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von Neumanns ENIAC und andere Automatic Calculators

Im Dokument Ideengeschichte der Computernutzung (Seite 89-95)

2.1 Kategorisierung von Visionen der Computernutzung

2.1.2 Historische Computer-Maschinen

2.1.2.5 von Neumanns ENIAC und andere Automatic Calculators

tätssteigerung nicht von einem Interesse Zuses gesprochen werden, das Artefakt an einen spe-ziellen menschlichen Arbeitsprozess anzupassen oder in diesen zu integrieren. Auch Zuse folgte also der Idee der Maschinennutzung des Computers.

Bald war die Geschwindigkeit, mit der neue Waffen und Geschosse entwickelt wurden, zu groß für menschliche Computer und analoge Rechenmaschinen. Es reifte der Wunsch nach einem Super-Calculator. Durch die Arbeiten der Briten an Colossus und Erkenntnisse aus der Radarforschung wusste man, dass Vakuumröhren die Geschwindigkeit, mit der ein Rechenau-tomat operierte, erheblich beschleunigen konnten. Bereits in den 1930er Jahren hatten der Mathematiker Atanasoff und sein Assistent Berry mit ihrem Prototypen des Atanasoff-Berry-Calculator (ABC) diese Technik in einer Rechenmaschine eingesetzt und, wie man ihnen 1973 gerichtlich zugestand, damit den ersten Digitalcomputer überhaupt gebaut. Diese Tech-nik sollte benutzt werden, um ein Artefakt zu konstruieren, das bezüglich seiner Rechenleis-tung alles bisherige übertraf.

Hierfür rief man ein von Leutnant Herman Goldstine vom Army Ballistic Research Laborato-ry geleitetes Projekt ins Leben, in dem eine Vielzahl namhafter Mathematiker, Physiker, Chemiker und Ingenieure versammelt war60, neben von Neumann und anderen auch Mauchly und Eckert, die später im Rechtsstreit mit Atanasoff, wer den ersten Digitalcomputer gebaut hatte, unterlagen. John W. Mauchly, ein mathematischer Meteorologe, befasste sich aus ei-nem rein wissenschaftlichen Interesse mit der Entwicklung leistungsfähiger Rechenmaschinen.

Er interessierte sich für die Auswertung statistischer Wetterdaten und hatte eingesehen, dass er mit menschlicher Rechenleistung (seinen Studenten) oder den existierenden analogen Re-chen- und Lochkartenmaschinen auf Dauer nicht ans Ziel gelangen würde. Mit dem Elektro-ingenieur John Presper Eckert, den er in einem Elektronikkurs kennen lernte, machte sich Mauchly an die Entwicklung eines digitalen Rechenautomaten, der den von ihm 1941 gese-henen Prototypen von Atanasoffs ABC in den Schatten stellen sollte. Beide sicherten sich die finanzielle Unterstützung des Militärs, indem sie Herman Goldstine überzeugten, dass das von ihnen erdachte Artefakt bis zu 1000mal leistungsfähiger sein würde als das bisher leis-tungsfähigste, das dem US-Verteidigungsministerium zur Verfügung stand, der Harvard Mark I.

nicht durch (Campbell-Kelly & Aspray 1996: 60ff; Wiener 1966: 68/69). Eines dieser Geräte war der Differenti-al AnDifferenti-alyzer von dem in 2.1.3 noch vorzustellenden Vannavar Bush.

60 Auch der oben bereits erwähnte Norbert Wiener gehörte eine Weile zu den für die Berechnung der Firing Tables verantwortlichen Wissenschaftler. Wie viele andere auch, wandte er sich später jedoch bewusst von jegli-cher Form der militärischen Forschung ab. Folgende Aussage ist von ihm diesbezüglich überliefert: „I do not expect to publish any future work of mine which may do damage in the hands of irresponsible militarists.“ (zi-tiert nach Heims 1980: 208).

Im April 1943 bekamen Mauchly und Eckert vom Army Ballistic Research Laboratory die Zusage über zunächst $400.000, mit denen sie sich in Zusammenarbeit mit von Neumann und unter Leitung Goldstines an die Konstruktion des ENIAC machten.

Als der ENIAC 1945 fertiggestellt war, wurde er zwar für den Krieg nicht mehr benötigt61, dennoch leistete der ENIAC, was man sich von ihm versprochen hatte. Die Berechnung der Flugbahn eines Projektils, die einen menschlichen Computer etwa 20 Stunden gekostet hätte, erledigte das Artefakt in weniger als 30 Sekunden. Damit war es erstmals möglich, das Ver-halten des Projektils in einer Zeit vorherzusagen, die die tatsächliche Dauer vom Abschuss bis zum Einschlag im Ziel unterschritt.

Anders als frühere Rechenmaschinen wurde der ENIAC auch von der amerikanischen Öffent-lichkeit enthusiastisch gefeiert und von der Presse mit Begriffen wie „Elektronengehirn“,

„von Menschen gemachter Geistesriese“ oder „mechanischer Einstein“ verglichen (zitiert nach Brödner 1997: 56ff).

Die erste digitale Rechenmaschine nach dem ABC-Prototypen hatte tatsächlich gigantische Ausmaße. Der ENIAC bestand aus mehr als 17.000 Röhren, 70.000 Resistoren, 10.000 Kapi-zatoren und mehr als 6.000 Schaltern, die allesamt per Hand zu bedienen waren. Er maß über 30 Meter Länge, 3 Meter Höhe und einen Meter Breite und wog etwa 30 Tonnen. Es hält sich das zweifelhafte Gerücht, dass die Lichter von Philadelphia sich verdunkelten, wenn der ENIAC eingeschaltet wurde (Rheingold 2000: 84).

Von Neumanns Beitrag zum ENIAC, dessen Konstruktion er als besonderer Berater betreute, betraf vor allem die logische Struktur der Schalter. War der ENIAC noch ein sehr unflexibel einsetzbares Artefakt, an dem, um eine neuartige Rechnung auszuführen, erst mehrere Tech-niker stundelang Schalter umlegen und Einstellungen vornehmen mussten, so legte von Neu-mann Wert darauf, die verschiedenen Funktionalitäten des Geräts bei künftigen Konstruktio-nen oder Weiterentwicklungen in das Coding statt in die Hardware zu integrieren. Im Juni 1945, also schon ein halbes Jahr vor der offiziellen Einweihung des ENIAC im Februar 1946, präsentierte von Neumann ein Arbeitspapier unter dem Titel „First Draft of a Report of the EDVAC“ (Neumann 1945), in dem er die Idee eines Artefakts namens Electronic Discrete Variable Calculator (EDVAC) vorstellte62. Dieses sollte aus derselben Hardware bestehen wie

61 Der ENIAC kam jedoch später noch bei der Entwicklung der Atom- und das Wasserstoffbombe sowie der ersten Interkontinental-Raketen zu seinem militärischen Einsatz (Coy 1985: 63).

62 Im Zuge der EDVAC-Entwicklung gab es erhebliche Spannungen unter den vier Entwicklern, die vor allem in der von ihnen jeweils angestrebten Nutzung der Maschine begründet lag. Während Mauchly und Eckert sehr

der ENIAC, sollte sich aber durch das, was von Neumann Stored Programming nannte, aus-zeichnen. Hinter diesem Terminus stand der Gedanke, dass die Funktionalität der Maschine nicht in den mechanischen Bauteilen und deren Einstellungen liegen sollte, sondern dass das Artefakt neben einem Speicher für die zu bearbeitenden Daten einen Speicher für seine eige-nen Operationsmöglichkeiten besitzen sollte. Die im ENIAC per Hand zu verstellenden Schal-ter sollten überführt werden in ein Symbolsystem und vom Gerät automatisch eingestellt wer-den. Dieses sollte also befähigt werden, als eine Art Metamaschine zu entscheiden, welche Rechenmaschine für eine bestimmte Art von mathematischer Aufgabe benötigt wurde. Dieser Gedanke war nicht völlig neu, schließlich hatte Turing 1936 genau eine solche Maschine ge-meint, als er seine Universalmaschine als Imitation aller anderen Maschinen beschrieb.

Mit einem zweiten Aufsatz präzisierte von Neumann seine Gedanken aus dem First-Draft-Aufsatz und begründete in jener „Preliminary Discussion of the Logical Design of an Electro-nic Computing Instrument“ (Neumann et al. 1971) das Konzept, was heute als von Neumann-Architektur eines Computers bezeichnet wird. Im Kern bedeutet dies, dass Programm und Daten, binär kodiert, im gleichen Speicher stehen, der Programmablauf abhängig von Daten und Zwischenergebnissen gesteuert wird und der Prozessor eine Instruktion nach der anderen verarbeitet (Coy 1985: 124).

Die von Neumann-Architektur für einen Computer ähnelt sowohl den Ideen Babbages als auch Turings. Eine nach ihr konstruierte Maschine besitzt vier zentrale Eigenschaften: a) ei-nen Prozessor (Processing Unit), in der arithmetische und logische Operatioei-nen ausgeführt werden, b) einen Speicher, in dem sowohl Daten als auch Programme zur Bearbeitung dieser Daten gespeichert werden können, c) einen temporären - oder Arbeitsspeicher, in dem Zwi-schenergebnisse abgelegt werden können und d) eine Eingabe- und Ausgabemöglichkeit für den menschlichen Bediener. Bis in die 1980er Jahre wurden Computer fast ausschließlich nach dem von von Neumann vorgeschlagenen, logischen Aufbau konstruiert. Zu Ehren von Neumanns wurde eine dieser Rechenmaschinen von der Rand Corporation nach ihm JOHNNIAC benannt. Erstaunlicherweise waren es nicht die Amerikaner, die die erste von-Neumann-Rechenmaschine bauten, sondern die Briten. Am mathematischen Institut der Uni-versität von Cambridge erstand schon kurz nach dem Erscheinen der Aufsätze von Neumanns der Electronic Delay Storage Automatic Calculator (EDSAC).

bald nach dem Krieg für eine zivile Nutzung plädierten, hatten von Neumann und Goldstine weiterhin vornehm-lich eine militärische und wissenschaftvornehm-liche Nutzung im Auge. 1946 verließen Mauchly und Eckert das Projekt und verstrickten sich mit ihren beiden ehemaligen Kollegen in eine lebenslange Auseinandersetzung über Urhe-berrechte auch am First Draft-Aufsatz (Rheingold 2000: 91).

Warum sind die Ideen zum ENIAC Ausdruck der Maschinen-Metapher?

Nach den Ausführungen über die Ausmaße und Größe des ENIAC muss nicht weiter erörtert werden, dass von Neumanns Ideen sich auf ein technisches Artefakt im Sinn von 2.1.1 bezo-gen.

Der ENIAC war wenig flexibel und konnte nur zu wenigen Arbeitsschritten, nämlich der rechnung der Flugbahnen von Projektilen unterschiedlicher Art unter unterschiedlichen Be-dingungen, eingesetzt werden. Er folgte einem festgelegten Arbeitsschema, das nur durch langwierige Arbeit der Ingenieure verändert werden konnte. Einmal in Gang gesetzt, konnte die Bearbeitung des ENIAC nicht manipuliert werden. Sofern ein Arbeitsschema fehlerhaft war, musste es überarbeitet und die gesamte Prozedur von Neuem in Gang gesetzt werden.

Der steuernde Eingriff in den maschinellen Verarbeitungsprozess durch den Bediener des Artefakts und ein nicht a priori definiertes Weiterverarbeiten von Zwischenergebnissen war unmöglich und von Eckert, Mauchly und von Neumann auch gar nicht vorgesehen.

Ferner beeindrucken die Beschreibungen der Größe des ENIAC. In keinem der Aufsätze von Neumanns finden sich Ambitionen zur Miniaturisierung seines Artefakts. Es unterstreicht die Gültigkeit der hier vertretenen Annahme von der Dominanz der Idee der Nutzung des Com-puters als Maschine zu jener Zeit, dass über die Presse in der amerikanischen Bevölkerung vor allem eine Vorstellung vom technischen Leistungsvermögen („berechnet Hundert-Jahresproblem in 2 Stunden“, „5000 Probleme pro Sekunde“, „addiert in 1/5000 Sekunde“) und der physischen Größe („Gigantische Rechenmaschine“, „Gewicht: 30 Tonnen“) des Arte-fakts und nur sehr bedingt seinen Nutzungsmöglichkeiten („Allzweckrechenmaschine für die Probleme der Nuklearphysik, Aerodynamik und wissenschaftlichen Wetterforschung“ (zitiert nach Brödner 1997: 56ff) verbreitet wurde.

Die unflexible Einsetzbarkeit, die geringe Steuerbarkeit durch den menschlichen Bediener und die enorme physische Größe des ENIAC deuten darauf hin, dass von Neumann und sein Entwicklerteam nicht das Interesse verfolgten, den ENIAC in einen bestehenden, menschli-chen Arbeitsprozess zu integrieren – womit die erste hinreimenschli-chende Bedingung erfüllt ist, um von Neumann nach 2.1.1 als Anhänger der Maschinen-Metapher der Computernutzung zu betrachten.

Es sei hier betont, dass es nicht der damalige Stand der Technik war, der die Entwickler des ENIAC zwang, auf allgemein verständliche, von anderen als den Entwicklern bedienbaren Ein- und Ausgabevorrichtungen zu verzichten. Ideen und Vorschläge, wie derartige Vorrich-tungen aussehen könnten, existierten in 1940er Jahren bereits. Der in 2.1.3.1 vorzustellende

Vannavar Bush etwa formulierte parallel zu den Aktivitäten der ENIAC-Entwickler das Kon-zept zu einem Artefakt namens Memory Extender (MEMEX), das derartige Vorrichtungen besaß, die Bush sehr detailliert beschrieb und diskutierte. Bush folgte jedoch einer grundsätz-lich anderen Vision der Nutzung seines Artefakts als die Entwickler des ENIAC. Er folgte der Idee der Nutzung des Computers als Werkzeug im Sinn von 2.1.1 und nicht wie die ENIAC-Entwickler der Idee der Maschinennutzung. In den Augen der ENIAC-ENIAC-Entwickler war es aus-reichend, wenn einige wenige im Auftrag der US-Armee arbeitende Ingenieure ihren Compu-ter zu bedienen und von ihm zu profitieren verstanden. Die geringe Steuerbarkeit des ENIAC durch den menschlichen Bediener kann also nicht als Resultat eines noch nicht sehr elaborier-ten Stands der Technik betrachtet werden. Es muss vielmehr festgestellt werden, dass von Neumanns Nutzungsvision des ENIAC eine Steigerung der Steuerbarkeit des Artefakts durch den menschlichen Bediener nicht umfasste.

Ferner ging es den Entwicklern des ENIAC allein darum, die Fähigkeiten und Tätigkeiten einer wissenschaftlich-technischen Elite zu unterstützen, d.h. sie konstruierten im weiteren Sinn für ihre eigenen Bedürfnisse. Entwickler und Benutzer waren identisch, und man konnte bei allen potentiellen Benutzern des ENIAC ein grundlegendes Verständnis dessen technischer Funktionsweise voraussetzen – womit auch eine zweite hinreichende Bedingung erfüllt wäre, um von Neumanns Nutzungsvision der Maschinen-Metapher zuzuordnen.

Schließlich ging es bei der Entwicklung des ENIAC hauptsächlich darum, militärische Inte-ressen zu befriedigen und Firing Tables zu erstellen. Von der Nutzung des technischen Arte-fakts sollte ausschließlich die im Hintergrund stehende Institution profitieren, im Falle des ENIAC also die US-Armee. Die Unterstützung privater Zwecke der ENIAC-Benutzer war nicht Ziel der Entwicklung und wäre von Mauchly, Eckert, von Neumann und den anderen Entwicklern vermutlich als völlig absurd betrachtet worden – der dritte Indikator, der hin-reichte, um von Neumanns Nutzungsidee der Maschinen-Metapher zu subsumieren.

Es besteht kein Zweifel, dass der ENIAC menschliche Fähigkeiten erweiterte, indem er es ermöglichte, erstmals die Flugbahn eines Projektils in einer Zeit zu berechnen, die die Flug-zeit des Projektils unterschritt. Jedoch erweiterte der ENIAC nicht menschliches Handeln im allgemeinen, sondern nur das sehr spezielle Handeln einer wissenschaftlichen Elite. Auch wenn von Neumann später die Flexibilität von Rechenmaschinen dadurch erhöhen wollte, dass er, wie es schon Turing vorgeschlagen und Zuse sogar ansatzweise realisiert hatte, die verschiedenen mit Hilfe der Maschine durchführbaren Arbeitsschemata im Coding und nicht mehr in der Hardware ansiedeln wollte, finden sich in seinen Aufsätzen keine Anzeichen für

die Absicht, mit der neuartigen Technologie alltägliches menschliches Handeln zu unterstüt-zen. Eine derartige Idee der Nutzung von Computern war in dieser Zeit nicht weit verbreitet.

Es ging auch beim ENIAC und seinen Nachfolgern darum, zu zeigen, dass menschliche Auf-gaben von technischen Artefakten übernommen werden können. Die Art und Weise, wie dies geschieht, und die Tendenz, möglichst vielfältige, alltägliche menschliche Aufgaben durch Computer zu unterstützen, finden sich in der Vision und Realisierung des ENIAC noch nicht.

Alan Kay, ein noch vorzustellender Entwickler von Computern, fasste einst treffend zusam-men, was hier über historische Visionen der Computernutzung unter der Maschinen-Metapher konstatiert wurde. Er sagte über den UNIVAC, einen Nachfolger des ENIAC: „[…] when the Univac-I appeared […] computing was still done on machines that had to be owned by an institution.” (Kay 2002).

Im Dokument Ideengeschichte der Computernutzung (Seite 89-95)