• Keine Ergebnisse gefunden

5. D ARSTELLUNG DER E RGEBNISSE

5.3 Digitalisierung beim Design neuer sozialer Dienstleistungen

5.3.1 Voraussetzungen für die Erarbeitung digitalisierter Dienstleistungen

Bei den Antworten auf die Frage, was bei der Erarbeitung neuer, digitalisierter Dienstleistungen zu beachten sei, zeigten sich drei Schwerpunkte:

• der Bedarf einer solchen Dienstleistung,

• die (bereits vorhandenen oder zu erfüllenden) technischen Voraussetzungen und

die Zeit- sowie Personalressourcen zum Design der neuen Dienstleistung.

Entsteht eine Idee für eine Entwicklung einer digitalisierten Dienstleistung, wird zuerst überlegt, ob der Bedarf dafür vorhanden ist:

„Erst einmal den Bedarf an sich erheben. Gibt es Bedarf oder gibt es keinen Bedarf? Oder kann man eventuell einen Bedarf entwickeln? Das ist der eine Punkt. Der zweite Punkt: Was braucht das genau? Da sollte man zuerst mal die Organisationen, die direkt damit arbeiten werden, einbinden und erfragen, was sie genau brauchen“ (I3: 54f.).

Damit soll verhindert werden, dass eine Leistung entwickelt wird, die bei der Zielgruppe nicht ankommt oder für die es keinen Bedarf gibt.

Wird der Bedarf an einer neuen digitalisierten Dienstleistung erkannt und die Entscheidung getroffen, diese zu entwickeln, gilt der nächste Schritt der IT-Infrastruktur. Digitalisierung braucht eine adäquate technische IT-Infrastruktur. Bei diesem Punkt zeigte sich in der empirischen Erhebung, dass – wie von Kreidenweis (2020) beschrieben – der sozialwirtschaftliche Sektor nicht auf dem neuesten Stand ist, wenn es um technische Ausstattung und Digitalisierung geht. Überraschend für die Forscherin war, dass nicht alle Wohneinrichtungen des stationären Bereichs über einen drahtlosen Internetzugang verfügen. Es zeigte sich, dass insbesondere in älteren, zum Teil denkmalgeschützten Häusern, die Infrastruktur nicht vorhanden ist, um WLAN zu installieren und Leitungen in zeitaufwändigen Prozessen verlegt werden müssen (vgl. I6: 65f.). Die Fertigstellung von geplanten WLAN-Zugängen wurde während der Zeit des Covid-19-Lockdowns priorisiert, um Klient*innen den Internetzugang zu ermöglichen.

Übersiedelt eine stationäre Einrichtung in absehbarer Zeit an einen anderen Standort, wird frei verfügbares WLAN in der Planung mitberücksichtigt: „Das kommt auch von Seiten der Klient*innen immer wieder. Die Frage nach WLAN. Das lässt

sich aber im alten Haus aber nicht mehr so wirklich umsetzen aus Kostengründen.

Aber im neuen Haus ist vollkommen klar, dass wir WLAN haben werden“ (I10: 23f.).

Im niederschwelligen Bereich ist WLAN in den Beratungsstellen und Tageszentren verfügbar, aber auch hier wird betont, dass die Dienstleistungen mithilfe digitaler Technologie – etwa bei Straßensozialarbeits-Einsätzen - nur durchgeführt werden kann, wenn die technische Infrastruktur vorhanden ist: „Das heißt, wenn wir drahtlose Netzwerke verwenden wollen, müssen die Funkverbindungen exzellent sein. Wir können uns auf Dauer keine Funklöcher leisten. Das ist tödlich für die Arbeit“ (I3: 178f.).

Im mobilen Bereich der WWH wird Digitalisierung vor allem zur Kommunikation mit den mobil in der eigenen Wohnung betreuten Klient*innen verwendet. Neben den digitalen Endgeräten mit Internetzugang beschreibt eine Leitungsperson den Bedarf nach einem Tool, das Sozialarbeiter*innen bei Hausbesuchen verwenden können, um effizienter arbeiten zu können:

„Was es brauchen würde? Ja, ein bedienerfreundliches, einfaches Tool, das man als Sozialarbeiterin, Sozialarbeiter zur Verfügung stellen kann, mitbringen kann. Und ein Unterschriftenpad beispielsweise. Also das, was es in jeder Post und jeder Bank gibt, sowas wäre für uns auch nicht sinnlos“

(I9: 47f.).

Der dritte genannte Punkt betrifft die Verfügbarkeit von Zeit- und Personalressourcen für die Entwicklung neuer, digitalisierter Dienstleistungen.

Dieser wurde in den geführten Interviews durchgehend als problematisch gesehen.

Von Seiten des Managements sozialwirtschaftlicher Organisationen in der WWH ist zum jetzigen Zeitpunkt in vielen Fällen nicht vorgesehen, dass (zusätzliche) Zeit- und Personalressourcen für digitales Dienstleistungsdesign unter den Mitarbeiter*innen eingeplant werden. Das bedeutet, dass die Beteiligten nicht von ihren eigentlichen Aufgaben freigestellt werden und die Projekte sozusagen

„nebenbei“ ablaufen müssen: „Wir haben weder die Entwicklungsressourcen für digitale Entwicklungen, noch haben wir jetzt eigene Leute, die dann für ein Projekt abgestellt werden, um was zu entwickeln“ (I6: 320f.). Zwar wird digitale Weiterentwicklung von Seiten der Organisationen begrüßt, die zur Ausführung benötigten Ressourcen werden aber oft nicht zur Verfügung gestellt. Eine Leitungsperson beschreibt:

„Es gab vor Jahren das Bestreben nach dem papierlosen Akt. Damit wurde eine Person beauftragt und das war’s. Es ist nie wieder gefragt worden, was es gebracht hat oder was es für einen Sinn ergibt. Also alles, was ich bis jetzt zum Thema Digitalisierung erlebt habe, war, dass es quasi einen Projektauftrag gab. Und dabei ist es geblieben. Also, es hat weder Zeit noch Raum dafür gegeben, noch Kompetenz (…)“ (I9: 231f.).

Eine weitere Leitungsperson sieht darin ein Risiko. Durch den Mangel an personellen und zeitlichen Ressourcen und den vorhandenen Deadlines bestehe die Gefahr, dass digitalisierte Dienstleistungen nicht gut genug durchdacht sind und im Ergebnis Mängel aufweisen könnten (vgl. I8: 231f.). Inwiefern die Einrichtungsleitungen selbst Raum und Zeit für die Erarbeitung digitalisierter Dienstleistungen schaffen und den Mitarbeiter*innen damit Zeitressourcen geben können, konnte in den Interviews leider nicht eruiert werden.

5.3.2 Miteinbeziehen der Mitarbeiter*innen und Zielgruppenorientierung bei der Erarbeitung digitalisierter Dienstleistungen

Zur Erarbeitung neuer digitalisierter Dienstleistungen werden üblicherweise Arbeitsgruppen gebildet, die in regelmäßigen Abständen ihre Fortschritte mit dem Team teilen und sich Feedback einholen. Durch die Möglichkeit abwechselnd in der Arbeitsgruppe mitzuarbeiten, kann das gesamte Team miteinbezogen werden (vgl.

I2: 301f.). Dieser Ansatz auch den Nachteil, dass die Kontinuität der Arbeitsgruppen-Mitglieder nicht gegeben ist. Dieser Bottom-up-Ansatz im Dienstleistungsdesign, bei dem die Ergebnisse aus den Arbeitsgruppen schrittweise an die höheren Hierarchieebenen kommuniziert werden, wird als sinnvoll gesehen (vgl. I2: 311f.; I4: 222f.). Da die Mitarbeiter*innen sozialwirtschaftlicher Organisationen diejenigen sind, die mit den neuen, digitalisierten Dienstleistungen arbeiten und am nächsten an den Adressat*innen dran sind, ist die Möglichkeit der Beteiligung ein Erfolgsfaktor bei der Entwicklung digitalisierter Dienstleistungen (vgl.

Reiser 2018: 248). Dies wird von den interviewten Expert*innen unterstützt. Eine Leitungsperson betont: „Das ist genau, was wir immer wollten. Also ich glaube nicht, dass es ratsam ist, so eine Software top-down einfach hinzulegen“ (I4, 229f.).

Die Mitarbeiter*innen als Expert*innen ihres Fachgebiets müssen dabei nicht zwingend auch über technisches Vorwissen verfügen. Eine Einschulung und Zeit, um sich Grundwissen anzueignen, wird aber als wichtig empfunden:

„Das heißt, die Mitarbeiter*innen sollten Bescheid wissen, was wie wo, sollten sich auskennen, damit sie es auch weitergeben können, das heißt manchmal ist da sehr viel probieren gefragt. Diese Zeit und diesen Raum, muss man einfach auch, ermöglichen. Sonst stolpert man da auch ein bisschen rein, aber das ist das Thema auch (…) es stolpern alle da ein bisschen rum, finde ich“ (I1: 97f.).

Im Nachsatz wird auch das allgemeine Unsicherheitsgefühl angesprochen – die Vermutung, dass niemand im sozialwirtschaftlichen Sektor genau weiß, welchen Weg der Bereich Wohnungslosenhilfe der Digitalisierung einschlagen soll. Deshalb ist es wichtig, dass Mitarbeiter*innen die Möglichkeit geboten wird, ihre digitale Kompetenz zu erweitern. Bezogen auf die am Ende von Kapitel 5.3.1 angesprochene Frage, inwiefern Einrichtungsleitungen selbst Raum für die digitale Kompetenzerweiterung der Mitarbeiter*innen schaffen können, scheint es diese Möglichkeit grundsätzlich zu geben. Offen bleibt aber, ob es genug Raum ist, um sich dem Design digitalisierter Dienstleistungen zu widmen.

Wenn es um die Erarbeitung digitalisierter Dienstleistungen geht, können neue, agile Möglichkeiten des Social Service Designs ausprobiert werden. Diese Ansätze unterscheiden sich vor allem auch durch den kreativen, weniger strukturierten Aufbau vom klassischen Projektmanagement und eignen sich daher für die Ideensammlung zum Beschreiten neuer Wege (siehe Kapitel 2.8). Eine Leitungsperson beschreibt die Ausarbeitung von Erweiterungen digitalisierter Anwendungen mithilfe von User-Stories:

„Man muss da, glaub ich, sehr stark auch mit Tools der Organisationsentwicklung arbeiten. Wo man sagt: Lieber Mitarbeiter, du hast jetzt keine Ahnung von Software. Das spielt jetzt auch keine Rolle, ob du Ahnung von Software hast, aber du musst als Mitarbeiter wissen – was hätte ich denn gerne von so einem System?“ (I4: 211f.).

Resümierend kann gesagt werden, dass es sich im Dienstleistungsdesign lohnt, bisher unbekannte Tools und Ansätze zu verwenden, um neue Ideen zu generieren.

Im Prozess der Dienstleistungsentwicklung wird darauf hingewiesen, dass beachtet werden muss, neue Angebote nicht an der Zielgruppe vorbei zu entwickeln. Zum Beispiel ist es nicht zielführend, komplizierte Formulierungen in Texten zu verwenden oder den Besitz von digitalen Endgeräten vorauszusetzen, ohne solche zur Verwendung für die Klient*innen anzubieten.

Zudem ist es wichtig, Zugänge zu wählen, die die Klient*innen erreichen und durch den Fokus auf Usability den Zugang zu digitalisierten Dienstleistungen für Personen ohne hohe digitale Kompetenz zu erleichtern (vgl. I2: 258f.). Um das zu erreichen, empfiehlt es sich, Klient*innen in den Prozess zumindest fallweise miteinzubeziehen und ihre Anforderungen an ein digitalisiertes Tool sowie ihre Gewohnheiten im Internetgebrauch zu erheben. Zum Beispiel kann Social Media in die Erarbeitung digitalisierter Dienstleistungen eingebaut werden. Die von Justine Humphry (2014) durchgeführte Studie zum Nutzungsverhalten von Mobiltelefonen bei wohnungslosen Menschen zeigt, dass Facebook und andere soziale Netzwerke wichtige Ankerpunkte sind, um mit Familie und Freund*innen zu kommunizieren und auf digitale Weise Teilhabe an der Gesellschaft zu erfahren.

Usability bedeutet, dass die Bedienung digitaler Tools einfach und ohne technisches Vorwissen machbar sein soll. „Die Usability könnte deutlich verbessert werden bei vielen Produkten, die so entstehen in der Digitalisierung. Das sollte man mitbedenken bei der Planung (...) ich glaube, das ist fast das Wichtigste, sowohl jetzt für Selbstnutzer als auch für Kund*innen“ (I6:110f.), sagt eine befragte Leitungsperson. Einfach zu bedienende Tools verhindern Frustration bei den Anwender*innen und helfen bei einem niederschwelligen Zugang.