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Raskins Canon Cat

Im Dokument Ideengeschichte der Computernutzung (Seite 144-148)

2.1 Kategorisierung von Visionen der Computernutzung

2.1.3 Historische Computer-Werkzeuge

2.1.3.8 Raskins Canon Cat

In diesem Zitat manifestiert sich Raskins grundlegende Einstellung zum Computer, den er ausschließlich als Mittel zur Erreichung persönlicher Ziele und zur Erledigung individueller Aufgaben versteht. Oft verglich Raskin den Computer mit einem Schweizer Taschenmesser, einem Allround-Werkzeug für ganz unterschiedliche Zwecke. Jeder Nutzer, der in irgendeiner Weise mit der Verarbeitung von Informationen zu tun hat, solle, so Raskin, durch einen Rechner in die Lage versetzt werden, seine Aufgaben effizienter und produktiver zu lösen.

Dass dies heute nicht immer möglich sei und Nutzer mehr Zeit mit der Arbeit an als mit ihrem Computer verbringen, liege Raskin zufolge daran, dass die verbreiteten Benutzungsschnitt-stellen oder Interfaces von Apple oder Microsoft nicht benutzbar seien. Er kritisiert, dass die meisten Softwareprojekte nicht den Nutzer, sondern die Technik in den Mittelpunkt des Ent-wicklungsprozesses stellten. Statt von der an den Aufgaben des Nutzers orientierten Pro-grammierung des Interfaces zur ProPro-grammierung des Systems zu gelangen, entwickle man zumeist erst die Funktionalität des Systems, bevor man sich dem Interaktions- und Interface-design zuwende.

In zahlreichen Publikationen hat Raskin Vorschläge unterbreitet, wie der Nutzer seine Ar-beitsaufgaben durch den Einsatz von Computern effizienter erledigen könnte, nämlich indem dem Nutzer und seinen Aufgaben im Entwicklungsprozess mehr Bedeutung beigemessen würde. Als Beispiel sei hier eine der wiederholten Forderungen Raskins genannte, nach der der Benutzer die Möglichkeit haben solle, Gewohnheiten im Umgang mit seinem Werkzeug auszubilden. Mit Hilfe von GOMS-Analysen110 (Card, Moran, & Newell 1983: 139ff), ver-suchte er Effizienzsteigerung im Umgang mit Computern nachzuweisen, die nach seinen Vor-stellungen umgestaltete Werkzeuge waren (Raskin 2001: 101). Viele von Raskins Vorschlä-gen muten für den an WIMP-Schnittstellen111 gewöhnten Nutzer zunächst seltsam an, weil sie sich nicht mit den verbreiteten Vorstellungen der Arbeit mit einem Computer decken. So for-dert Raskin etwa, nicht länger Programme oder Applikationen, sondern stattdessen Befehle zu verkaufen. Dem Nutzer sei schließlich egal, ob er die Formatierung seines Textes mit dem Texteditor X oder Y vornehme, wichtig sei ihm nur, dass die Aufgabe des Formatierens bei allen auf dem Bildschirm erscheinenden Texten in derselben Art und Weise funktioniere112. Nur so könne der Nutzer Gewohnheiten ausbilden. Dies bedeutete für Raskin, der häufig kog-nitionspsychologisch argumentierte, dass der Nutzer bestimmtes deklaratives Wissen

110 Die GOMS-Analyse wird im folgenden Kapitel als Verfahren zur Qualitätssicherung ausführlicher vorgestellt.

111 WIMP steht für „Window, Icon, Menu, Pointing device“ (Preim 1999: 535).

112Mit dieser Forderung spricht Raskin das heute in der internationalen Norm (ISO 9241-10) festgeschriebene Kriterium der Erwartungskonformität an.

wusst zugängliches Wissen über die Benutzung des Artefakts/ Knowing-That) in prozedurales Wissen (verinnerlichtes, nicht verbalisierbares Wissen über die Benutzung des Artefakts/

Knowing-How)113 umwandele. Dies ermögliche ihm, Operationen automatisiert auszuführen, so dass die Benutzung des Artefakts selbst keine Aufmerksamkeit mehr beansprucht und alle Aufmerksamkeitsressourcen der zu erledigenden Arbeitsaufgabe gewidmet werden können.

Es sollen hier nicht alle Forderungen Raskins zur Verbesserung der Arbeit mit Computern für den Nutzer vorgestellt werden. Stattdessen soll auf einen Versuch der Realisierung seiner Nutzungsvisionen des Computers verwiesen werden, nämlich den 1987 entwickelten Canon Cat:

Bei der Arbeit mit dem Canon Cat sollten die Nutzer Gewohnheiten z.B. bei der Dateneinga-be entwickeln: Damit sie nicht immer wieder zwischen zwei EingaDateneinga-bevorrichtungen wie der Mouse und der Tastatur wechseln müssten, verzichtete Raskin auf die Mouse, die er auf Grundlage von Ergebnissen seiner GOMS-Analysen für ineffizient hielt. Ferner sollte der Cat dem Nutzer ermöglichen, nach einer Arbeitspause oder Unterbrechung schneller wieder zu-rück zu seiner vormals ausgeführten Arbeit zu finden. Dies unterstützte der Cat, indem er beim Ausschalten automatisch den Stand der Arbeit abspeicherte und dem Nutzer bei erneu-tem Starten genau diesen Stand wieder präsentierte, d.h. dieser musste nicht erst seine zuletzt genutzten Arbeitsprogramme wieder starten und die bearbeiteten Dokumente aufrufen, son-dern sah sogleich denselben Bildschirm, an dem er seine Arbeit unterbrochen hatte. Auf diese Weise bliebe ihm erspart, zu rekapitulieren, welche Aufgabe er wann bis zu welchem Status bearbeitet hatte. Die Zeit die der Nutzer benötigte, um in die Licklider’sche „position to think“ (Licklider 1960: 5) zu gelangen, sollte auf diese Weise minimiert werden. Eine weitere Besonderheit, die Raskin am Cat verwirklichte, war die Vermeidung von Modi, also die Ver-meidung der Eigenschaft eines Systems, abhängig von einem internen Systemstatus bei der-selben Eingabe unterschiedliche Operationen auszuführen. Dies begründete er mit den vielen Fehlern, die bei Nutzern beobachtbar und auf den Einsatz von Modi zurückzuführen seien.

Um dadurch den Funktionsumfang nicht auf die Anzahl der Tasten der Tastatur zu reduzieren, setzte Raskin auf Quasimodi114, für die er nachweisen konnte, dass sie bei Nutzern weniger Fehler provozieren. Zwei Forderungen, die er beim Apple Macintosh nicht hatte durchsetzen können, realisierte Raskin beim Canon Cat: Zum einen löste er bei diesem Befehle von

113 Zur Unterscheidung der Begriffe in der Kognitionspsychologie siehe Anderson (1995: 73ff).

114 Quasimodi sind interne Systemzustände, die erst durch eine kontinuierliche Nutzeraktion (z.B. das Drücken und Halten der Shift-Taste, um Großbuchstaben zu erzeugen) aktiviert werden und als solche bei derselben Ein-gabe die Ausführung unterschiedlicher Operationen ermöglichen.

wendungen, zum anderen schaffte er das mit der Apple LISA eingeführte Dateisystem auf Ba-sis der Ordner-Metapher ab. Ersteres ersparte dem Nutzer die Beschäftigung mit der Frage, welche Aufgabe er mit welchem Programm lösen könne. Stattdessen konnte der Nutzer des Cat seine gesamte Aufmerksamkeit der Erledigung der Aufgabe widmen. Letzteres ersparte dem Nutzer das Suchen nach Dokumenten, dessen Namen oder Speicherort er vergessen hatte.

Auch durch diese Realisierung gewann der Nutzer des Cat Aufmerksamkeitsressourcen. Beim Canon Cat konnten Dokumente mit Hilfe einer inhaltlichen Kriterien folgenden Suchfunktion gefunden werden.

Insgesamt verkaufte Canon etwa 20.000 Exemplare des $1.495 teuren Cat, dessen Produktion aber aufgrund interner Konflikte mit der Abteilung für elektrische Schreibmaschinen bald wieder eingestellt wurde.

Warum sind Raskins Ideen und der Canon Cat Ausdruck der Werkzeug-Metapher?

Es ist offensichtlich, dass sich alle hier interessierenden Ideen Raskins auf die Nutzung eines technischen Artefakts im Sinn von 2.1.1 bezogen, wie auch der Canon Cateines war.

Bezeichnenderweise verglich Raskin zu Beginn seines Buchs „Das intelligente Inter-face“ (Raskin 2001) den Computer mit einer Schaufel und einem Schweizer Taschenmesser.

Er dachte den Computer dementsprechend als ein technisches Artefakt zur Erledigung vielfäl-tiger, wenig spezialisierter und alltäglicher Aufgaben wie Textverarbeitung oder Tabellenkal-kulation. Dieser sollte flexibel einsetzbar und auch vom Laien gut steuerbar sein.

Vor allem den Aspekt der Steuerbarkeit bzw. Benutzbarkeit betonte Raskin. Er forderte die gnadenlose Anpassung des technischen Artefakts an die motorischen und kognitiven Fähig-keiten und Aufgaben sowie an die Arbeitsgewohnheiten des menschlichen Nutzers. Nur ein Computer, der gut an die Aufgaben, Fähigkeiten und Gewohnheiten der Nutzer angepasst sei, so Raskin, ließe sich sinnvoll in deren Arbeitsprozess integrieren, weil nur ein solcher über-haupt freiwillig genutzt würde. Wie bei allen als Produkt entwickelten Homecomputern von der Apple LISA zum PC forderte er, die Technik müsse hinter einer über natürliche Sprache und direkte Manipulation benutzbaren Benutzungsschnittstelle verschwinden, so dass die Nutzer von dieser nichts verstehen mussten, um trotzdem mit dem Computer arbeiten zu kön-nen. Er argumentierte immer wieder auf der Grundlage kognitionspsychologischer Befunde und betonte, wie in 2.2.3.6 gezeigt wird, die Notwendigkeit, die Benutzbarkeit einer Schnitt-stelle und somit eines Computers empirisch zu überprüfen. Viele seiner Ideen zu Verbesse-rung der Steuerbarkeit des Computers und zur besseren Anpassung desselben an den Men-schen, versuchte er mit dem Canon Cat zu realisieren.

Raskins Überlegungen und Forderungen zur flexiblen Einsetzbarkeit von Computern, zur Steuerbarkeit und Benutzbarkeit sowie zur Integration von Computern in menschliche Ar-beitsprozesse, sollen hinreichen, um ihn als Vertreter der Werkzeug-Metapher der Computer-nutzung einzuordnen.

Im Dokument Ideengeschichte der Computernutzung (Seite 144-148)