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8. Gesundheitsbezogene Orientierungen

8.7 Dimension III – Handlungstreiber

8.8.2 Volle Eigenverantwortung beim Einzelnen

Einmal mehr wurde im Zuge der Analyse deutlich, dass auch ein im Unternehmenskon-text geführtes Gespräch nicht unbedingt dazu führt, sich in der hier angelegten Rollen-perspektive zu bewegen, geschweige denn, sich auf diese zu fokussieren. Im Gegenteil wurde in den Gesprächen stets der Blick über Rolle und Feld hinaus gesucht. Was das im Einzelnen heißt, wird im Folgenden ausgeführt.

Herr Dr. Albrecht beschreibt eine feld- und rollenübergreifende Haltung zum Gesund-heitshandeln. So spricht er von sich und seiner Einstellung, wobei er zur Erklärung ein Beispiel eines langzeitkranken Mitarbeiters heranzieht, um darin beide Felder – das be-rufliche wie private – zu konkretisieren. Er führt aus, dass jeder selbst verantwortlich ist, für sich zu prüfen, ob er sich mit allem wohlfühlt bzw. womit nicht, um etwas zu

verändern. Denn in seinen Augen gibt es ein „Summenintegral“, das schließlich zur Krankheit führt und welches nur der Einzelne verfolgen und abschätzen kann (112-115).

„Jeder ist seines Glückes Schmied“ – mit dieser Volksweisheit positioniert sich Herr Borgmann auf die Frage, wo er die Verantwortung für die eigene Gesundheit sieht. Da-bei bezieht er sich rollenübergreifend auf Führungskräfte wie Nicht-Führende:

„Jeder muss für sich dann auch die Entscheidung treffen, ob man halt gesund le-ben will oder auch nicht. Und ich denke, das kann eine Führungskraft genauso gut wie ein Mitarbeiter ohne Führungsverantwortung. Insofern sollten die Mög-lichkeiten für beide da sein. Also, immer aus der Sicht gesprochen, dass ebend da wirklich jeder für sich selbst verantwortlich sein sollte“ (Borgmann, 158).

Glaubwürdig auch in Bezug auf das konkrete eigene Gesundheitshandeln wird diese Aussage auch dadurch, dass er einräumt, in einem anderen Unternehmen vermutlich zu anderen Handlungsweisen zu kommen. Dabei ist jedoch entscheidend, dass er deshalb auch sein altes Unternehmen verlassen hat, weil er als der Typ Mensch, der er gemäß Selbsteinschätzung ist, dort nicht hätte führen können. Er hat also aus der sprichwörtli-chen Bemerkung selbst schon konkretes Handeln abgeleitet. Er schreibt dem Kontext Einflussbestrebungen zu, entscheidet aber, wie er damit umgehen will und übernimmt so die Verantwortung.

Eine weitere Facette der Orientierung ,Eigenverantwortung‘ ist der ausgedrückte Wunsch, das Unternehmen möge – bei aller Eigenverantwortung – doch einen Rahmen schaffen, in dem eigenverantwortliches Gesundheitshandeln auch möglich sei. Herr Althaus nennt dazu die richtige Einschätzung der Zumutbarkeit von Anforderungen (wie z.B. die Taktung oder Reihung von Dienstreisen oder gleichzeitig angesetzte Ter-mine) oder im kommunikativen Miteinander das Zeigen von Verständnis für ressour-cenerhaltende oder gesundheitsförderliche – eigenverantwortlich unternommene – Ak-tivitäten durch Vorgesetzte. Die eigenverantwortliche Haltung kommt bei ihm darin zum Ausdruck, dass er sehr offen von einem massiven Gesundheitsproblem erzählt (wiederholtes Auftreten eines neurologischen Ausfalls in Folge von Überlastung), aber konsequent das eigenen Tun und Lassen beleuchtet, um die Verantwortung bei sich zu suchen (versäumte Medikamenten-Einnahme, nicht Nein-Sagen-Können), ohne die Über-Beanspruchung (oder deren Verursacher) verantwortlich zu machen und das Un-ternehmen in die Pflicht zu nehmen. Zwar beschreibt er die Vielfalt der Anforderungen,

aber die Versäumnisse im Gesundheitshandeln liegen nach seinen Schilderungen in der Konsequenz allein bei ihm.

Auch ohne im Interview explizit darüber zu sprechen, ob sich ein anderer Manager für sein Gesundheitshandeln selbst verantwortlich sieht, können Interview-Sequenzen dem-entsprechend eingeordnet werden. Herr Dr. Fehling stellt sich durchgängig selbst in den Mittelpunkt seiner gesundheitlichen Betrachtungen und der Verantwortung dafür. Auch eine zeitweilig auftretende berufliche Überlastung betrachtet er als selbstgewählt oder, so könnte man es verstehen, durch die Übernahme der Führungsrolle geradezu als selbstgewähltes Schicksal:

„Ich hatte das Glück, dass ich mir IMMER meine Arbeit suchen und mir keiner, eigentlich ganz ganz selten vorgeschrieben hat, was ich eigentlich leisten MUSS.

Mich haben aber immer die neuen Dinge wieder so gereizt, dass ich auch diese angefangen habe. Und natürlich ist das dann ein Wellenprinzip, dass dann ir-gendwann die zeitgleich kommen und irgendwelche enden dann. Und da ist man dann eben unter Druck, dass man dann auch mal einen Abend oder eine Nacht durcharbeiten muss, ja?“ (Dr. Fehling, 213).

Er sucht keine Umstände, denen Verantwortung zuzuschreiben wäre. Eindrucksvoll vermittelt er seine Rolle als unabhängiger und eigenverantwortlicher Gestalter, sowohl seiner beruflichen Entwicklung sowie seiner privaten Situation, die er im Verlauf des Interviews von sich aus anspricht und in seine Überlegungen miteinbezieht:

„Das Abwägen ist immer da und bei der Gesundheit ist das nichts anderes. Dass ich sage: Oh, du bist ganz schön erkältet, hast ja leicht Fieber, könnest ja heute zu Hause bleiben.“

I: „KÖNNTE zu Hause bleiben? Ist das auf der Ebene von ich KÖNNTE oder hat das auch was von: Kann ich es mir ERLAUBEN? Wo würden Sie es einord-nen?“

Be: „Nö, ich würde sagen: KÖNNTE. Erlauben kann ich es mir immer“ (Dr.

Fehling, 217-219).

Konsequentes Leben von Eigenverantwortung, ohne sie in Frage zu stellen oder delegie-ren zu wollen, wird auch in einem weitedelegie-ren Fall thematisiert. Herr Dr. Schwarzer sieht

sich explizit eigenverantwortlich für seine Gesundheit und pflegt dabei einen sehr funk-tional anmutenden Umgang mit sich.

I: „Was kommt Ihnen dabei in den Sinn: Führung, Gesundheit?“

Be: „Also, ich sage mal, ich sehe mich schon EIGENverantwortlich für meine ei-gene Gesundheit. Ich selber habe (...) immer das Gefühl gehabt, wenn die Arbeit mir Spaß macht, darf es auch ein Stück mehr sein. Ich habe die POSITIVE Ei-genschaft, dann, wenn ich beschlossen habe, es ist Feierabend, dann schalte ich auch ab. Ich habe auch Zeiten erlebt, wo ich, ich sage mal, mir Arbeit mit nach Hause genommen habe, um dann wirklich noch mal abends eine zweite Schicht einzulegen. Kommt PHASENweise vor. Aber sollte nicht die Regel sein. Und es kommt SEHR sehr selten vor, dass ich/ wenn ich tagsüber redlich gearbeitet ha-be, dass ich dann abends nicht auch tief schlafen kann“ (Dr. Schwarzer, 76-77).

Bemerkenswert ist, dass sein ausführliches Statement zur Eigenverantwortung durch die erste Frage evoziert wird, die eigentlich nur aus thematischen Stichworten besteht. Be-trachtet man diesen Auftakt zur Führung und der eigenen Führungsrolle zum Inter-viewhauptteil, dann ist dieser bereits sehr aussagekräftig. Denn auch im Weiteren bestä-tigen seine Erzählungen, dass er sein Leben konsequent entlang den eigenen Wertmaß-stäben gestaltet. Er hat im Laufe der Jahre ein eigenes Referenzsystem entwickelt, be-zieht sich in seinem Handeln darauf - und übernimmt dafür die volle Verantwortung:

„Also, ich denke, ich bin für mich selber sensibel und weiß, wenn ich gesundheitlich aus dem Ruder laufe, dass ich dann da auch entsprechend was tun muss dran“ (Dr.

Schwarzer, 83).

Die nun wiederholt beschriebene Art und Weise, mit der die Verantwortung für die Ge-staltung der eigenen Gesundheit von den Führungskräften selbst übernommen wird, verdichtet sich zu einem Muster. Auch in einem anderen Interviewfall steht die Eigen-verantwortung im Zusammenhang damit, dass die Führungskraft sich als Zentrum der Betrachtungen sieht und dabei ihr Leben, ihre Karriere darum gestaltet. Abgeleitet wird dies aus den Erzählungen, in denen keine äußeren Einflüsse erkennbar werden und in denen insgesamt andere relevante Systeme außerhalb der eigenen Person keine besonde-re Bedeutung erhalten. Herr Werner zeigt die - auch im übertragenen Sinne - gesunde Haltung, dass nur er sein Handeln ändern kann, er aber keinen Einfluss auf andere hat, wenn er etwas (anders) möchte. So betrachtet er das Thema Multitasking als gegebene

Herausforderung der modernen Arbeitswelt und stellt dies nicht infrage. Stattdessen fordert er beispielsweise von Seminaranbietern, Methoden zu entwickeln, wie der Ein-zelne für sich damit möglichst so umgehen kann, dass die Gesundheit nicht darunter leidet. So kann er sich selbst mit der Herausforderung auseinandersetzen, die er an-nimmt, ohne sich zu beklagen (vgl. Dr. Schwarzer, 113-116). Klaglos – ohne Verant-wortung außerhalb der eigenen Person verorten zu wollen und erneut mit Blick auf die eigene Person – fragt er sich auch bei zentralen Gesundheitsthemen, was ihm bspw. ein Schnupfen sagen will, warum er sich diesen nun zugezogen habe (vgl. ebd., 98).

Herr Völkers belegt seine Haltung mit einem Beispiel, das in diesen Zeiten als Klassiker des dauerbeanspruchten Managers herhalten kann: die durchgängige Verfügbarkeit des Managers – auch im Urlaub. Damit zeigt er, dass er das Thema zum einen als gesund-heitsrelevant einstuft und zum anderen für sich eine Position gefunden hat, die ihm ge-sund erscheint:

„Ich hab den Blackberry mit. Ich bin entspannter, wenn ich jeden Tag mal rein-gucke und sehe, wo es brennt. Dann kann man es brennen lassen oder man kann einschreiten oder man kann einschreiten, als dass ich nach drei Wochen wieder-komme und sehe, das ganze Haus brennt. Und es wäre schon zu spät. Insofern BELASTET mich der Blackberry NICHT. Für viele ist das ja ein großes Thema, auch in den Medien, muss man immer erreichbar sein? Ich entscheide selbst, ob ich drangehe oder nicht. Und wann ich Emails beantworte oder nicht. In meiner Freizeit. Das entscheide ich selbst. Aber lesen möchte ich sie“ (Völkers, 170).

„Das entscheide ich selbst“ – diese nachdrückliche Formulierung entspricht dem Tenor unter den Befragten, dennoch wurden auch andere Reaktionen und Einstellungen sicht-bar.