• Keine Ergebnisse gefunden

5. D ARSTELLUNG DER E RGEBNISSE

5.2 Die Erweiterung bestehender Dienstleistungen durch

Die zweite induktiv gebildete Kategorie beschäftigt sich mit den bereits verwendeten bzw. geplanten digitalen Erweiterungen von Dienstleistungen. Besonderes Augenmerkt wird auf die Frage gelegt, bei welchen Dienstleistungen der WWH eine (teilweise) Digitalisierung sinnvoll ist und welche Dienstleistungen bewusst - laut den in den Interviews befragten Expert*innen - ausschließlich in analoger Form angeboten werden sollen bzw. können.

5.2.1 Digitalisierung als Teil bestehender sozialer Dienstleistungen

Besonders oft tritt Digitalisierung als Teil einer bestehenden, traditionell analog erbrachten Dienstleistung auf. Eine erprobte Dienstleistung wird somit digital erweitert. Die befragten Expert*innen sehen Digitalisierung als nützlichen Teil der Dienstleistungserbringung, der aber unter Berücksichtigung weiterer Faktoren eingesetzt werden soll. Betont wird, dass Digitalisierung als Teil sozialer Dienstleistungen auch Grenzen hat und dass diese genau definiert sein müssen:

„Digitalisierung an sich ist prinzipiell eine gute Sache, die Frage ist das: wo sind die Grenzen? Und wie kann man halt die Grenzen auch wahrnehmen, respektieren aber eventuell auch erweitern. Und wo diese Grenzen auch wirklich Grenzen bleiben sollen“ (I3: 267f.).

Gleichzeitig wird von derselben befragten Leitungsperson darauf hingewiesen, dass viele soziale Dienstleistungen, insbesondere Leistungen der Versorgung im niederschwelligen Bereich, nicht digitalisiert angeboten werden können.

„Die Gespräche sind eben die Gespräche, die Essenlieferung oder Essensangebote bleiben eh sowieso halt in physischer Form, die können nicht digitalisiert werden. Und Beratungen, Weiterleitungen, Begleitungen das alles kann nur halt physisch gewährleistet werden und nicht digitalisiert werden“ (I3: 23f.).

Dennoch werden bereits Dienstleistungen in digitalisierter bzw. teildigitalisierter Form erbracht. Natürlich ist die Basisversorgung akut obdachloser Personen mit Lebensmitteln, Kleidung, Schlafsäcken etc. eine Leistung, die nicht digital angeboten werden kann. Darüber hinaus ist es aber möglich, Beratungs- und Informationsdienstleistungen mithilfe digitaler Technologien weiterzuentwickeln.

Dies wird in sozialwirtschaftlichen Organisationen der WWH bereits gelebt.

Durch die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie im Frühling 2020 und dem damit einhergehenden ungeplanten Digitalisierungsschub konnten in den Wohneinrichtungen der WWH Beratungsleistungen erstmals vollständig digital erfolgen. Dabei konnten die Klient*innen der Wohneinrichtungen die PCs und Laptops der Organisation nutzen und per Videotelefonie mit den Sozialarbeiter*innen, die im Home-Office arbeiteten, sprechen. Dabei spricht die befragte Leitungsperson von der Erbringung von Dienstleistungen durch digitale

Hilfsmittel (vgl. I4: 19f.). Bei der Umstellung auf Beratungen via Videotelefonie wurde festgestellt, dass manche Klient*innen die neue Form der Dienstleistungserbringung schätzten, andere sich aber weigerten, mit den betreuenden Sozialarbeiter*innen über digitale Endgeräte zu sprechen.

„Das heißt, es wird wahrscheinlich noch länger bei uns in der Klientenarbeit beide Zweige geben müssen: digital und analog. Oder es gibt eben digitale Instrumente, die dann so vereinfacht sind, dass eben Klienten leichter einsteigen können“ (I10:

85f.), sagte eine interviewte Leitungsperson aus dem stationären Bereich dazu.

Damit wird auch schon das Thema der Zielgruppen-adäquaten digitalen Angebote vorweggenommen, die den digitalen Gap, den wohnungslose Personen oft aufweisen (vgl. Studeny 2020), mitdenken und Angebote darauf abstimmen.

Eine weitere Leitungsperson zeigte sich allgemein skeptisch bei dem Gedanken, dass ein Teil der Dienstleistungen im sozialwirtschaftlichen Bereich digital angeboten werden soll. Es wird befürchtet, dass digitale Neuerungen nicht gut durchdacht sind und in der Sozialwirtschaft die Expertise dafür fehlt, um die Veränderungen gewinnbringend durchführen zu können.

„Also ich habe das Gefühl, dass man jetzt gerade bei uns im Bereich ganz oft mal Schnellschüsse macht. Weil ich glaube, es ist allen sehr bewusst, dass wir im Sozialbereich nicht auf neuestem und höchstem technischem Stand sind. Es ist auch nicht unsere Kernkompetenz“ (I5: 296f.).

Dabei wird ein weiteres Mal betont, dass digitale Veränderungen nicht rein ideologisch mit dem Wunsch der Modernisierung und der Anpassung der sozialen Dienstleistungen an die Gegenwart passieren sollen, sondern erst eruiert werden soll, welche digitalen Veränderungen sinnvoll sind, um die Qualität der Leistungen erhöhen können.

Im niederschwelligen Bereich der WWH betreffen Überlegungen zur Digitalisierung von Dienstleistungen oft den einfachen Zugang zu sozialen Dienstleistungen. Die erstmalige Inanspruchnahme sozialer Dienstleistungen ist bei vielen Menschen mit einer Hemmschwelle verbunden (vgl. Stepanek 2018), die laut den befragten Expert*innen dafür verantwortlich ist, dass Personen die Angebote der WWH oft erst sehr spät in Anspruch nehmen. In den niederschwelligen Einrichtungen der WWH wird beobachtet, dass sich Menschen, die akut von Wohnungsverlust bedroht

sind, immer öfter per E-Mail mit den Einrichtungen in Kontakt setzen: „Und das wird auch zunehmend genützt, also im Speziellen jetzt in der Beratungsstelle (…) ist das Mail ein sehr wesentliches Thema. Das ist momentan sozusagen das Wesentlichste, das wir im Bereich des Digitalen machen“ (I2: 17f.). Es wurde beobachtet, dass sich mit der Möglichkeit der digitalen Kontaktaufnahme auch Menschen melden, die noch nicht obdachlos sind bzw. noch prekär wohnen. Da dies die Möglichkeit eröffnet, die betroffenen Personen vor einer Phase akuter Obdachlosigkeit zu bewahren, soll das Angebot in Zukunft weiter ausgebaut werden (vgl. ebd.: 22f.; 47f.). Damit schafft die Wohnungslosenhilfe eine thematische Verbindung zur Delogierungsprävention und kann schon tätig werden, bevor Klient*innen tatsächlich obdachlos werden und Beratungen anbieten, ohne dass die Beratungsstelle aufgesucht werden muss (vgl. ebd.: 38f.).

5.2.2 Digitalisierung als Teil der Beziehungsarbeit zwischen Mitarbeiter*innen und Klient*innen

Peter Pantucek schreibt, dass die Etablierung der Beziehungsarbeit in sozialwirtschaftlichen Organisationen einen entscheidenden Schritt in Richtung Professionalisierung der Sozialen Arbeit darstellte. Erst durch den Beziehungsaufbau zwischen Mitarbeiter*innen und Klient*innen und dem damit einhergehenden Vertrauensaufbau war es möglich, qualitative, individualisierte Daten zu sammeln und dem Anspruch an Expert*innendiagnosen gerecht zu werden (vgl. Pantucek 2003: 1).

Durch die Digitalisierung ergeben sich neue Chancen dieser Art der sozialen Dienstleistungserbringung, die in den Einrichtungen der WWH sowohl von Sozialarbeiter*innen als auch von Betreuer*innen erbracht wird. Obwohl erwähnt wird, dass die Beziehungsarbeit zwischen Mitarbeiter*innen sozialwirtschaftlicher Organisationen und ihren Klient*innen nicht komplett digital stattfinden kann, werden von den Expert*innen in den Interviews auch Beispiele genannt, in denen Digitalisierung die Beziehungsarbeit erleichtern kann. Eine Leitungsperson aus dem mobilen Bereich der WWH berichtet dazu von Erfolgen in der mobilen Betreuung durch die Kommunikation über WhatsApp. Seit die Mitarbeiter*innen über Smartphones als Diensthandys verfügen und WhatsApp installiert wurde, ist die

Kontaktaufnahme mit Klient*innen – insbesondere in schwierigen Situationen – deutlich leichter geworden (vgl. I9: 119f.).

„Es werden mehr erreicht! Also allein, wenn man Delogierungsprävention hernimmt. Wenn du kurz davorstehst, deine Wohnung zu verlieren, dann gibt es viele Statistiken darüber, dass man ab einem gewissen Zeitpunkt keine Briefe mehr öffnet. Die Briefe wären aber wichtig. Dass man keine Tür mehr öffnet, weil man Angst hat, dass das der Besuch ist, der die Wohnung wegnimmt. Und gerade dann (…) Man hat den Kopf im Sand und das Handy dabei. Das macht ganz viele, neue Möglichkeiten auf und gibt ganz viele neue Chancen“ (I9: 213f.).

Daraus geht hervor, dass schriftliche Kommunikation über digitale Medien Menschen in schwierigen Lagen eher erreicht, als Telefonate, Briefe oder Besuche.

Für die betreuenden Sozialarbeiter*innen, die die Klient*innen in ihren eigenen Wohnungen aufsuchen, ist es dadurch leichter geworden, Zugang zu ihnen zu finden. Die Kommunikation über WhatsApp funktioniert auch dann, wenn die Klient*innen das persönliche Gespräch verweigern.

Auch im wochenlang andauernden Lockdown aufgrund der Covid-19-Pandemie im Frühling 2020 wurde die Möglichkeit der Beratung über Videotelefonie sehr geschätzt. Für die Organisationen der WWH hat sich das Angebot bewährt. „Wo es Laptops gab, gab es schon die Möglichkeit, in Videokontakt mit den Klient*innen zu treten. Telefonisch sowieso. Aber es war die Möglichkeit, dass man im Haus bei einem Laptop sitzt und der Sozialarbeiter sitzt zuhause“ I6: 39f.), berichtet eine Leitungsperson. Damit konnte in vielen Fällen verhindert werden, dass die sozialarbeiterische Beratungskontinuität abnahm und beispielsweise wichtige Ziele in der Existenzsicherung der Klient*innen aufgeschoben werden mussten.

Bei der Arbeit in sozialwirtschaftlichen Organisationen wird oft viel Zeit für die Dokumentation und Datenpflege aufgewendet. Moderne softwarebasierte Aufbereitung von Informationen zur Verwendung in der Dokumentation und der Fallaufstellung (vgl. Stüwe, Ermel 2019: 66) bietet die Chance, ältere und aufwändigere Systeme abzulösen und die Dokumentationsarbeit effizienter zu gestalten.

„Also die Chance, es gibt ganz extreme Datenverpflichtungen in der Wohnungslosenhilfe. Und wenn man in der Basis wieder mehr Zeit hätte, mit Personen zu arbeiten und nicht zu dokumentieren, dann könnte die

Digitalisierung eine Riesenchance bieten, das zu vereinfachen oder zu beschleunigen“ (I9: 82f.).

Somit wird Digitalisierung auch als Chance gesehen, mehr Zeit in Beziehungsarbeit investieren zu können.

„Das ist eigentlich die wichtige Arbeit – die Beziehungsarbeit. Die fachlich gute Beziehungsarbeit und natürlich auch die organisatorische Arbeit, die die Sozialarbeiter*innen leisten. Die aber nur möglich ist, wenn eine Person mitarbeitet und deswegen ist diese Beziehungsarbeit so wichtig und die Digitalisierung kann uns unterstützen, Freiräume zu schaffen. Kann uns unterstützen dabei, bestimmte Dokumentationsarbeiten nicht machen zu müssen, beziehungsweise schneller erledigen zu können. So muss es sein.

Damit ich Ressourcen habe, um diese Beziehungsarbeit zu machen (I4:

145f.).

Beziehungsarbeit wird als Grundstein der Kooperation zwischen Klient*innen und Mitarbeiter*innen gesehen, der bei den Adressat*innen das nötige Vertrauen schafft, um systematisch an ihren sozialen Problemlagen zu arbeiten.

Welche Auswirkungen Digitalisierung für verwaltende und dokumentierende Tätigkeiten in sozialwirtschaftlichen Organisationen der WWH haben kann, wird in Kapitel 5.2.3 näher dargestellt.

5.2.3 Die Weiterentwicklung der Dokumentationsarbeit durch Digitalisierung

In den Organisationen der WWH wird mit einer fachspezifischen Dokumentationssoftware gearbeitet. Aktuell befindet sich ein Teil der Organisationen im Umstellungsprozess auf die Nachfolgesoftware des bisher verwendeten Programms. In der aktuell stattfindenden Weiterentwicklung dieses Tools werden neue Möglichkeiten für die Organisationen zur Digitalisierung gesehen.

Eine im Zuge der empirischen Erhebung oft erwähnte Chance der Digitalisierung in der Sozialwirtschaft ist die Zeitersparnis in der Dokumentationsarbeit.

Digitalisierung bietet Möglichkeiten, Abläufe effizienter zu gestalten und die ersparte Zeit den Klient*innen zu widmen. Die Dokumentation wird grundsätzlich seit längerem digital durchgeführt (siehe Kapitel 2.2), kann aber durch moderne, digitale Technologie in der Effizienz gesteigert werden.

Die in der Dokumentation erhobenen Daten und dokumentierten Fallverläufe bieten eine wichtige Grundlage für die Fallarbeit und bilden den Betreuungsprozess ab.

„Also das ist eigentlich der Nutzen des Ganzen. Kommunikation und natürlich im weiteren Sinne Wissensverwaltung in dem Sinn, dass man halt die Daten der Personen der Nutzer so gut als möglich, so effizient als möglich verwaltet“ (I4:

145f.), wird von einer Leitungsperson angemerkt. Für eine qualitativ hochwertige Wissensverwaltung wird auch angestrebt, die bereits recht umfangreiche Datenerhebung in den Organisationen der WWH noch zu erweitern.

„Weil wir sind ja im Dilemma der Professionalisierung der sozialen Arbeit, die ja grundsätzlich gut ist, das heißt Datenerhebung. Da habe ich persönlich überhaupt nichts dagegen. Ganz im Gegenteil, ich würde sogar noch mehr Daten erheben wollen. Das liegt aber auch an meiner Position – wenn ich das meinen Sozialarbeiter*innen sage, dann schütteln die natürlich den Kopf, wenn ich ihnen sage, ihr sollt noch die und die Daten erheben. Aber im weitesten Sinne ist es die Möglichkeit, die man hat, wie in der quantitativen Forschung, wo man sagt, man hat gewisse Marker“

(I4:153f.).

Durch die erwähnten Marker soll es möglich gemacht werden, die Falldokumentation so zu gestalten, dass durch die zusätzlich erhobenen und übersichtlich dargestellten Daten schnell Informationen zu Klient*innen verfügbar sind, die den Mitarbeiter*innen dabei helfen, bestmöglich mit den Menschen zu arbeiten. Durch die Auswertung der Daten können Muster erkannt werden.

Langfristig kann so an „Klient*innenprofilen“ gearbeitet werden, die dabei helfen, bestimmte Problemlagen einschätzen und damit schnell und zielgerichtet helfen zu können.