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Im Folgenden werden resümierend die wichtigsten Erkenntnisse des Forschungsprozesses mit dem Ziel der Beantwortung der Forschungsfrage dargelegt und mit der ausgearbeiteten Forschungsliteratur verglichen. Die gewonnenen Erkenntnisse können eine wichtige Grundlage für sozialwirtschaftliche Organisationen bieten, um in der Folge einen Handlungsleitfaden zur Erarbeitung digitalisierter Dienstleistungen für die jeweiligen Einrichtungen zu erstellen.

Die Grundlage für die empirische Untersuchung bildeten leitfadengestützte Interviews mit rund zehn Prozent aller Einrichtungsleiter*innen der Wiener Wohnungslosenhilfe, die im Frühjahr 2020 – unter den besonderen Bedingungen der Covid-19-Pandemie – durchgeführt wurden. Die Ergebnisse liefern eine wichtige Innensicht eines großen Bereichs der Sozialen Arbeit, der Wohnungslosenhilfe; sie können dennoch nicht repräsentativ sein.

Die Digitalisierung ist schon lange in der Sozialwirtschaft angekommen. Sie hat große Auswirkung auf die Arbeit in den sozialwirtschaftlichen Organisationen der Wiener Wohnungslosenhilfe (WWH) und hat einen besonderen Stellenwert bei zukünftigen organisationalen Entwicklungen. Aus den Interviews geht hervor, dass Digitalisierung bereits laufend bei der Weiterentwicklung der Dienstleistungen in den Einrichtungen der WWH mitbedacht und bei der Erbringung verschiedener sozialer Dienstleistungen angewendet wird.

Technisch sind die digitalisiert erbrachten Dienstleistungen (noch) auf einem basalen Level. Wie von Kreidenweis (2020) konstatiert, wird von den befragten Expert*innen bestätigt, dass der Status der Digitalisierung im sozialwirtschaftlichen Sektor (noch) nicht auf dem neuesten Stand der Technik ist. Moderne digitale Anwendungen wie Plattformen, technische Assistenzsysteme oder der Einsatz von Künstlicher Intelligenz sind in den sozialwirtschaftlichen Organisationen der WWH noch nicht angekommen (vgl. Kreidenweis 2020: 395f.). Die Ursachen dafür können mannigfaltig sein, wurden jedoch nicht explizit im Rahmen der empirischen Untersuchung erhoben. Ein möglicher Grund für den Stand der Digitalisierung in sozialwirtschaftlichen Organisationen sind die knappen Personalressourcen, die nicht erlauben, dass Mitarbeiter*innen rasch geschult werden können, wenn digitale

Veränderungen anstehen. Auch sind sie für die Aufrechterhaltung des Betriebs unentbehrlich und können somit oft nicht für Digitalisierungsprojekte freigestellt werden. Durch die Notwendigkeit, an der digitalen Weiterentwicklung nebenbei und nicht hauptsächlich zu arbeiten, verlängern sich die Zeiträume bis zum Projektabschluss.

Ein weiterer Grund könnte die Finanzierung über Tagsätze sein, die zwar den laufenden Betrieb der Einrichtung fördert, aber keine finanziellen Mittel für Digitalisierung oder andere Weiterentwicklungen vorsieht.

Digitalisierte Dienstleistungen, die zum Zeitpunkt der Erstellung der vorliegenden Arbeit (im Frühjahr 2020) erbracht werden, beziehen sich vor allem auf die Kommunikation mit den Klient*innen oder auf den Bereich der Administration und Dokumentation. Für die Kommunikation zwischen Klient*innen und Mitarbeiter*innen gibt es bisher keine eigenen Tools, sie erfolgt über Messenger-Dienste, Videotelefonie oder E-Mail. Im niederschwelligen Bereich ist es darüber hinaus üblich, Computer für Klient*innen zur Verfügung zu stellen, um ihnen Informationen oder zu online-Formularen etc. zu ermöglichen und sie so bei ihrer gesellschaftlichen Partizipation zu unterstützen.

Im Zuge der empirischen Erhebung stellte sich heraus, dass zahlreiche Einrichtungen im stationären Bereich der WWH aufgrund baulicher Voraussetzungen oder aus Kostengründen noch über kein WLAN verfügen bzw.

dass WLAN erst seit kurzem zur Verfügung steht.

Betont wurde auch, dass die Wartezeiten auf IT-Supportleistungen lange sind (vgl.

I6: 65f.). Stellt man den Status quo dem Reifegradmodell des digitalen Wandels in sozialwirtschaftlichen Organisationen (vgl. Kreidenweis 2018: 24) gegenüber, zeigt sich, dass die erste Stufe der Pyramide ein hoher Reifegrad in IT-Architektur und IT-Management ist (siehe Kapitel 2.3.1). Damit ist neben der adäquaten technischen Ausstattung auch die Verfügbarkeit von IT-Support gemeint – beides ist zum jetzigen Zeitpunkt in den sozialwirtschaftlichen Organisationen der WWH aus Sicht der befragten Leiter*innen noch nicht zufriedenstellend erfüllt.

Eine organisationsinterne Digitalisierungs-Strategie existiert in den sozialwirtschaftlichen Organisationen der WWH zwar, wird aber meist nicht prioritär behandelt. Laut Kreidenweis ist es unumgänglich, den digitalen Wandel strategisch zu steuern, um die Herausforderungen zu bewältigen (vgl. Kreidenweis 2020: 398).

Aus den Expert*inneninterviews geht hervor, dass die befragten Leitungspersonen zwar darüber informiert sind, dass die Organisationen sich digital weiterentwickeln werden, näher Informationen darüber, in welcher Form das passieren wird, liegen ihnen aber zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht vor, es wäre aber wünschenswert.

Organisationsübergreifende Arbeitsgruppen zum Thema Digitalisierung sind zum aktuellen Zeitpunkt noch im Aufbau. Da von den interviewten Expert*innen angemerkt wird, dass in der WWH großes Interesse an dem Thema herrscht, wird über die Etablierung eines Vernetzungstreffens für Organisationen der Wohnungslosenhilfe nachgedacht (vgl. I1: 347f.).

Der Digitalisierungsschub im Frühjahr 2020 aufgrund der Covid-19-Pandemie hat dazu geführt, dass in vielen Einrichtungen der WWH erstmals Beratungen über Videotelefonie durchgeführt wurden. Durch die Umstellungen in kürzester Zeit wurde für viele Mitarbeiter*innen sozialwirtschaftlicher Organisationen Home-Office möglich, der Kontakt mit Klient*innen wurde neben Videotelefonie mithilfe von Messenger-Diensten (z.B. WhatsApp) und E-Mail geführt. Diese Formen der Dienstleistungserbringung haben sich für die befragten Expert*innen bewährt.

Gleichzeitig wurden jedoch auch die Klient*innen vor große Herausforderungen gestellt und bedeutete es für sie eine große Umstellung und hat notwendige Lernprozesse an den Computern, die in den Einrichtungen der WWH dafür zur Verfügung gestellt wurden, initiiert.

Noch ist nicht absehbar, welche der Veränderungen sich über einen längeren Zeitraum in den Organisationen halten werden. Jedoch wurde deutlich, dass digitale Kommunikation ganz wesentlich zur Aufrechterhaltung des Betriebes der Einrichtungen der Wiener Wohnungslosenhilfe in dieser Krisensituation beigetragen hat.

Durch die Erfahrungen, die in sozialwirtschaftlichen Organisationen durch Covid-19 mit dem Neudenken und der erforderlichen raschen Umgestaltung von Prozessen und Abläufen gemacht wurde, wird Digitalisierung bei der Planung zukünftiger Dienstleistungen stärker mitbedacht.

Von Ideen für digitalisierte Dienstleistungen ist aber nicht jeder Bereich der WWH in gleich großem Ausmaß betroffen. In den drei großen Bereichen – niederschwellig, stationär und mobil – hat Digitalisierung eine unterschiedlich große Rolle.

Für den stationären Bereich ist Digitalisierung nicht prioritär bei der Weiterentwicklung der Dienstleistungen. Hier zeigte sich bereits nach wenigen Interviews eine Themensättigung. Zwar soll sich dort WLAN als Standardangebot etablieren - auch auf Wunsch der Klient*innen - aber dieser Bereich sieht primär die Erreichbarkeit für seine Klient*innen durch ihre physische Anwesenheit in den Wohneinrichtungen gesichert. In Zukunft könnte aber beispielsweise angedacht werden, die Möglichkeit des Einsatzes technischer Assistenzsysteme für den stationären Bereich zu überlegen. Insbesondere in sozial betreuten Wohnhäusern, deren Zielgruppe ältere, wohnungslose Menschen sind, könnten derartige Tools eine Entlastung für Klient*innen, Mitarbeiter*innen und externe Dienste wie Heimhilfen darstellen und Klient*innen den Zugang zu digitalen Formen der Kommunikation auch für andere Lebensbereiche eröffnen.

Im niederschwelligen Bereich steht der einfache Zugang zu Leistungen und das Erreichen der Zielgruppe im Vordergrund. Insbesondere sollen auch Menschen erreicht werden, die zum ersten Mal wohnungslos sind und/oder die für die Organisationen schwer zu erreichen sind. In den Interviews mit den Expert*innen (Leiter*innen in Einrichtungen der Wiener Wohnungslosenhilfe) stellte sich heraus, dass das Aufsuchen einer Wohnungslosenhilfeeinrichtung für diese Gruppen mit einer Hemmschwelle verbunden ist, weil es damit einher geht, dass sie sich als Hilfsbedürftige deklarieren. Um zu verhindern, dass diesen Menschen aufgrund dessen die Hilfsangebote nicht oder erst sehr spät in Anspruch nehmen, hat es sich bewährt, Beratung per E-Mail anzubieten. Die Anonymität dieser Art der Dienstleistungserbringung kann von Klient*innen als Schutz wahrgenommen und daher leichter angenommen werden (vgl. Stepanek 2018). Sie setzt jedoch voraus, dass die Klient*innen mit den digitalen Anwendungen vertraut sind und sich schriftlich gut ausdrücken können. Sprachbarrieren werden dahingehend als Hindernis wahrgenommen, da die Klient*innen sich zwar im persönlichen Gespräch recht gut ausdrücken können, aber bei der schriftlichen Kommunikation auf Deutsch Probleme dabei haben, ihr Anliegen zu formulieren (vgl. I2: 134f.).

Viele wohnungslose Personen verfügen über ein Smartphone oder ein Tablet (vgl.

Studeny 2020: 554); beides wird vorwiegend zur Kommunikation und für die Pflege sozialer Netzwerke verwendet. Um den Zugang zu Ressourcen und in weiterer Folge zur gesellschaftlichen Teilhabe zu verbessern ist es unumgänglich, in die

Erweiterung der digitalen Kompetenzen der Zielgruppe zu investieren und den digitalen Gap zwischen Klient*innen der Wohnungslosenhilfe und der Mehrheitsgesellschaft Schritt für Schritt zu schließen (vgl. ebd.: 556f.). Die Zugänge, Digitalisierung als Teil sozialer Dienstleistungen zu etablieren, sind im niederschwelligen Bereich sehr vielfältig und lohnen einer weiteren Beobachtung.

Für den mobilen Bereich steht ebenfalls die Kommunikation stark im Vordergrund;

es wurde die Erfahrung gemacht, dass Klient*innen – insbesondere bei akuten Problemlagen – über Messenger-Dienste wie WhatsApp auch dann noch erreichbar sind, wenn sie die Wohnungstür nicht mehr aufmachen und das Telefon nicht mehr abheben. Diese Art der Kommunikation wird als das „Instrument der Zukunft“ (I9:

131) gesehen.

Die vorliegenden Ergebnisse zeigen, dass digitale Technologien in sozialwirtschaftlichen Organisationen durchaus auch auf informeller Ebene eingesetzt werden. Auf formeller Ebene wird vor allem mit fachspezifischer Software für administrative Zwecke gearbeitet.

Digitale Alltagsmedien werden auch mehr und mehr im Arbeitskontext verwendet.

Dies findet sich auch bei Stüwe und Ermel (2019) wieder, die anmerken, dass digitale Alltagsmedien so konzipiert sind, dass die meisten Menschen sie ohne Probleme anwenden können. Bezogen auf die Förderung der digitalen Kompetenzen der Klient*innen stellt sich die Frage, ob es sinnvoll wäre, wenn sozialwirtschaftliche Organisationen sich beim Design digitalisierter Tools an den gängigen Anwendungen orientieren.

Für Mitarbeiter*innen ist es wichtig, selbst aktiv zu werden und ihr Expert*innenwissen einzubringen und laufend weiter zu entwickeln bzw.

untereinander auszutauschen. Für die Erarbeitung digitalisierter Dienstleistungen werden Tools aus der Organisationsentwicklung als sinnvoll angesehen. Es wurde von Brainstorming, flexiblen Arbeitsgruppen und User-Stories berichtet. Wie von Hartman (2018) angenommen sind es besonders die agilen Methoden des Projektmanagements, die innovative Ideen fördern. Die Erarbeitung neuer Dienstleistungen nach dem Top-Down-Prinzip wird von den befragten Leitungspersonen als nicht sinnvoll erachtet, im Gegenteil: es soll die Basis in die

Entwicklung involviert sein und die Kund*innen befragt werden, um ideal auf die Zielgruppe zugeschnittene digitalisierte Dienstleistungen zu entwickeln. Das Miteinbeziehen von Stakeholdern ist bei agilen Techniken vorgesehen, Expert*innenwissen ist nicht unbedingt erforderlich – daher bieten sich diese Methoden gut für das Dienstleistungsdesign in sozialwirtschaftlichen Organisationen an (vgl. Hartman 2018: 135).

Bei der Erarbeitung neuer digitalisierter Dienstleistungen zeigen sich einige Aspekte, auf die zu achten ist, damit das Angebot die Zielgruppe wie gewünscht erreicht. Digitalisierung wirft ethische und rechtliche Fragen auf, wie etwa die Verantwortung der sozialwirtschaftlichen Organisationen gegenüber dem User*innenverhalten der Klient*innen und dem Datenschutz, sowie den Ansprüchen an die digitalen Kompetenzen der Adressat*innen. Diese Themen wurden auch von Kutscher (2020) angesprochen und beschäftigen die interviewten Leitungspersonen. Datenschutz als eigenes Themengebiet wird insbesondere seit der Einführung der DSGVO viel diskutiert.

Grundsätzlich ist die Einstellung bei allen befragten Leiter*innen der Wiener Wohnungslosenhilfe gegenüber digitalisierten Dienstleistungen positiv. Dennoch wurde betont, dass insbesondere die Beziehungsarbeit zwischen Mitarbeiter*innen und Klient*innen nicht vollständig digitalisiert stattfinden könne und eine vollständige Ablöse der Face-to-Face-Beratung nicht sinnvoll sei. Körperliche Abwesenheit geht einher mit einem Verlust von Information: Emotionen und Körpersprache können digital (noch) nicht in derselben Qualität wiedergegeben werden. Dem gegenüber steht aber die Beobachtung, dass für manche Klient*innen die räumliche Distanz und wahrgenommene Anonymität Hemmschwellen abbauen kann (vgl. Loew 2020: 217).

Ein teilweise schon umgesetzter Ansatz ist die Etablierung von hybridisierten Dienstleistungen, die sich in der Literatur bei Seelmeyer und Waag (2020) wiederfindet. Die Chancen, die in den Interviews für Klient*innen sozialwirtschaftlicher Organisationen sowohl in den Interviews als auch in der Literatur gesehen werden, beziehen sich auf die Förderung der digitalen Kompetenzen der Klient*innen und den niederschwelligen Zugang zu Information

und Beratung als Teil digitalisierter Dienstleistungen. Durch die Kombination menschlicher und technischer Entitäten kann somit Schritt für Schritt ein digitaler Wandel bei sozialen Dienstleistungen stattfinden. Für die befragten Expert*innen kann Digitalisierung auch eine Chance bieten, Dokumentationsarbeit und administrative Tools effizienter zu gestalten und somit wieder mehr Zeit für die Arbeit mit den Klient*innen zu gewinnen.

Problematisch ist für die Erarbeitung neuer Dienstleistungen ein Mangel an Zeit- und Personalressourcen. Wie aus der Literatur und der empirischen Erhebung hervorgeht, ist die Miteinbeziehung der Basismitarbeiter*innen ein kritischer Erfolgsfaktor für diese Projekte. Zugleich ist es in den Organisationen – die zumeist mit knappen finanziellen Ressourcen auskommen müssen - nicht vorgesehen, den Mitarbeiter*innen Zeitressourcen zur Verfügung zu stellen, um an digitalisierten Dienstleistungen zu arbeiten. Digitalisierungsprojekte müssen sozusagen

„nebenher laufen“. Um langfristig qualitativ hochwertige Ergebnisse zu erzielen sind jedoch genügend Ressourcen nötig, um Mitarbeiter*innen dabei zu unterstützen, durch die Erhöhung ihrer digitalen Kompetenz adäquate Lösungen für ihre Organisationen zu erarbeiten. Eine Digitalisierungsstrategie (vgl. Kreidenweis 2020) ist eine Möglichkeit, dieses Problem zu thematisieren und zu beheben. Um auf den digitalen Fortschritt reagieren zu können, muss neben der alltäglichen Arbeit in den Organisationen der WWH Zeit und Raum vorhanden sein, um den digitalen Wandel zu thematisieren.

Mit dem digitalen Wandel geht auch ein Umdenken im professionellen Selbstverständnis der Mitarbeiter*innen sozialwirtschaftlicher Organisationen einher. Veränderungen dieser Art sind immer ein Prozess, der Wissen und Handlungswissen kreiert (vgl. Campayo 2020: 298). Im Falle der Digitalisierung ist der Wandel in der Sozialwirtschaft noch am Anfang, für die Zukunft sind jedoch viele Anwendungen digitaler Technologie, wie Assistenzsysteme und Künstliche Intelligenz denkbar (vgl. Stüwe, Ermel 2019: 176).

Ein Interviewausschnitt fasst zusammen: „Es ist noch viel zu tun!“ (I1: 346).