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Lickliders Mensch-Computer-Symbiose

Im Dokument Ideengeschichte der Computernutzung (Seite 101-108)

2.1 Kategorisierung von Visionen der Computernutzung

2.1.3 Historische Computer-Werkzeuge

2.1.3.2 Lickliders Mensch-Computer-Symbiose

die-se eine technische Lösung entwickelt werden konnte, mussten diedie-se vom Entwickler zunächst verstanden werden. Die zu lösenden Probleme waren im Entwicklungsprozess, schon in je-nem Prozess, in dem Bush selbst die ersten Skizzen vom MEMEX entwarf, nicht mehr zwin-gend repräsentiert. Mit diesem Auseinanderbrechen der Identität von Entwickler und Benut-zer eines Artefakts, wäre auch die zweite hinreichende Bedingung aus 2.1.1 erfüllt, um Bushs Vision der MEMEX-Nutzung der Werkzeug-Metapher der Computernutzung zuzuordnen. Mit Bush und seiner Vision vom MEMEX begann die Phase, in der die Idee an Bedeutung gewann, eine sehr breite Bevölkerungsschicht könne den Computer zur effizienteren Lösung ihrer ganz unterschiedlichen Probleme nutzen. Je breiter diese Bevölkerungsschicht wurde, die durch die Nutzung von Computern unterstützt werden sollte, desto größer wurde die Kluft zwischen Entwickler und Benutzer und desto mehr Aufwand musste im Entwicklungsprozess von Computern nicht für die Entwicklung von technischen Lösungsvorschlägen, sondern zunächst für das Verständnis der zu lösenden Probleme aufgebracht werden.

Bushs Vision vom MEMEX muss also als historisch erste Verkörperung der Idee verstanden werden, man könne den Computer wie ein Werkzeug im Sinn von 2.1.1 nutzen. Auch wenn es nach Bushs Tod noch einige Jahrzehnte dauerte bis diese Nutzungsvision Ausdruck in technischen Artefakten fand, wurde sie doch schon kurze Zeit später von anderen Wissen-schaftlern aufgegriffen und weiterentwickelt, die die Grundlagen dafür legten, dass wir den Computer heute in der uns bekannten Art nutzen können.

werden könne. Bush hatte sich als einziger detailliert mit der Frage nach der Effizienzsteige-rung wissenschaftlicher Arbeit auseinandergesetzt. Jedoch hatten Bushs Ideen niemals Nie-derschlag in technische Entwicklungen gefunden, und außerdem waren seine am Analogrech-ner orientierten Vorstellungen Mitte der 1950er Jahre zumindest technisch längst überholt.

Auch wenn seine Selbstbeobachtung natürlich nicht den heutigen Standards einer Arbeits-platz- und Anforderungsanalyse genügte, so stellte sie doch eine Erfahrungsbasis dar, von der ausgehend Licklider begann, seine revolutionären Ideen zu entwickeln. Es ist bemerkenswert, dass Licklider nicht aus der Position der Technikentwickler, sondern der Techniknutzer ar-gumentierte. Dabei hatte er zuerst natürlich seinen eigenen Arbeitsprozess im Auge. Wenn jedoch dieser durch Hilfsmittel effizienter gestaltet werden konnte, so sollte dies auch für die Arbeitsprozesse anderer Wissenschaftler gelten. Folglich dachte Licklider wie schon Bush bereits sehr früh an eine breite Schicht von Computernutzern, eine Vorstellung, die von vielen anderen Computerentwicklern zu jener Zeit als absurd abgetan wurde (Rheingold 2000: 134).

Wie Bush war Licklider geprägt vom zweiten Weltkrieg und dem Beginn des kalten Krieges, der scheinbar wachsenden Komplexität der Welt, die sich u.a. in der Diversifizierung der Wissenschaft niederschlug und den sich spätestens seit dem Bombenabwurf auf Hiroshima abzeichnenden, lebensbedrohlichen Gefahren für die gesamte Menschheit. Um Antworten auf die großen Fragen zu bekommen und um die anwachsende Komplexität zu bewältigen, benö-tige der Mensch sein gesamtes kreatives Potential (Licklider 1960). Dieses könne er freisetzen durch den Einsatz von Hilfsmitteln, die für ihn, sogar fehlerresistenter als er selbst, die lästi-gen und zeitaufwendilästi-gen Routineaufgaben erledigten. Auf der anderen Seite plädierte Lickli-der dafür, Computer nicht nur zum Problemlösen, sonLickli-dern bereits bei Lickli-der Modellierung Lickli-der Fragestellung einzusetzen. In Anlehnung an den Mathematiker Pointcaré formulierte Lickli-der: „Die Frage ist nicht: ‚Was ist die Antwort?’, sondern ‚Was ist die Frage?’“ (zitiert nach Licklider 1960).

Anders als Bush begann Licklider beim Versuch, seinen Arbeitsprozess effizienter zu gestal-ten, nicht am Nullpunkt. Stattdessen griff er auf einen existierenden Computer, einen PDP-1 von der Digital Equipment Company zurück. Computer wie der PDP-1 und seine Nachfolger wurden in den 1960er Jahren als Minicomputer verkauft, womit gemeint war, dass sie nicht ein gesamtes Zimmer einnahmen, sondern die Größe eines Kühlschranks besaßen, und statt einer Viertelmillion Dollar nur einige zehntausend kosteten. Mit seinem Mitarbeiter Ed Fred-kin, der sich später in der Künstlichen-Intelligenz-Forschung einen Namen machte, modifi-zierte Licklider den PDP-1 so, dass er über eine Konsole direkt mit und an ihm arbeiten

konn-te70. Damit war die Benutzung des Rechners über einen damals noch ausschließlich sprachba-sierten Steuerungsstil gemeint, der es Licklider ermöglichte z.B. statistische Analysen selbst-ständig und von seinem Arbeitsplatz aus durchzuführen, statt diese in ein Rechenzentrum auszulagern. Diese Arbeitsweise galt damals als sehr ungewöhnlich (Levy 1994: 55). Üblich war der von IBM eingeführte Stapelverarbeitungsprozess (Batch-Processing). Bei diesem musste ein Wissenschaftler seine Daten auf Lochkarten speichern, sich mit diesen in die Da-tenverarbeitungszentrale seiner Institution begeben und sie mit einer klar definierten Frage-stellung den wenigen dort Angestellten überlassen, die die Rechenanlagen bedienten. Diese überführten die Fragestellung mit Hilfe der Programmiersprachen COBOL oder FORTRAN in Anweisungen für die Rechenmaschinen und übergaben nach einiger Bearbeitungszeit die Kar-ten und das Ergebnis der Berechnungen wieder an den Wissenschaftler zurück (Rheingold 2000: 135). Auf diese Weise wurden bestimmte Tätigkeiten wissenschaftlichen Arbeitens durch den Einsatz technischer Artefakte in Form großer Computer-Maschinen aus dem Ar-beitsprozess des Wissenschaftlers herausgelöst. Diese unter Einsatz des Hilfsmittels Compu-ter wieder in den Arbeitsprozess des Wissenschaftlers zu reintegrieren, war das Ziel Lickli-ders.

Nachdem im Oktober 1957 die Sowjets den ersten Satelliten namens Sputnik und kurz darauf mit Yuri Gagarin auch den ersten Menschen in den Weltraum beförderten und damit den A-merikanern einen gewaltigen Schock versetzten, wurden in den USA große Summen an For-schungsgeldern freigesetzt, um den Forschungs-Vorsprung der Sowjets nicht noch größer werden zu lassen. Hiervon profitierten auch Licklider und seine Kollegen. Die Symbiose zwi-schen Mensch und Computer wuchs von einer esoterizwi-schen Idee zu einem nationalen Ziel71. Vom Verteidigungsministerium wurde 1958 die Advanced Research Project Agency (ARPA) ins Leben gerufen. Diese entwickelte nicht nur die TX-0 und TX-2 Computer, die wie der PDP-1 über einen direkten, sprachbasierten Steuerungsstil in den Arbeitsprozess des Nutzers integriert werden konnten, sondern lösten auch das von Licklider konstatierte Problem, dass

70 Diese Arbeitsweise wird häufig als interaktives Arbeiten beschrieben. Der Begriff der Interaktivität sei hier jedoch, wie in 2.1.1 begründet, dem sinnhaft aufeinander bezogenen Handeln zwischen zwei oder mehr sozialen Akteuren vorbehalten. Der Begriff der Interaktion wird eine zentrale Bedeutung für die in dieser Arbeit entwi-ckelte Qualität der Interaktionstauglichkeit von Medien gewinnen. Um Missverständnisse zu vermeiden, wird im folgenden deshalb statt vom interaktiven Arbeiten am Computer vom direkten Arbeiten am Computer, statt vom Interaktionsstil vom Steuerungsstil und statt von der Interaktion mit dem Computer über eine grafische Benut-zungsschnittstelle vom Steuerungsstil der direkten Manipulation gesprochen.

71 Nach der erfolgreichen Mondlandung der amerikanischen Apollo-Mission und dem in der amerikanischen Öffentlichkeit umstrittenen Vietnam-Krieg hingegen war eine umgekehrte Tendenz zu beobachten. Viele For-schungsgelder wurden gestrichen, zahlreiche Forschungsprojekte eingestellt. Moravec bedauert, dass viele KI-Forscher und Robotiker zu jener Zeit eher Fast-Food-Restaurants eröffneten, als Computer zu entwickeln (Mo-ravec 1988: 51).

Rechenkapazitäten rar und teuer waren. Die Lösung lag im Time-Sharing-Prinzip72, das heute als einer der wichtigsten Entwicklungsschritte zwischen Stapelverarbeitungsprozess und dem Personal Computer gilt (Rheingold 2000: 147).

Mit Hilfe des Time-Sharing wurde es Nutzern möglich, selbst komplizierte und recheninten-sive Aufgaben zu erledigen, auch wenn ihrer Forschungseinrichtung kein eigener Großrechner zur Verfügung stand. Sie benötigten lediglich ein Terminal und eine Verbindung zu einem regional u.U. weit entfernten, aber über freie Rechenkapazitäten verfügenden Großrechner und konnten dessen Leistung anzapfen.

Was er sich vom Durchbrechen der weit verbreiteten Arbeitsweise mit Computern versprach, formulierte Licklider in seinem 1960 veröffentlichen Aufsatz „Man-Computer-Symbiosis“ (Licklider 1960). Er verglich darin das Verhältnis zwischen Mensch und Compu-ter mit einer Partnerschaft, wie jene zwischen dem Insekt Blastophaga grossorum und dem Feigenbaum73. Er bewegte sich mit seiner Vorstellung der Mensch-Computer-Symbiose folg-lich zwischen dem mechanisch erweiterten Mensch und der künstfolg-lichen Intelligenz. Diese Beschreibung einer gleichberechtigten Partnerschaft zwischen Mensch und Computer mag heute überholt anmuten. Gerade in dem für diese Arbeit wichtigen Feld der Qualitätssiche-rung von Computersystemen ist man dazu übergegangen, den Computer nicht mehr zu anthropomorphisieren und als gleichberechtigten Partner anzusehen, sondern vielmehr den menschlichen Benutzer in den Mittelpunkt zu stellen, zu dessen Unterstützung ein technisches Artefakt entwickelt wird. Dennoch können Lickliders Überlegungen für ihre Zeit als fort-schrittlich angesehen werden. Hatten die in 2.1.2 vorgestellten Artefakte und Visionen vom Computer zumeist den Menschen als Bediener der Maschine betrachtet und die Entwicklung und Fortentwicklung der Technik in den Mittelpunkt des Interesses gestellt, begann mit Bush und Licklider eine Zeit, in denen das Augenmerk zunehmend dem menschlichen Benutzer, dessen Fähigkeiten, Bedürfnissen und Arbeitsgewohnheiten geschenkt wurde.

Der Mensch könne diese von Licklider beschriebene idealtypische Symbiose initialisieren, Fragen aufwerfen, Hypothesen formulieren, Modelle erdenken, Kriterien definieren und

72 Hinter dem Prinzip des Time-Sharing steckte die Idee, man könne die Rechen- und Speicherkapazität der Großrechner verschiedener Forschungseinrichtungen bündeln und müsse nicht für jede Forschungseinrichtung immer wieder neue, leistungsfähigere Rechner anschaffen. 1969 waren vier Rechner, die in Santa Barbara, Salt Lake City, Menlo Park und Los Angeles standen, miteinander über Telefonleitungen zum sogenannten ARPAnet verbunden. Der Vorteil dieser Vernetzung lag darin, dass sobald es an einem Rechner Engpässe bezüglich der verfügbaren Rechenkapazität gab, die Rechenkapazitäten der anderen Rechner genutzt werden konnten. Die Anzahl der angeschlossenen Rechner wuchs sehr schnell an.

73 Bei dieser handelt es sich um eine symbiotische Beziehung, weil der Baum sich ohne das Insekt nicht fort-pflanzen und das Insekt sich ohne den Baum nicht ernähren kann.

wertungen vornehmen. Sein Computer-Partner würde die Hypothesen in Modelle überführen und sie gegen Daten testen, Berechnungen durchführen und Ergebnisse aufbereiten. Als be-sonders hilfreich für den Menschen bezeichnete Licklider eine derartige Symbiose in all jenen Situationen, in denen in Echtzeit Entscheidungen gefällt werden müssten.

Allerdings stellte Licklider 1960 fest, dass einige technische Voraussetzungen für eine derar-tige Symbiose noch nicht gegeben seien, was ihn dazu veranlasste, seine Forschungstätigkeit in den Dienst der Computerentwicklung zu stellen: Drei der wichtigsten nicht erfüllten Vor-aussetzungen sah Licklider in den damals noch nicht ausreichend vorhandenen und deshalb sehr teuren Rechenkapazitäten, dem Sprachproblem, also der Frage, wie der Mensch den Computer steuern sollte, und, damit verbunden, den damals noch sehr mangelhaften Ein- und Ausgabevorrichtungen74.

Eine weitere revolutionäre Entwicklung Lickliders war das Bootstrapping-Prinzip. Dieses kam bei der Entwicklung der SAGE-Prototypen erstmals zum Einsatz. Hinter diesem Prinzip stand Lickliders Forderung, Computer bereits in den Modellierungs- bzw. Entwicklungspro-zess einzubinden. Er sorgte dafür, dass alle Mitarbeiter des Projekts einen Rechner erhielten, an dem Programme erst für die SAGE-Rechner, später für die eigenen Rechner entwickelt werden konnte. Mit dem Bootstrapping-Prinzip forcierte Licklider nicht nur, dass neue Ein-gabevorrichtungen oder Programme bereits frühzeitig im Entwicklungsprozess genutzt und somit ihre technischen Qualitäten geprüft wurden. Er forcierte mit diesem Prinzip auch, dass die Entwicklung neuer Programme direkt am Computer durchgeführt werden konnte. Auf diese Weise wurde der Computer zu einem tool to make tools.

Licklider war mittlerweile zum Direktor der 1962 innerhalb der ARPA gegründeten Informa-tion Processing Techniques Office (IPTO) berufen worden. Als solcher traf er auf einer Kon-ferenz auf Ivan Sutherland. Dieser stellte ein Programm namens Sketchpad vor, das es ermög-lichte, die grafische Darstellung auf einem Bildschirm sehr flexibel zu manipulieren. Die Be-mühungen Sutherlands sind deshalb bemerkenswert, weil mit ihnen ein neuartiger

74 Die Frage nach adäquaten Ein- und Ausgabevorrichtungen interessierte auch das Militär. Dort hatte man in den 1950er Jahren mit Semi-Automatic Ground Environment (SAGE) ein computergestütztes Verteidigungssys-tem entwickelt, das nicht von Wissenschaftlern oder Technikern, sondern von Soldaten bedient werden sollte.

Dabei stellte sich das Problem, dass große Daten- und Informationsmengen in einer Art dargeboten werden mussten, die für den nicht-spezialisierten menschlichen Benutzer leicht lesbar und verständlich war (Rheingold 2000: 143): Es musste gewährleistet werden, dass die Entscheidungen in einer militärischen Anwendung schnell getroffen werden konnten, z.B., ob ein feindliches Flugobjekt abgewehrt werden müsse oder nicht. Hier war der Psychologe Licklider mit seinen Erfahrungen und Kenntnissen bezüglich des menschlichen Wahrnehmungsver-mögens gefragt. Neben der grafischen Darstellung der Ergebnisse auf einem Bildschirm hatten die Benutzer von SAGE auch eine neuartige Eingabevorrichtung zur Verfügung: den Light-Pen, mit dem sie die grafische Darstel-lung durch Zeigen auf den Monitor verändern konnten.

rungsstil für den Computer geboren war. Hatte die Steuerung des Computers durch den Men-schen vormals sprachbasiert stattgefunden, entweder über kryptische Programmier- oder et-was leichter erlernbare Kommandosprachen, so war mit Sketchpad der als „direkte Manipula-tion“ (Preim 1999: 42) bezeichnete Steuerungsstil geboren. Bei dieser Art der Steuerung musste der Nutzer des Computers keine Befehle in Form von Text eingeben, sondern konnte mit einer Eingabevorrichtung, etwa durch Zeigen auf grafische Darstellungen (Icons), die bestimmte Funktionen des Systems abstrahierten, diese Funktionen ausführen. Die direkte Manipulation erweiterte die sprachbasierte Steuerung des Computers erheblich und wurde zur Verbesserung der Benutzbarkeit von Computern erfolgreich eingesetzt.

J.C.R Licklider revolutionierte die Art, wie die Nutzung des Computers gedacht wurde. Auch wenn er nicht federführend und direkt an der Entwicklung eines technischen Artefakts betei-ligt war, hatte er in seiner Position als Direktor von ARPAs IPTO doch erheblichen Einfluss auf die Richtung der Computerentwicklung in den 1950er und 1960er Jahren. Er gab ver-schiedenen technischen Innovationen (z.B. Möglichkeit der Vernetzung von Computern, Steuerungsstil der direkten Manipulation etc.) durch Formulierung einer einheitlichen Nut-zungsvision eine Form.

Warum sind Lickliders Ideen Ausdruck der Werkzeug-Metapher?

Es ist nicht schwer, zu erkennen, dass Lickliders Überlegungen sich auf technische Artefakte im Sinn von 2.1.1 bezogen. Mit Hilfe eines technischen Geräts wollte er den Wissenschaftler in seinen Fähigkeiten und bei der Erledigung seiner Aufgaben unterstützen.

Darüber hinaus lassen sich sowohl die von Licklider geäußerten theoretischen Überlegungen zur Beziehung zwischen Mensch und Computer als auch die von ihm unterstützten Entwick-lungen vom PDP-1 über TX-0, TX-2 und das SAGE-System allesamt der Metapher der Werk-zeugnutzung des Computers zuordnen:

Computer waren in der Vorstellung Lickliders nicht länger unflexible, Lochkarten verarbei-tende Rechenmaschinen im Datenverarbeitungszentrum, bedient von einer kleinen Elite, der

„programming priesthood“ (Rheingold 2000: 210), deren Dienst man nur mit spezieller Ge-nehmigung im Auftrag der Organisation in Anspruch nehmen durfte, die die Rechenmaschine besaß. Der Computer sollte mehr als eine Maschine zur Automatisierung lästiger Rechenar-beit sein. Er sollte auch für kreative Prozesse wie die Modellierung statistischer Probleme oder das Entwickeln neuer Hilfsmittel in Form von Software nützlich eingesetzt werden.

Hierfür war es notwendig, dass der Computer über einen Steuerungsstil benutzbar war, der keine technische Expertise voraussetzte. Licklider regte die Entwicklung neuartiger Ein- und Ausgabevorrichtungen wie dem Light-Pen an und setzte grafischen Benutzungsschnittstellen wie Sutherlands Sketchpad ein, damit der Computer selbst von Techniklaien wie Psychologen und anderen Wissenschaftlern bis hin zu Soldaten gesteuert werden konnte. Doch auch wenn Licklider Wert darauf legte, dass jeder potentielle Nutzer den Computer steuern konnte, findet sich die Vorstellung, Computer für den Hausgebrauch zu nutzen vermutlich aufgrund der in den 1960er Jahren sehr teuren Komponenten bei Licklider noch nicht. Hierfür bedurfte es noch zahlreicher Weiterentwicklungen vor allem im Bereich der Ein- und Ausgabevorrich-tungen. Der Grundstein für die Entwicklung der Idee vom Personal Computer, dem Univer-salwerkzeug für den Hausgebrauch, war jedoch gelegt.

Licklider betonte die flexible Einsetzbarkeit des Computers und den leicht erlernbaren, an die kognitiven Fähigkeiten und die Arbeitsaufgaben des Nutzers angepassten Steuerungsstil mit demselben Ziel wie einige Jahre vorher Bush. Es ging ihm um die Integration von Computer-technologie in bestehende Arbeitsprozesse – womit die erste hinreichende Bedingung erfüllt ist, um Lickliders Vision der Computernutzung der Werkzeug-Metapher zuzuordnen.

Besonders deutlich wird an der Person Lickliders außerdem das Auseinanderbrechen der I-dentität zwischen Entwickler und Benutzer des Computers. Licklider selbst war kein Ingeni-eur, sondern Psychologe. Er lieferte keine technischen Lösungsvorschläge, sondern konzent-rierte sich auf die Artikulation des mit Computertechnik zu lösenden Problems. Je größer die Kluft zwischen der Welt der Entwickler (Techniker, Programmierer) und jener der späteren Nutzer (z.B. Soldaten des SAGE-Projekts), desto wichtiger wurde die Rolle eines Moderators zwischen beiden Welten, wie Licklider sie einnahm. Bevor eine adäquate technische Lösung für die Soldaten des SAGE-Projekts entwickelt werden konnte, mussten zunächst ihre Ar-beitsprozesse, ihre Aufgaben, ihre kognitiven und motorischen Fähigkeiten untersucht werden.

Aufgrund der Tatsache, dass z.B. im SAGE-Projekt die Entwickler nicht mehr identisch mit den späteren Benutzern waren, war ein Wissen über die zu unterstützenden Arbeitsprozesse, Aufgaben und Fähigkeiten nicht mehr automatisch im Entwicklungsprozess repräsentiert. In diesem Zusammenhang gewann die Forderung von Licklider an Bedeutung, nicht die Frage nach dem Problem, sondern die Frage nach der Frage in den Mittelpunkt des Entwicklungs-prozesses zu stellen.

Lediglich in einer Beziehung weicht die Vision Lickliders von der oben als Werkzeug-Metapher vorgestellten ab. Alle von Licklider im Rahmen der amerikanischen

Forschungs-förderung unterstützten Projekte und Produkte sollten von zumeist Wissenschaftlern, aber auch anderen Nutzern nicht für deren privaten Zwecke, sondern für die Zwecke der Vereinig-ten StaaVereinig-ten von Amerika eingesetzt werden. Auch wenn Licklider die Lösung zahlreicher we-nig spezialisierter Tätigkeiten durch Computertechnik anstrebte, ging es ihm immer um Tä-tigkeiten, die ein Nutzer dieser Computertechnik im Auftrag eines Dritten oder einer Instituti-on durchführt. Lickliders Ideen verkörpern die Metapher vom Computer als Werkzeug dem-entsprechend nicht in Reinform.

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