• Keine Ergebnisse gefunden

2. T HEORETISCHER T EIL

2.1 Digitalisierung – Definition und Begriffe

Um sich dem Begriff der Digitalisierung und in der Folge den Auswirkungen der Digitalisierung und der Möglichkeiten anzunähern, die sich für soziale Dienstleistungen ergeben, wird versucht, Digitalisierung zu definieren. In weiterer Folge wird auf die Veränderungen eingegangen, die sich für den Dritten Sektor durch den technischen Fortschritt ergeben und Überlegungen angestellt, wie sich dadurch soziale Dienstleistungen ändern. Die Auswirkungen betreffen einerseits neue Dienstleistungen, die mithilfe von Digitalisierung entwickelt werden und andererseits bereits bestehende Angebote, die durch digitale Ergänzungen erweitert werden.

Unter Digitalisierung wird allgemein die technische Umwandlung analoger Objekte in digitale Daten verstanden. Damit einher geht die Verfügbarkeit von Informationen und Daten durch die Verwendung technischer Endgeräte. (vgl. Kreidenweis 2018:

11).

Viele Lebensbereiche sind mittlerweile von der Digitalisierung erfasst. Der Übergang von Videokassetten und DVDs als Träger für Filme hin zu

Streamingdiensten, bargeldlosem Bezahlen und Onlinebanking sind Beispiele für digitale Medien, wie sie nach und nach die analogen Medien ablösen und aus dem Alltag kaum mehr wegzudenken sind.

Die gesellschaftspolitische Verwendung des Begriffes Digitalisierung ist eine ähnliche, man spricht von Digitalisierung im Alltags- und Arbeitsleben bezugnehmend auf den Wandel von analogen Formen der Kommunikation, Dokumentation oder Büroarbeit hin zur Erledigung dieser Aufgaben mithilfe digitaler Technologien (vgl. Kreidenweis: 2018: 11f.). Begriffe wie Digitaler Wandel oder Digitale Transformation sind in Bezug auf die Arbeitswelt gängig geworden und werden gerne analog der Begriffe 4.0 verwendet. Arbeit 4.0 und Industrie 4.0 bezeichnen beispielsweise die durch Digitalisierung beeinflusste und veränderte Realität im Arbeitsleben. Das meint zum Beispiel den Einsatz von Robotern in Prozessketten, den Zugriff auf riesige Mengen an Information durch Big Data oder Cloud Computing oder das Internet der Dinge. In der Fachliteratur wird daher auch vom Informationszeitalter oder von der vierten industriellen Revolution (vgl. Stüwe, Ermel 2019: 9), die auf die dritte industrielle Revolution folgt. Die erste industrielle Revolution erfolgte Ende des 18. Jahrhunderts durch die Entwicklung des mechanischen Webstuhls, die zweite wurde Ende des 19. Jahrhunderts mit der erstmaligen Verwendung von Fließbändern eingeleitet und bot erstmalig die Möglichkeit zur arbeitsteiligen Massenproduktion durch Elektrizität. Die dritte industrielle Revolution startete in den 1970er Jahren mit dem Einsatz von IT in der Produktion. Die vierte Revolution schließlich meint die Digitalisierung von Produkten und Geschäftsmodellen, die zunehmende Verwendung von Robotern und Künstlicher Intelligenz und der die Verknüpfung der physischen Welt mit der virtuellen (vgl. ebd.: 15f.).

Allgemein hat die Digitalisierung für die Arbeitswelt drastische Veränderungen gebracht. Routinetätigkeiten werden von technischen Geräten übernommen. Im Arbeitsablauf kommt es öfter zu Interaktionen zwischen Menschen und Maschinen und seltener zwischen Menschen und Menschen – ein Beispiel hierfür ist die Möglichkeit in manchen Fast Food-Restaurants, Speisen an einem Terminal zu bestellen anstatt mit den Mitarbeiter*innen analog zu interagieren. Die Arbeit am Computer ist in vielen Berufsgruppen mittlerweile alltäglich geworden. Tätigkeiten

werden automatisiert bzw. halbautomatisiert, und es entstehen neue Tätigkeiten, die von Menschen ausgeübt werden (vgl. Voss 2018: 27).

Bereits die Fülle an Definitionen zeigt den großen Einfluss der Digitalisierung, in der Arbeitswelt als auch im privaten Bereich. In einer erweiterten Definition kann somit gesagt werden, dass es sich bei Digitalisierung auch um den Einfluss handelt, den digitale Technologien auf eine Gesellschaft haben – in technischer oder in sozialer Hinsicht - denn auch zwischenmenschliche Beziehungen sind von der Digitalisierung und digitalen Medien in der Kommunikation beeinflusst (vgl.

Gimpel/Röglinger 2015: 5).

Stüwe und Ermel (2019) sprechen von einer zunehmenden Durchdringung digitaler Technologie im Arbeits- und Privatleben und den dadurch entstehenden neuen Zugängen zu Meinungsbildung, Kommunikation und Wirtschaften. Digitalisierung geht oft einher mit Entmaterialisierung analoger Produkte und Gegenstände. Briefe wurden – vor allem im privaten Bereich - von E-Mails oder Textmessages abgelöst, der Gang zur Bank durch das Onlinebanking ersetzt (vgl. Stüwe, Ermel 2019: 10).

Diese Beispiele deuten an, wie umfassend die Transformation sowohl im privaten als auch im professionellen Kontext wirkt.

Der Soziologe Hartmut Rosa, der sich unter anderem mit dem Phänomen der sozialen Beschleunigung befasst, spricht bei Digitalisierung von einer Veränderung von Resonanzbeziehungen (vgl. Rosa 2017: 15). Ausgehend von seiner Annahme, dass sich die erlebte Zeit seit dem 18. Jahrhundert - dem Beginn der Industrialisierung - stetig verändert, kommt Rosa zu dem Schluss, dass wir durch die Digitalisierung in einer Zeit der Beschleunigung leben. Dies bedeutet nicht, dass die Zeit an sich beschleunigt ist, sondern dass die Prozesse in einer Zeitspanne beschleunigt werden (vgl. Rosa 2005: 16) - ein Phänomen, das sich mit der Geschwindigkeit moderner Datenübertragung via Computer anschaulich beschreiben lässt. Rosa meint mit „Beschleunigung“ mehrere Aspekte, die die Zeitbeschleunigung als vorherrschende Zeiterfahrung der Gegenwart beschreiben, zwei davon sind im Hinblick auf die Digitalisierung – ganz allgemein oder speziell in der Sozialwirtschaft – interessant. Die technische Beschleunigung lässt sich bei der Leistungssteigerung von Computern oder Transportmitteln beobachten (vgl. Rosa

2005: 113). Distanzen sollen somit müheloser überbrückt werden oder der Raum beinahe verschwinden. Die Beschleunigung der Übertragung von Informationen im Zeitalter der Digitalisierung ist hierfür ein weiteres Beispiel. Begann die Überbringung von Nachrichten mit Läufern, berittenen Boten oder Rauchzeichen, wurde dies im Zeitalter der industriellen Revolution vom Telegraphen und später vom Telefon abgelöst; die einstweilige Krönung der beschleunigten Informationsübertragung bildet heute das Internet, das keinen physischen Raum mehr besitzt und uns dazu bemächtigt, in kürzester Zeit Informationen zu übertragen oder abzurufen oder mit Menschen in Kontakt zu treten, die physisch weit entfernt sind (vgl. Rosa 2005: 126). Aus den Folgen, die sich durch den technologischen Fortschritt für die Gesellschaft ergeben, entsteht die sogenannte soziale Beschleunigung, die sich auf die sozialen Veränderungen durch die Digitalisierung bezieht. Zusammengefasst spricht Rosa über die Beschleunigung von „(…) nicht inhärent gerichteten sozialen Veränderungen“ (Rosa 2005: 114). Der technische Fortschritt hat auch die Lebensrealität verändert, der Alltag passt sich an die neuen Gegebenheiten an.

Sozialwirtschaftliche Organisationen sind von den Veränderungen der Lebensrealität durch den technischen Fortschritt nicht ausgenommen. Durch die einschneidenden Veränderungen im Alltags- wie im Arbeitsleben, die sich aufgrund der Digitalisierung aller Lebensbereiche beobachten lassen, ergeben sich zahlreiche neue Situationen und Herausforderungen für die Sozialwirtschaft. In der Praxis der Sozialen Arbeit sind Professionist*innen durchgehend mit Lebenswelten und -realitäten ihrer Klient*innen konfrontiert. Man spricht hierbei auch von der Lebensweltorientierung der Sozialen Arbeit, die ein alltagsnahes Setting bevorzugt, um mit den Rezipient*innen an sozialen Problemlagen und Herausforderungen zu arbeiten. In der Praxis sozialwirtschaftlicher Organisationen ist die Beschäftigung mit den Lebenswelten der Personen, mit denen gearbeitet wird, unumgänglich (vgl.

Kraus 2006: 6). Das bedeutet, dass ein Arbeiten nahe an den Lebensrealitäten der Klient*innen, die mit den Gegebenheiten einer digitalisierten Welt zurechtkommen müssen, forciert wird. Einschneidende Veränderungen im Alltags- wie im Arbeitsleben, die durch Digitalisierung entstehen, treffen Klient*innen sozialer Einrichtungen genauso wie die Mitarbeiter*innen, die sich, um bestmöglich mit den

Klient*innen arbeiten zu können, mit deren Lebenswelten auseinandersetzen müssen (vgl. Stüwe/Ermel 2019: 74).

Die Digitalisierung und das Internet eröffnen den Zugang zu Wissen, Medien und Kommunikation. Gleichzeitig ist aber die Komplexität einer digitalisierten Welt hoch und die Risiken und Chancen unübersichtlich, was zu Unsicherheiten und Unbehagen führen kann: Was passiert mit den Daten? Wer liest bei Mails und Chats mit? Sind in eine Cloud geladene Fotos überhaupt sicher? Bei vielen Menschen ist der Eindruck entstanden, dass sich zu viel in zu kurzer Zeit verändert hat und es nicht mehr möglich ist, mit den Veränderungen Schritt zu halten. Zusätzlich ist die Verwendung digitaler Technologien so sehr Teil des Alltags geworden, dass es nicht mehr möglich ist, sich der Digitalisierung zu entziehen (vgl. Hegemann 2019). Zwar ist der Zugang zu Wissen, Medien und Kommunikation über das Internet so einfach und verfügbar wie nie zu vor, dennoch kann der schiere Umfang verunsichern und Menschen, die mit den neuen Medien (noch) nicht vertraut sind, können sich abgehängt fühlen.

Weitere Bereiche, die durch die Digitalisierung entstanden sind, sind zum Beispiel das Internet der Dinge oder Künstliche Intelligenz (KI). Zwar gibt es vernetzte Geräte noch nicht lange, dennoch sind vernetzte Küchengeräte, Spielzeuge oder smarte Heizungen bereits Teil vieler Haushalte und des Alltags vieler Menschen.

Auch Roboter, die staubsaugen oder den Rasen mähen, sind nichts Ungewöhnliches mehr und wären noch vor wenigen Jahrzehnten kaum denkbar gewesen (vgl. Beranek et al. 2018: 12).

Ein großes Thema der Digitalisierung, das auch die Sozialwirtschaft betrifft, ist Big Data, also durch IT-Systeme zusammengetragene und verarbeitete riesige Datenmengen, die positiv, aber auch sehr kritisch gesehen werden. Durch die schnelle Verarbeitung so vieler Daten ist es möglich, in kurzer Zeit riesige Mengen davon zu erfassen und abrufbar zu machen. Dies bringt u.a. die Möglichkeit mit sich, die gewonnenen Datenmengen für die Wissenschaft zu nutzen. Eine Schattenseite von Big Data ist jedoch die Gefahr, dass die gesammelten Daten missbraucht werden können. Datenbanken gehören oft großen Hard- und Softwarekonzernen, deren Firmenpolitik meist undurchsichtig ist und die Frage aufwirft, was mit den

Daten passiert. Ein viel diskutiertes Thema ist die Weitergabe von Daten durch die Hard- und Softwarekonzerne zur eigenen Bereicherung (vgl. Beranek at al. 2018:

15). Ein prominentes Beispiel ist die Weitergabe von Daten von User*innenprofilen durch Facebook an Cambridge Analytica, eine Firma mit Spezialisierung auf Datenanalyse, die mit dem Wahlkampfteam von Donald Trump zusammenarbeitete und damit den Wahlkampf auf die Zielgruppe abstimmte. Es wird vermutet, dass dieses Vorgehen das Wahlverhalten in der Präsidentschaftswahl 2016 beeinflusste (vgl. Cadwalladr, Graham-Harrison 2018).

Dieser Kritikpunkt ist auch bekannt unter dem Begriff Nudging, der das gezielte Fehlinformieren und Manipulieren von Menschen beschreibt. Diese Art der Verhaltensbeeinflussung ist nicht notwendigerweise von Big Data abhängig, wird aber dadurch erleichtert. Nudging mithilfe von Big Data meint die Verwendung von Massendaten mit dem Ziel, die Stimmungslage in der Bevölkerung auszuloten und zu beeinflussen. Aber im Vordergrund der Kritik steht die „mögliche Einschränkung staatsbürgerlicher Rechte“ (Beranek et al. 2018: 16), indem nicht die Konzerne, die die Datenbanken verwalten, sondern auch Staatsregierungen die Technik und verfügbaren Daten dafür verwenden, um gezielt Informationen über Bürger*innen zu beschaffen. Was sich lange Zeit wie eine Verschwörungstheorie anhörte, wurde durch Whistleblower wie Edward Snowden der Öffentlichkeit bekannt (vgl. ebd.: 16).

Auch der Skandal um Cambridge Analytica wurde nur bekannt, weil Mitarbeiter*innen sich an die Medien wandten. Diese Beispiele veranschaulichen, wieso bei Daten auch vom „Rohöl der digitalen Wirtschaft“ (Stüwe, Ermel 2019: 38) gesprochen wird.

Auch in der Sozialwirtschaft wird mit Datenbanken gearbeitet bzw. werden auch Datenbanken angelegt, zum Beispiel für die Falldokumentation in der Arbeit mit Klient*innen. In diesen finden sich oft sensible Daten der Klient*innen, weswegen das Thema Datenschutz in sozialwirtschaftlichen Organisationen sehr präsent ist (vgl. Pudelko, Richter 2020: 414).

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Digitalisierung neben der technischen auch eine soziale Dimension hat. Beide Dimensionen müssen in der Sozialwirtschaft bedacht werden, da sie sowohl in ihrer technischen als auch in ihrer sozialen Dimension massive Auswirkungen auf die Arbeitsfelder und Tätigkeiten in der Sozialwirtschaft haben (vgl. Rock 2018: 29).

Die Digitalisierung hat in alle Lebensbereiche Einzug gehalten, von der Verwendung digitaler Medien im Alltag bis hin zum Einsatz digitalisierter Technologien in der Arbeitswelt 4.0 (vgl. Matuschek 2016: 6). Für die Sozialwirtschaft bedeutet das, dass sich nicht nur das Management und die Arbeitsabläufe in den Organisationen verändern – etwa durch digitale Dokumentationsprogramme oder Auswertungen – sondern dass auch die Lebenswelt und der Alltag der Klient*innen Veränderungen unterzogen ist (vgl. Stepanek 2018).

Was Digitalisierung, die Verwendung digitaler Medien und auch die digitale Kluft für die Sozialwirtschaft und in weiterer Folge für die Wiener Wohnungslosenhilfe bedeuten, wird in den folgenden Kapiteln dargelegt.

2.2 Die Entwicklung des Internets und die Digitalisierung des Sozialen