• Keine Ergebnisse gefunden

Lickliders und Taylors ARPAnet und Ethernet als

Im Dokument Ideengeschichte der Computernutzung (Seite 155-159)

2.1 Kategorisierung von Visionen der Computernutzung

2.1.4 Historische Computer-Medien

2.1.4.2 Lickliders und Taylors ARPAnet und Ethernet als

Jahren die wissenschaftliche und industrielle Computerentwicklung noch zu stark dominierte, als dass sie durch die Vision der Werkzeugnutzung, geschweige denn der Mediumnutzung hätte verdrängt werden können.

Anwendungsberei-che dieser neuen Idee der Computernutzung. Sie beriefen sich explizit auf Engelbart, in des-sen Labor sie an einem Experiment zur kooperativen Computernutzung (Licklider & Taylor 1968: 25ff) teilgenommen hatten und dessen Erfahrung sie zum Schreiben des Artikels veran-lasst hatte.

Mit dem Computer, so ihre Auffassung, könne das Niveau der menschlichen Kommunikation verbessert und kreative Potentiale freigesetzt werden. „In a few years, men will be able to communicate more effectively through a machine than face to face.“ (Licklider & Taylor 1968: 21), so lautete der optimistische Tenor dieses Artikels. Licklider und Taylor machten in diesem Artikel schon auf den ersten Seiten deutlich, dass sie unter dem Begriff der Kommu-nikation mehr verstünden als die bloße Möglichkeit des Sendens und Empfangens von Bot-schaften. Wie in dieser Arbeit vertreten und in 2.1.1 begründet, stellten auch Licklider und Taylor den Aspekt des sich wechselseitig verstärkenden Handelns sozialer Akteure („mutual-ly reinforcing aspect of communication“) in den Mittelpunkt ihres Kommunikationsbegriffs:

Sie konstatierten, dass zwei Kassettenrekorder, über die eine Kassette kopiert werde, genauso wenig miteinander kommunizierten wie ein Telefonteilnehmer mit einem automatischen In-formationsdienst, wenn er z.B. eine Fluggesellschaft anruft. Selbst zwei Menschen, die über eine (technische) Möglichkeit verfügten, sich gegenseitig Botschaften zukommen zu lassen, kommunizierten laut Licklider und Taylor erst in dem Moment, in dem ihre Handlungen sinnhaft in Beziehung zueinander gesetzt werden könnten. Fehle diese sinnhafte Beziehung, so täten sie nichts als „[...] merely make speeches at each other.“ (Licklider & Taylor 1968:

22). Genau wie später Kay betonten beide Forscher die Notwendigkeit, mit dem Computer mentale Modelle (mental models) zu externalisieren, damit über einen Computer kommuni-ziert werden könne. Anders als Kay kümmerten sie sich jedoch nicht nur um die Frage, wie der Einzelne mit Hilfe des Computers am besten mentale Modelle ausdrücken könne, sondern vor allem darum, wie unter Mitwirkung vieler Akteure derartige Modelle manipuliert, bear-beitet und in Einklang mit den individuellen mentalen Modellen der jeweils anderen Akteure gebracht werden könnten. Diese Arbeitsweise, die die Grundlage jedweder Kommunikation und Interaktion sei, nannten sie „cooperative modelling“ (Licklider & Taylor 1968: 22). Ihre Auffassung gleicht damit dem, was die Theoretiker des in 2.1.1 vorgestellten Symbolischen Interaktionismus mit dem Austauschen von Gebärden und dem Aushandeln von Bedeutungen meinten.

Licklider und Taylor betonten, dass cooperative modelling nicht mit einer technischen Lösung wie etwa dem vernetzten Computer zu verwechseln sei: „The concept of computers connected to computers is not new.“ (Licklider & Taylor 1968: 30). Dennoch sei die Vision der Nutzung

des Computers im Sinn des cooperative modelling lediglich unter einigen wenigen communi-ties von Wissenschaftlern verbreitet. Nur diese kleinen Gruppen von „social-technical pio-neers“ (Licklider & Taylor 1968: 30ff). nutzten den Computer im Sinn des cooperative mo-delling. Ein von Licklider und Taylor in ihrem Artikel geprägter Satz wurde später zum Slo-gan des PARC: „Where minds interact, new ideas emerge.“ (Licklider & Taylor 1968: 21).

Die übliche Vorstellung der Nutzung des Computers bezeichneten Licklider und Taylor als

„informational housekeeping“ (Licklider & Taylor 1968: 24), womit sie die Unterstützung von Individuen, dem „individual problem solving“, etwa bei der Durchführung von Berech-nungen oder der Durchführung wiederkehrender Tätigkeiten meinten. Die Beschreibungen des cooperative modelling und des informational housekeeping ähneln sehr stark den in dieser Arbeit entwickelten Medium- und Werkzeug-Metaphern der Computernutzung.

Noch in den 1960er Jahren verließ Taylor aufgrund seiner Abneigung gegen den Vietnam-Krieg die vom Verteidigungsministerium finanzierte ARPA und ging nach einem Jahr an die University of Utah ans PARC. Dort begann er sogleich, die mit Licklider in der gemeinsamen ARPA-Zeit geschmiedeten Ideen zu verwirklichen und mit Hilfe von Computertechnologie neue Kommunikations- und Interaktionskanäle zu entwickeln. Sein Ausgangspunkt war dabei nicht die technische Leistungsfähigkeit der damals verfügbaren Computer. Vielmehr konzent-rierte er sich darauf, möglichst genau zu verstehen, wie Menschen interagieren, kommunizie-ren bzw. kooperativ modelliekommunizie-ren.

Um die kleinen „on-line communities“, in denen Computer zur Unterstützung kooperativer, interaktiver Zwecke genutzt wurden, zu vergrößern und miteinander zu verbinden, bedurfte es eines Netzwerkes, ähnlich dem ARPAnet. Zu diesem Zweck entwickelte man am PARC das Ethernet. Dieses bestand aus Servern, die über verschiedene Protokolle den Datenaustausch zwischen Rechnern koordinierten, Gateways oder Interface Message Prozessoren (IMPs), die über herkömmliche Telefonleitungen die Verbindung eines Netzwerkes mit einem anderen, z.B. jenem einer anderen Forschungsinstitution, und Personalcomputern wie dem Alto, später dem Star, ermöglichten.

Allein die Vernetzung der im PARC verteilten Altos oder Stars garantierte jedoch noch nicht die interaktive Nutzung des Computers im PARC. Notwendige Bedingung für eine tatsächli-che Unterstützung interaktiver, kommunikativer Prozesse zwistatsächli-chen PARC-Wissenschaftlern war, dass diese die Altos und Stars, zunächst jeweils zur Effizienzsteigerung ihrer individuel-len, nicht-kommunikativen Arbeit benutzen konnten. Eine Verstärkung oder Erweiterung der kommunikativen Prozesse unter den PARC-Wissenschaftlern durch den Computer (Star oder

Alto und Ethernet) konnte nur dort stattfinden, wo eine Verstärkung oder Erweiterung indivi-dueller Arbeit garantiert war. Um als Medium genutzt werden zu können, muss zunächst sei-ne Werkzeugnutzung des Computers gewährleistet sein. Andersherum profitiert die soziale Gruppe als solche nicht zwangsläufig von der Nutzung der Computertechnologie, allein weil jeder Akteur dieser Gruppe davon profitiert.

Warum sind Lickliders und Taylors Ideen Ausdruck der Medium-Metapher?

Genau wie Engelbart müssen Licklider und Taylor, wie in 2.1.3.2 argumentiert, als Anhänger der Werkzeug- aber darüber hinaus auch als solche der Medium-Metapher der Computernut-zung angesehen werden. Beide hatten sich ursprünglich, etwa mit der Verbreitung des Time-Sharing-Prinzips (Licklider) oder der Entwicklung von Star und Alto am PARC (Taylor) dar-um bemüht, die individuellen Fähigkeiten und Tätigkeiten des isolierten Nutzers durch Com-puter-Werkzeuge zu unterstützen und zu erweitern. Genau wie Engelbart und inspiriert durch dessen Experimente gingen sie aber Ende der 1960er Jahre über diese Idee der Computernut-zung hinaus. Unter Rückgriff auf die mit dem ARPAnet geschaffenen technischen Möglich-keiten stellten sie plötzlich nicht mehr den einzelnen Nutzer, sondern soziale Entitäten und die in diesen stattfindenden Interaktions- und Austauschprozesse, das cooperative modelling in den Mittelpunkt ihres Interesses. Von einer Unterstützung der zwischen Wissenschaftlern stattfindenden Kommunikationsprozesse durch Computertechnik, was sie Kommunikations-verstärkung nannten, versprachen sie sich eine Effizienzsteigerung und Verbesserung von deren Arbeit, nicht in erster Linie für den einzelnen Kommunikationsteilnehmer, sondern für die Gruppe. Licklider und Taylor erkannten, dass nicht allein das Ausdrücken eines mentalen Modells durch einen individuellen Nutzer der Kern von Kommunikation ist, sondern die Möglichkeit anderer Nutzer, sich sinnhaft auf dessen Modell zu beziehen. Das ARPAnet und Ethernet betrachteten sie folglich als Kanäle, über die eine solche Bezugnahme stattfinden konnte, auch wenn die beiden betroffenen Akteure geografisch weit voneinander getrennt waren.

Schließlich äußerten sich Licklider und Taylor auch zu den Konsequenzen einer solchen me-dialen Computernutzung. Sie erwarteten besser funktionierende soziale Beziehungen, in de-nen sich die sozialen Akteure wohler fühlten und glücklicher seien, weil eingegangene soziale Verbindungen frei gewählt und geografischen und zeitlichen Zwängen nicht mehr so stark unterlegen seien:

„First, life will be happier for the on-line individual because the people with whom one interacts most strongly will be selected more by commonality of

inter-est and goals than by accidents of proximity. Second, communication will be more effective and productive, and therefore more enjoyable.“ (Licklider & Tay-lor 1968: 40)

– womit die hinreichende Bedingung erfüllt ist, um ihre Nutzungsvisionen der Medium-Metapher der Computernutzung zuzuordnen.

Im Dokument Ideengeschichte der Computernutzung (Seite 155-159)