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Der Begriff „Bibliothek“ beschreibt schon lange nicht mehr nur einen Ort, an dem Bücher gesammelt werden. Vielmehr wird eine Bibliothek heute durch die von ihr erbrachten Dienst-leistungen definiert. Rösch et al. nennen in 2011 fünf Basisfunktionalitäten einer Bibliothek:

Sammeln (Erwerben), Bewahren (Archivieren), Ordnen (Erschließen), Bereitstellen (Zugang) und Vermitteln. Je nach Bibliothekstyp können die einzelnen Funktionen unterschiedlich in-tensiv und in verschiedenen Ausprägungen (z. B. Kurzzeit- oder Langzeitarchivierung) durchgeführt werden. (Rösch et al., 2011, S. 9f) Wissenschaftliche Bibliotheken unterscheiden sich in der Ausübung dieser Funktionen von Öffentlichen Bibliotheken u. a. durch die Ziel-gruppe. Denn ihre Aufgabe ist die Versorgung des wissenschaftlich interessierten Nutzers, nicht der gesamten Öffentlichkeit.

Träger von Wissenschaftlichen Bibliotheken wie Universitätsbibliotheken oder Bibliotheken anderer (angewandter) Hochschulen ist in Deutschland in der Regel das jeweilige Bundes-land, seltener privatwirtschaftliche Unternehmen. Wissenschaftliche Spezialbibliotheken fin-den sich in Wirtschaftsunternehmen und vor allem auch in fin-den Instituten von Forschungsge-sellschaften und –institutionen. (Rösch et al., 2011, S. 72ff; S. 89)

In den USA befindet sich die Mehrzahl der Wissenschaftlichen Hochschulbibliotheken in der Trägerschaft der Hochschule, die sich über Studiengebühren und Stiftungen meist ehemaliger Studierenden finanziert. (Rösch, 2008, S. 51) Eine Mischform beider Konzepte findet sich in

Großbritannien. Hier werden seit einigen Jahren stark erhöhte Studiengebühren von staatli-cher Seite erhoben. Die Finanzierung der Hochschulen erfolgt durch den Staat, die Bibliothek selber im Budget der Hochschule berücksichtigt. (Keller, 2013, S. 49f)

Für Bibliotheken sind wirtschaftlichen Gewinnbestrebungen nicht erlaubt, jedoch müssen die Budgets von diesen bei Trägern und Verantwortlichen eingeworben, verhandelt und gerecht-fertigt werden, um das Überleben der Bibliotheken und Arbeitsplätze zu sichern. Für die Exis-tenz einer Bibliothek ist nicht alleine die Akzeptanz ihrer Zielgruppe d. h. von Wissenschaft-lern wesentlich, sondern auch die der Entscheider ihrer Institution. Somit müssen Bibliothe-ken nicht alleine den Gesetzmäßigkeiten der Wissenschaftskommunikation gehorchen, son-dern auch das politische Umfeld des Trägers bzw. der Institution berücksichtigen. Bibliothe-ken existieren niemals als eigenständiges „Unternehmen“, sondern stets in Abhängigkeit von einer Trägerorganisation (Regierung, Stadt, Forschungseinrichtungen, Universitäten, Stiftun-gen, etc.): ein Spannungsverhältnis, das in Bibliotheken auf fast allen Ebenen zur ständigen Begleitung geworden ist.

Unabhängig vom Träger und Typ haben sich das Verständnis und auch die Erwartung an die Ausübung der Basisfunktionalitäten von Wissenschaftlichen Bibliotheken in den letzten Jahr-zehnten stark gewandelt. Neben elektronischen Publikationen (vor allem elektronische Bü-cher, Zeitschriften, Datenbanken, aber auch andere digitale Daten), können auch externe, freie Angebote in den Bestand integriert werden. Die ständige Erweiterung um Publikations- und Medienarten ist verknüpft mit zahlreichen Änderungen und Herausforderungen in allen Be-reichen der bibliothekarischen Aufgaben, wie z. B. der Archivierung. (Gantert, 2014, S. 6f) Durch die Möglichkeiten des ortsunabhängigen Medienzugriffs, wandelt sich auch die Bedeu-tung des Bibliotheksgebäudes. Parallel steigen die Ansprüche an die Kommunikation zwi-schen Bibliothekaren und Nutzern. So wird jetzt auch „Kontakt- und Kommunikationsfähig-keit, Reaktionsvermögen und Aufgeschlossenheit“ als Voraussetzung für eine Tätigkeit im Bibliotheksbereich genannt. (Duranceau, 2002, S. 269). Dazu kommen neue Tätigkeitsberei-che, die vorwiegend durch neue technische Verfahren und Endgeräte und damit einhergehen-den veränderten Nutzererwartungen und –verhaltensweisen bedingt wureinhergehen-den und wereinhergehen-den. (Ei-ne ausführliche Darstellung findet sich z. B. in Griebel et al., 2014, Kapitel 6.1 bis 6.10.) Bereits im Jahr 1993 wurden der Einfluss durch technische Entwicklungen, seine Auswirkun-gen und mögliche Lösungsszenarien in Großbritannien in politischen Kreisen thematisiert. In dem, als Meilenstein für britische Universitätsbibliotheken geltenden, sog. Follett-Bericht (Follett, 1993) empfahl eine Kommission im Auftrag der Regierung für die künftige

Ausrich-tung von Bibliotheken, neben vielen anderen Punkten, die organisatorische Konvergenz bei der Entwicklung einer Informationsstrategie. Auch wenn hier keine ausdrücklichen Vorschlä-ge unterbreitet wurden, hatte der Bericht zur FolVorschlä-ge, dass zahlreiche Rechenzentren und Bibli-otheken im universitären Bereich fusionierten. Der Follett-Bericht gilt als Startpunkt für viele Änderungen in der Struktur und im Aufgabenverständnis von Wissenschaftlichen Bibliothe-ken in Großbritannien. Das Ziel, insbesondere verstärkter Zusammenarbeit der hochschulin-ternen Dienstleister, sollte den Wünschen der Kunden entsprechen, die eine Stelle für die Lö-sungen zu allen Fragen im Zusammenhang mit Informationsressourcen fordern. Insbesondere in angewandten Hochschulen ist diese Zusammenlegung weit verbreitet. Gefördert wurde diese Konvergenz, neben dem Follett-Bericht, auch durch die ständige Analyse und Überprü-fung des britischen Hochschulsektors durch externe Unternehmensberatungen. (Keller, 2013, S. 201ff)

Auch in Deutschland wurden in strategischen Papieren die künftige Ausrichtung und die Auf-gaben von Wissenschaftlichen Bibliotheken diskutiert. Ein dezidiertes Papier zur strategi-schen Entwicklung von Bibliotheken ist zuletzt im Jahr 2004 erschienen. Die Inhalte des Stra-tegiepapiers „Bibliothek 2007“, dessen Hauptforderung die Einrichtung einer zentralen Agen-tur war, blieben in der politischen Diskussion und vor allem auch Umsetzung jedoch nahezu bedeutungslos. (Rösch et al., 2011, S. 124ff)

In den Jahren 2011 bis 2013 wurden dann eine Fülle von strategischen Empfehlungen, zwar weniger direkt zu den künftigen Aufgaben von Wissenschaftlichen Bibliotheken, jedoch zur Forschungs- bzw. Informationsinfrastruktur Deutschlands, veröffentlicht. Abgesehen von dem Teilbericht des Wissenschaftsrates zur „Empfehlung zur Zukunft des bibliothekarischen Ver-bundsystems in Deutschland“ werden Bibliotheken in den weiteren Berichten des Wissen-schaftsrates 2011 (Wissenschaftsrat, 2011b), (Wissenschaftsrat, 2011a), (Wissenschaftsrat, 2011c), (Wissenschaftsrat, 2011d) und 2012 (Wissenschaftsrat, 2012) nur vereinzelt, in dem Konzeptpapier der Kommission Zukunft der Informationsinfrastruktur (KII)21 im Auftrag der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz des Bundes und der Länder 2011 (Kommission Zu-kunft der Informationsinfrastruktur, 2011) häufiger namentlich erwähnt.

Unter Informationsinfrastruktur wird „...die Gesamtheit der technischen, organisatorischen, finanziellen und personellen Ressourcen zur Gewährleistung der Informationsversorgung des wissenschaftlichen Bereiches der Gesellschaft“ verstanden. (Schirmbacher, 21.09.2011, S. 12) Das heißt, Bibliotheken agieren nach diesem Verständnis nicht unabhängig, sondern erfüllten

21 Mitglieder waren Vertreter aus Forschungsgesellschaften, Hochschulen, Forschungsförderorganisationen, Bibliotheken, Verbünde sowie Bund und Länder. Eine Übersicht ist zu finden unter: (Kommission Zukunft der Informationsinfrastruktur, 2011, Anhang A)

ihre Aufgaben gemeinsam mit Rechenzentren, Archiven, Forschungsförderern u. v. m. Eine Übersicht über die Inhalte der o. g. Berichte findet sich unter anderem bei Schirmbacher (Schirmbacher, 21.09.2011, o. S.). Für diese Arbeit werden vor allem die als Übersichtdoku-mente konzipierten Berichte des Wissenschaftsrates zur „Empfehlung zur Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Informationsinfrastruktur in Deutschland bis 2020“ aus dem Jahr 2012 sowie das „Gesamtkonzept für die Informationsinfrastruktur in Deutschland“ der KII aus dem Jahr 2011 berücksichtigt.

Im Konzept der KII werden acht Handlungsfelder als zentral bedeutsam für die Informa-tionsinfrastruktur beleuchtet. Neben Hosting, Nichttextuellen Materialen, Retrodigitalisie-rung, Virtuellen Forschungsumgebungen, Forschungsdaten und Informationskompetenz, wer-den mit Lizenzierung an erster und Open Access an sechster Position, die Bereiche, die direkt oder indirekt mit Zeitschriften assoziiert sind, besonders betont. In dem mit „Handlungsbe-darf“ überschriebenen Abschnitt zu Lizenzierung finden sich aber kaum konkrete Handlungs-felder für Bibliotheken, sondern eher Forderungen an die Markpartner und Regierung. So werden die unflexiblen und nicht auf den Bedarf der Bibliotheken zugeschnittenen Ange-botsmodelle angemahnt, zudem wird eine Erhöhung der finanziellen Ressourcen, sowohl für einzelne Bibliotheken, als auch für den Ausbau von gemeinschaftlichen Strukturen, wie z. B.

Konsortien gefordert. Neben den oben beschriebenen Basisfunktionalitäten wird von Biblio-theken eine Orientierung zur Konvergenz hin und die Berücksichtigung von Open-Access-Modellen erwartet. (Kommission Zukunft der Informationsinfrastruktur, 2011, S. 31ff) Für den Bereich „Open Access“ wird z. B. der Aufbau einer Koordinierungsstelle vorgeschlagen, die alle aktuellen Barrieren in Bezug auf finanzielle Aufwände, technische und organisatori-sche Verknüpfung mit anderen Inhalten und Diensten, rechtlichen Unsicherheiten und Nach-nutzbarkeit bestehen, in einer Vorreiterrolle bearbeiten soll.

Die Empfehlungen der KII zu Lizenzierung und Open Access werden im Grundsatz durch den WR bestätigt und nicht wiederholt ausgeführt. Sie betonen dabei die Bedeutung von tragfähi-gen Angebotsmodellen auf dem Markt der wissenschaftlichen Subskriptionszeitschriften und sehen Open Access weniger als eigenes Tätigkeitsfeld, als vielmehr als eine Schnittstellenauf-gabe, die auch im Zuge vieler anderen Themenfelder, wie z. B. Forschungsdaten, berücksich-tigt werden muss. (Wissenschaftsrat, 2012, S. 45f)

Darüber hinaus wird, wenn auch nicht in offiziellen strategischen Papieren, so jedoch in ein-zelnen Beiträgen ein gänzlich neues Verständnis von bibliothekarischen Aufgaben diskutiert.

Lambert Heller von der Technischen Informationsbibliothek Hannover sieht die wissenschaft-lichen Bibliothekare in der Pflicht, ihre Rolle als „Zwischenhändler“ zu verlassen, selber zum

Wissenschaftler zu werden und aktuelle Methoden und Werkzeuge des wissenschaftlichen Arbeitens tatsächlich anzuwenden. Denn nur durch diesen Perspektivwechsel könnten die Bedürfnisse des Nutzers verstanden und in das eigene Dienstleistungsangebot integriert wer-den. (Heller, 2015, S. 36) Der Wissenschaftssoziologe Peter Weingart sieht die künftigen Auf-gaben von Wissenschaftlichen Bibliotheken vor allem in der Zusammenarbeit von Bibliothe-ken und Rechenzentren zur technischen und inhaltlichen Betreuung von Aufgaben in Lang-zeitarchivierung und Forschungsdaten. Darüber hinaus sieht er eine neue Zielgruppe für Bib-liotheken und damit neue Aufgaben: Wissenschaftler in ihrer Funktion als Autoren und für sie die Beantwortung zu Fragen wie Ort und Art des Publizierens. (Weingart, 2016, S. 117f) Keiner der politisch initiierten Berichte stellt die Basisaufgaben der Bibliothek in Frage, son-dern zeigt vielmehr neue bzw. verstärkt zu nutzende Bereiche auf, so dass die klassischen Aufgaben heute nur anderes interpretiert werden sollten. (Knoche, 2015, S. 84) Beispielswei-se heißt „Sammeln“ heute vielfach, unter komplexen Markstrukturen zu lizenzieren, „Bewah-ren“ den Herausforderungen von z. B. digitalen, nicht käuflich erworbenen Dokumenten zu begegnen, „Erschließen“ als kooperative Gemeinschaftsaufgabe zu verstehen, die auch wis-senschaftliche Beschreibungsvarianten miteinschließt und „Bereitstellung und Vermittlung“

nicht nur auf eigene Beständen zu beziehen, sondern auch für freie Quellen oder Forschungs-daten als selbstverständlich zu erachten. Zielrichtung der genannten, aber auch weiterer Be-richte und Initiativen von wissenschaftspolitischen Akteuren, ist ein „nahtloser, idealerweise entgeltfreier Zugang zu wissenschaftlichen Informationen“. (Herb, 2016, S. 170) Der Be-schaffung und vor allem der Bereitstellung des Zugangs zu wissenschaftlichen Subskriptions-zeitschriften, als einer der zentralen Quellen der Wissenschaftskommunikation, kommt in Wissenschaftlichen Bibliotheken daher eine zentrale Bedeutung zu.