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8. Gesundheitsbezogene Orientierungen

8.7 Dimension III – Handlungstreiber

8.8.3 Ausgelagerte Verantwortung

In einem Fall kommt die Frage danach, wo der Befragte die Verantwortung für gesund-heitsorientiertes Handeln verortet, nicht auf. Es ist das erste Interview der Reihe, bei dem sich dieser Aspekt noch nicht als so aufschlussreich hervortut, wie bereits oben beschrieben. Allerdings spielen im Verlauf dessen doch durchgängig verantwortungsre-levante Aspekte eine Rolle. Herr Werle hat in jüngerer Vergangenheit erlebt, wie seine Gesundheit durch fehlendes Sorgen aus beruflich bedingtem Zeitmangel beeinträchtigt wurde. Darüber hinaus erlebte er, dass seiner Gesundheit im Unternehmen weder

Priori-tät eingeräumt wurde noch dass seine Gesunderhaltung dort aktive Unterstützung fand.

Dieses Erleben hat etwas bei ihm etwas angestoßen und führte zu einer Auseinanderset-zung innerhalb des Feldes und der Rolle. Mit zunehmend empfundener Nichtachtung seiner gesundheitlichen Situation im Unternehmen steigerte sich noch seine Erwar-tungshaltung. Sein bewusstes Streben danach für sich zu sorgen und dabei wenigstens etwas Unterstützung von Unternehmensseite zu erfahren (über die Bewilligung eines höhenverstellbaren Schreibtischs nach einem Bandscheibenvorfall), veranlasste ihn da-zu, Sanktionen auszusprechen, falls man ihn dabei nicht unterstützt, wie er dies im Rahmen des Interviews beschreibt:

„Es hätte eine Auswirkung gehabt, wenn ich ihn (den Tisch, V.H.) nicht bekom-men hätte. Oder das gleiche gilt jetzt für (-) ich habe es auch für damals für ei-nen Mitarbeiter auch besorgt. Ähnliches Leiden. Wenn man das nicht durchbe-kommen hätte, dann hätte es Auswirkungen gehabt im Grunde, dass (-) ja, gut, dann muss ich halt anders gucken, dass es mir besser geht“ (Werle, 83).

So geht es hier zwar um das Gesundheitshandeln von Herrn Werle, aber er macht seine Entscheidung (ggf. woanders zu arbeiten) vom Handeln des Unternehmens (bzw. seiner Verantwortlichen) abhängig. Dass (Entscheidungs-)Handlungen in Zusammenhang mit anderen Handlungen stehen, dass Kommunikation immer Anschluss-Kommunikation ist und eine weitere hervorruft, steht außer Frage. Doch im Vergleich mit den weiteren Interviews ist dieses Antwortmuster einzigartig. Diese Stellung sowie diese direkte Ein-flussmöglichkeit des Unternehmens auf die eigene Gesundheit und das damit verbunde-ne Handeln schreibt kein anderer eben diesem so drastisch zu. Im Gegenteil. Ein Bei-spiel: Herr Borgmann vermutet, dass sein Handeln durchaus im Zusammenhang des Unternehmenskontexts zu sehen ist, schließt aber sachlich an, dass er aus diesem Grund das Unternehmen gewechselt habe. Letzterer übernimmt die Verantwortung für sein Wohlbefinden so umfassend, dass er die Situation reflektiert und danach auch handelt.

Allerdings formuliert er keine Erwartungen an das Unternehmen:

„Das hängt immer an den Rahmenbedingungen, was man selbst dann auch ent-scheiden kann und wie man sich selbst im Unternehmen wohlfühlt. Deswegen bezweifele ich auch, ob ich in dem anderen Unternehmen wirklich Führungs-kraft geworden wäre.“

I: „Ah, ok.“

Be: „Weil das eben nicht wirklich zu mir gepasst hat“ (Borgmann, 67-69).

Das stellt sich im Fall Werle, wie gezeigt, anders und damit kontrastierend dar. Herr Werle erwartet aktiv ein verändertes, für ihn förderliches Engagement vom Unterneh-men und ist dann auch zu einem UnternehUnterneh-menswechsel bereit, wenn ihm diese Unter-stützung nicht gegeben wird. Herr Borgmann bleibt mit seiner Verantwortung und sei-nen Ansprüchen bei der eigesei-nen Person – und leitet daraus Handlungen und Entschei-dungen ab.

Einen besonderen Fall stellen die folgenden Schilderungen zum Gesundheitshandeln dar: Herr Ehrmann beschreibt auch die Auswirkungen von kranken Mitarbeitern auf die Führungskraft und damit auf sich selbst. Er skizziert, dass er als Vorgesetzter insofern hochgradig gefordert ist, um den Krankheitsausfall von Mitarbeitern nicht abdecken zu müssen und dann nicht selbst an der Überlastung zu erkranken:

„Das ist dann schon eine Aufgabe der Führungskraft, das wieder auszu[...]. Denn ansonsten geht es auch wieder auf die eigene Gesundheit der Führungskraft.

Denn wenn der erst mal total weggebrochen ist, muss das ja wieder ausgeglichen werden (…) Also es ist eine Art Selbstschutz“ (Ehrmann, 234).

Was er beschreibt ist also durchaus ein eigeninitiatives Handeln im eigenen Interesse (vgl. auch Ehrmann, 228). Er übernimmt also Verantwortung für sich und hält das für angemessen. In der Interviewsequenz kurz zuvor bezieht Herr Ehrmann Stellung zur Frage, wer denn verantwortlich für die Gesundheit einer Führungskraft ist: „MIT auch der nächste Vorgesetzte. UND natürlich die Führungskraft auch selber, indem sie auch ein Signal setzt zum nächsten Vorgesetzten: Das funktioniert jetzt so nicht. Also BEIDE

" (Ehrmann, 229-230). Diese Äußerung unterstreicht die anklingende defensive Orien-tierung: Zuerst wird der Anteil der Verantwortung des Vorgesetzten genannt, dann der Betreffende selbst. Dennoch entzieht er sich selbst nicht völlig der eigenen Verantwor-tung. Es ist ein Wechselspiel zwischen dem Angebot des Vorgesetzten, der Fürsorge-pflicht nachzukommen und der eigenen Verantwortung zu erkennen zu geben, Unter-stützung zu benötigen. Die hier dargestellte Position, die in einzigartiger Weise die Ver-antwortung explizit aufteilt, führt dazu, eine Entscheidung in Bezug auf die Zuordnung zu treffen. Was tritt stärker hervor? Weil diejenigen Führungskräfte, die der Orientie-rung der vollen Eigenverantwortung zugeschlagen wurden, sehr deutlich eben diese

Haltung zeigen, ist im Fall Ehrmann die Abweichung entscheidend für die Zuordnung zur kontrastierenden Orientierung der Fremdzuschreibung.

Eigenverantwortung plus Fremd-,Engagement‘

Bereits zuvor wurde beschrieben, wie sich eine Führungskraft zwar die Verantwortung für das Gesundheitshandeln selbst zuschreibt, aber dennoch Unterstützung von anderer Seite positiv bewertet. Herr Carstens bspw. weiß um seine Schwächen in Bezug auf sein Gesundheitshandeln und nimmt seine Frau insoweit in Anspruch, als sie ihm den Spie-gel vorhält, was er tut bzw. unterlässt (bspw. früher mehr Rad gefahren). Die Suche nach Unterstützung verläuft dabei meist ins Private, wobei er diese auch vom Unter-nehmen erfreut anUnter-nehmen kann, das beispielsweise Gesundheitschecks für das obere Management anbietet. Dabei empfindet er aber keinen Anspruch darauf, schätzt jedoch die bestärkende Botschaft darin, dass auch das Unternehmen am Gesundheitshandeln seiner Führungskräfte interessiert ist. Das Schaffen eines Rahmens im Unternehmen wird hier, wie auch in anderen entsprechend beschriebenen Fällen, als hilfreich einge-stuft, ebenso wie die anderen Führungskräfte, die an solchen Checks teilnehmen.

Eigenverantwortung im Gesundheitshandeln kann zwar nach Meinung vieler Führungs-kräfte durch die Anerkennung und Unterstützung vom Unternehmen ergänzt werden kann, aber daraus wird keine generelle Anspruchshaltung abgeleitet.

Sehr differenziert beschreibt Herr Wächter die betrieblichen Voraussetzungen, die ge-geben sein müssen, um eigenverantwortlich handeln zu können. Das heißt für ihn, sein Anspruch auf Eigenverantwortung bezieht sich auf beeinflussbare Bereiche wie Rü-ckenschmerzen, Verspannungsschmerzen, depressive Verstimmungen (vgl. dazu Wäch-ter, 112). Auch wenn er sich in seinen Ausführungen zunächst auf Menschen in ihren beruflichen Rollen bezieht, geht er darüber und über die Betrachtung des Feldes hinaus und spricht für Menschen an sich:

„Also es (Gesundheit, V.H.) ist ALLER Aufgabe. Es ist Aufgabe des Mitarbei-ters, an sich. Leben heißt Gesundheit, also auf den Körper zu hören. Es ist Auf-gabe des Umfeld, familiären Umfeldes, es ist AufAuf-gabe der Führungskraft und es ist auch Aufgabe des Unternehmens. Das gehört einfach DAZU“ (Wächter, 183).

Sein Anspruch an Eigenverantwortung geht über bestimmte Kontexte hinaus und er begreift ihn als allumfassende gesellschaftliche Aufgabe. So postuliert er auch bei Ver-änderungen der Arbeitswelt und der Anforderungen eine Eigenverantwortung, um sich den neuen Anforderungen, wo möglich, auch anzupassen. Was das Unternehmen, wenn es aktiv wird, zur Gesundheit seiner Mitarbeiter bzw. Führungskräfte beiträgt, nennt er

„süße Sahne", sieht aber auch, dass es eigentlich im Interesse jedes Unternehmens sein müsste, hier Verantwortung zu übernehmen, wenn es fitte Angestellte bis zum 65. Le-bensjahr sicherstellen wolle. Auch auf die eigene Person als Führungskraft und damit Vertreter des Unternehmens bezogen sieht er sich in der Verantwortung, den Mitarbeiter zu unterstützen, ihm zu helfen, wenn sich dieser überstrapaziert und Angst hat, beim Kürzertreten Sanktionen zu erfahren (vgl. Wächter, 128).

8.9 Zwischenfazit

Der erste Analyseschritt, entlang der dokumentarischen Methode mit dem Ziel über die formulierende Interpretation zu richtungsweisenden Erkenntnissen für die weitere Aus-wertung zu gelangen, war zielführend, um Orientierungen zu identifizieren, die der wei-teren Analyse dienlich sein würden. Die Strategie der offenen Suche mit schmaler wer-dendem Korridor erwies sich ebenfalls als ergiebig und mündete in die vier zuvor de-taillierten Dimensionen. Diese wiederum lieferten über die Suche nach Verbindungen zwischen den Dimensionen weiterführende Resultate. In der Tiefe wurde dies erst deut-lich, nachdem ein zweiter Analyse-Schritt vollzogen war, der im folgenden Kapitel aus-führlich beschrieben wird.

Die folgende Übersicht stellt die bisher identifizierten Dimensionen mit ihren Orientie-rungen dar. In jedem der 12 geführten Interviews ließen sich die vier Dimensionen iden-tifizieren. Im vorigen Abschnitt zu den gesundheitsbezogenen Orientierungen konnte die Bedeutung der einzelnen Dimensionen für mögliche Erklärungen zum gesundheits-bezogenen Habitus der Führungskräfte gezeigt sowie grundsätzliche Zusammenhänge untereinander hergestellt werden. Die Verteilung von Orientierungen und Dimensionen bildet die folgende Darstellung ab:

Tabelle 1: Gesundheitsbezogene Orientierungen – über alle Fälle