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Engelbarts Communication Augmentation

Im Dokument Ideengeschichte der Computernutzung (Seite 152-155)

2.1 Kategorisierung von Visionen der Computernutzung

2.1.4 Historische Computer-Medien

2.1.4.1 Engelbarts Communication Augmentation

Bereits in 2.1.3 ist Douglas Carl Engelbart als einer der ersten Vertreter vorgestellt worden, der die Computernutzung in Analogie zur Nutzung eines Werkzeugs im Sinn von 2.1.1 dachte und dementsprechend Computer-Werkzeuge entwickelte. Auch wenn er sich dabei vielen Anfeindungen und Missverständnissen ausgesetzt sah, ging er dennoch nach 1969, als erste Erfahrungen mit dem ARPAnet gesammelt wurden, noch einen Schritt weiter. Obwohl er das, was er später Communication Augmentation nannte, immer nur als einen Bestandteil seines großangelegten Forschungsprojekts zur Erweiterung menschlicher Intelligenz verstand, ist gerade die der Communication Augmentation zugrunde liegende Idee ein qualitativer Sprung gegenüber der Werkzeug-Metapher der Computernutzung. Als erster aller in dieser Arbeit erwähnten Computerbauer und Visionäre der Computernutzung äußerte und verfolgte Engel-bart die Idee von der Nutzung des Computers als ein technisches Artefakt zur direkten Beein-flussung kommunikativen und interaktiven Handelns sowie sozialer Prozesse, Beziehungen und Strukturen. Sicherlich hatte auch die Verbreitung der Idee von der Werkzeugnutzung des Computers und die zunehmende Herstellung von Computer-Werkzeugen im oben ausgeführ-ten Sinn einige soziale Auswirkungen. Diese waren aber nicht inausgeführ-tendiert, sie waren Neben-produkte, d.h., dass sie im Entwicklungsprozess des Artefakts nicht im geringsten berücksich-tigt, geschweige denn, dass diesbezüglich Ziele definiert wurden. Im Mittelpunkt des Interes-ses jener Entwickler, die der Werkzeugvision der Computernutzung folgten, standen die Nut-zer als isolierte Individuen.

In seiner Analyse wissenschaftlichen Arbeitens hatte Engelbart festgestellt, dass die Zusam-menarbeit von Wissenschaftlern im Team immer mehr an Bedeutung gewann, dass diese je-doch, vor allem wenn sie interdisziplinär stattfand, stets mit Kommunikationsproblemen be-haftet war (Friedewald 1999: 144ff). Nachdem er, wie in 2.1.3 dargelegt, mit dem FLTS und NLS ein adäquates Werkzeug zur Unterstützung des Wissenschaftlers auf dem personal level entwickelt hatte, galt das vornehmliche Interesse Engelbarts und seiner Kollegen Ende der 1960er Jahre der Manipulation von gruppendynamischen Prozessen.

Die neuartige Idee Engelbarts materialisierte sich schließlich im Online-System (NLS). Es wurde in 2.1.3.4 gezeigt, dass ein isolierter, individueller Nutzer durch Engelbarts NLS seine individuellen, intellektuellen Fähigkeiten (etwa seine Fähigkeiten beim Verfassen eines Tex-tes) erweitern konnte, dass er das NLS folglich gewinnbringend als Werkzeug benutzen

konn-te, um die Effizienz seiner Arbeit zu steigern. Doch ging Engelbarts Interesse Ende der 1960er Jahre noch weiter. Er beschäftigte sich ausgiebig mit der communication augmentati-on und widmete seine gesamte Aufmerksamkeit dem, was er group level nannte. Hatte Engel-bart in den ersten Jahren des ARC etwa untersucht, wie einzelne Nutzer mit Eingabevorrich-tungen wie der Mouse zurechtkamen, beobachteten er und ein speziell für diese Zwecke ein-gestellter Psychologe (Rheingold 2000: 199) nun Kooperations- und Interaktionsprozesse in sozialen Entitäten. Über ein System miteinander vernetzter Rechner ließen sie seine Mitarbei-ter im Sinn des Bootstrapping-Prinzips Arbeitssitzungen mit Hilfe des NLS durchführen. Da-bei interessierte sich Engelbart für die Frage, ob verschiedene soziale Akteure durch die Ver-wendung eines neuartigen Kanals, dem Medium NLS, schneller die zu diskutierenden Punkte aushandeln konnten oder zu besseren Ergebnissen kamen als ohne diesen Kanal. Als Resultat des NLS-Einsatzes auf group level versprach sich Engelbart direkte Auswirkungen auf die unter den Gruppenmitgliedern stattfindenden kommunikativen Prozesse. Mitarbeiter, die sich in den üblichen Gruppendiskussionen eher zurückhielten, sollten hier die Möglichkeit erhal-ten, sich stärker einzubringen. Außerdem sollte die Intensität des Austauschs erhöht werden, indem das Bearbeiten und Kommentieren der Dokumente anderer erleichtert wurde. Das NLS konnte aufgrund seines Betriebs auf Time-Sharing-Basis nämlich nicht nur, wie in 2.1.3 ge-schildert, von voneinander separierten, individuell arbeitenden Wissenschaftlern benutzt wer-den. Es sollte darüber hinaus auch zur Koordinierung, Protokollierung, Realisierung und Un-terstützung von Diskussionen innerhalb einer Gruppe von Wissenschaftlern verwendet wer-den. Indem mehrere Wissenschaftler gleichzeitig über das NLS an ein und demselben Doku-ment arbeiten, Ideen aussprechen, diese sofort diskutieren und u.U. wieder verwerfen oder modifizieren konnten, wurde ihre Kooperation, Interaktion und Kommunikation durch den Einsatz von Technik erweitert. Erstmals in der Geschichte des Computers wurde dieser ge-zielt dazu eingesetzt, soziale Interaktionen zu forcieren und soziale Beziehungen gege-zielt zu verändern. Zwar war der Computer bereits früher der Inhalt von Kommunikation und Interak-tion gewesen, er wurde aber nie gezielt als Kanal dieser KommunikaInterak-tion oder InterakInterak-tion ein-gesetzt.

Nachdem die ARPA aufgrund der 1970 erlassenen Mansfield Amandment nur noch Projekte förderte, die einen direkt erkennbaren Nutzen für die Landesverteidigung hatten, verlor En-gelbarts ARC jede finanzielle Unterstützung und Engelbart seinen Job. Er begann, bei einer kleinen Firma namens Tymshare Corporation seine Ideen vom Computer und dessen Nutzung zu realisieren. Hier entwickelte er sein NLS zu einem Netzwerksystem mit dem Namen Aug-ment weiter, ohne dass diesem nennenswerter Erfolg beschienen war.

Warum sind Engelbarts Überlegungen zum NLS Ausdruck der Medium-Metapher?

Es ist in 2.1.3.4 erläutert worden, dass Engelbarts Visionen sich auf ein technisches Artefakt im Sinn von 2.1.1 bezogen. Darüber hinaus wurde gezeigt dass seine frühen Ideen der Com-puternutzung, der Werkzeug-Metapher zuzurechnen sind. Ende der 1960er Jahre hingegen überwand Engelbart jedoch diese Vorstellung der Computernutzung. Er formulierte Ideen von der Nutzung seines NLS, die der Medium-Metapher der Computernutzung zugeordnet werden müssen:

Engelbarts NLS war das erste Computersystem, das ein Sich-auf-andere-Beziehen explizit unterstützte. Dabei interessierte sich Engelbart jedoch nicht allein dafür, welche Folgen dieses Sich-auf-andere-Beziehen für den individuellen Nutzer und seine Arbeitsweise haben würde, sondern stellte die Entität von Nutzern in den Mittelpunkt seines Interesses. Er wechselte die Perspektive, aus der er die Nutzung und Wirkung seines Artefakts konzipierte und beobachte-te, was durch seine Begriffe vom personal level und group level treffend beschrieben ist – womit die hinreichende Bedingung erfüllt ist, um Engelbarts späten Ideen der Computernut-zung der Medium-Metapher zuzuordnen.

Mit den Begriffen des Symbolischen Interaktionismus ließe sich formulieren, dass Engelbarts NLS das Austauschen von Gebärden erleichtern und die Austausch- und Erklärungsprozesse beschleunigen und intensivieren sollte, durch die eine Gebärde zu einem signifikanten Sym-bol zwischen zwei oder mehr Akteuren werden konnte. Engelbart betrachtete nicht nur die einzelnen, isolierten Aktionen und Reaktionen der Akteure, sondern das oben angesprochene, von Mead als „dynamisches Ganzes“ bezeichnete Ensemble der aufeinander bezogenen Akti-onen.

Wenn häufig die Bedeutung von Engelbarts Ideen für die Entwicklung des Personal Compu-ter betont wird, so darf nicht vergessen werden, welche Bedeutung seine Ideen für die Medi-um-Metapher der Computernutzung hatten. Während viele der am Ende von 2.1.3 vorgestell-ten Artefakte (z.B. FLEX, Apple Macintosh, Dynabook, PC etc.) in keiner Weise als Medien im hier verstandenen Sinn, also als Artefakte für den kooperativen, interaktiven Gebrauch, gedacht waren, müssen einige scheinbar neuartigen Konzepte (z.B. computergestützte Video-konferenz oder CSCW) als Weiterentwicklung alter Ideen Engelbarts verstanden werden.

Dass ihm erst sehr spät Anerkennung zuteil wurde, ist vermutlich damit zu begründen, dass er zum einen als ein äußerst schlechter Manager und Personalleiter galt (Rheingold 2000: 178), dem es nur selten gelang, seine Ideen allgemeinverständlich darzustellen, zum anderen aber sicherlich auch damit, dass die Maschinen-Metapher der Computernutzung in den 1960er

Jahren die wissenschaftliche und industrielle Computerentwicklung noch zu stark dominierte, als dass sie durch die Vision der Werkzeugnutzung, geschweige denn der Mediumnutzung hätte verdrängt werden können.

Im Dokument Ideengeschichte der Computernutzung (Seite 152-155)