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2. T HEORETISCHER T EIL

2.5 Digitalisierung und Klient*innen in der Wohnungslosenhilfe

Als Adressat*innen der Sozialen Arbeit stehen die Klient*innen in sozialwirtschaftlichen Organisationen im Zentrum der Aufmerksamkeit; das erfordert die laufende Weiterentwicklung von Dienstleistungen und Angeboten, um zielgruppenadäquat handeln zu können. Der Begriff „Klient*in“ wird dem der/s

„Kund*in“ vorgezogen, um zu verdeutlichen, dass die Zielgruppe sozialarbeiterischer Intervention in der Regel zwar freiwillig die Beratungs- oder Betreuungsleistung in Anspruch nimmt, sich jedoch in einer sozialen Notlage befindet, durch die die Freiwilligkeit eingeschränkt werden kann. Auch wird der Begriff „Kund*in“ in der Sozialwirtschaft als Euphemismus gesehen, da er die Aufmerksamkeit weg von der Problemlage lenkt und Rezipient*innen sozialer Dienstleistungen mit Kund*innen in einem Supermarkt gleichstellt. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass Befürworter*innen des Kund*innebegriffs diesen als Empowerment für die Zielgruppe sehen, der sie zumindest begrifflich aus der Hilfsbedürftigkeit befreit und den Fokus auf die Dienstleistung, die sie erhalten, legt (vgl. Stark 2006).

2.5.1 Auswirkungen der Digitalisierung auf Klient*innen der Wohnungslosenhilfe

Da sich die vorliegende Masterarbeit auf die Wiener Wohnungslosenhilfe bezieht, wird in diesem Kapitel auf die Klient*innen der Wohnungslosenhilfe, also (ehemals) obdach- und wohnungslose Personen, eingegangen.

Die Zielgruppe der obdach- und wohnungslosen Personen ist sehr heterogen. Laut ETHOS (Europäische Typologie für Wohnungslosigkeit) handelt es sich bei obdachlosen Personen um Menschen ohne festen Wohnsitz und Unterkunft, die im öffentlichen Raum, in Verschlägen oder unter Brücken wohnen oder in Notschlafstellen nächtigen.

Wohnungslose Personen sind Menschen, die in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe, Frauenhäusern, Einrichtungen für Ausländer*innen oder in Dauereinrichtungen für Wohnungslose wohnen sowie Menschen, die nach der Entlassung aus einer Institution (Psychiatrie, Gefängnis, medizinische Einrichtungen, Jugendheime) keinen ordentlichen Wohnsitz haben. Zur erweiterten

Zielgruppe zählen auch Personen, die unzureichend oder ungesichert wohnen, also verdeckt wohnungslos bei Freund*innen und Verwandten, in Wohnwägen oder Abbruchhäusern leben oder von Delogierung bedroht sind (vgl. ETHOS 2005).

Gemeinsam ist diesen Personen lediglich, dass sie über keinen eigenen, gesicherten Wohnraum verfügen.

Der Zugang zum Internet, zu sozialen Medien und Informationen kann den Alltag obdach- bzw. wohnungsloser Personen erleichtern und ihnen gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Dennoch kann es aufgrund fehlender Geräte oder des entsprechenden Knowhows auch zu einer Verfestigung der digitalen Ungleichheit kommen. Aktuelle Studien, die sich mit der Verwendung von Mobiltelefonen und Smartphones von obdachlosen Menschen beschäftigen, zeigen aber, dass sich diese Kluft nach und nach schließt. 2014 führten australischer Forscher*innen um Justine Humphry eine Studie bezüglich der Bedeutung von Mobiltelefonen für obdach- und wohnungslose Menschen durch. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass Mobiltelefone eine besonders hohe Priorität für die Zielgruppe haben und für die Sicherung des Überlebens und die spontane Kontaktaufnahme mit sozialen Einrichtungen oder Notdiensten von hoher Relevanz sind (vgl. Studeny 2020: 552).

Das Forscher*innenteam um Donald Reitzes untersuchte 2017 das Nutzungsverhalten obdachloser Personen in Atlanta bezogen auf Mobiltelefone, Internetnutzung und E-Mail. Laut Reitzes et al. (2017) besaßen 60% der in Wohnungsloseneinrichtungen untergebrachten Erwachsenen ein Mobiltelefon und einen E-Mail-Zugang, was zwar unter dem landesweiten Schnitt liegt, aber doch deutlich zeigt, dass Wohnungslosigkeit nicht automatisch die Exklusion von Anwendungen digitalisierter Technologie bedeutet. Auch konnte beobachtet werden, dass die Anzahl an Handy- und Internetznutzer*innen in der Zielgruppe stetig zunimmt (vgl. Studeny in: Kutscher et al. 2020: 553).

Die Nutzung digitaler Geräte ist auch eine Generationenfrage. Nachdem die erste Generation der Digital Natives – also Personen, die bereits mit der Nutzung des Internets aufgewachsen sind – bereits im Erwachsenenalter ist, kann davon ausgegangen werden, dass der Umgang mit digitalen Endgeräten für jüngere Generationen mittlerweile alltäglicher geworden ist. Dadurch lässt sich aber nicht darauf schließen, dass sich die digitale Kluft für obdach- und wohnungslose Personen automatisch schließt.

Zwar wird oft davon ausgegangen, dass obdach- und wohnungslose Menschen von der digitalen Welt ausgeschlossen sind bzw. ihr Zugang dazu zumindest stark eingeschränkt ist, dennoch muss bedacht werden, dass der Besitz eines Smartphones oder Laptops kein Luxus mehr ist. Der Zugang zum Internet oder zu Mobiltelefonen kann für wohnungslose Menschen von großer Wichtigkeit für die Organisation ihrer Basisversorgung oder ihres Lebensalltags sein und ihnen einen gewissen Grad an Selbstbestimmung geben.

Eine Studie von Yost beschäftigt sich bereits 2012 mit der Nutzung sozialer Netzwerke unter obdach- und wohnungslosen Personen. Dabei zeigte sich, dass insbesondere Facebook eine hohe Priorität bei der Zielgruppe hatte, da sie damit unkompliziert mit Familie und Freund*innen in Kontakt bleiben können und sie selbst darüber bestimmen können, wie sie sich nach außen präsentieren (vgl. Yost 2012: 1f.).

Digitale Kompetenz kann ausschlaggebend für eine erfolgreiche (Re-)Integration obdach- und wohnungsloser Personen sein. Viele Arbeitgeber*innen verlangen Bewerbungen in digitaler Form, die Verwaltung des Bankkontos und der eigenen Finanzen findet mehr und mehr online statt und oft sind auch Informationen – zum Beispiel in Bezug auf Sozialleistungen – vorwiegend im Internet zu finden. Personen mit unzureichender digitaler Kompetenz sind dadurch schnell verunsichert und werden in der Folge von diesen Angeboten ausgeschlossen (vgl. ebd.: 557).

Zwar haben niederschwellige Anlaufstellen und Wohneinrichtungen für obdach- und wohnungslose Personen gewöhnlich Zugang zu Internet und Computern, doch ohne das nötige Wissen rund um die Bedienung der Geräte und des Findens von Informationen im Internet entstehen für obdach- und wohnungslose Menschen neue Schwierigkeiten durch die zunehmende Digitalisierung ihrer Alltags- und Arbeitswelt. Es existieren in der Wiener Wohnungslosenhilfe Angebote, um Klient*innen der Sozialen Arbeit dabei zu helfen, ihre digitale Kompetenz zu verbessern, etwa im Internetcafé ZwischenSchritt, das sich an (ehemals) wohnungslose Personen richtet und neben der Funktion des „Büros auf der Straße“

und der Unterstützung bei digitalen Amtswegen auch Computerkurse und Weiterbildungen anbietet und die Klient*innen auch über Datenschutz und Persönlichkeitsrechte aufklärt (vgl. Samariterbund 2020).

Laut der seit 2013 jährlich erscheinenden D21-Studie zur Digitalisierung der Gesellschaft in Deutschland besteht ein Zusammenhang zwischen Internetnutzung und formaler Bildung. Personen mit geringerer formaler Bildung sind im Internet unterdurchschnittlich oft vertreten, Personen mit hoher formaler Bildung überdurchschnittlich oft (vgl. Initiative D21 2020: 40f.). Obwohl es für einen Großteil der Bevölkerung in Deutschland alltäglich geworden ist, Smartphones und das Internet zu verwenden gibt es immer noch eine Personengruppe, die davon nicht erreicht wird bzw. vom digitalen Wandel ausgeschlossen wird (vgl. Iske, Kutscher 2020: 117). Da davon auszugehen ist, dass die gesellschaftlichen Strukturen in Deutschland und Österreich relativ ähnlich sind, wird angenommen, dass die Situation in Österreich vergleichbar ist.

Im Diskurs um die Digitalisierung in der Sozialwirtschaft ist der digitale Gap ein Thema und es kann auch betont werden, dass Digitalisierung für die Klient*innen sozialwirtschaftlicher Organisationen auch Chancen bergen kann, Ungleichheiten zu überwinden - vorausgesetzt es gelingt, die Rezipient*innen sozialer Dienstleistungen dabei zu unterstützen, den digitalen Gap zu überwinden (vgl. ebd.:

123).

Zusammengefasst sei festgehalten, dass Digitalisierung für Klient*innen der Sozialen Arbeit – z. B. der Wohnungslosenhilfe – sowohl Chancen als auch Risiken birgt. Die Möglichkeit der Internetverwendung bietet als Instrument zur Teilhabe, Weiterbildung und Organisation des täglichen Lebens die Chance, mithilfe digitaler Technologien die (Re-)Integration in ein gesichertes Wohnen und in das Berufsleben zu erleichtern. Dafür muss jedoch die digitale Kluft überbrückt werden, indem Klient*Innen digitale Möglichkeiten nutzen können und nicht den Anschluss an den digitalen Wandel und an die Gesellschaft verlieren.

Wenn Digitalisierung bei der Entwicklung neuer zielgruppenspezifischer Dienstleistungen in der Wohnungslosenhilfe berücksichtigt wird und soziale Trägerorganisationen eine konkrete digitale Strategie verfolgen, könnten vielleicht mehr Angebote geschaffen werden, die von Obdach- und Wohnungslosigkeit betroffene Menschen dabei unterstützen, ihre digitale Kompetenz zu verbessern und die Chancen, die sich durch Digitalisierung ergeben, für sich und ihre unmittelbare Lebenssituation zu nutzen.

2.5.2 Teilhabe durch Digitalisierung

Eine Besonderheit des Internets ist der freie Zugang zu Wissen und Information, der – wenn gut genutzt – obdach- und wohnungslosen Personen zu mehr Selbstbestimmung und Perspektiven verhelfen kann. Dies kann eine Ressource für die Arbeit mit Klient*innen darstellen. Durch leicht bedienbare Produkte aus der Mobiltechnologie, (z. B. Mobiltelefone, Tablets oder auch Smartwatches) kann Klient*innen der Schritt gelingen, sich vom „Makel der Hilfsbedürftigkeit“ (Stüwe, Ermel 2019: 51) zumindest teilweise zu befreien. Durch die Massennutzung von mobilen Geräten sind diese schon lange kein Luxusgegenstand mehr und leicht erhältlich. Der Zugang zum Internet ermöglicht gesellschaftliche Teilhabe und bietet Chancen, Problemstellungen selbständig zu recherchieren und auch Lösungen ausfindig zu machen. Die Integration der Nutzung digitaler Endgeräte in soziale Dienstleistungen kann autonomiefördernd sein, solange sie klient*innenorientiert konzipiert sind (vgl. ebd.: 52).

Die Informationen zum Zugang zu Leistungen und Einrichtungen der Wiener Wohnungslosenhilfe sind im Internet auffindbar und können die Kontaktaufnahme für Beratungsgespräche und Betreuung vereinfachen. Die Möglichkeit, eine Einrichtung per E-Mail zu kontaktieren, kann die Hemmschwelle dafür bei den Betroffenen senken.

Dennoch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Angebote an die Zielgruppe angepasst werden sollten. Bei obdach- und wohnungslosen Personen müssen oft physische und psychische Erkrankungen ebenso mitbedacht werden wie der nicht immer vorhandene Zugang zu Strom und Internet, sowie mangelndes Einkommen, das kostenpflichtiges Nutzen von Anwendungen nicht ermöglicht. Es ist unumgänglich, dass auch die Mitarbeiter*innen sozialer Einrichtungen entsprechende Schulungen erhalten, um ihre eigene digitale Kompetenz zu erhöhen, um die Klient*innen unterstützen zu können und sie auf Chancen und Risiken des Internetgebrauchs - auch in Bezug auf den Datenschutz - hinzuweisen (vgl. Studeny 2020: 562ff.).

Der Wunsch, einerseits Klient*innen vor der unachtsamen Nutzung des Internets zu bewahren und der Grundsatz der Selbstbestimmung andererseits eröffnen ein durch den digitalen Wandel hervorgerufenes ethisches Spannungsfeld.

Fortschreitende Digitalisierung birgt immer das Risiko fortschreitender

Überwachung und obwohl Datenschutz ein Thema ist, das seinen Weg in die Mitte der Gesellschaft gefunden hat, braucht es ein entsprechendes Know-how, um die eigenen Daten zu sichern. Gleichzeitig befinden wir uns in einer Phase beinahe allumfassender Vernetzung, sodass es schwierig ist, den Branchenriesen wie Google oder Facebook auszuweichen (vgl. Lehner 2020: 113). Doch auch abseits von Datenschutz ist die Nutzung des Internets mit gewissen Risiken, wie Betrugsversuchen, Cybermobbing und der absichtlichen Verbreitung von Falschinformationen (Fake News) verbunden (vgl. Stüwe, Ermel 2019: 154f.). Um genannten Risiken entgegenzutreten, lohnt sich einmal mehr die Arbeit an den digitalen Kompetenzen der Klient*innen (und auch der Mitarbeiter*innen).

2.6 Digitalisierung und Mitarbeiter*innen sozialwirtschaftlicher