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Engelbarts Intelligenzverstärker

Im Dokument Ideengeschichte der Computernutzung (Seite 113-121)

2.1 Kategorisierung von Visionen der Computernutzung

2.1.3 Historische Computer-Werkzeuge

2.1.3.4 Engelbarts Intelligenzverstärker

Möglichkeiten der Computernutzung zu privaten Zwecken. Dies zeigt sich besonders deutlich in der Tatsache, dass sie viele Spiele programmierten, Computertechnologie folglich zu Un-terhaltungszwecken einsetzten und nicht zur Effizienzsteigerung von Rechen- und Arbeits-prozessen – womit die zweite in 2.1.1 definierte Bedingung erfüllt ist, die hinreichte, um die Visionen der MIT-Hacker der Werkzeug-Metapher zuzuordnen.

Auch wenn sie auf diese Weise eine sehr breite Schicht potentieller Computernutzer vor Au-gen hatten, etwa alle Schachspieler, und sich nicht auf eine mathematisch-technische Elite oder Wissenschaftler bzw. andere spezialisierte Berufssparten konzentrierten, so muss den Hackern des MIT dennoch eine gewisse elitäre Einstellung nachgesagt werden: In den Forde-rungen der jungen Programmierer um Greenblatt, Rodman oder Draper ist zwar die Überzeu-gung zu erkennen, dass potentiell jeder vom Einsatz der Computertechnologie profitieren könne, sowie die Intention, Computertechnologie für die breite Masse nutzbar zu machen.

Dennoch arbeiteten sie nicht daran, diese Technologie benutzbarer für Nicht-Techniker oder im Umgang mit Computern unerfahrene Nutzer zu gestalten. Ihre Überzeugung von der all-gemeinen Nützlichkeit der Computertechnologie spiegelte sich folglich nicht direkt in ihren Entwicklungen wider. Vielmehr erwarteten sie vom potentiellen Nutzer, dass er eine Begeis-terung für den Computer entwickeln würde, die der ihren glich, und die dazu beitragen würde, dass der Nutzer die technische Funktionsweise des Computers erlernte. Statt wie Bush oder Licklider darauf hinzuwirken, dass die Kluft zwischen Entwickler und Benutzer wachse, pro-klamierten sie sogar weiterhin die Identität zwischen beiden. Allerdings forderten sie nicht, dass der Entwickler sein eigener Benutzer bleibe, sondern dass der Benutzer sein eigener Entwickler werde. Statt Computer so zu gestalten, dass ein Verständnis ihrer technischen Funktionsweise gar nicht mehr nötig ist, setzten die Hacker des MIT auf eine allgemeine Verbreitung des Wissens über die technische Funktionsweise des Artefakts, eine Hoffnung, die auch von anderen Computer-Entwicklern später gehegt wurde, und die bis heute regelmä-ßig enttäuscht wurde. In diesem Punkt spiegeln ihre Visionen die Werkzeug-Metapher der Computernutzung nicht vollständig wider.

Bereits 1945 hatte der junge Engelbart bei seinem Militärdienst im Pazifischen Ozean in der Bücherei des Roten Kreuzes Bushs „As we may think“ gelesen. Einige Jahre später begann Engelbart sich intensiver mit Bushs Ideen auseinander zu setzen und entwickelte bald eigene Vorstellungen. 1951 ging er an die University of California nach Berkeley, um zu promovie-ren. Doch stießen Engelbarts Vorstellung, man könne Computer einsetzen, damit Nutzer z.B.

das Schreiben an einer Tastatur erlernen, in Berkeley auf taube Ohren, wurden missverstan-den oder sogar als Anfeindungen aufgefasst (Rheingold 2000: 178). Die Idee, Computertech-nologie könne zur effizienteren Erledigung alltäglicher Aufgaben durch jedermann und nicht nur eine kleine Elite an Mathematikern und Technikern eingesetzt werden, widersprach den damals vorherrschenden Ansichten.

1957 erhielt Engelbart eine Stelle am Stanford Research Institut, wo man kurz nach dem be-reits erwähnten Sputnik-Schock viel Energie für militärische Forschung aufwendete. Im Ein-stellungsgespräch präsentierte Engelbart seine Vorstellung von einem Computer, mit dem man über einen für jedermann leicht erlernbaren Steuerungsstil arbeiten könne und der die menschliche Intelligenz erweitere. Bezeichnenderweise riet man ihm, diese Vorstellung für sich zu behalten, da sie von anderen Forschern nicht ernst genommen würde und somit seiner Karriere schaden könne (Rheingold 2000: 180).

Die theoretische Grundlage für seine Annahme, man könne mit Computertechnik die mensch-liche Intelligenz erweitern, fand Engelbart bei dem Philosophen Benjamin Lee Whorf, dessen wichtigste Schriften 1956 erstmals in gesammelter Form erschienen und sich bei Wissen-schaftlern aus der Psychologie, Kybernetik und Computerwissenschaft großer Beliebtheit erfreuten. Whorf hatte bei Beobachtungen der nordamerikanischen Hopi-Indianer festgestellt, dass diese über keine Wörter oder anderen linguistischen Konstrukte verfügten, mit denen sich zeitliche Beziehungen ausdrücken ließen80. Daraus schloss Whorf, dass das Konzept der Zeit, das doch für unsere Kultur von unschätzbarer Bedeutung ist, für die Weltanschauung der Hopi keine Rolle spiele. Hiermit wiederum bestätigte Whorf seine wichtigste These, dass die zentralen Konzepte einer Kultur in die Sprache dieser Kultur eingebettet seien und dass alle Mitglieder einer Gemeinschaft mit einer Sprache auch die zentralen Konzepte, Denkweisen und Weltsichten einer bestimmten Kultur erlernten. Diese Idee, die auch als linguistisches Relativitätsprinzip bezeichnet wurde, geht folglich davon aus, dass Menschen in ihrer Wahr-nehmung von und ihrem Denken über die Welt von Strukturgesetzen gesteuert seien, die

80 Diese ethnolinguistische Beweisführung gilt heute als widerlegt. Zur Rezeptionsgeschichte von Whorf siehe etwa Lee (1996).

bewusst blieben und die erst durch den Vergleich verschiedener Sprachen zum Vorschein kämen. Eine ähnliche Ansicht hatte bereits Wittgenstein in seinem „Tractatus logico philo-sophicus“ mit der berühmten Aussage „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt.“ (Wittgenstein 1963) vertreten.

Waren Whorf und Wittgenstein davon ausgegangen, dass das Denkbare determiniert sei durch das Sprechbare, übertrug Engelbart diese Idee auf technische Artefakte. Wie später der deut-sche Medientheoretiker Friedrich Kittler (1987) ging er davon aus, dass die Geräte, mit denen auf unterschiedliche Art intellektuelle Arbeiten verrichtet werden, einen Einfluss darauf hät-ten, was gedacht werden könne, indem sie neue Kulturtechniken verbreiteten oder ältere ab-lösten: In seinem Aufsatz „A Conceptual Framework for the Augmentation of Man’s Intel-lect“ (Engelbart 1963) beschrieb Engelbart, wie er sich diese Erweiterung der menschlichen Intelligenz durch die Veränderung der weitverbreiteten Kulturtechnik Schreiben vorstellte. Er erläuterte, wie die Arbeit an einem Computer einen völlig neuartigen Prozess zur Kompositi-on eines Textes ermögliche, ein Prozess, in dem man Ideen und Formulierungen ausprobieren und schnell wieder verwerfen könne, in dem man Abschnitte eines Textes wie die Teile eines Puzzles beliebig verschieben könne. Engelbart beschrieb damit einen Prozess, der mit Blei-stift und einem Blatt Papier nicht denkbar ist. Seine Beschreibung aus den 1960er Jahren liest sich wie ein Werbetext für die heute weit verbreiteten Textverarbeitungsprogramme.

Jener Aufsatz aus dem Jahr 1963 stellt die Basis dar, von der ausgehend Engelbart in den fol-genden Jahrzehnten seine Forschungsaktivitäten entwickelte. Der von ihm geprägte Begriff der Augmentation menschlicher Fähigkeiten und Kapazitäten wurde später von vielen For-schern aufgegriffen.

Als Motivation, mit Computertechnologie die menschliche Intelligenz zu erweitern, nannte Engelbart, ähnlich wie bereits Licklider und Bush, die zunehmende Komplexität der moder-nen Welt (Engelbart 1963), in der die Menschen immer größeren Problemen gegenüberstün-den, nicht zuletzt dem Problem, eine Masse an Informationen zu speichern, zu filtern und zu verarbeiten81.

Ganz in diesem Sinn kann Engelbarts Framework als Hypothese verstanden werden, die in einem Labor überprüft werden sollte: Menschen könnten demnach die größtenteils noch zu entwickelnden informationsverarbeitenden Technologien zur eigenen Intelligenzerweiterung

81 Gerade nach dem Ausbruch des Koreakriegs, in dem die Welt nur sechs Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg eine nuklearen Auseinandersetzung befürchten musste, erschien dieses Problem als besonders dringend.

einsetzen. 1964 sagte der noch vorzustellende Robert Taylor, der Nachfolger Lickliders als Leiter der IPTO, Engelbart eine Million Dollar für den Aufbau seines sogenannten Augmentation-Labors zu. Engelbart begann, Ingenieure zu rekrutieren sowie eine Anzahl von Beschäftigten, die mit der Verarbeitung von Texten und Wissen zu tun hatten. Schließlich ging es ihm um menschliche Intelligenz im allgemeinen und nicht die Intelligenz einer wis-senschaftlichen Elite. Später stieß noch ein Psychologe zum Team.

Die Arbeit des Teams, das sich fortan Augmentation Research Center (ARC) nannte, wurde in drei verschiedene Phasen gegliedert. Zunächst sollten nach dem Licklider’schen Bootstrapping-Prinzip Werkzeuge für die Beschäftigten des ARC selbst erstellt werden. Be-vor diese sich mit der Erweiterung der Intelligenz Dritter und Außenstehender befassten, soll-ten sie sich auf sich selbst konzentrieren und zunächst ihre eigenen Arbeitsweisen analysieren und - falls möglich - mit Hilfe des Computers erweitern. Engelbart begann nicht technik-getrieben das nach aktuellem Stand der technischen Entwicklung beste System zu entwerfen, sondern versuchte zunächst, die zu unterstützenden Aufgaben, also das Arbeiten der Wissen-schaftler im ARC, genau zu verstehen, um daraus folgern zu können, an welcher Stelle des Arbeitsprozesses ein technisches Artefakt wie der Computer dem Wissenschaftler ein nützli-ches Werkzeug zur effizienteren Erledigung seiner Aufgaben sein könnte (Friedewald 1999:

144).

Neben der Analyse der eigenen Arbeitsprozesse diente dieses Vorgehen in der ersten Phase der Entwicklung von Vorrichtungen, die es dem Benutzer ermöglichten, den Computer mög-lichst problemlos zu steuern und die Rückmeldungen des Computers gut zu verstehen. Das Ziel war folglich die Verbesserung der Ein- und Ausgabevorrichtungen des Computers. Die nachhaltigsten Entwicklungen des ARC aus dieser frühen Projektphase waren die Mouse, ein Fünftasten-Keyboard82 und die Erfindung der Computerfenster (Windows). Diese hatten sich in zahlreichen Tests gegenüber anderen Eingabe- und Ausgabevorrichtungen, die Engelbart zusammen mit dem Ingenieur Bill English entwickelt hatte, durchgesetzt (Rheingold 2000:

190ff). Engelbart fasste die Ergebnisse dieser Tests wie folgt zusammen:

„The mouse consistently beat out the other devices for fast, accurate screen selec-tion in our working context. For some months we left the other devices attached to

82 Auch wenn diese Eingabevorrichtung sich später nicht durchsetzen konnte, wurde es auch von nachfolgenden Computerentwicklern, etwa Kay, noch eingesetzt. Engelbart sah sich bei der Vorstellung dieser Vorrichtungen zahlreichen Anfeindungen ausgesetzt, weil eine derartige Vorrichtung nicht als Neuerung galt. Schließlich hatte bereits ein Franzose und Telegrafeningenieur namens Emile Baudot im Jahr 1874 eine ähnliche Vorrichtung entwickelt.

the workstation so that a user could use the device of his choice, but when it be-came clear that everyone chose to use the mouse, we abandoned the other de-vices.“ (zitiert nach Cambell-Kelly & Aspray 1996: 267)

An diesem Zitat ist bemerkenswert, dass Engelbart nicht nur die gute Anpassung der Mouse an die motorischen Fähigkeiten des Menschen, sondern auch an dessen Nutzungskontext (working context) betont, worauf in 2.2.3.2 in Zusammenhang mit Qualitätssicherungsstrate-gien noch ausführlicher eingegangen werden soll.

Neben der Mouse gehörten zu jedem Arbeitsplatz ein hochauflösender Bildschirm sowie eine standardmäßige Schreibmaschinentastatur. Man arbeitete am ARC unter der Metapher, ein neues Fahrzeug zu entwickeln, mit dem man durch den Informationsraum (information space/

informationscape) navigieren könne83. Die neuartigen Eingabe- und Ausgabevorrichtungen entsprachen hierbei den Steuerungselementen des Fahrzeugs.

In der zweiten Phase des Projekts stand die Textverarbeitung im Mittelpunkt. Man wandte sich hierbei von der Hardware-Entwicklung ab und den informationellen Bestandteilen der zu erstellenden Werkzeuge, der Software, zu. Mit einem flexiblen und leicht benutzbaren Pro-gramm zur Erstellung, Verarbeitung und Manipulation von Texten sollten Außenstehende, die mit Computern bis dato nichts zu tun hatten, aber auch Experten erkennen, dass Computer nicht nur Rechenmaschinen zur Verarbeitung von Zahlen und Daten sein müssen (Rheingold 2000: 193). Das Resultat dieser zweiten Phase nannte sich Offline-Text-System (FLTS) und wurde 1965 fertiggestellt. Es unterstützte den Wissenschaftler auf dem „personal le-vel“ (Engelbart 1963), also nur bei der Erledigung individueller Arbeiten, wie etwa dem Ver-fassen, Editieren, Formatieren und Verwalten von Texten. Dass das FLTS für wissenschaftli-ches Arbeiten gebrauchstauglich war, wurde dadurch überprüft und sichergestellt, dass im ARC alle Angestellten damit zu arbeiten hatten. So schrieb Engelbart selbst 1965 einen 72seitigen Forschungsbericht mit dem FLTS (Friedewald 1999: 190). Die große Beliebtheit, der sich das System unter den ARC-Mitarbeitern erfreute, galt für Engelbart als Indiz für die Richtigkeit seiner neo-whorf’schen Hypothese, dass technische Artefakte den Menschen bei der Erledigung intellektueller Arbeiten unterstützen und erweitern könnten.

In der dritten Phase seines Projekts, die in 2.1.4 über historische Computer-Medien beschrie-ben wird, stand das Ziel im Mittelpunkt, nicht den isolierten Wissenschaftler bei seiner Arbeit mit Texten zu unterstützen, sondern darüber hinaus, eine Unterstützung auf „group

83 Diese Metapher prägte der Journalist Nilo Lindgren (Friedewald 1999: 213).

vel“ (Engelbart 1963) zu erzielen. In dieser dritten Phase sollte zwar auch das FLTS, das auf-grund der geringen Rechenleistung der Einzelrechner zu jener Zeit noch sehr rudimentär war, mit Hilfe eines Time-Sharing-Systems verbessert werden. Vornehmlich ging es jedoch um die Unterstützung von Kommunikations- und Interaktionsprozessen zwischen Wissenschaftlern des ARC. Das Online-Text-System (NLTS, später NLS), mit dessen Entwicklung am ARC bereits 1964 begonnen wurde, ermöglichte dem individuellen Nutzer eine komfortablere Textverarbeitung als das FLTS. Textpassagen konnten mit der Mouse markiert, gelöscht, ver-schoben aber auch untereinander und mit anderen Dokumenten verlinkt werden84. Mit dieser Möglichkeit, assoziative Vernetzungen von Textpassagen und Dokumenten zu erstellen, hatte Engelbart einen Teil der Bush’schen MEMEX-Vision realisiert. Ferner hatte der Nutzer des NLS die Möglichkeit, die Darstellung auf seinem Bildschirm, dem von Engelbart so genann-ten User’s View, den man später grafische Benutzungsschnittstelle nannte, zu verändern oder Bilder und Grafiken einzubinden. Das 1967 fertig gestellte System nutzten die Mitarbeiter des ARC zur Textverarbeitung aber auch zur Programmierung weiterer Software. Programmcodes konnten mit Engelbarts Entwicklungen erstmals direkt am Bildschirm eingegeben werden, so dass man keine Flexowriter mehr benötigte, die ursprünglich verwendet worden waren, um eingetippte Programmcodes auf Lochkarten oder Papierstreifen zu pressen.

Als Resultat seiner Arbeit konstatierte Engelbart, dass das NLS ein kreativeres und produkti-veres Arbeiten und eine höhere Arbeitszufriedenheit unter den Mitarbeitern des ARC erzeugt hätte (Friedewald 1999: 213). Selbst die im Umgang mit Computern völlig unerfahrenen Sek-retärinnen des ARC könnten das NLS benutzen, da dessen technische Realisierung vollständig hinter der Benutzungsschnittstelle verschwand. Ein Verständnis von der technischen Funkti-onsweise des Artefakts wurde somit für die Benutzer zunehmend unwichtiger. In einer mitt-lerweile legendären Präsentation stellte Engelbart im Herbst 1968 auf der Fall Joint Computer Conference im Civic Auditorium in San Francisco (damals: Brooks Hall) die Ergebnisse der Forschungsbemühungen am ARC vor85.

Nachdem er gezeigt hatte, dass die Erweiterung der menschlichen Intelligenz durch die Be-nutzung von Computern generell möglich war, ging Engelbart weit hierüber hinaus. 1969 rief

84 Zu den zahlreichen Möglichkeiten, die das NLS bot, siehe Friedewald (1999: 206ff).

85 Am Beispiel der Textverarbeitung führte Engelbart die anwesenden Computerfachleute, zu denen auch viele der in dieser Arbeit vorgestellten zählten, mit seinem für damalige Verhältnisse futuristisch anmutenden Fahr-zeug durch die Informationscape. Nach der technisch äußerst aufwendigen Präsentation erhielt Engelbart stehen-de Ovationen, was auf stehen-derartigen Konferenzen eine selten gesehene Form stehen-der Anerkennung darstellt. Dennoch kehrten viele der Anwesenden nach der Konferenz in ihre Firmen oder Institute zurück, um weiterhin Computer zu entwickeln, die als Maschinen zu nutzen waren. Zu revolutionär waren Engelbarts Vorstellungen in jener Zeit.

die ARPA das in 2.1.4.2 noch vorzustellende ARPAnet ins Leben, und Engelbarts ARC ge-hörte zu den in diesem Netzwerk verbundenen Institutionen. Bald erkannte Engelbart, dass durch neuartige Computersysteme nicht nur individuelle intellektuelle Tätigkeiten unterstützt und erweitert werden könnten, sondern auch solche von Gruppen, wobei er an die Unterstüt-zung von Kommunikations- und Interaktionsprozessen in abgeschlossenen Gruppen, wie etwa einer Arbeitsgruppe des ARC, dachte. Engelbart sprach bei dieser Art der Augmentation von

„group level augmentation“, „team augmentation“ oder „communication augmentati-on“ (Engelbart 1968). In den oft biografisch orientierten Darstellungen der Geschichte der Computerentwicklung werden die Entwicklungen Engelbarts in diesem Bereich, z.B. die Entwicklung des NLS, oft in einem Atemzug mit dem bereits vorgestellten FLS genannt. Da Engelbart mit seinen Überlegungen zum communication augmentation weit über die in die-sem Unterkapitel interessierende Idee der Werkzeugnutzung des Computers hinausging, sol-len diese Beiträge Engelbarts erst in 2.1.4 erwähnt werden, wo es um historische Computer-Medien geht.

Warum sind Engelbarts Ideen Ausdruck der Werkzeug-Metapher?

Dass das von Engelbart angestrebte System die notwendigen drei Kriterien eines technischen Artefakts erfüllt, muss hier nicht weiter erläutert werden. Der Vorsatz, menschliche Tätigkeit und Fähigkeit durch den Einsatz eines Artefakts zu erweitern, war bei Engelbart Programm und schlug sich sogar im Namen seines Labors (Augmentation Research Center) nieder.

Betrachtet man ferner das am ARC entstandene FLS, als Realisierung der Engelbart’schen Vision der Computernutzung, so ist es nach oben genannten Kriterien eindeutig der Werk-zeug-Metapher zuzuordnen. Berücksicht man ferner Engelbarts Äußerungen in seinen Publi-kationen aus den Jahren 1963 und 1968, so muss er als Visionär erscheinen, der sehr radikal mit der althergebrachten Vorstellung der Maschinennutzung des Computers brach, indem er diesen zunächst als Werkzeug, später sogar als Medium im Sinn von 2.1.1 betrachtete.

Engelbart hatte die Unterstützung sehr weit verbreiteter Tätigkeiten (etwa Textverarbeitung oder Erlernen des Maschineschreibens) und nicht nur solcher einer wissenschaftlich-technischen Elite im Auge. Selbst nach den Bemühungen Bushs und Lickliders stießen En-gelbarts Visionen der Unterstützung sehr allgemeiner alltäglicher Aufgaben durch Computer-technologie immer wieder auf Missverständnis und Ablehnung. Doch nicht nur die zu unter-stützenden Tätigkeiten deuten darauf hin, dass es Engelbart um die Erstellung eines Werk-zeugs für eine breite Nutzerschicht ging, sondern auch die Bemühungen, die er anstrengte, um die Benutzung des Artefakts möglichst einfach zu gestalten. Diese Bemühungen schlugen sich

in den am ARC entstandenen Ein- und Ausgabevorrichtungen sowie den Ansätzen, eine grafi-sche Benutzungsschnittstelle zu schaffen, nieder. Bereits in der ersten Phase seines Projekts setzte er alles daran, das zu entwickelnde Artefakt in den Arbeitsprozess des Nutzers einzu-binden, was er unter dem von Licklider geprägten Begriff des Bootstrapping im ARC sogar zur Regel erhob. Ferner steckte hinter der Idee des Bootstrapping, dass das zu entwickelnde System nicht erst das Ziel der Forschungsbemühungen, sondern auch das Hilfsmittel darstel-len sollte, mit dem diesen Forschungsbemühungen nachgegangen wurde, mit dem die For-scher selbst täglich arbeiteten. Auf diese Weise war das ARC ein tool to make tools, nämlich seiner eigenen Erweiterungen. Wie aus seinen Bemerkungen zum Verfassen von Texten her-vorgeht, war für Engelbart besonders das direkte, in den Arbeitsprozess integrierte Arbeiten mit dem Artefakt wichtig – womit die erste hinreichende Bedingung erfüllt ist, um Engelbarts Visionen der Computernutzung der Werkzeug-Metapher nach 2.1.1 zuzuordnen.

Des weiteren zeigt sich auch bei Engelbart wieder der bereits für Bush und Licklider beobach-tete Unterschied zu jenen Entwicklern aus 2.1.2, die die Nutzung des Computers analog zu einer Maschine dachten. Letztere waren motiviert, spezielle Probleme und Aufgaben zu lösen, die aus ihrem eigenen Arbeitsumfeld stammten, wie etwa die Automatisierung möglichst vie-ler Rechenarten oder die beschleunigte Berechnung der Flugbahn von Geschossen. Engelbart hingegen sah sich, wie auch Bush und Licklider, einem weniger klar formulierten Problem gegenüber. Er wollte menschliche Intelligenz erweitern, was für ihn etwa bedeutete, durch Computertechnologie die Arbeit des Textschreibens zu verbessern oder das Erlernen des Ma-schineschreiben zu unterstützen. Genau wie Bush und Licklider konnte Engelbart zunächst nur sehr vage beschreiben und nur andeuten, wo er Lösungen vermutete, weil er zunächst mit der Formulierung und dem Verständnis des Problems befasst war. Die gesamte erste Phase seines dreistufigen Forschungsprojekts, in der er detailliert den Umgang unterschiedlicher Nutzer mit dem Computer und mit Texten untersuchte, kann als eine Art Problemfindungs-phase verstanden werden. In dieser ging es noch nicht um technische Lösungen zur compu-tergestützten Textverarbeitung, sondern zunächst um ein gutes Verständnis der notwendigen Voraussetzungen, z.B. einer von Nutzern akzeptierten Art, Text in den Computer einzugeben oder von diesem präsentiert zu bekommen. Im Rahmen dieser ersten Phase entwickelte En-gelbart seine zahlreichen Ein- und Ausgabevorrichtungen. Bevor EnEn-gelbart und sein Team mit dem Computer z.B. das Textschreiben einer Sekretärin ihres Büros unterstützen konnten, mussten sie genau verstanden haben, wie diese Texte schreibt. Der Grund für dieses bereits für Bush und Licklider beschriebene Vorgehen lag darin, dass Entwickler (Techniker und Ingenieure des ARC) und Nutzer (potentiell alle Produzenten von Texten) nicht mehr

iden-tisch waren – der zweite Indikator, der für eine Zuordnung von Engelbarts Visionen zur Idee der Werkzeugnutzung des Computers hinreichte. Wie ein Computerlaie Maschineschreiben lernen wollte und könnte, erschloss sich nicht direkt aus der Lebenswelt und dem Erfah-rungswissen der Entwickler und musste zunächst analysiert werden.

Im Dokument Ideengeschichte der Computernutzung (Seite 113-121)