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5. D ARSTELLUNG DER E RGEBNISSE

5.4 Menschen im Mittelpunkt digitaler Dienstleistungen

Nach der Darstellung der Wichtigkeit von zielgruppengerechten digitalen Angeboten wird in den folgenden Unterkapiteln darauf eingegangen, wie Menschen im Angesicht des digitalen Wandels weiterhin im Mittelpunkt sozialer Dienstleistungen stehen können. Besonderes Augenmerk wird auch darauf gelegt, wie verhindert werden kann, dass Teile der Zielgruppe aufgrund digitalisierter Dienstleistungen nicht mehr erreicht werden können.

5.4.1 Der zwischenmenschliche Faktor (teil)digitalisierter Dienstleistungen

Wie schon in vorangegangenen Kapiteln ausgeführt, sehen die befragten Expert*innen Digitalisierung als Chance, hybride, d.h. teildigitalisierte Dienstleistungen zu erarbeiten. Einigkeit herrscht bei den interviewten Expert*innen darüber, dass Menschen nach wie vor im Mittelpunkt der Dienstleistungserbringung stehen sollen. Das meint einerseits die Klient*innen und andererseits die Mitarbeiter*innen, die vor allem in der Beziehungsarbeit – die Soft Skills erfordert – nicht durch Computer ersetzbar sind. Auch auf die Unterschiedlichkeit der Personen, mit denen in sozialwirtschaftlichen Organisationen der WWH gearbeitet wird, wird hingewiesen.

„Und jetzt im sozialen Bereich - ich glaube, dass alles, was Betreuungsarbeit und Beziehungsarbeit ist, nicht digitalisiert ersetzt werden kann. Wo es um Beziehungsarbeit geht, nicht“ (I6: 138f.), beschreibt es eine Leitungsperson.

Beratungen, die vor allem die Weitergabe von Information zum Ziel haben, können aber durchaus auch in digitaler Form erfolgen und den persönlichen Kontakt ersetzen (vgl. ebd.: 118f.). Der Einsatz digitaler Technologien in der Dienstleistungserbringung wird als Möglichkeit zur Ergänzung des Angebots gesehen, aber nicht als Ablöse:

„Also für die Klientinnen auf jeden Fall ergänzend, weil ich glaube, wenn es etwas gibt, das man nicht digital ersetzen kann, dann ist es der persönliche Kontakt zwischen Betreuung, zwischen Sozialarbeit und dem Klienten. Das wird sich nicht digitalisiert abwickeln lassen. Nicht in dieser Qualität und es ist ja auch die Qualität unserer Arbeit, dass wir diese von-Mensch-zu Mensch-Kontakte haben, dass wir mit den Menschen direkt arbeiten. Also man kann vieles Verwalterisches, Informationen, teilweise auch Beratungen durchaus digital machen, aber es wird niemals den direkten Kontakt ersetzen“ (I7: 190f.).

Bei ausschließlich nicht-persönlichem Kontakt, z. B. bei der Online-Beratung, gehen die nonverbalen Aspekte der Beratung verloren, so die befragten Expert*innen.

Gerade die nonverbalen Aspekte verraten den Mitarbeiter*innen viel über die Personen, mit denen sie zu tun haben. Auch der Aufbau von Vertrauen ist bei physischer Abwesenheit schwieriger. Eine Leitungsperson beschreibt es wie folgt:

„Da schwingt kein Gefühl mit, da sind keine Töne, keine Emotionen mit dabei. Da

besteht die Gefahr, dass man als Mensch ganz schnell als Sache abgestempelt wird. Das ist wahrscheinlich das größte Risiko“ (I9: 87f.).

Dennoch ist die persönliche Beratung nicht für alle Klient*innen wünschenswert.

Trotz aller Vorteile des persönlichen Kontakts in der Beratung und Betreuung ist es wichtig zu beachten, dass diese Form der Dienstleistungserbringung für manche Menschen angstbesetzt ist und daher vermieden wird. Insbesondere für diese Gruppe ist die Möglichkeit, sozialwirtschaftliche Organisationen über das Internet zu kontaktieren oder Online-Beratung in Anspruch zu nehmen, eine gute Möglichkeit, eine Hemmschwelle zu überwinden.

„Also, es ist für ganz viele Menschen, die Kommunikation per Internet (…) vielleicht mit weniger Hemmschwelle verbunden und leichter möglich ist, weil ich mich dort nicht ausweisen muss, da muss ich mich nicht unbedingt outen und hinbegeben und sichtbar machen, sondern das geht sozusagen sehr anonym, die Kommunikation (…) was für viele sicherlich eine Erleichterung darstellen würde, dass sie sich mit ihren Problemen an so eine Einrichtung wenden können. Da sehe ich durchaus Chancen, dass sozusagen der Zugang erleichtert wird für viele Menschen und es auch, eben, eine Form von Niederschwelligkeit darstellen würde.“ (I2: 182f.), sagt eine Leitungsperson. Für Personen, deren Hemmschwelle zu hoch ist, um eine Beratungsstelle oder ähnliches aufzusuchen, kann der Betreuungsbeginn über digitalisierte Dienstleistungen auch ein erster Schritt in Richtung Face-to-Face-Beratung sein. Auch, wenn es im Betreuungsverlauf zu Schwierigkeiten kommt und Klient*innen nicht mehr in die Beratung kommen bzw. die Tür nicht mehr aufmachen oder am Telefon nicht mehr abheben, ist die Kommunikation via WhatsApp und anderen Messenger-Diensten eine Möglichkeit, den Kontakt nicht abbrechen zu lassen und damit Problemlagen weiterhin bewältigbar zu halten (vgl. I9: 133f.).

5.4.2 Exklusion von Adressat*innen als Risiko digitalisierter Dienstleistungen

Wie im vorhergehenden Kapitel kurz angedeutet gibt es bei allen Formen sozialer Dienstleistungen eine Gruppe von Adressat*innen, die durch die Form der Dienstleistung weniger bzw. nicht mehr erreicht werden. So ist es auch bei digitalisierten Dienstleistungen. Für die Sozialarbeit bedeutet dies, dass nicht nur

darauf geachtet werden soll, mit digitalisierten Dienstleistungen neue Personen zu erreichen. Es soll auch garantiert werden, dass bereits betreute Klient*innen weiterhin erreicht werden. Vor allem im niederschwelligen Bereich, der einen einfachen Zugang zu sozialen Dienstleistungen bieten will, ist das präsent:

„Ja, also wenn man sich tatsächlich nur mehr auf diese digitale Ebene sozusagen konzentrieren würde, glaube ich ganz sicher, dass wir einen großen Teil unserer Klienten, Klientinnen verlieren würden. Einerseits, weil sie über die technische Ausstattung nicht verfügen, aber auch weil sie überhaupt nicht vertraut sind mit dem Medium und nicht umgehen können damit“ (I2: 287f.).

Dieser Meinung schließt sich eine weitere Leitungsperson aus dem niederschwelligen Bereich an: „Also ich denk mir, es gibt halt Menschen, die einfach keinen Zugang zur Gesellschaft haben, die werden ihn auch nicht kriegen, nur weil man diese Gesellschaft digitalisiert, ja? Also das geht ja Hand in Hand, das verändert die Digitalisierung auch nicht, wenn im System was fehlt“ (I1: 310f.).

Digitalisierung kann die Lücken im (Sozial)System nicht schließen, sie bietet nur einen einfacheren Zugang zu dem, was das Sozialsystem bietet. Durch die Digitalisierung vormals analoger Angebote ergeben sich Probleme für Personen, die mit digitaler Technologie nicht vertraut sind. Ein Beispiel aus der beruflichen Praxis der Forscherin ist das E-AMS-Konto des österreichischen Arbeitsmarktservices, dessen Handhabung für Nutzer*innen mit geringer digitaler Kompetenz schwierig sein kann. Über dieses Konto werden Termine koordiniert und offene Stellen übermittelt, auf die sich die betroffenen Personen bewerben müssen, um ihre Bezüge nicht zu verlieren.

„Es wird ja immer nur der Vorteil in den Vordergrund gerückt, aber was das eigentlich für viele heißt, die damit rausfallen wieder, oder mehr rausfallen, wird ja oft gar nicht gesehen“ (I1: 223f.), merkt dazu eine Leitungsperson an.

In den sozialwirtschaftlichen Organisationen der WWH will man ähnliche Hürden verhindern. Durch ein nutzer*innenfreundliches Interface sowie der gleichzeitigen Möglichkeit, die Dienstleistung in analoger Form zu erhalten, soll der Ausschluss von digital wenig versierten Klient*innen verhindert werden.

„Da wollte ich eben sagen: der Hintergrund ist, dass das kein ausschließlicher Zugang sein darf, weil es natürlich viele gibt, die das nicht haben. Viele von der Zielgruppe haben das nicht oder haben ein normales Handy oder gar keines, vor allem wenn man jetzt ältere Personengruppen trifft, haben gar nicht diesen Zugang und ich denke mir, was auch relevant ist (…) das ist die Entwicklung von Oberflächen, die benutzerfreundlich sind“ (I6: 95f.)

Eine Leitungsperson betont zudem, dass die Erbringung einer Dienstleistung nicht daran geknüpft sein darf, dass Klient*innen selbst über ein digitalisiertes Endgerät verfügen – es soll zumindest die Möglichkeit geben, Computer und ähnliche Geräte zu benutzen, die in den Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden (vgl. I7: 136).