beschreiben „Reed Elsevier“ als den Branchenriesen, der von den Preissteigerungen und sonstigen Entwicklungen am meisten profitiert und 18 der 25 teuersten Zeitschriften veröffentlicht. Die Analysten prognostizieren, dass die Verlage, die das größte Angebot online zur Verfügung stellen, vermehrt dominieren werden und die Kosten durch den Online-Zugang von Zeitschriften leicht sinken werden.

(Morgan Stanley, 2002, S. 1) Nur die erste Prognose scheint sich bewahrheitet zu haben, wäh-rend eine Kostensenkung nicht beobachtet werden kann. Die wissenschaftliche Verlagsbran-che befindet sich seit der Etablierung des Internets und der Etablierung von elektronisVerlagsbran-chen Ausgaben wissenschaftlicher Publikationen im ständigen Wandel. Zum einen können durch die elektronischen Möglichkeiten neue Produkte entwickelt und angeboten werden, die keine Entsprechung im Print-Bereich haben und somit neue Prozesse erfordern. Zum anderen kön-nen auf dieser Grundlage auch gewohnte Erlösmodelle verändert werden. Bislang jedoch werden diese Möglichkeiten nur wenig genutzt. (Ortelbach, 2007, S. 83f)

Verlage sind für Bibliotheken ein komplexer und schwierig zu begegnender Marktpartner.

Offizielle Zahlen und Übersichten zur wissenschaftlichen Verlagslandschaft existieren nur wenige. Die Herausforderungen und Möglichkeiten der elektronischen Publikationen haben Verlage weniger berechenbar gemacht, aber auch die Chance für eine Neugestaltung der In-teraktion von Verlagen und Bibliotheken eröffnet. Selbst wenn hochrangige Führungskräfte des Elsevier-Verlags wie Alicia Wise die Gemeinsamkeiten von Verlagen und Bibliotheken in der Versorgung der Wissenschaftler betonen (Wise, 2012), bleibt das Gefälle in der Beziehung beider Akteure groß. Natürlich wären der Vertrieb und die Verbreitung von Zeitschriften für Verlage ohne Bibliotheken ungleich schwerer und teurer, jedoch ist die Bereitstellung der nachgefragten wissenschaftlichen Informationen für Bibliotheken ohne Verlage derzeit (noch) unmöglich.