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Probleme der Qualitätssicherung bei Computer-Medien

Im Dokument Ideengeschichte der Computernutzung (Seite 197-200)

2.2 Computermetaphern und korrespondierende Qualitätssicherungsstrategien

2.2.4 Probleme der Qualitätssicherung bei Computer-Medien

In 2.2.2 und 2.2.3 wurde gezeigt, welche Qualitätsvorstellungen und Qualitätssicherungsstra-tegien jeweils als charakteristisch für die Maschinen- und Werkzeug-Metapher der Compu-ternutzung gelten können. Hier soll nun argumentiert werden, dass derartige charakteristische Vorstellungen und Strategien für die Medium-Metapher der Computernutzung derzeit nicht existieren und dass die Übertragung der für Computer-Werkzeuge definierten Qualitäten und die zu deren Sicherung entwickelten Strategien auf Computer-Medien problematisch ist:

In 2.1.4.1 wurden das NLS von Engelbart und in 2.1.4.2 das Ethernet des Xerox PARC als unter der Medium-Metapher entwickelte Artefakte vorgestellt. Ersteres sollte der Verbesse-rung der Interaktion und Kommunikation der Wissenschaftler des ARC in Arbeitssitzungen dienen, letzteres sollte die verschiedenen, im PARC unter Wissenschaftlern und Mitarbeitern verteilten Altos miteinander verbinden, ebenfalls um die Interaktion und Kommunikation ver-schiedener Forschungsbereiche zu verbessern. Als zentrales Merkmal der Medium-Metapher der Computernutzung wurde oben die veränderte Perspektive genannt, mit der ein Computer-entwickler die Nutzung seines Artefakts beschreibt und auf dessen Grundlage er die Qualität dieses Artefakts überprüft. Hierbei wurden zwischen der Individual- und der Interaktionsebe-ne unterschieden. Während auf IndividualebeInteraktionsebe-ne die Betrachtung des individuellen Nutzers im Umgang mit einem technischen Artefakt von Interesse ist, liegt auf der Interaktionsebene der Fokus auf dem durch den Einsatz eines technischen Artefakts gebildeten oder veränderten Netzwerk sozialer Akteure. Sowohl Engelbart, als auch die Entwickler am PARC hatten mit der Entwicklung des NLS und des Ethernet (nicht mit anderen Entwicklungen aus dem ARC oder dem PARC) genau diese sozialen Netzwerke im Auge. Dennoch sind keine empirischen Messungen oder Tests des NLS oder des Ethernet überliefert, in denen die Auswirkung dieser Artefakte auf soziale Entitäten nachgewiesen wurde. Dies mag daran liegen, dass sowohl an Engelbarts ARC als auch am PARC den Artefakten, die als Werkzeuge für den individuellen Gebrauch entwickelt wurden, größere Bedeutung beigemessen wurde als den gruppenunter-stützenden Komponenten des NLS oder des Ethernet. Diese Beobachtung deutet auf einen der Kerngedanken dieser Arbeit hin, den auch das in 1.2 geschilderte Problem im KI-SMILE-Projekt verdeutlichte: Für die Computer-Medien, also interaktiv und kommunikativ zu

nut-zende Computersysteme, die explizit auf soziale Transformation im Sinn von 2.1.1 abzielen, existiert derzeit weder ein adäquates Konzept medialer Nutzungsqualität, noch eine angemes-sene Strategie zur Sicherstellung einer derartigen Qualität.

Es soll hier nun dargestellt werden, dass die Anwendung der unter der Werkzeug-Metapher etablierten Nutzungsqualitäten Benutzbarkeit und Gebrauchstauglichkeit und der korrespon-dierenden Strategien zur Qualitätssicherung137 für Computer-Medien zu kurz greifen. Das Verständnis von Nutzungsqualität, wie es in den vorangegangenen Abschnitten vorgestellt wurde, ist das direkte Resultat der Idee der Werkzeugnutzung des Computers. Eine Erweite-rung dieser Nutzungsvision bringt eine ErweiteErweite-rung der vom Computer erwarteten Qualitäten mit sich und erfordert eine Neudefinition des Konstrukts Güte des Artefakts und zwingend auch eine Modifikation der Strategien und Techniken zu Sicherstellung und Messung dieser Qualitäten.

Gebrauchstauglichkeit, wie sie in der DIN 66050 definiert wird, leitet sich explizit aus den individuellen Bedürfnissen des Nutzers ab. Alle Techniken zur Spezifizierung dessen, was Gebrauchstauglichkeit für das zu entwickelnde Artefakt heißen mag, müssen sich auf den einzelnen Nutzer konzentrieren. In dem in 1.2 skizzierten KI-SMILE-Projekt wurde das Kon-strukt Gebrauchstauglichkeit spezifiziert, indem über Interviews mit Lehrenden und Studie-renden des Bauingenieurwesens ermittelt wurde, welche Art der Unterstützung diese bei der Ausübung welcher Tätigkeiten benötigten. Es wurden eine Vielzahl von Nutzungsanforde-rungen erarbeitet, also Tätigkeiten, deren Unterstützung die KI-SMILE-Webware für die bei-den Zielgruppen zu einem für bei-den alltäglichen Gebrauch tauglichen System gemacht hätten.

Doch hatten, wie in 1.2 schon erwähnt, vor allem die studierenden Bauingenieure nicht nur die Nutzung des Systems zu ihren individuellen Zwecken im Auge. Vielmehr erhofften sie sich wie auch Engelbart mit der Entwicklung des NLS direkte Auswirkungen der Nutzung der KI-SMILE-Webware auf ihr soziales Umfeld. Es macht an dieser Stelle Sinn, einige Anforde-rungen noch mal kurz zusammenzufassen: Studierende Bauingenieure wünschten sich eine bessere Zusammenarbeit und einen intensiveren Austausch (eine größere Nähe) mit Studie-renden der Architektur. Sie erhofften sich die Verminderung von Hierarchien zwischen Leh-renden und StudieLeh-renden und auch StudieLeh-renden unterschiedlicher Semester. Sie erwarteten einen gezielten Informationsfluss von einer Nutzergruppe des Systems zu der anderen, indem die Lehrenden das Systems in deren Lehrveranstaltungen einsetzten. Alle diese Wünsche

137 Hier sind folgende bereits vorgestellten Ansätze gemeint: partizipatorisches und iteratives Design, formative Evaluierung der Anpassung des Artefakts an die kognitiven und motorischen Fähigkeiten des Nutzers und an dessen Arbeitskontext sowie alle zu diesem Zweck entwickelten Techniken und Messverfahren.

hen offensichtlich über eine individuelle Nutzung des Systems durch isolierte Studierende oder Lehrende hinaus und beziehen sich auf eine kooperative, interaktive oder kommunikati-ve Nutzung des Systems durch eine soziale Gruppe138.

Um die Tauglichkeit eines Systems oder Artefakts für ein Netzwerk, wie jenes von studieren-den und lehrenstudieren-den Bauingenieuren zu überprüfen, reicht eine Betrachtung der einzelnen sozi-alen Akteure dieses Netzwerks nicht aus. Die Beobachtungseinheiten dürfen nicht länger al-lein die Akteure selbst, sondern müssen die Beziehungen zwischen den Akteuren sein. Wie Mead formulierte, ist das „dynamische Ganze“ mehr als „die Summe seiner Teile“; dement-sprechend muss genau dieses dynamische Ganze die Beobachtungseinheit bei der Qualitätssi-cherung von Computersystemen sein, die als Medium genutzt werden sollen und als solches entwickelt werden. Dieser Perspektivenwechsel, der im Rahmen der Qualitätssicherung zu vollziehen ist, sei am Beispiel eines E-Mail-Programms verdeutlicht:

Als (Kommunikations-)Werkzeug mag sich ein E-Mail-Programm für den isolierten, indivi-duellen Benutzer als gebrauchstauglich erweisen, wenn er Nachrichten nach seinen Vorstel-lungen und Wünschen und angepasst an seinen Arbeitskontext komponieren und versenden oder empfangen, sortieren, verwalten, erwidern etc. kann, ohne bei der Nutzung seines Werk-zeugs Fehler zu machen und ohne die Nutzung desselben erst mühsam erlernen zu müssen.

Als Medium ist ein solches Programm deshalb noch lange nicht tauglich, denn es ist nichts darüber gesagt, ob die Anforderungen der Kommunikatoren und der Rezipienten an den kommunikativen Akt und seine Wirkung erfüllt sind. Statt allein die Tätigkeiten des individu-ellen Nutzers zu betrachten, müssen die Bewertungen dieser Tätigkeiten und die Reaktionen durch andere Nutzer mitberücksichtigt werden. Die Nutzungsqualität eines Mediums, die im folgenden Kapitel als Interaktionstauglichkeit definiert wird, ergibt sich nicht aus den indivi-duellen Anforderungen der Kommunikationspartner, sondern aus der Veränderung der sozia-len Beziehungen zwischen den Akteuren durch diese Kommunikation.

In 2.1.1 wurde in Anlehnung an die Soziologen Garton, Haythornthwaite und Wellman argu-mentiert, dass ein (vernetzter) Computer dann ein Medium im oben definierten Sinn sei, wenn es durch seine Benutzung gelänge, bestehende soziale Beziehungen (z.B. zwischen und unter

138 Es ist dabei unerheblich, ob die ein Artefakt interaktiv nutzende soziale Gruppe, das Netzwerk von Akteuren wie im Fall der KI-SMILE-Bauingenieure bereits existiert und ihre Interaktions- und Kommunikationsgewohn-heiten durch den Einsatz eines Computersystems ergänzt werden sollen oder ob diese soziale Gruppe, wie im Fall der PCC-Vision von geografisch verstreuten Gleichgesinnten, erst durch den Einsatz eines Computersys-tems geschaffen werden soll. In beiden Fällen existieren Vorstellungen von der kooperativen, interaktiven Nut-zung eines Systems oder Artefakts durch ein Netzwerk sozialer Akteure und Vorstellungen darüber, wie die Beziehungen dieser Akteure des Netzwerks durch Nutzung des Artefakts transformiert werden sollen.

lehrenden und studierenden Bauingenieuren) beobachtbar zu beeinflussen oder neue soziale Beziehungen und Strukturen in einer von der Gruppe gewünschten Form zu kreieren. An die-ser Stelle ließe sich bezüglich der Nutzungsqualität eines solchen Mediums ergänzen, dass erst wenn die Veränderung oder Kreation dieser sozialen Beziehungen nachweislich in der erwünschten Weise erfolgt ist, von einem interaktionstauglichen Medium gesprochen werden kann.

Genau wie oben festgestellt wurde, dass ein Artefakt nur Medium zwischen sozialen Akteu-ren sein kann, wenn es für jeden einzelnen dieser Akteure auch als Werkzeug benutzbar ist, ergibt sich hier, dass ein Artefakt als Medium (auf Interaktionsebene) nur dann interaktions-tauglich für ein soziales Netzwerk sein kann, wenn es (auf Individualebene) als Werkzeug gebrauchstauglich für die einzelnen Akteure dieses Netzwerks ist. Die Gebrauchstauglichkeit eines Computers als Werkzeug ist die notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die Interaktionstauglichkeit des Computers als Medium. Welche Konsequenzen sich hieraus für die Techniken zur Spezifikation des Konzepts Interaktionstauglichkeit und zur Überprüfung, Messung und Sicherstellung dieser Qualität ergeben, wird in 2.3 erläutert.

Ein Problem für den Entwickler, der eine Qualitätssicherung und somit eine Überprüfung der Qualität seiner Artefakte durchführt, ergibt sich aus der oben bereits erwähnten Tendenz der Konvergenz, also dem Zusammenwachsen unterschiedlicher, ursprünglich in verschiedenen technischen Artefakten realisierter Funktionalitäten zu neuen, im wahrsten Sinn des Wortes multifunktionalen Artefakten. Diese Tendenz der Konvergenz führt dazu, dass immer häufiger Geräte entwickelt werden, in denen sich die Werkzeug- und Medium-Metapher der Compu-ternutzung vermischen. Für den Nutzer ist dies nicht weiter problematisch, für den Entwickler, der ein Qualitätsmanagement durchführt, schon. Denn er muss verschiedene Nutzungssituati-onen strikt voneinander unterscheiden und erkennen, welcher Metapher sie angehören, um nicht in einen Konflikt der zu wählenden Betrachtungsebene zu geraten, auf welcher die Qua-lität überprüft werden soll: a) der Ebene des Artefakts, b) der Ebene der individuellen Arte-faktnutzung oder c) der Ebene der kooperativen ArteArte-faktnutzung.

Im Dokument Ideengeschichte der Computernutzung (Seite 197-200)