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3. Theoretische Grundlagen

3.7 Forschungsstand und Forschungsfrage

3.7.2 Forschungsarbeiten zum Habitus von Führungskräften

Zunächst fällt bei der Recherche auf, dass die beiden Begriffe zusammen durchaus oft zu finden sind, allerdings vornehmlich in Pressetexten, die sich ohne wissenschaftliche Fundierung den griffigen wie gängigen Begriff des Habitus im Sinne eines Erschei-nungsbildes, einer Haltung oder eines Gebaren (vgl. Duden, 1997, S. 306) zunutze ma-chen. So urteilt man im manager magazin über Alfred Oetker: „Ein Habitus, der an bri-tische Royals erinnert“ (Machatschke, 2014). Auch ältere Führungskräfte weiß man schnell zu kategorisieren: „Elder-Statesman-Habitus à la Helmut Schmidt“ (Buchhorn

& Werle, 2013). Diese Benennungen liefern zwar interessante Hinweise auf die (popu-lärwissenschaftliche) Rezeption des Bourdieuschen Ansatzes, leisten aber keinen Bei-trag zum Forschungsstand im Arbeitsbereich.

Einer der wenigen, die sich empirisch mit dem Habitus von Führungskräften befassen, ist Grabow (2014). In seiner quantitativen Studie versucht er, den Habitus der Eliten in der Wirtschaft zu erfassen. Auf seinem Weg, diesen spezifischen Habitus so zu operati-onalisieren, dass er ihn quantitativ erfassen kann, macht er sich die Arbeiten von Hart-mann zunutze, dessen Schwerpunkt Eliten und deren Habitus ist.47 Zentrale Merkmale des Habitus „kondensiert“ Grabow (2014, S. 53) zu den Merkmalen:

47 Vgl. bspw. Hartmann, 2001.

Beherrschen der im hohen Management gültigen geschriebenen und ungeschrie-benen Regeln, äußere Erscheinung/ Kleidung, angemessene Umgangsformen, Vertrautheit mit den gültigen Verhaltens- und Dresscodes

Gute/ breite bildungsbürgerliche Allgemeinbildung

Unternehmerische Einstellung, optimistische Lebenseinstellung, Risikobereit-schaft

Persönliche Souveränität, Selbstsicherheit

Souveränität ist deshalb so wichtig, weil es das zentrale Distinktionsmerkmal der Elite-angehörigen ist, so unterstreicht Grabow. Die (finanzielle und gedankliche) Unabhän-gigkeit, sich bestimmte Dinge und auch Haltungen leisten zu können, ist nur dem gege-ben, der die finanziellen Ressourcen sowie die eingeschriebene Selbstverständlichkeit im Handeln erworben hat, auch mal Dinge anders zu denken und tun. Dabei bezieht sich Grabow direkt auf Bourdieu (vgl. Grabow, 2014, S. 55).

Neben die oben genannten Merkmale des Habitus stellt er Kompetenzen, die hier unbe-rücksichtigt bleiben, die bei ihm für die Erforschung von Recruiting-Entscheidungen als wesentlich erachtet zu erfassen sind.

Für diese Arbeit ist der Blick auf die Eigenschaften insgesamt doch wertvoll. Legt man den von Grabow identifizierten Habitus neben die Ergebnisse der vorliegenden Studie, so deuten sich Anschlüsse an. So bietet es sich zum Beispiel an, über die Führungsebe-nen hinweg habituelle Muster zu identifizieren und Ähnlichkeiten wie Unterschiede herauszuarbeiten, die sich aus der hierarchischen Ebene ableiten lassen.

2012 hält Siewecke im Rahmen einer literaturbasierten Arbeit bereits fest: „Bourdieu’s absence in management and organization research is surprising“ (S. 3), wobei er auf der Basis der bisher erfolgten Ansätze neue Chancen und Wege erörtert, um Bourdieus Theorie der Praxis mit ihren einzelnen Komponenten bis hin zur eigenständigen Be-trachtung des Körpers in Institutionen für die Erforschung in Wirtschaftsunternehmen nutzbar zu machen.

Mayrhofer und seine Forscherkollegen setzen sich mit einem Begriff des Karriere-Habitus auseinander, der deutlich über die Karriere hinausgeht, die innerhalb von Orga-nisationen zu realisieren ist. Ihr Karrierebegriff ist über die Manager-Karriere hinaus ein subjektiver: „,Subjective‘ careers can be regarded as the way an agent perceives and

constructs his personal career, his course of positions within a social field“ (Mayrhofer et al., 2001, S. 2). Dabei erhält eine derartige Karriere eine identitätsstiftende Bedeu-tung, man ist sozusagen selbst sein eigenes Projekt (ebd.). Nun wird in der vorliegenden Arbeit mit einem klassischen Karrierebegriff gearbeitet, doch da die hiesige Blickrich-tung vom Akteur aus das relevante Feld beinhaltet, in dem er sich bewegt. Es ist durch-aus vorstellbar, dass auch die Feldgrenzen erreicht oder überschritten werden. Dann kann der Blick auf eine umfassender gedachte Karriere wertvolle Ideen oder Anschlüsse ermöglichen.

Weitere und eine deutlich größere Anzahl von Arbeiten, die die Führungskraft durch die Brille des Habitus betrachten, wenden das Konzept auf einen anderen Forschungsbe-reich an: Gender Studien. In der Übersicht werden nun die Arbeitstitel aufgelistet, um das spezifische Erkenntnisinteresse zu veranschaulichen:

Geschlechtliche Ungleichheit in transnationalen Unternehmen (Gruhlich, in Ar-beit),

Karrieremuster im Management. Pierre Bourdieus Sozialtheorie als Ausgangs-punkt für eine genderspezifische Betrachtung (Hermann, 2004),

Konkurrentinnen außer Konkurrenz? Zugangsbarrieren für Frauen im Manage-ment aus der Perspektive des Bourdieuschen Distinktions- und Habituskonzepts (Hofbauer, 2006),

Bewährungsstrategien von Topmanagerinnen (Hänzi, 2012),

Mind the (Gender) Gap. Gender, Gender Role Types, and Their Effects on Ob-jective Career Success over Time (Schneidhofer, Schiffinger & Mayrhofer, 2010).

Arbeiten zu gesundheitsbezogenen Habitualisierungen: Die oben aufgelisteten Ar-beiten befassen sich jeweils mit dem Habitus einer Zielgruppe und damit mit einem Habitus. Sie dringen dabei aber nicht zur Gesundheit als spezifische – und explizit un-tersuchte – Facette des Habitus vor.

Ebenso gibt es Arbeiten, die den Wert des Habitus-Konzepts nutzen, um Gesundheits-themen zu erforschen, aber ohne sich einer bestimmten Zielgruppe zuzuwenden. Ohne (diesen) Zielgruppenbezug gibt es folgende gesundheitsbezogene Arbeiten auf der Grundlage von Bourdieus Habitus bzw. solche, die den Wert des Habitus-Konzepts für die Gesundheitsforschung sehen: Abel, 2007; Alkemeyer & Schmidt, 2003; Brunnett,

2009a/b, Cockerham, Rütten & Abel, 1997; Gerlinger, 2006; Kickbusch, 2006; Mayer

& Thiel, 2011 und Vester, 2009. Im Folgenden gebe ich stellvertretend für diesen For-schungszweig die Position Gerlingers wieder, der ich mich nicht nur theoretisch mit dieser Arbeit anschließe, sondern auch pragmatisch seine Forderung nach einer (betrieb-lichen) Gesundheitsförderung und dessen praktischen Wert vertrete:

„Die Anwendung des Habitus-Konzepts auf den Gegenstandsbereich ‚Gesund-heit‘ kann helfen, objektivistische und subjektivistische Verkürzungen zu ver-meiden (…) Das analytische Potenzial liegt nicht nur in einem tiefer gehenden Verständnis der sozialen Vermittlung gesundheitsbezogenen Handelns von Indi-viduen und Gruppen. Zugleich verbindet sich damit die Erwartung, Strategien der Prävention und Gesundheitsförderung zielgenauer zu konzipieren und damit ihre Effektivität zu erhöhen“ (Gerlinger, 2006, S. 51).

Schließlich soll noch der Hinweis darauf gegeben werden, dass der Habitus im berufli-chen Kontext von Berufen und Professionen durchaus in anderen Forschungsarbeiten eine Rolle spielt und es einige Arbeiten gibt, die einen Beruf oder eine Profession mit der Brille des Habitus analysieren, wie beispielsweise die Lehrer (Baar, 2011), Ärzte (Reimann, 2013), Sozialpädagogen (Bauer, 2007) oder Bankangestellte (Schröder &

Schmidtke, 2010).

Wenngleich im Feld des Leistungssports, der nur selten Beruf ist, so soll hier dieser Bereich ebenfalls beleuchtet werden. Besonders vor dem Hintergrund, dass der Spitzen-sport mit den Logiken seines Feldes heute dem Wirtschaftsraum als Beispiel dient (vgl.

Wollsching-Strobel, Hänsel, Sternecker & Wollsching-Strobel, 2009; Sprenger, 2008), sind hier Anschlüsse durchaus denkbar und ergiebig. So bringen Mayer und Thiel (2011) auf der Grundlage von Bourdieu und Foucault einen „spezifischen gesundheits-bezogenen Habitus im sozialen Raum Leistungssport“ (ebd., S. 125) in die Diskussion ein. Ein Vergleich der (gesundheitsbezogenen) Habitus der Akteure in den Feldern könnte instruktiv ein. Spricht Mayer (2010) vom „playing hurt“ bei Sportlern, so könnte dies dem Phänomen des Präsentismus entsprechen, das bei den Leistungsträgern der Wirtschaft eine Rolle spielt (vgl. Badura, 2011, S. 3).

Dieses sukzessive Verengen der Perspektive von der gesellschaftlichen Sicht auf Ge-sundheit hinunter zum Wirtschaftsraum, dann zu den Führungskräften und schließlich zum gesundheitsbezogenen Habitus der Zielgruppe weist auf eine Forschungslücke hin.

Das heißt, in der Fokussierung auf die konkrete Frage nach dem Sozialen in der Ge-sundheit, dem Gesundheitshandeln der Führungskräfte und nach ihrem Habitus zeigt sich ein sinnvoller Ansatzpunkt für die vorliegende Arbeit. Die dargestellte Forschungs-lage mit ihren Ansätzen und Hinweisen auf bestehende Forschungslücken eröffnet die Chance, mit einer explorativen Arbeit hier Grundlagenarbeit zu leisten, auf die es auf-zubauen gilt.